L 2 U 224/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 698/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 224/06
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. März 2006 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Anerkennung weiterer Folgen des Unfalls vom 5. Februar 1998 und Gewährung einer Verletztenrente.

Der 1958 geborene Kläger rutschte am 5. Februar 1998 auf einer Eisplatte aus und schlug nach seinen Angaben vom 6. Februar 1998 mit dem Kopf am Boden auf. Er sei kurzfristig bewusstlos gewesen. Anschließend sei er wegen Schmerzen nochmals bewusstlos geworden. Nach erneuter Bewusstlosigkeit habe er sich vom Notarzt ins Klinikum B-Stadt bringen lassen. Dort wurde der Verdacht auf eine Commotio cerebri und Kreislaufdysregulation geäußert und eine Quetschverletzung des linken Daumens festge stellt. Röntgenaufnahmen vom 13. Februar 1998 zeigten eine deutliche Fehlhaltung der Halswirbelsäule bei Spondylochondrosen C5/6.

Im MRT vom 3. April 1998 fand sich ein medialer Bandscheibenvorfall bei C6/7, eine allenfalls denkbare intermittierende Irritation der Nervenwurzel C7, degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule im Sinne einer Spondylosis deformans. Der Neurologe Dr. B. erklärte am 23. April 1998, die Folgen einer 1996 stattgehabten HWS-Distorsion hätten sich weitgehend zurückgebildet. Seit Februar 1998 bestünden starke Schmerzen im Halswirbelsäulen-(HWS) Bereich mit Ausstrahlung in die Oberarme und Kribbelparaesthesien der Finger. Es handle sich um ein akutes HWS-Syndrom nach HWS-Distorsion. Hinweise für eine Wurzelschädigung ergäben sich nicht. Der Orthopäde Dr.W. attestierte unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 10. Mai 1998.

Während der stationären Behandlung vom 30. April bis 7. Mai 1998 im Klinikum B-Stadt (Dr. F.) klagte der Kläger über anhaltende Muskelverspannungen, ziehende Schmerzen in den Hinterkopf und linke Schulter und Paraesthesien an beiden Händen. Bereits 1991 habe sich der Kläger wegen eines HWS-Syndroms in ambulanter orthopädischer Behandlung des Klinikums befunden. Die HWS-Beschwerden dürften teilweise Folgen dieses HWS-Syndroms sein, zumal die jetzigen Röntgenaufnahmen bereits degenerative Veränderungen zeigten, die auch in der Kernspinuntersuchung zur Darstellung kämen.

Vom 9. Juni bis 20. Juli 1998 erfolgte eine stationäre Behandlung in der S. Klinik Bad E ... Es sei nicht möglich, zu differenzieren, inwieweit der jetzige Zustand durch die erste HWS-Distorsion mitbedingt sei.

Der Betriebsarzt Dr. K. erklärte im Schreiben vom 5. November 1998, ob der Bandscheibenvorfall C6/C7 mit dem Dienstunfall zusammenhänge, sei zumindest fraglich, zumal schon in der Vorgeschichte andere Traumen zu verzeichnen seien und der Kläger - nach eigenen Angaben - früher extreme sportliche Aktivitäten, Karate und andere Kampfsportarten, betrieben habe.

Im Gutachten vom 20. Januar 1999 führte der Orthopäde Prof. Dr. Z. aus, der Kläger habe sich am 5. Februar 1998 höchstens eine Schädelprellung zugezogen; Hinweise für eine Mitbeteiligung der Halswirbelsäule fehlten. Der im MRT vom 3. April 1998 beschriebene Bandscheibenvorfall habe mit Sicherheit mit dem Unfallgeschehen nichts zu tun. Die Schädelprellung sei folgenlos verheilt. Unfallunabhängig bestünden degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule.

Mit Bescheid vom 25.02.1999 lehnte die Beklagte die Rentengewährung ab.

Im Widerspruchsverfahren erklärte der Kläger, er habe 1991 im Rahmen einer Behandlung seines Knies Muskelverspannungen im Halsbereich erwähnt. Wegen der Halswirbelsäule sei aber nichts weiter unternommen worden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 1999 zurück.

Zur Begründung der hiergegen gerichteten Klage verwies der Kläger auf seine behandelnden Ärzte, die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bestätigt hätten. Er übersandte ein Gutachten des Chirurgen Dr. S. vom Klinikum B-Stadt vom 9. November 1999. Darin wird ausgeführt, die HWS-Distorsion Grad I - II nach Erdmann mit einem schmerzfreien Intervall von circa 12 Stunden, ohne neurologische Ausfälle, ohne unfallbedingte Veränderungen im Röntgenbild, habe nicht zu dem Bandscheibenvorfall geführt, der unfallunabhängig sei. Dr. S. lagen Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule vom 10. Januar 1991 vor.

Der Neurologe Dr. B. führte im Gutachten vom 26. Oktober 1999 in der Privat-Ver-sicherungsangelegenheit des Klägers aus, aufgrund des Unfallmechanismus und der im Erstbefund fehlenden äußeren Verletzungszeichen (bis auf die Daumenverletzung) müsse man insgesamt von einer leichten, allenfalls mittelschweren HWS-Distorsion ausgehen. Ein daraus folgender Bandscheibenvorfall sei äußerst unwahrscheinlich. Die stark ausgeprägten jetzigen Beschwerden seien jedenfalls durch den Unfall kaum erklärlich. Die MdE auf neurologischem Gebiet sei mit 10 v.H. zu bewerten.

Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Nervenarzt Prof. Dr. D. führte im Gutachten vom 15. April 2001 aus, Folgen eines Schädel-Hirntraumas lägen nicht vor. Es handle sich um hypochondrische Entwicklungen, die therapieresistent seien. Ein Unfallzusammenhang scheide aus.

Der Kläger übersandte ein Gutachten der Neurochirurgen Dr. S. und Dr. W. vom 10. Oktober 2002 für das Landgericht T ... Darin wird ausgeführt, die hochgradige degenerative Veränderung der Halswirbelsäule sei altersuntypisch und auf eine größere Verletzung zurückzuführen. In einem weiteren Gutachten von Dr. W. und Dr. S. vom 24. September 2003 wurde ausgeführt, nach Einsicht in die Krankenunterlagen des Postbetriebsarztes zeige sich, dass bereits am 23. Februar 1987 eine Neigung zu Hinterkopf-, Nacken- und Schulterschmerzen bestanden habe. Weiter werde von zeitweiligen Migräneanfällen berichtet. Der Neurologe und Psychiater Dr. H. habe in seinen Briefen vom 23. Dezember 1986 und 9. März 1987 von einem Unfallereignis gesprochen. Seitdem sei der Kläger ständig krank. Eine erneute Akzentuierung hätten die Beschwerden durch das Schleudertrauma 1995 erhalten. Das Unfallereignis 1998 habe zu einer akuten Verschlimmerung der Beschwerden geführt. Es handle sich um ein äußerst komplexes Krankheitsbild, bei dem der Anteil der Beschwerden, der durch degenerative Veränderungen verursacht werde und der Anteil, der durch reaktive Verarbeitung verursacht werde, schwer zu differenzieren sei. Ohne das Unfallereignis wäre es vermutlich nicht zu einer so rasch progredienten Veränderung kommen.

Die vom Sozialgericht zu ärztlichen Sachverständigen ernannten Neurochirurgen Prof. Dr. K. und Dr. K. führten im Gutachten vom 25. November 2003 aus, es bestünden Cervicobrachialgien mit belastungsabhängig auftretenden Hypaesthesien, eine deutlich eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule und eine Störung des Schmerzempfindens im Rahmen einer psychosomatisch gestörten Schmerzverarbeitung. Diese Gesundheitstörungen seien bei dem Ereignis am 5. Februar 1998 aufgetreten und seitdem chronifiziert. Das Ereignis sei durchaus geeignet gewesen, diese Gesundheitstörungen ursächlich herbeizuführen und stelle keine Gelegenheitsursache dar. Das Ereignis sei auch geeignet gewesen, geringgradige degenerative Veränderungen wesentlich zu verschlimmern und zu anhaltenden Störungen zu führen. Die MdE sei mit 50 v.H. zu bewerten.

Die Beklagte übersandte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes, des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. M., vom 28. Januar 2004: Der Sturz mit Anschlagen der Stirn und kurzzeitiger Bewusstseinsstörung schließe eine wesentliche Gewalteinwirkung gegen die Halswirbelsäule aus. Möglicherweise sei es zu einer Distorsion I. Grades gekommen. Diese führe aber zu keinen Dauerfolgen und gehe mit Sicherheit nicht einher mit isolierter Bandscheibenverletzung. Die am 12. Februar 1998 nachgewiesenen degenerativen Veränderungen seien zweifellos Ausdruck vorbestehender Schädigungen, da sie sich nicht so schnell entwickeln könnten.

Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. führte im Gutachten vom 6. Dezember 2004 und der ergänzenden Stellungnahme vom 18.04.2005 aus, der Unfall und die unmittelbar nach dem Unfall festgestellten Unfallfolgen seien nicht geeignet, andauernde gesundheitliche Beschwerden hervorzurufen, insbesondere nicht die angegebenen Beschwerden. Der Widerspruch zwischen der relativ geringen Gewalteinwirkung und den mit zeitlicher Latenz auftretenden und anhaltenden Beschwerden könne zum einen dadurch erklärt werden, dass aufgrund einer wesentlichen Vorschädigung der Unfall eine Gelegenheitsursache dargestellt habe. In den MRT-Aufnahmen vom 3. April 1998 fänden sich erhebliche degenerative Veränderungen, die weder durch den Unfall verursacht noch beschleunigt werden konnten. Zum anderen sei auch der Einfluss von unfallunabhängigen psychischen Faktoren denkbar.

Mit Urteil vom 14. März 2006 wies das Sozialgericht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 25. März 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 1999 ab und stützte sich dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen von Dr. S ...

Zur Begründung der Berufung machte der Kläger geltend, Dr. W. und Dr. W. hätten ihn mehr als zwei Jahre kontinuierlich krankgeschrieben. Schon am Unfalltag seien Sensibilitätstörungen an beiden Armen und Händen aufgetreten.

Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr. H. führte im Gutachten vom 15. März 2008 aus, die vor dem Unfall vorhandenen Veränderungen könnten eine gewisse Disposition für das Trauma darstellen. Der Kläger sei aber vorher arbeitsfähig gewesen, also sei von einer Hauptschädigung durch das Trauma auszugehen. Die initiale Bewusstlosigkeit spreche für eine Zusatzsymptomatik in Form einer Commotio cerebri. Da fast 10 Jahre nach dem Unfall die subjektiven Beschwerden weiter bestünden, müsse von einer Chronifizierung eines posttraumatischen cervicobrachialen und cervikocephalen Syndroms ausgegangen werden. Das Ereignis vom 5. Februar 1998 sei wohl wesentlich für die jetzt bestehende Beschwerdesymptomatik. Es habe die jetzt bestehende Symptomatik ausgelöst und zu den Beschwerden geführt. Die MdE sei mit 50 v.H. zu bewerten.

Die Beklagte übersandte eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. V. vom 10. April 2008; eine Auslösung, wie sie Dr. H. annehme, sei mit einer wesentlichen Teilursächlichkeit nicht gleichzusetzen. Grundvoraussetzung sei die Objektivierbarkeit von Unfallfolgen, die hier nicht gegeben sei.

Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. März 2006 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides am 30. Juli 1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Gesundheitsstörungen im Bereich der Halswirbelsäule sowie die Beschwerden im Rücken als Folge des Arbeitsunfalls vom 5. Februar 1998 festzustellen und Verletztenrente zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht München die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Ergänzend ist noch auf folgende Gesichtspunkte hinzuweisen: Wesentliche Unfallfolgen auf orthopädischem Fachgebiet liegen zur Überzeugung des Senats nicht vor. Der Orthopäde Prof. Dr. Z. hat dargelegt, dass der am 3. April 1998 festgestellte Bandscheibenvorfall mit Sicherheit nicht Unfallfolge ist, da Beschwerden erst mehrere Stunden nach dem Unfall eingesetzt haben und somit dem Unfall nicht zugeordnet werden können. Diese Beurteilung wurde bestätigt durch das Gutachten des Orthopäden Dr. S. vom 9. November 1999. Dr. S. lagen die Röntgenbefunde vom 10. Januar 1991 vor. Insofern trifft die Angabe des Klägers, 1991 sei keinerlei weiterführende Diagnostik oder Behandlung im Klinikum B-Stadt erfolgt, nicht zu. Die Röntgenbefunde zeigten bereits damals eine Steilstellung der oberen Halswirbelsäule und mäßige degenerative Veränderungen, die bis 1998, wie die Röntgenaufnahmen vom 12. Februar 1998 zeigen, ge- ringfügig zugenommen hatten. Insofern überzeugt die Beurteilung von Prof. Dr. Z. und Prof. Dr. M., dass die degenerativen Veränderungen nicht Unfallfolge sind, da sie sich vom 5. bis 12. Februar 1998 nicht hätten entwickeln können und im Übrigen bereits 1991 festzustellen waren.

Nicht überzeugen konnten dagegen die Ausführungen von Prof. Dr. K., Dr. K. und Dr. H ... Der Hinweis im Gutachten von Prof. Dr. K. und Dr. K., die Cervicobrachialgien, die Bewegungseinschränkung und die psychosomatisch gestörte Schmerzverarbeitung seien nach dem Unfall aufgetreten, reicht als Begründung für eine Kausalität nicht aus. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich bei der auch von den anderen Gutachtern angenommenen HWS-Distorsion nur um eine Distorsion nach Grad I oder II gehandelt haben kann, da ein beschwerdefreies Intervall dokumentiert ist. Derartige HWS-Distorsionen heilen aber innerhalb kürzerer Zeit ab. Ob der im MRT vom 3. April 1998 zu sehende Bandscheibenvorfall vorbestehend und stumm gewesen oder erst in der Folgezeit aufgetreten ist, ist nicht festzustellen. Die vorgeschlagene MdE in Höhe von 50 v.H. ist ohnedies völlig überzogen. Sie setzt beispielsweise eine unvollständige Halsmarkschädigung oder Schädigung von Rückenmarknervenwurzeln mit Teillähmungen voraus. Die Chronifizierung der Beschwerden, wie sie der Kläger angibt, ist daher, so Dr. S., auf psychische, unfallfremde Ursachen zurückzuführen. Diese Beurteilung wird auch gestützt durch die Ausführungen von Dr. W. und Dr. S. im Gutachten vom 24. September 2003. Nach Einsicht in die Krankenunterlagen des Postbetriebsarztes stellten sie fest, dass der Kläger sich seit einem Unfall, der bereits einige Jahre vor 1986 passiert war, ständig krank fühlte. Auch klagte er bereits 1987 über Kopf-, Nacken- und Schulterschmerzen sowie Migräneanfälle und führte diese Beschwerden selbst auf Abnutzungsveränderungen nach früher extrem betriebenen sportlichen Aktivitäten wie Karate zurück. Beschrieben wurde der Kläger in diesen Krankenunterlagen als psychisch labiler Patient, der psychische Konflikte oft somatisiere.

Auch die Ausführungen von Dr. H. sind insofern nicht überzeugend, als er die Kausalität zwischen Unfall und Beschwerden damit begründet, dass der Kläger vor dem Unfall arbeitsfähig gewesen sei, nach dem Unfall nicht mehr. Hier ist Dr. S. zuzustimmen, dass der leichte Unfall, ohne orthopädisch feststellbare wesentliche Unfallfolgen und ohne neurologische Ausfallerscheinungen nicht geeignet war, andauernde gesundheitliche Beschwerden hervorzurufen oder wesentlich zu verschlimmern.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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