L 2 U 375/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 128/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 375/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12. September 2007 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger am 03.09.2001 lediglich eine Prellverletzung der linken Schulter erlitten hat oder ob die im Januar 2003 operierte Ruptur der Supraspinatussehne im ursächlichen Zusammenhang mit dem Ereignis stand.
Der 1950 geborene Kläger war seit November 1989 als Stadtarbeiter im Bauhof der Stadt A-Stadt beschäftigt. Der Arbeitgeber zeigte am 12.10.2001 den Unfall des Klägers vom 03.09.2001 an. Der Kläger sei beim Abbauen des Greifers eines Baggers über die Staplergabel gestolpert und mit der linken Schulter an den Tieflöffel gestoßen. Der Durchgangsarzt Dr.G. fand bei der Untersuchung am 04.09.2001 äußerlich keinen Befund, jedoch eine eingeschränkte aktive Beweglichkeit der linken Schulter. Der Impingementtest war positiv. Arbeitsunfähigkeit wurde bis 16.09.2001 attestiert. Bei der Nachschau am 07.09.2001 stellte Dr.G. ein oberflächliches Hämatom am Deltamuskel fest. Die aktive Beweglichkeit hatte sich verbessert. Einen für 10.09.2001 geplanten Arbeitsversuch befürwortete Dr.G ...
Am 26.01.2002 wandte sich der Kläger an den Beklagten, weil er noch immer stark eingeschränkt sei. Er könne den linken Arm nur zu 50 % einsetzen; vor dem Unfall sei er beschwerdefrei gewesen. Über eine Behandlung der linken Schulter am 20.09.2002 berichtete der Orthopäde R ... Als Diagnose nannte er ein Schulter-Engpass-Syndrom links; Arbeitsunfähigkeit attestierte er bis 18.09.2002. Der Beklagte zog ein Magnetresonanztomogramm (MRT) der linken Schulter vom 10.10.2002 bei. Darin wurden degenerative Veränderung und eine Risslücke beschrieben. Das Klinikum N. berichtete über eine Behandlung am 25.11.2002, da die Beschwerden wieder zugenommen hätten. Dort wurde am 14.01.2003 ein athroskopischer Eingriff an der linken Schulter vorgenommen.
Im Gutachten vom 09.10.2003 führte der Orthopäde Dr.H. aus, bei dem streitgegenständlichen Unfall sei es nur zu einer Schulterprellung gekommen, die nach kurzer Zeit, etwa nach acht bis zehn Tagen, ausgeheilt war. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege unter 10 v.H. Er monierte die schlechte Qualität der ihm vorliegenden Röntgenaufnahmen vom 04.09.2001 und 18.01.2002.
Mit Bescheid vom 11.11.2003 erkannte der Beklagte als Unfallfolge lediglich eine Schulterprellung links bei Vorschädigung des Schultergelenks an. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2004 zurück. Die dagegen erhobene Klage (S 4 U 169/04) nahm der Kläger zurück. Ein Gutachten war in diesem Verfahren nicht eingeholt worden.
Wegen eines Unfalls vom 28.08.1991, bei dem sich der Kläger eine Verletzung des rechten Knies zugezogen hatte, gewährt ihm der Beklagte mit Bescheid vom 09.09.1997 Rente nach einer MdE um 20 v.H.
Am 26.09.2005 beantragte der Kläger die Überprüfung nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X), insbesondere Überprüfung, ob eine sogenannte Stützrente zustehe.
Der Beklagte zog einen Bericht des Krankenhauses A. vom 16.09.2005 bei. Dort war am 14.09.2005 eine arthroskopische Acromioplastik der linken Schulter durchgeführt worden. Weiter zog der Beklagte Befunde und ein Gutachten des Orthopäden Dr.H. vom 10.09.2005 bei, das zu einem vom Kläger geltend gemachten Unfallgeschehen vom 15.03.2005 erstattet worden war. Dabei hatte sich der Kläger an der rechten Schulter eine Verletzung zugezogen. Der Beklagte erkannte mit Bescheid vom 10.10.2005 lediglich eine schmerzhafte Stauchung der rechten Schulter an, nicht jedoch ein vorbestehendes Engpasssyndrom der rechten Schulter mit verschleißbedingten Aufbraucherscheinungen. Eine Rente wurde nicht gewährt.
Der Beklagte holte eine Stellungnahme des Dr.B. ein. Dieser kam am 04.01.2006 zum Ergebnis, es lägen keine neuen Gesichtspunkte bezüglich des Verletzungsmechanismus und der Schädigung der linken Schulter vor. Nach wie vor sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Ruptur der Supraspinatussehne und den späteren operativen Eingriffen im Jahre 2005 nicht herzustellen.
Mit Bescheid vom 13.03.2006 lehnte der Beklagte im Rahmen einer Überprüfung nach § 44 SGB X eine Neufeststellung ab. Es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Ruptur der Supraspinatussehne und dem Unfall vom 03.09.2001. Eine MdE von wenigstens 10 v.H. sei nicht zurückgeblieben. Stützrente könne weder in Verbindung mit dem Unfall von 1991 noch mit dem Unfall vom 15.03.2005 gewährt werden. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12.05.2006).
Dagegen erhob der Kläger beim Sozialgericht Regensburg Klage mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zur Zahlung einer Rente nach einer MdE in Höhe von 30 v.H. zu verurteilen.
Das Sozialgericht zog die vorhandenen Röntgenaufnahmen und MRT-Bilder bei und beauftragte Prof.Dr.B., Schreiberklinik C-Stadt, mit der Erstattung eines Gutachtens. In seinem Gutachten vom 27.09.2006 kam der Sachverständige zum Ergebnis, der alters- und anlagebedingte degenerative und artikulär-ossäre Vorschaden im linken Schultergelenk mit schmerzhaftem Impingementsyndrom sei durch die direkte Traumaeinwirkung am 03.09.2001 richtungweisend auf Dauer verschlimmert worden. Verletzungsbedingt sei eine Behinderung der Innen- und Außenrotation sowie der Ab- und Adduktionsbewegung entstanden. Ob der bei der späteren Operation im September 2005 gefundene Massendefekt auf bereits vorhandene degenerative Veränderungen zurückzuführen sei, oder ob auch iatrogene Komponenten infrage kämen, lasse sich im Nachhinein nicht mehr sicher beurteilen. Den unfallbedingten zusätzlichen Gelenkschaden im linken Schulterbereich und linken Schultergelenk schätze er auf 10 v.H. ab der 27. Woche und ab 01.10.2006 auf 15 v.H. bis auf Weiteres.
Der Beklagte bezog sich auf Stellungnahmen des Beratungsarztes Dr.B. vom 22.02.2007 und 04.05.2007. Man könne sich den Schlussfolgerungen des Prof.Dr.B. nicht anschließen. Die anlässlich der Operation am 14.09.2005 beschriebenen ausgeprägten degenerativen Veränderungen ließen keine Rückschlüsse auf ein Verletzungssubstrat zu. Auch der Operationsbericht vom 14.01.2003 bestätige eine Vorschädigung. Das im Nachschaubericht vom 07.09.2001 erwähnte oberflächliche Hämatom beweise keine nachhaltige Verletzung der tiefen Schulterstrukturen. Des Weiteren belege auch das MRT vom 10.10.2002 nur degenerative Veränderungen.
Mit Urteil vom 12.09.2007 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es trat der Auffassung des Dr.B. bei und hielt das Gutachten des Prof.Dr.B. nicht für überzeugend. Eine Verpflichtung des Beklagten zur Neufeststellung der Folgen des Unfalls vom 03.09.2001 habe nicht bestanden.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und sich im Wesentlichen auf die Beurteilung des Prof.Dr.B. gestützt. Die Stellungnahmen des Dr.B. seien nur nach Aktenlage abgegeben und darüber hinaus parteigebunden. Hierauf hätte das Sozialgericht seine Entscheidung nicht stützen dürfen.
Der Senat hat die Röntgenaufnahmen beigezogen und Dr.F., Orthopäde in C-Stadt, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Am 04.02.2008 führte der Sachverständige aus, allein die vom Kläger geschilderte direkte Krafteinwirkung in Form einer Prellung beschreibe einen Unfallhergang, der nach der wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht geeignet ist, die Rotatorenmanschette zu verletzen. Die Beurteilung werde durch schlechte Qualität der angefertigten Röntgenaufnahmen erschwert. Insgesamt könne unter Würdigung der Erstbefunde, des Unfallhergangs und der eindeutig diagnostizierten degenerativen Veränderung ein Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 03.09.2001 und der am 14.01.2003 operierten linken Schulter mit den verbliebenen Defiziten nicht begründet werden. Das Gutachten des Prof.Dr.B. stehe nicht in Übereinstimmung mit den Richtlinien der wissenschaftlichen Lehrmeinung.
Der Kläger hat hierzu erwidert, die Feststellungen des Dr.F. seien ihm völlig unverständlich.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 12.09.2007 und des Bescheids vom 13.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.05.2006 zu verurteilen, den Bescheid vom 11.11.2003 zurückzunehmen und ihm Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. wegen der Folgen des Unfalls vom 03.09.2001 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom12.09.2007 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten sowie des Sozialgerichts zu den Aktenzeichen S 4 U 128/06 und S 4 U 40/06 Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.
Nach § 44 SGB X kann die Wirkung eines bindenden Bescheides beseitigt werden, wenn sich erweist, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Eine solche Neufeststellung würde voraussetzen, dass sich der Bescheid vom 11.11.2003, mit dem der Beklagte Leistungen wegen der Folgen des Unfalls vom 03.09.2001 auf Dauer abgelehnt hatte, rechtswidrig ist. Mit diesem Bescheid erkannte der Beklagte zwar den Unfall als Arbeitsunfall an, jedoch lediglich mit der Folge einer Prellverletzung, die innerhalb von acht bis zehn Tagen ausgeheilt war. Nicht als Folge des Unfalls wurde die Schädigung tieferer Strukturen der linken Schulter angesehen, die zur Operation am 14.01.2003 führten und aus der eine weitreichende Einschränkung des linken Armes resultiert.

Der Senat stützt sich auf das in seinem Auftrag von Dr.F. erstattete Gutachten vom 04.02.2008. Danach ist ein für einen Rotatorenmanschettenriss geeigneter Unfallhergang eindeutig auszuschließen. Beweisend hierfür ist, dass der Durchgangsarzt bei seiner Nachschau am 07.09.2001 über dem Deltamuskel ein oberflächliches Hämatom feststellen konnte. Damit ist eindeutig eine Prellverletzung abgelaufen. Nach der derzeit geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung ist eine Prellverletzung kein geeigneter Verletzungsmechanismus für das Entstehen eines Risses der Supraspinatussehne. Ein geeigneter Unfallhergang ist nur dann anzunehmen, wenn die Sehne einer Zugbeanspruchung mit unnatürlicher Längendehnung ausgesetzt war. Ein solcher Ablauf wird vom Kläger zu keinem Zeitpunkt beschrieben. Vielmehr gab er stets an, mit der linken Schulter gegen einen harten Gegenstand geprallt zu sein.
Auch die unmittelbar nach dem Unfall erhobenen Befunde des Durchgangsarztes sprechen gegen einen traumatischen Zusammenhang. Ein frischer Riss der Rotatorenmanschette führt zum sofortigen Schmerzmaximum, das zur Einstellung der Arbeit zwingt und in der Regel den Arzt am selben oder nächsten Tag aufsuchen lässt. Danach klingt der Schmerz allmählich ab. Typische Symptome sind eine Pseudoparalyse sowie eine freie passive Beweglichkeit bei unauffälliger Muskulatur. Der Durchgangsarztbericht enthält keine Hinweise auf eine eindeutige Pseudoparalyse. Die aktive Abduktion war bis 80 % möglich und die Armvorhebung sogar bis 150 %. Eine Beschreibung der passiven Beweglichkeit fehlt. Ein gewichtiges Argument gegen einen unfallbedingten Riss ist der vom Durchgangsarzt beschriebene positive Impingementtest. Die Erstsymptome sind damit nicht typisch für eine traumatische Ruptur im Bereich der Rotatorenmanschette. Die schlechte Qualität der einen Tag nach dem Unfall angefertigten Röntgenaufnahmen lässt zwar keine Rückschlüsse auf eine Vorerkrankung zu, jedoch das MRT vom 10.10.2002. Die Tatsache, dass der Kläger bereits am 10.09.2001 einen vom Durchgangsarzt befürworteten Arbeitsversuch unternahm, dass keine weitere Arbeitsunfähigkeitszeit und eine weitere Behandlungsbedürftigkeit erst ab dem 20.09.2002 dokumentiert ist, lässt vermuten, dass dazwischen ein relativ beschwerdearmes Intervall lag. Eine deutliche Verschlechterung war demzufolge erst ab Oktober 2002 bis zur Operation am 14.01.2003 eingetreten. Ebenso wie im MRT fanden sich bei der Operation deutliche Hinweise auf ein knöchernes Engpasssyndrom. Dieses bewirkt einen mechanischen Reiz der Rotatorenmanschette und in der Konsequenz führt es zu Läsionen in diesem Bereich. Bei der Operation konnte unter Sicht auch kein Anhalt für eine traumatische Verletzung entdeckt werden.
Der Senat schließt sich den Feststellungen des Sachverständigen Dr.F. an. Er hält, wie vor ihm das Sozialgericht, die Meinung des Prof.Dr.B. nicht für überzeugend. Diese orientiert sich zum Teil an einer veralteten medizinischen Literatur und berücksichtigt die Unfallmechanik nicht. Damit kommt der Senat zum Ergebnis, dass ein Anspruch auf Neufeststellung gemäß § 44 SGB X nicht gegeben ist und die Berufung des Klägers zurückzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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