L 11 KR 5183/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 2825/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 5183/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 24. September 2008 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab 21. August 2008 pro Kalendertag den Betrag von 3,00 EUR für den Gebrauch eines Pulsoxymeters zu zahlen. Die einstweilige Anordnung gilt längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des vor dem Sozialgericht Mannheim anhängigen Klageverfahrens (S 9 KR 2745/08); sie wird jedoch zunächst bis 31. Januar 2009 befristet.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und im ausgesprochenen Umfang auch begründet. Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Unrecht im vollen Umfang abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach Absatz 2 Satz 2 auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Vorliegend kommt, da es dem Antragsteller ersichtlich um die Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO).

Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 2. Mai 2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist ihnen allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 29. Juli 2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292, 296; Beschluss vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S. 1236 f.). Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 2. Mai 2005, a.a.O., m.w.N.); die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 22. November 2002, a.a.O., S. 1237; Beschluss vom 29. November 2007, 1 BvR 2496/07, NZS 2008, 365).

Der Senat kann offen lassen, ob die Zurverfügungstellung des Pulsoxymeters eine solche existentiell bedeutsame Leistung der Krankenversicherung ist. Der Antragsteller ist bereits mit einem solchen Gerät, das ihm im Rahmen eines Mietverhältnisses von der Firma B. GmbH zur Verfügung gestellt worden ist, versorgt. Der streitgegenständliche Anspruch ist allein derjenige auf Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für das Pulsoxymeter. So hat es der Antragsteller auch beantragt. Nicht fernliegend ist aber, dass die Firma B. GmbH, wenn der Antragsteller die Mietkosten überhaupt nicht trägt, das Mietverhältnis beendet. Damit ist die (weitere) Bezahlung der Mietkosten Voraussetzung für das Vorhandensein des Pulsoxymeters.

Auch wenn lediglich eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage vorgenommen wird, führt dies zu der ausgesprochenen einstweiligen Anordnung.

Dabei sieht es der Senat derzeit als offen an, ob der Anspruch des Antragstellers auf Zurverfügungstellung des Pulsoxymeters bzw. die Tragung der Mietkosten hierfür, welcher sich hier nach den Voraussetzungen der § 13 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 27 Abs. 1, § 33 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) richtet, besteht. Zwar hat das im Hauptsacheverfahren (S 9 KR 2745/08) zwischenzeitlich eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von Dr. M. vom 5. November 2008 die Notwendigkeit des Geräts bestätigt und damit die Rechtsansicht des Antragstellers gestützt. Die Antragsgegnerin hat jedoch, was telefonisch zu erfahren war, im Einklang mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zumindest vorerst ihren Einwand, das Hilfsmittel sei nicht notwendig, aufrecht erhalten. Somit ist hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit des Hilfsmittels weiter kein klares Bild zu gewinnen. Dies wird auch durch das Gutachten von Dr. M. deutlich, der ausführt, eine Einschätzung des Gesundheitszustandes des Antragstellers ohne den Einsatz des Pulsoxymeters sei ihm ohne technische Hilfe nicht möglich.

Bei einem somit offenen Ausgang in der Hauptsache ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. Diese führt dazu, dass dem Antragsteller auch nicht vorläufig zugemutet werden kann, die Mietkosten vollständig zu tragen. Dabei berücksichtigt der Senat, dass es sich bei der beim Antragsteller vorliegenden amyotrophen Lateralsklerose um eine schwere Erkrankung handelt, bei der auch nach dem Gutachten von Dr. M. niemand einschätzen kann, wann sich Lähmungserscheinungen bemerkbar machen. Weiterhin stellt der Senat in seine Interessenabwägung die möglichen Gefahren für den Antragsteller ein. Würde dem Antragsteller das Pulsoxymeter nicht mehr zur Verfügung stehen, müsste mit einer Sauerstoffminderversorgung und mit einer weiteren Hirnschädigung gerechnet werden. Dies hat zumindest Dr. M. in seinem Gutachten so vertreten, der im Gegensatz zu den Ärzten des MDK, deren schriftliche Bewertung dieses Gutachtens noch nicht bekannt ist, den Antragsteller persönlich gesehen und innerhalb der häuslichen Situation untersucht hat. Schließlich sind die im Beschwerdeverfahren aufgezeigten begrenzten finanziellen Mittel des Antragstellers zu berücksichtigen, die - würde er die Mietkosten tragen - ihn und seine Frau bedürftig nach den Grenzen des § 20 Zweites Buch Sozialgesetzbuch bzw. § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch machen würde.

Im Rahmen seines Ermessens begrenzt der Senat jedoch die Verpflichtung der Antragstellerin in zweifacher Weise.

Diese Begrenzung erfolgt zum einen zeitlich. Denn eine Verpflichtung zur Bewilligung von Leistungen vor dem Zeitpunkt der Beantragung der einstweiligen Anordnung scheidet regelmäßig und auch im Fall des Antragstellers aus. Dies beruht auf dem auch für das Recht des SGB V geltenden Grundsatz, dass Geldleistungen im Wege einer einstweiligen Anordnung nur zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage zu erfolgen haben und nicht rückwirkend zu bewilligen sind, wenn nicht ein Nachholbedarf plausibel und glaubhaft gemacht ist (vgl. Beschluss des Senats vom 16. Oktober 2008, L 11 KR 4447/08 ER-B, m.w.N.). Die Firma B. GmbH hat bisher allein die Rechnung vom 29. April 2008 (AS 43 der Verwaltungsakte), die den Zeitraum 14. November bis 30. April 2008 erfasst und die Summe von 918,96 EUR ausweist, übermittelt. Dass die Firma B. GmbH dem Antragsteller vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens das Pulsoxymeter entzieht, wenn diese Rechnung nicht demnächst beglichen wird, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Immerhin ist seit der Rechnungsstellung mehr als eine halbes Jahr vergangen, ohne dass sie bezahlt worden ist. Die Begrenzung erfolgt zeitlich zudem bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum Ablauf des Monats Januar 2009, um etwaige Veränderungen des Gesundheitszustandes des Antragstellers bzw. der Erkenntnisse hierüber zeitnah berücksichtigen zu können.

Zum anderen erfolgt die Begrenzung der Höhe nach. Um eine Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden, hat die Antragsgegnerin von den täglichen Mietkosten von 5,47 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer einstweilen nur 3,00 EUR zu übernehmen. Den Restbetrag kann der Antragsteller bei Berücksichtigung seiner Renteneinkünfte und des Arbeitseinkommens seiner Ehefrau zumutbar selbst tragen.

Der Senat weist darauf hin, dass Bescheide, welche die Antragsgegnerin in Ausführung der Entscheidung des Senats erlässt, gegenstandslos werden, wenn sich im Hauptsacheverfahren ergeben sollte, dass dem Antragsteller die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochenen Leistungen nicht zustehen. Damit wäre die Leistung rechtsgrundlos erbracht worden und könnte vom Antragsgegner unter entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 2 SGB X zurückgefordert werden (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Dezember 2005, L 8 AS 3441/05 ER-B, juris; Schütze in von Wulffen, SGB X 6. Aufl., § 50 RdNr. 21 m.w.N.; vgl. OVG Lüneburg 24. Februar 1993, 4 L 151/92; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen 3. April 1992, 16 E 363/91). Dabei ist dem Leistungsempfänger grundsätzlich kein Vertrauensschutz zuzubilligen, da er mit dem Wegfall der einstweiligen Anordnung durch die Entscheidung in der Hauptsache rechnen muss (LSG Baden-Württemberg aaO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsteller zwar nicht vollumfänglich obsiegt, die Antragsgegnerin aber Anlass zu Antrags- und Beschwerdeverfahren gegeben hat.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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