S 42 (31) V 416/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
42
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 42 (31) V 416/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, mit welchem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) eine Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren ist.

Der 1923 geborene Kläger ist pensionierter Verwaltungsbeamter. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 anerkannt. Er erlitt im 2. Weltkrieg eine Splitterverwundung mit Granatsplitter im Bereich des rechten Lungenlappens. 1983 wurde der rechte Lungenlappen entfernt.

Mit Bescheid vom 07.09.1987 erkannte der Beklagte nach gerichtlichem Streitverfahren beim hiesigen Gericht unter dem Aktenzeichen S 28 V 159/84 die Schädigungsfolgen "Verlust des rechten Lungenlappens, Zwerchfellpleuraschwarte rechts, reizlose Narben an der linken Schulter, am linken Unterschenkel, am rechten Oberschenkel" und gem. Bescheid vom 09.07.1987 aufgrund dieser Schädigung eine Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 von 100 an.

Mit Änderungsantrag vom 28.12.2005 beantragte der Kläger die Anerkennung einer chronischen atrophischen Bronchitis als weiteren Folgeschaden und Erhöhung des Prozentsatzes der Schädigungsfolgen. Seinem Antrag fügte er einen Bericht des Pneumolgen S vom 17.10.2005 sowie der Internistin O und M vom 21.11.2005 bei. Der Beklagte zog seinerseits einen Behandlungsbericht von S Datum 13.03.2006) bei und veranlasste eine versorgungsärztliche Stellungnahme, in der die Atemwegserkrankung nicht als Folge des schädigungsbedingten Lungenleidens angesehen wurde.

Mit Bescheid vom 12.06.2006 lehnte der Beklagte die Gewährung einer höheren Versorgung nach dem BVG ab. Dem widersprach der Kläger und führte aus, da er immer Nichtraucher gewesen sei, könne die chronische Atemwegserkrankung bei ihm nicht durch Zigarettenrauchen bedingt sein. Die durch die Kriegsverletzung verursachte Schwächung der Lungenfunktion habe erheblich zur Entstehung der Bronchitis beigetragen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2006 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Das nunmehr aufgetretene Leiden könne nicht als schädigungsabhängig angesehen werden. Darüber hinaus sei die Lungenfunktion insgesamt nur leicht - bis mittelgradig eingeschränkt. Die Bewertung mit einer MdE um 50 von Hundert könne sich daher ohnehin nicht ändern.

Am 17.11.2006 hat der Kläger Klage erhoben. Die Bronchien seien durch die zahlreichen Operationen in Mitleidenschaft gezogen worden. Er leide seit 1984 fortlaufend an zum Teil superinfizierten Bronchialerkrankungen.

Der Kläger beantragt,

ihm unter Abänderung des Bescheides vom 12.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2006 eine Beschädigtenrente unter Zugrundelegung eines Grades der Schädigungsfolgen von 60 von 100 seit 28.12.2005 zu gewähren.

Der Beklagter beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Internisten und Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde T. Dieser bewertet in seinem Gutachten vom 24.08.2007 den Grad der Schädigungsfolgen mit 50 von Hundert. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30.10.2007 geht er davon aus, dass neben den bereits anerkannten Schädigungsfolgen zusätzlich auch eine chronisch atrophische Bronchitis mit bronchialer Hyperreagibilität als Schädigungsfolge anzuerkennen ist. Der Gesamtgrad der Schädigungsfolgen habe sich durch diese zusätzliche Schädigungsfolge aber nicht geändert, so dass weiterhin ein GdS von 50 von Hundert festzustellen sei.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Gerichtsakte zum Verfahren S 28 V 159/84 sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Von Amts wegen war das zunächst als Beklagte geführte Land durch den Landschaftsverband Rheinland zu ersetzen. Das Land Nordrhein-Westfalen ist für den Bereich der Kriegsopferversorgung durch Art. 1 Abschnitt 1 §§ 1 und 4 des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007 zum 01.01.2008 durch einen Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes aus dem Verfahren ausgeschieden und durch den Landschaftsverband Rheinland ersetzt worden.

Die Klage ist aber unbegründet. Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid vom 12.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2006 nicht in seinen Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt. Zu Recht hat der Beklagte mit Bescheid vom 12.06.2006 die Gewährung einer höheren Versorgung nach dem BVG abgelehnt.

Gem. § 9 i. V. m. § 30 Abs. 1 BVG (zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007, BGBl I S. 2904) erhalten Kriegsbeschädigte wegen der gesundheitlichen Folgen ihrer Kriegsbeschädigung eine Beschädigtenrente nach der Höhe des Grades der Schädigungsfolgen (zuvor: "Minderung der Erwerbsfähigkeit"). Ursache im Sinne des Versorgungsgesetzes ist die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, sind sie versorgungsrechtlich dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und in ihrer Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind.

Die in dem bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 07.09.1987 festgestellten Schädigungsfolgen haben sich nicht so wesentlich verändert, als das nunmehr unter Änderung des Bescheides vom 9.7.1987 ein höherer Grad der Schädigungsfolgen als ein solcher von 50 von Hundert festzustellen ist. Unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) kann ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft geändert werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Eintritt des Erlasses des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im Hinblick auf den hier streitigen Grad der Schädigungsfolgen sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gegeben. Zwar ist nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen T nunmehr als weitere Schädigungsfolge eine chronisch atrophische Bronchitis mit bronchialer Hyperreagibilität festzustellen. Daraus resultiert aber kein höherer Grad der Schädigungsfolgen als ein solcher von 50 von Hundert.

Diese Entscheidung ergibt sich für die Kammer insbesondere aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen T. Dabei hat der Sachverständige nach Auffassung der Kammer zu Recht neben den bereits anerkannten Schädigungsfolgen "Verlust des rechten Lungenlappens, Zwerchfellpleuraschwarte rechts, kombinierte Ventilationsstörungen, reizlose Narben an der linken Schulter, am linken Unterschenkel, am rechten Oberschenkel" als weitere Schädigungsfolge eine chronisch atrophische Bronchitis mit bronchialer Hyperreagibillität zu Grunde gelegt. Der Sachverständige T hat anschaulich und für die Kammer nachvollziehbar dargestellt, dass auch die chronisch atrophische Bronchitis als Schädigungsfolge anzusehen ist. Wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, spricht mehr dafür als dagegen, dass der Streuherd des Granatsplitters in der Lunge Auswirkungen auf den Gesamtorganismus hatte, als dass durch die erlittene Blutung Verunreinigungen und Keime eingebracht und gestreut wurden. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger bis etwa Mitte 1982 im Hinblick auf die Granatsplitterverletzung relativ symptomfrei war. Auch hier hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass offensichtlich über einen längeren Zeitraum das Abwehrsystem des Klägers so gut funktioniert hat, dass relevante und gehäufte Entzündungszeichen zunächst nicht beobachtet werden konnten. Seit Beginn des Jahres 1999 hat der Kläger eine Zunahme der bronchitischen Beschwerden zu beklagen mit einer anhaltenden obstruktiven Bronchitis seit Ende 1999.

Da weder für den Sachverständigen noch für das Gericht Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Kläger anderweitigen Fremdeinflüssen wie einem Nikotinmissbrauch oder der Einwirkung von beruflichen Giften oder ungünstigen klimatischen Bedingungen ausgesetzt war, spricht insgesamt mehr dafür als dagegen, dass die chronisch obstruktive Bronchitis Folge des erlittenen Kriegsschadens ist.

Dennoch kann das Gericht den Gesamtgrad der Schädigungsfolgen auch weiterhin nur mit einem Wert mit 50 von Hundert bewerten.

Gemäß § 30 Abs. 1 BVG, ist der GdS nach den körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen zu beurteilen. Die Auswirkungen dieser Beeinträchtigungen sind als GdS, nach zehner Graden abgestuft, von 10 bis 100, festzustellen. Zur Bestimmung der Einzel-GdS ist auf die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) (herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, 2008)" - Anhaltspunkte (AHP)- zurückzugreifen. Obwohl diese als Verwaltungsvorschriften für die Sozialgerichte nicht rechtsverbindlich sind, ist ihre Anwendung als untergesetzliche Norm auf Grund der gebotenen gleichmäßigen Behandlung aller Betroffenen erforderlich (Bundessozialgericht, Urteil vom 18.09.2003, Az. B 9 SB 3/02 R).

Die Kammer bewertet die Schädigungsfolge betreffend des Verlustes des rechten Lungenlappens, Zwerchfellpleuraschwarte rechts, kombinierte Ventilationsstörung, reizlose Narben an der linken Schulter, am linken Unterschenkel, am rechten Oberschenkel mit einem Einzel-GdS von 40. Die pulmonale Leistungsfähigkeit auf einem leichten Belastungsniveau, d.h. einer Größenordnung von 50 Watt, war beim Kläger nicht eingeschränkt. Der Lungenfunktionstest zeigt insbesondere im Bereich der Vitalkapazität eine deutliche Herabsetzung und starke Einschränkungen im Bereich der Tiefenausatmung. Hinweise für eine respiratorische Partial- oder Globalinsuffizienz bestehen nach dem Sachverständigengutachten nicht. Nach den Anhaltspunkten Ziff. 26.8, Seite 68 bewertet das Gericht diese Einschränkungen mit einem Einzel-GdS von 40. Ein höherer Wert war nach Überzeugung der Kammer in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Sachverständigen T nicht zu vergeben, da ein Einzel-GdS von zumindest 50 voraussetzen würde, dass Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung festzustellen ist. Dies war vorliegend nicht der Fall, da der Kläger bei einer Belastung von 50 Watt nicht unter Atemnot litt. Auch leidet der Kläger nicht unter einer respiratorischen Partinalinsuffizienz.

Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte mit Bescheid vom 09.07.1987 das vorgenannte Leiden in Ausführung des sozialgerichtlichen Urteils vom 24.03.1987 mit einer MdE um 50 von 100 bewertet hat. Maßstab für die jetzige Entscheidung des Gerichts ist allein der aktuelle Gesundheitszustand des Klägers (vgl. Ziffer 24 Abs. 4 AHP; siehe hierzu insbesondere auch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.10.1994, Az.: 9 RVs 1/93).

Die chronische atrophische Bronchitis mit bronichaler Hyperreagibilität bewertet das Gericht ebenfalls in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Sachverständigen mit einem Einzel-GdS von 20. Der Kläger leidet unter häufig auftretenden Bronchitiden, die sich zum Teil über einen längeren Zeitraum hinziehen und eine länger währende Antibiotikabehandlung erforderlich machen. Die diesbezüglichen Einschränkungen sind nach Auffassung der Kammer mit einem Bronchialasthma zu vergleichen, welches bei Hyperreagibilität mit seltenen saisonalen und/oder leichten Anfällen einhergeht, welche nach Ziffer 26.8, Seite 69 AHP mit einem Einzel-GdS von - maximal - 20 zu bewerten sind. Die Kammer sah hier den höchsten zu vergebenen Wert, d.h. einen Einzel-GdS von 20 als leidensgerecht an.

Insgesamt ist das schädigungsbedingte Leiden mit einem Gesamt-GdS von 50 zu bewerten.

Bei der Ermittlung des Gesamt-GdS dürfen die Einzel-Werte nicht addiert werden. Auch andere rechnerische Methoden dürfen nicht angewandt werden, vgl. Ziffer 19 Abs. 1 AHP. Maßgeblich sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit. Hierbei ist zu beachten, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob sich die Beeinträchtigungen überschneiden und das Ausmaß einer Beeinträchtigung durch eine hinzutretende Beeinträchtigung nicht verstärkt wird.

In der Regel ist von der Beeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdS bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Beeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Beeinträchtigung größer wird. Zu fragen ist daher, ob der höchste Einzel-GdS beim Vorliegen weiterer Beeinträchtigungen angemessen durch Hinzufügen von 10, 20 oder mehr Punkten zu erhöhen ist, vgl. Ziffer 19 Abs. 3 AHP. Von Ausnahmen abgesehen führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdS von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Sie sind daher in aller Regel bei der Gesamtbeurteilung nicht erhöhend zu berücksichtigen. Auch bei leichten Teilhabebeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Beeinträchtigung zu schließen, Ziffer 19 Abs. 4 AHP.

Nach diesen Vorgaben ist der höchste Einzelwert von 40 auf Grund der chronischen Bronchitis mit einem Einzelwert von 20 um 10 auf insgesamt 50 zu erhöhen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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