L 11 B 640/08 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 4 AS 847/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 640/08 AS ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.07.2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:

I.
Streitig ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.06.2007 bis 31.12.2008 im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 20.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2007 bewilligte die Antragsgegnerin (Ag) dem Antragsteller (ASt) Alg II für die Zeit vom 01.01.2007 bis 31.05.2007 vorläufig gemäß § 328 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) iVm § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1a SGB III).
Auf seinen Fortzahlungsantrag vom 17.04.2007 hin versagte die Ag Leistungen mangels erforderlicher Mitwirkung des ASt (Bescheid vom 03.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2007). Die hiergegen erhobene Klage (S 5 AS 968/07) hat der ASt zurückgenommen.
Nachdem erneut die von der Ag geforderten Unterlagen zur Schätzung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit und aus Vermietung und Verpachtung vom ASt nicht - vollständig - vorgelegt worden waren, versagte die Ag die Leistungen ab 01.06.2007 erneut mit Bescheid vom 28.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2008.
Dagegen hat der ASt Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben (S 4 AS 501/08). Im Rahmen dieses Verfahrens hat der ASt am 10.06.2008 den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 vorgelegt. Vom Polizeipräsidium N. ist mitgeteilt worden, die Ehefrau des ASt sei am 23.04.2008 in K. als Prostituierte angetroffen worden.
Am 03.07.2008 hat der ASt beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend begehrt, ihm vorläufige Sozialleistungen ab 01.01.2007 bis 31.12.2008 (nach-) zu bezahlen. Der Einkommensteuerbescheid 2007 läge vor. Das SG hat mit Beschluss vom 16.07.2008 den Antrag abgelehnt. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Versagungsbescheid erhobenen Klage sei nicht anzuordnen, so dass auch der erst hernach mögliche Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht erfolgen könne. Soweit es sich um Leistungen für die Vergangenheit handle, fehle es an einem Anordnungsgrund. Im Übrigen hätte der ASt für diese streitgegenständliche Zeit bereits mehrfach erfolglos gleiche Anträge gestellt und eine relevante neue Prozesslage sei nicht eingetreten. Der Einkommensteuerbescheid habe keinen Bezug zum Bescheid vom 28.01.2008. Auch sei die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen den Versagungsbescheid nicht anzuordnen, denn der ASt habe seine Mitwirkungspflicht verletzt und die Ag habe diesbezüglich eine Ermessensentscheidung getroffen.
Dagegen hat der ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der Einkommensteuerbescheid 2007 sei vorgelegt worden. Der Einkommensteuerbescheid 2008 werde - sobald erteilt - ebenfalls vorgelegt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die genannten Akten des SG Bezug genommen.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, aber nicht begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Versagungsbescheid vom 28.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2008 ist nicht anzuordnen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt damit als zweite Stufe nicht in Betracht.
Streitgegenstand ist aber allein die Versagung der Leistungen mangels Mitwirkung gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) für die Zeit ab 01.06.2007. Der Bewilligungsbescheid vom 20.02.2007 (vorläufige Leistungsbewilligung) für die Zeit bis 31.05.2007 ist nämlich durch die Klagerücknahme bestandskräftig geworden.
Die zulässige Klageart gegen den streitgegenständlichen Bescheid ist die reine Anfechtungsklage (vgl. Beschluss des Senates vom 18.03.2007 - L 11 B 878/06 AS ER mwN). Damit kann der ASt hinsichtlich des Versagungsbescheides nicht auf Leistung klagen, sondern lediglich die Aufhebung des angegebenen Bescheides begehren. Hat er Erfolg, so muss die Ag anschließend erneut über das Bestehen des Anspruches entscheiden. Vorläufiger Rechtsschutz kann damit nur im Wege der Anordnung der aufschiebenden Wirkung gewährt werden (vgl. § 39 Nr 1 SGB II). In einem zweiten Schritt ist darüber hinaus nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG die Ag gegebenenfalls zu verpflichten, dem ASt ab dem Zeitpunkt der Entscheidung im Beschwerdeverfahren vorläufig Leistungen zu erbringen, soweit die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Die Voraussetzung für eine solche Anordnung ist jedoch, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Versagungsbescheid angeordnet wird.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise in Fällen anordnen, in denen der Widerspruch und die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Vorliegend hat die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 04.04.2008 keine aufschiebende Wirkung, denn hiermit wird über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entschieden
(§ 39 Nr 1 SGB II).
Unter Berücksichtigung des § 39 Nr 1 SGB II ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Suspensiveffektes auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten festzustellen ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b Rdnr 12a). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird ausgesetzt, weil dadurch ein öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr 1 SGB II mit berücksichtigt werden (vgl. zum Ganzen: Keller aaO Rdnr 12c).
Vorliegend erscheint die gegen den Bescheid vom 28.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2008 erhobene Klage als nicht erfolgversprechend. Die Ag hat den ASt mehrfach zur Vorlage genau bezeichneter Unterlagen aufgefordert. Sie hat dabei den ASt auch auf die Rechtsfolgen hingewiesen. Mit Bescheid vom 28.01.2008 hat sie dann die Leistungen des § 66 SGB I versagt und dabei auch die vom Gesetz geforderte Ermessensentscheidung getroffen.
Die aufschiebende Wirkung der Klage ist daher nicht anzuordnen.
Nachdem allerdings der ASt nunmehr den Steuerbescheid von 2007 vorgelegt hat, hat die Ag die Möglichkeit, über die Leistungshöhe für das Jahr 2007 endgültig zu entscheiden (§ 2a Abs 1 und 4 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Alg II/Sozialgeld - Alg II/Sozialgeld-Verordnung in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung). Diese endgültige Entscheidung über die Leistung ist jedoch vorliegend nicht Streitgegenstand.
Unabhängig davon käme selbst bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiellrechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegebenenfalls auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 -1 BvR 2971/06 -).

In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO).

Dies zugrunde gelegt fehlt es nämlich bereits an einem Anordnungsgrund für bereits abgelaufene Zeiträume. Diesbezüglich ist dem ASt ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache, insbesondere der Entscheidung über die endgültige Leistungsbewilligung für 2007 zuzumuten. Hinsichtlich etwaiger Leistungen ab der Beschwerdeentscheidung des Senates bis zum 31.12.2008 ist darauf hinzuweisen, dass ein Anordnungsanspruch vom ASt nicht glaubhaft gemacht worden ist, nachdem dessen Ehefrau von der Polizei bei der Ausübung eines Gewerbes angetroffen worden ist, das der ASt bisher in seinen Anträgen nicht angegeben hat. Im Rahmen einer gegebenenfalls vorzunehmenden Interessenabwägung ist damit zu berücksichtigen, dass es der ASt unterlässt, vollständige Angaben zu machen. Die Beweislast für seine Hilfebedürftigkeit liegt jedoch beim ASt, denn die Angaben hierzu kann allein er bzw. seine Ehefrau machen.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 197 SGG).
Rechtskraft
Aus
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