L 1 KR 111/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 1135/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 111/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 18. Oktober 2006 verurteilt, an die Klägerin 5.373,56 EUR zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Kostenerstattung für eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation.

Die 1979 geborene Versicherte S C - V. - ist sowohl bei der Klägerin als auch bei der Beklagten Mitglied.

Am 7. Februar 2003 beantragte die V. bei der damaligen LVA Schwaben - jetzt DRV Schwaben - die Bewilligung einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation. Der behandelnde Allgemeinmediziner Dr. N legte in einem Befundbericht vom 30. Januar 2003 dar, die Klägerin leide an Neurodermitis mit einer Ganzkörperreaktion und einem Asthma. Seit 1991 würden schwere schubweise verlaufende generalisierte Neurodermitisattacken beobachtet, wobei in den letzten sechs bis zwölf Monaten auch unter Maximaltherapie eine stetige Zunahme der Symptomatik auftrete. Er hielt einen Aufenthalt in D oder am Toten Meer für sinnvoll. Die LVA Schwaben sandte den Antrag an die Klägerin - damals BfA - weiter, nachdem sie festgestellt hatte, dass der letzte Beitrag vor der Antragstellung nicht zu einer Landesversicherungsanstalt entrichtet worden war. Die Klägerin bewilligte mit Bescheid vom 27. Februar 2003 eine Maßnahme in der Klinik für Dermatologie und Allergie - Aklinik - in D, die vom 4. September 2003 bis zum 9. Oktober 2003 durchgeführt wurde. Im Reha-Entlassungsbericht wird über einen auf das gesamte Hautorgan ausgedehnten Befund berichtet, wobei lediglich das Gesicht weniger befallen sei. Die bisherige Therapie habe die lokale Applikation von Kortikosteroiden, Tacrolimus, die systematische Gabe von Epogam, Antihistaminika wie Telfast und Teldane sowie Inhalationen wegen des Asthmas umfasst. Dazu seien UV-Bestrahlungen gekommen. Der Behandlungserfolg durch die ambulanten Maßnahmen sei ungenügend gewesen. Insgesamt habe bei der Aufnahme nach dem Maß für den Schweregrad der Neurodermitis ein Wert von 85/103 Punkten vorgelegen. Der ausgeprägte Hautbefund habe eine Verlängerung des stationären Aufenthaltes auf fünf Wochen ärztlicherseits dringend indiziert. In dieser Zeit sei es unter den günstigen klimatischen Bedingungen und der Therapie zu einer deutlichen Rückbildung der Hautveränderungen gekommen. Bei der Entlassung sei nach dem Maß für den Schweregrad ein Wert von 35/103 Punkten erreicht worden.

Mit Schreiben vom 2. Dezember 2003 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe von 5.373,56 EUR geltend, da sie die Leistung als zweitangegangener Versicherungsträger gemäß § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) im Rahmen der Vorleistungen übernommen habe.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen - MDK - Günzburg ein, der mit dem Datum vom 28. Januar 2004 die Auffassung vertrat, die medizinische Notwendigkeit der stationären Reha-Maßnahme sei nicht belegt, insbesondere fehlten Belege für die zuvor ausgeschöpfte ambulante Behandlung am Wohnort (Mitbehandlung durch einen Facharzt für Dermatologie).

Mit der am 7. Mai 2004 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.

Sie ist der Auffassung, aufgrund der Weiterleitung des Antrages durch die unzuständige LVA Schwaben sei die Klägerin zweitangegangener Träger geworden. Sie habe den Rehabilitationsbedarf geprüft und im Ergebnis befürwortet und die Leistung unter ihrer Kostenträgerschaft durchgeführt. Allerdings sei sie unter Zugrundelegung der nach dem Sozialgesetzbuch Sechsts Buch (SGB VI) maßgebenden Vorschriften der unzuständige Leistungsträger, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 SGB VI nicht vorlägen.

Die Beklagte ist dem mit der Auffassung entgegengetreten, die Weiterleitung eines Antrages auf Rehabilitation innerhalb der Rentenversicherung stelle keine Weiterleitung im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX dar. Auch läge die medizinische Notwendigkeit einer stationären Reha Maßnahme nach den Ausführungen des MDK Günzburg nicht vor.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. Oktober 2006 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Weiterleitung von der LVA Schwaben an die Klägerin stelle keine vorausgegangene erste Weiterleitung im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB IX dar, da die LVA Schwaben und die Klägerin ein einheitlicher Rehabilitationsträger im Sinne dieser Vorschrift seien, wie sich aus der abschließenden Aufzählung dieser Träger in § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX ergebe. Die Klägerin habe unzweifelhaft feststellen können, dass die V. die versicherungs-rechtlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 und 2 SGB VI nicht erfüllte, da sie als Studentin in den letzten zwei Jahren vor der Beantragung der Reha-Maßnahme lediglich fünf Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung belegt habe. Ein Erstattungsanspruch aus § 105 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) scheitere an § 14 Abs. 4 Satz 3 SGB IX.

Gegen dieses der Klägerin am 23. Oktober 2006 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 16. November 2006.

Die Klägerin verweist auf das Ergebnis der Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger über Rehabilitationsangelegenheiten vom 25. August 2005, als dessen Ergebnis festgehalten wurde, dass eine Weiterleitung eines Antrages auch zwischen Rehabilitationsträgern desselben Sozialversicherungszweiges möglich sei und auf die gemeinsame Empfehlung der Bundesarbeitsgemeinschaften für Rehabilitation, wonach die Weiterleitung eines Antrages nur einmal möglich sei. Der Rehabilitationsträger, an den ein Antrag weitergeleitet wurde, muss über den Antrag im Rahmen seiner Leistungsgesetze entscheiden (§ 3 Abs. 1 Satz 2 dieser Empfehlungen).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Oktober 2006 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.373,56 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Klägerin und der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung sein werden.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht erhoben, somit insgesamt zulässig.

Sie ist auch begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Erstattung der Kosten der von der V. durchgeführten Reha Maßnahme. Anspruchsgrundlage ist § 105 SGB X, § 14 Abs. 4 SGB IX. Danach erstattet dann, wenn nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger festgestellt wird, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. § 14 Abs. 4 SGB IX lässt die Erstattungsregelungen des § 102 ff. SGB X grundsätzlich unberührt. Die Vorschrift verdrängt sie nur teilweise und begründet im Zusammenspiel mit § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX eine nachrangige Zuständigkeit (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 28. November 2007 - B 11 a 29/06 R m. w. N.-). Mit § 14 SGB IX soll nur im Außenverhältnis (behinderter Mensch gegenüber Rehabilitationsträger) rasch die Leistungspflicht festgestellt werden. Bliebe es auch im Innenverhältnis der Rehabilitationsträger untereinander bei der Zuständigkeitsverteilung nach § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX, würden die Zuständigkeitsnormen innerhalb des SGB IX im Wesentlichen obsolet. Die damit einhergehende Lastenverschiebung ohne Ausgleich würde die Grundlagen des gegliederten Sozialsystems infrage stellen (BSG, Urteil vom 26. Juni 2007, Rdnrn. 12, 14). Auch die Erstattungsansprüche müssen dem Primärzweck des § 14 SGB IX dienen, der schnellen Zuständigkeitserklärung im Außenverhältnis. Es darf kein Anreiz geschaffen werden, zur Wahrung potenzieller Erstattungsansprüche Rehabilitationsanträge - mit der Folge einer vermeidbaren Verzögerung - an einen anderen Träger weiterzuleiten, der sich als zweitangegangener Rehabilitationsträger gegen seine Zuständigkeit im Außenverhältnis nicht wehren kann. § 14 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB IX trägt deshalb speziell der Sondersituation des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers Rechnung und begründet lediglich für diesen einen speziellen Erstattungsanspruch (BSG, a.a.O., Rdnr. 15 ff.). Der zweitangegangene Rehabilitationsträger ist nämlich im Gegensatz zum erstangegangenen Rehabilitationsträger besonders schutzwürdig, da er einer aufgedrängten Zuständigkeit ausgesetzt ist und unabhängig von seiner tatsächlichen Leistungspflicht schnell handeln muss.

Bei diesem Gesetzeszweck gibt es keine Veranlassung, § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX entgegen dem Wortlaut "Stellt der Rehabilitationsträger innerhalb zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Leistungsträger zu" auszulegen. Leistungsträger ist die zuständige öffentlich-rechtliche Körperschaft, bei der ein Antrag gestellt beziehungsweise an die er weitergeleitet wird. Wenn das Sozialgericht der Auffassung ist, aus § 6 Abs. 1 SGB I ergebe sich, dass alle Träger der gesetzlichen Rentenversicherung ein einheitlicher Rehabilitationsträger seien, so findet diese Auffassung auch im Wortlaut dieser Vorschrift keine Entsprechung. Denn dort heißt es, Träger der Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitationsträger) können sein: 4. die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung und die Träger der Altersversicherung für Landwirte. Aus dem Plural ergibt sich ebenso wie aus § 14 Abs. 1 SGB IX, dass die verschiedenen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung jeweils Rehabilitationsträger sind. Der vorliegende Fall zeigt, dass das Ziel des Gesetzgebers, nämlich die Gliederung des Sozialverscherungssystems beizubehalten, durch eine Auslegung, wie sie die Beklagte und das Sozialgericht vornehmen, nicht berücksichtigt wird. Dies führte nämlich dazu, dass, obwohl objektiv die gesetzliche Krankenversicherung zuständig war, die Kosten der Reha-Maßnahme bei einem der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung verblieben. Die Zuständigkeitsregelungen innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung jedoch sind ebenso zwingendes Recht wie diejenigen zwischen den unterschiedlichen Rehabilitationsträgern, so dass ein unzuständig angegangener Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nicht anders kann, als den Antrag an den nach SGB VI zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung weiterzugeben. Dass in diesen Fällen jeweils das Kostenrisiko von der gesetzlichen Krankenversicherung auf die gesetzliche Rentenversicherung übertragen werden soll, macht keinen Sinn.

Die Klägerin ist demnach zweitangegangener unzuständiger Leistungsträger gemäß § 102 SGB X; an sie wurde der Reha-Antrag der V. von der örtlich unzuständigen damaligen LVA Schwaben zur Bearbeitung abgegeben, obwohl auch sie aufgrund des Fehlens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 und 2 SGB VI ebenfalls unzuständig war. Der Umfang des Erstattungsanspruches richtet sich dabei gem. § 105 Abs. 2 SGB X nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Der letztendlich verpflichtete Leistungsträger muss nämlich dem unzuständigen Leistungsträger nicht mehr erstatten, als er selbst bei sofortiger zutreffender Feststellung des Anspruches an den Leistungsberechtigten hätte leisten müssen.

Die Beklagte ist als gesetzliche Krankenkasse zu Leistungen zur medizinischen Rehabilitation aber nur verpflichtet, wenn bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreicht, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - i.V.m. § 11 Abs. 2 SGB V). Zu stationärer medizinischer Rehabilitation ist sie nur verpflichtet, wenn ambulante Rehabilitationsleistungen nicht ausreichen (§ 40 Abs. 2 SGB V).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Es steht zur Überzeugung des Senats auch ohne weitere Sachaufklärung fest, dass die Auffassung des MDK Günzburg, ambulante Maßnahmen seien noch nicht ausgeschöpft und eine stationäre Maßnahme nicht erforderlich, unzutreffend ist. Dem MDK Günzburg haben bei seiner Stellungnahme für die Beklagte die vollständigen Unterlagen, nämlich der Befundbericht des behandelnden Arztes und der Reha-Bericht, nicht vorgelegen, andernfalls wäre auch kaum verständlich wäre, wie der MDK zu seinem Ergebnis hätte gelangen können. Bereits in dem Befundbericht wird über eine fast 15 Jahre andauernde ambulante Behandlung mit umfangreichen therapeutischen Maßnahmen berichtet, die nicht zum Ziel geführt hat, sondern im Gegenteil in den letzten sechs bis zwölf Monaten zu einer deutlichen Verschlechterung. In Anbetracht der detaillierten Angaben des behandelnden Allgemeinmediziners ist nicht ersichtlich, welche anderen Maßnahmen ein Dermatologe hätte ergreifen sollen. Bestätigt wird dies eindrucksvoll durch den Rehabilitationsbericht selbst, in dem der besondere Schweregrad bei der Erkrankung bei der Aufnahme der V. ebenso dargelegt wird wie die zuvor durchgeführten ambulanten Maßnahmen und deren Wirkungslosigkeit und schließlich der Erfolg durch die Reha-Maßnahme, die sogar verlängert werden musste. Nachdem der MDK im Berufungsverfahren Kenntnis von dieser Sachlage erhalten hat, ist keine weitere Stellungnahme erfolgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichts-ordnung; diejenige über den Streitwert aus § 63 GKG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor; auch wenn einige Sozialgerichte eine andere Auffassung zur Frage des erst- und zweitangegangenen Leistungsträgers vertreten, erscheint dem Senat diese Frage in Anbetracht des Gesetzeswortlautes nicht klärungsbedürftig.
Rechtskraft
Aus
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