L 26 B 2021/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 95 AS 25330/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 26 B 2021/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. September 2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Gewährung von Leistungen für die Erstausstattung ihrer Wohnung.

Die 1974 geborene, aus Polen stammende Antragstellerin ist mit einem Deutschen verheiratet. Seit dessen Inhaftierung im Sommer 2006 bezieht sie Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Nachdem sie nach eigenen Angaben seit Herbst 2006 bei ihrer Schwester gewohnt hatte, sicherte der Antragsgegner ihr mit Bescheid vom 18. April 2008 die Übernahme der Mietkosten für die aktuell von ihr bewohnte Wohnung und die Gewährung von 897,00 EUR (Mietkaution) als Darlehen zu. Mit Wirkung zum 1. Juni 2008 mietete die Antragstellerin die Wohnung an.

Mit Schreiben vom 21. April 2008 beantragte sie die Gewährung von Leistungen für eine Wohnungserstausstattung und gab im Einzelnen an, welche Sachen sie für erforderlich erachtete. Unter dem 30. Mai 2008 wiederholte sie ihr Begehren und bezifferte die Kosten für die Anschaffungen auf etwa 3.000,00 EUR. Der Antragsgegner veranlasste daraufhin einen Besuch durch den Prüfdienst, der im Juli 2008 erfolgte. Mit – sich nicht bei den vorliegenden Akten befindlichem - Bescheid vom 30. Juli 2008 lehnte der Antragsgegner offenbar die Gewährung einer Erstausstattung als einmalige Beihilfe ab, bot der Antragstellerin jedoch ein Darlehen in Höhe von 1.070,00 EUR für die Anschaffung von Möbeln an.

Am 18. August 2008 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin sinngemäß beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen für eine Wohnungserstausstattung zu gewähren. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, bis zum 5. Juli 2008 in ihrer ansonsten leeren Wohnung auf einer Luftmatratze geschlafen zu haben. Dazu sei sie angesichts ihrer damaligen Schwangerschaft dann nicht mehr in der Lage gewesen und deshalb zunächst bei Freunden untergekommen. Am 2008 sei ihr Sohn zur Welt gekommen. Eine Woche später habe eine Wohnungsbesichtigung mit einem Mitarbeiter des Prüfdienstes des Antragsgegners stattgefunden, der ihr eine schnelle Bearbeitung zugesichert habe. Noch immer habe sie jedoch vom Antragsgegner kein Geld erhalten.

Auf die Anfrage des Gerichts, ob sie das Darlehensangebot des Antragsgegners angenommen habe, hat die Antragstellerin Anfang September 2008 mitgeteilt, dass sie noch am 24. Juli 2008 ein zinsloses Privatdarlehen über 1.500,00 EUR aufgenommen habe, das sie am 31. August 2008 zurückzuzahlen habe. Sie wäre daher mit der Zahlung von 1.500,00 EUR einverstanden sowie der Gewährung eines weiteren Darlehens über 400,00 EUR, die sie für elektrische Markisen in der Wohnung an den Vermieter zu zahlen habe.

Mit Beschluss vom 26. September 2008 hat das Sozialgericht Berlin den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass es jedenfalls an einem Anordnungsgrund fehle. Die Antragstellerin habe das Darlehensangebot des Antragsgegners nicht angenommen, sodass offensichtlich sei, dass es einer vorläufigen Regelung nicht bedürfe.

Gegen diesen ihr am 30. September 2008 zugestellten Beschluss richtet sich die am 6. Oktober 2008 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin. Zur Begründung hat sie zunächst ausgeführt, dass sie das Darlehensangebot nicht annehme, weil 1.070,00 EUR nicht ausreichend seien. Sie habe bereits 120,00 EUR an die Vormieterin für einen Kühlschrank und 52,00 EUR an die Hausverwaltung als Schlüsselpfand zahlen müssen. Von den verbleibenden 898,00 EUR seien 400,00 EUR für elektrische Markisen an die Hausverwaltung abzuführen. Soweit der Antragsgegner und das Gericht der Auffassung seien, dass sie von dem Restbetrag alles kaufen könne, dann solle der Antragsgegner das Geld behalten. Nachdem seitens des Gerichts ernsthafte Bedenken bzgl. des Bestehens eines Anordnungsgrundes geäußert worden waren, hat die Antragstellerin erklärt, dass sie um Zahlung der 1.070,00 EUR bitte, damit sie wenigstens einen Teil ihrer Schulden bei der Vormieterin und der Darlehensgeberin zurückzahlen könne.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. September 2008 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere schriftlich und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht es abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen für die Erstausstattung der Wohnung bzw. ein entsprechendes Darlehen zu gewähren.

Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Vorliegend kann dahinstehen, ob ein Anordnungsanspruch besteht. Insbesondere bedarf es im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens weder einer Klärung, ob der Antragsgegner die Leistungsgewährung als einmalige Beihilfe zu Recht abgelehnt und ein Darlehen berechtigterweise in Höhe von (nur) 1.070,00 EUR angeboten hat. Denn jedenfalls ist es der Antragstellerin nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass die begehrte Regelungsanordnung zur Abwehr wesentlicher Nachteile erforderlich ist.

Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes beurteilt sich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung [Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rn. 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO]. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 des Grundgesetzes (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im – grundsätzlich vorrangigen – Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, 1236 und vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit lediglich vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat. Insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt; das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

So aber liegt der Fall hier. Der Senat verkennt nicht, dass die Antragstellerin durch die wenig zügige Bearbeitung ihres Antrages vom 21. April 2008 durch den Antragsgegner in eine missliche Situation geraten ist, nämlich zunächst im hochschwangeren Zustand eine Wohnung offenbar ohne jegliches eigenes Mobiliar beziehen musste. Ihre Situation hat sie jedoch dadurch ganz entscheidend verändert, dass sie bereits am 24. Juli 2008 ein Privatdarlehen in Höhe von 1.500,00 EUR zur Anschaffung von Hausrat aufgenommen hat und nach eigenen Angaben darüber hinaus von Bekannten unterstützt worden ist. Die Antragstellerin hat sich mithin selbständig Mittel für die Anschaffung einer Wohnungserstausstattung beschafft, so dass sie hierauf aktuell nicht mehr angewiesen ist. Dementsprechend hat sie selbst ihren Wunsch, nunmehr doch das vom Antragsgegner angebotene Darlehen in Anspruch zu nehmen, auch allein damit begründet, wenigstens Teile ihrer Schulden zurückzahlen zu wollen. Mittel für die Begleichung eingegangener Schuldverpflichtungen können jedoch nicht im Wege der begehrten einstweiligen Anordnung zugesprochen werden, weil die mit der Eingehung der Schuldverpflichtung verbundenen Nachteile bereits eingetreten sind und deshalb nicht mehr abgewendet werden können, was Voraussetzung der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b SGG ist. Die der Antragstellerin entstandenen Nachteile können deshalb nur im Rahmen eines eventuellen Hauptsacheverfahrens beseitigt werden.

Auch soweit sie angeblich an den Vermieter 400,00 EUR für eine elektrische Markise zu zahlen hat, ist keine andere Entscheidung gerechtfertigt. Es kann insoweit dahinstehen, ob überhaupt eine entsprechende Zahlungsverpflichtung besteht und auf welcher Grundlage diese ggf. beruht. Denn jedenfalls ist dem dem Antragsgegner überreichten Mietvertrag eine diesbezügliche Vereinbarung nicht zu entnehmen. Insbesondere aber ist nicht erkennbar, dass durch die Nichtzahlung der 400,00 EUR eine Schuldenlage eingetreten ist, die den Vermieter der Antragstellerin zur Kündigung der Wohnung nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a) oder b) in Verbindung mit § 569 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berechtigen würde. Der Senat muss vor diesem Hintergrund nicht die von den Senaten des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg uneinheitlich beurteilte Frage entscheiden, ob schon das Vorliegen einer Kündigungslage nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB, erst der Ausspruch einer solchen Kündigung, die Rechtshängigkeit einer Räumungsklage (mit der letzten Möglichkeit der Abwendung der Kündigung in der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) oder gar erst das Vorliegen eines Räumungstitels einen Anordnungsgrund im Hinblick auf Mietschulden darstellen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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