Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AL 361/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 247/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 166/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts R. vom 18. März 2008 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 6. September 1999 und
22. September 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 1999 die Herabbemessung der Arbeitslosenhilfe erst ab 6. September 1999 festzustellen hat.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ein Zehntel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist das Bemessungsentgelt für die Arbeitslosenhilfe.
Die 1957 geborene Klägerin arbeitete nach ihren Angaben nach dem Hauptschulabschluss von Oktober 1972 bis April 1978 als Löterin bei S ... Während ihres Aufenthalts in den USA von Juni 1978 bis Juli 1985 war sie Einzelhandelsverkäuferin. Von August 1980 bis Ende Februar 1990 war sie als Stationshilfe im Kreiskrankenhaus A-Stadt tätig und vom 3. April 1990 bis 24. Juli 1993 als Reinigungskraft bei der Firma G. GmbH (R.); diese Tätigkeit musste sie wegen eines kontaktallergischen Ekzems an den Händen aufgrund des Umgangs und Kontakts mit Reinigungs- und Desinfektionsmitteln sowie Hautausschlägen beenden. Danach war sie arbeitslos und erhielt vom 26. Juli 1993 bis 6. Juni 1997 Arbeitslosengeld, anschließend Arbeitslosenhilfe. Von Juli 1994 bis Dezember 1994 nahm sie an einem beruflichen Orientierungs-/Praxisseminar mit Schulungsmaßnahmen (Aufgabenschwerpunkte Kommissionierung, Lagerwesen, Warenbestellung, Warenannahme, Reklamation, Warenausgabe) und von März 1996 bis Juli 1996 an einer Fortbildungsmaßnahme im gewerblichen Bereich mit einem Schreinereipraktikum teil.
Nach Angaben der Beklagten fanden bei der Klägerin noch folgende Maßnahmen statt: vom 28. Februar 1996 bis 25. April 1996 Feststellungsmaßnahme HOGA im Hotel- und Gaststättengewerbe, vom 10. Juni 1996 bis 6. Dezember 1996 WBI (Qualifizierung für arbeitslose Textilfachkräfte in andere Berufe) und vom 2. November 1998 bis 23. Dezember 1998 eine IFB Trainingsmaßnahme.
Auf Antrag bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosenhilfe ab 7. Juni 1997 in Höhe von 282,45 DM wöchentlich nach einem Bemessungsentgelt von 720,00 DM.
Die Beklagte holte aufgrund des ärztlichen Attestes von Dr. K. vom 18. März 1999, der ein kontaktallergisches Ekzem im Bereich der Hände bescheinigte, ein Gutachten von Dr. M. aufgrund einer Untersuchung vom 14. Juni 1999 ein. Danach sei die Klägerin in der Lage, vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Ausschluss von Schmutzarbeiten, hautbelastenden Stoffen und Feuchtarbeit zu verrichten. Beruflicher Kontakt mit den bekannten Allergenen laut Allergiepass sei zu vermeiden.
Mit Bescheid vom 6. September 1999 setzte die Beklagte die Arbeitslosenhilfe neu fest. Nach dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten könne die Klägerin die Beschäftigung, nach der die Leistung zuletzt bemessen wurde, nicht mehr ausüben. Sie legte der Bemessung den Tarifvertrag Groß- und Außenhandel mit einem tariflichen Arbeitsentgelt von monatlich 2.646,00 DM zu Grunde (wöchentliches Bemessungsentgelt 610,00 DM bei 38,50 Arbeitsstunden).
Hiergegen legte die Klägerin am 14. September 1999 Widerspruch ein; die Beklagte hob mit dem weiteren Bescheid vom 22. September 1999 die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe ab 2. September 1999 teilweise auf und wies mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 1999 den Widerspruch zurück. Solange der Arbeitslose aus Gründen, die in seiner Person liegen, nicht mehr das maßgebliche Bemessungsentgelt erzielen kann, sei Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Im Anschluss an das amtsärztliche Gutachten könne die Klägerin als Raumpflegerin nicht mehr eingesetzt werden, nach den Gesamtumständen komme sie für eine Tätigkeit als Lagerarbeiterin/Helferin im Groß- und Außenhandel in Betracht. Hierbei könne sie nach dem Tarifvertrag für den Groß- und Außenhandel in Lohngruppe 2 ein monatliches Brutto-Arbeitsentgelt von 2.594,00 DM und 52,00 DM vermögenswirksame Leistungen bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden erzielen. Bei dieser fiktiven Einstufung sei von der für sie günstigsten Bemessungsgrundlage ausgegangen worden. Hieraus errechne sich ein gerundetes Bemessungsentgelt von wöchentlich 610,00 DM. Dies sei mit der Klägerin bei einem Beratungsgespräch am 2. September 1999 besprochen worden.
Die Klägerin hat mit der Klage vom 8. Oktober 1999 beim Sozialgericht R. (SG) geltend gemacht, die Vermittlungsbemühungen der Beklagten seien unzureichend gewesen. Sie hätte in zahlreichen anderen Bereichen arbeiten können, nämlich im sozialen Bereich bei der Kinder-/Behinderten-/Alten- und Krankenbetreuung z.B. beim Bayerischen Roten Kreuz, in Kindergärten und Krankenhäusern (Verdienst 2.700,00 DM brutto), im Bereich der Telefonvermittlungstätigkeit (Verdienst 2.700,00 DM brutto), als Buskontrolleurin, im Fahrkartenverkauf, als Briefsortiererin und Briefzustellerin, Hausmeisterin, im Objektschutz und Werkschutz, als Haushaltshilfe oder als Übersetzerin.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass bei den angeführten Pflegearbeiten Kontakt mit Allergenen nicht zu vermeiden sei. Der Klägerin fehle die berufliche Qualifikation als Kinderpflegerin; als Kinderbetreuerin in privaten Haushalten könne nur ein wesentlich niedrigeres Entgelt erzielt werden. Unter Beachtung der bisherigen Tätigkeiten als Raumpflegerin und des bisherigen beruflichen Werdegangs kämen Tätigkeiten ohne Vorkenntnisse nach kurzer Einarbeitung infrage, wie sie der Lohngruppe 2 des Tarifvertrags für den Groß- und Außenhandel zugrunde liegen.
Das SG hat mit Urteil vom 18. März 2003 die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Neubemessung des für die Berechnung der Arbeitslosenhilfe maßgeblichen Bemessungsentgelts und die darauf gründende Teilaufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe seien gegeben. Wegen des Hautleidens sei die Klägerin als Reinigungskraft/Raum- pflegerin nicht mehr geeignet, ebenso nicht für alle Tätigkeiten der Betreuung und im Haushaltsbereich, da diese in erheblichem Umfang mit Arbeiten im Feuchtmilieu und mit Desinfektionsmitteln auszuüben sind. Bezüglich dieser Beschäftigungen verweise die Klägerin auf ein erzielbares Bruttoeinkommen von ca. 2.700,00 DM, dem die Beklagte bei der Berechnung bereits entsprochen hat. Für die Beschäftigung als Sprechstundenhilfe, Hausverwalterin oder Hausmeisterin und Übersetzungsarbeiten fehle der Klägerin die berufliche Vorbildung. Für Tätigkeiten im öffentlichen Verkehrswesen (Fahrkartenkontrolle, Fahrkartenverkauf) oder der Briefsortierung bzw. Briefzustellung fehle es am entsprechenden Arbeitsmarkt. Bei den geltend gemachten Beschäftigungen im Rahmen des Bewachungsgewerbes ergebe sich für sie keine günstigere Bemessungsgrundlage. Abzustellen sei allein auf das tarifliche Entgelt derjenigen Beschäftigung, zu deren Vornahme die Klägerin im Stande ist, nicht hingegen einer solchen, zu deren Ausübung ein Arbeitsloser unter anderen Umständen möglicherweise im Stande sein könnte.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 16. Juni 2003, mit der sie geltend macht, sie könnte mehrere einfache Beschäftigungen (Fahrkartenkontrolle, Fahrkartenverkauf, Briefsortierung, Briefzustellung) "gleichzeitig" ausüben. Daraus ergebe sich eine Erhöhung des fiktiven Bemessungsentgelts. Es sei bei ihrer Ausbildung und Qualifikation weiterhin ein Bemessungsentgelt von 720,00 DM zugrunde zu legen.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts R. vom 18. März 2003 und die Bescheide vom 6. September 1999 und 22. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides im 4. Oktober 1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 2, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Berufung ist nur zu einem geringen Teil begründet; im Übrigen ist sie zurückzuweisen.
Streitgegenstand ist die Herabbemessung des Bemessungsentgelts für die Arbeitslosenhilfe ab 2. September 1999 durch die Bescheide vom 6. September 1999 und 22. September 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 1999. Soweit die Beklagte die Herabbemessung rückwirkend ab 2. September 1999 vorgenommen hat, kann ihr nicht gefolgt werden. Im Übrigen sind die Bescheide und das angefochtene Urteil des SG rechtlich nicht zu beanstanden.
Gemäß § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Ergänzend hierzu regelt § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch III (SGB III), dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben ist, wenn die in § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorliegen. Abweichend von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an ein Verwaltungsakt auch aufzuheben, soweit sich das Leistungsentgelt aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 151 Abs. 2 Nr. 2 SGB III oder das Bemessungsentgelt aufgrund einer Anpassung nach § 201 SGB III zu Ungunsten des Betroffenen ändert. Die letztgenannte Vorschrift ist nicht einschlägig, weil die Herabbemessung hier sich nicht nach § 201 SGB III, sondern nach § 200 Abs. 2 SGB III richtet.
Die von der Beklagten angeführte Rechtsgrundlage für die rückwirkende Aufhebung der Bemessung der Arbeitslosenhilfe, nämlich § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X, ist nicht gegeben, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin ab 2. September 1999 bösgläubig gewesen ist. Das Wissen bzw. Wissenmüssen muss sich nämlich darauf beziehen, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen ist, setzt also Rechtskenntnis voraus. Die Kenntnis bzw. Unkenntnis bezieht sich auf den Wegfall des Anspruchs. Es ist daher erheblich, ob der Betroffene aus einem, im früheren Verwaltungsakt nicht berücksichtigten Grund vom Fortbestand des Anspruchs überzeugt war oder ohne grobe Fahrlässigkeit überzeugt sein konnte. Die Unkenntnis ist nur dann grob fahrlässig, wenn der Betreffende aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der Anspruch entfallen war. Es reicht nicht, wenn er mit dem Wegfall des Anspruchs "rechnen musste". Denn damit wird nichts darüber ausgesagt, ob und inwieweit er bei der Unkenntnis vom Anspruchswegfall die erforderliche Sorgfalt verletzt hat (Niesel, SGB III, 2. Auflage, § 330, Rdnr. 46 ff. m.w.N. der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)). Im vorliegenden Fall wusste die Klägerin zwar aufgrund der Behandlung ihres Hautleidens und des Attests von Dr. K. vom 18. März 1999, dass für sie eine Tätigkeit im Reinigungsbereich sowie andere Arbeiten im Feuchtmilieu nicht in Betracht kam. Sie hatte aber keine Kenntnis über die rechtlichen Auswirkungen dieser beruflichen Leistungseinschränkung. Somit war die rückwirkende teilweise Aufhebung der Bemessungsgrundlage nicht rechtmäßig.
Die Beklagte war jedoch berechtigt, die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe gemäß § 48
Abs. 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, weil in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung wegen der beruflichen Leistungseinschränkungen eingetreten ist. Die Neufeststellung der Arbeitslosenhilfe aufgrund einer Herabbemessung gemäß § 200 Abs. 2 SGB III ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift ist das Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat, solange der Arbeitslose aus Gründen, die in seiner Person liegen, nicht mehr das maßgebliche Bemessungsentgelt erzielen kann. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Grundsätzlich richtet sich das Bemessungsentgelt für die Arbeitslosenhilfe nach dem Bemessungsentgelt, das dem Arbeitslosengeld zu Grunde lag. § 200 Abs. 2 S. 1 SGB III betrifft die Herabbemessungs- gründe, die in der Person des Beziehers der Arbeitslosenhilfe liegen. Aus dem systematischen Verhältnis zu § 201 SGB III ergibt sich, dass mit Gründen im Sinne des § 200
Abs. 2 S. 1 SGB III keine arbeitsmarktbedingten Gründe gemeint sind (BSG vom 21. Oktober 2003 SozR 4-4300 § 200 Nr. 1 m.w.N.). Sinn des § 200 Abs. 2 S. 1 SGB III ist es, bestimmte Gründe zu erfassen, die nicht bereits bei der turnusmäßigen Herabsetzung nach § 201 SGB III berücksichtigt werden. Diese aber soll gerade auch - pauschal - einem Verlust an beruflicher Qualifikation Rechnung tragen. Damit bleiben als persönliche Gründe vor allem Leistungseinschränkungen übrig. Maßgebend sind nur solche Gründe, die den konkreten Arbeitslosenhilfebezieher aus einer Gruppe anderer Arbeitsloser, die ihm hinsichtlich beruflicher Qualifikation, Alter, Dauer der Arbeitslosigkeit und anderer Gesichtspunkte vergleichbar sind, individuell herausheben. Hierzu gehören besondere persönliche Leistungseinschränkungen, die in der Regel auf individuellen gesundheitlichen Beeinträchtigungen beruhen. Die Rechtsfolge ist die Festsetzung eines fiktiven Bemessungsentgelts aus dem erzielbaren tariflichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu erstrecken hat (Niesel, a.a.O., § 200, Rdnr. 10 ff. m.w.N.).
Nach dem Urteil des BSG vom 17. November 2005 (SGB 2006, 42) ist für eine Herabsetzung des Bemessungsentgelts nach § 200 Abs. 2 SGB III auch dann Raum, wenn die fragliche Leistungseinschränkung bereits im Zeitpunkt der Bewilligung von Arbeitslosengeld vorgelegen hatte. Denn es entspricht dem Sinn und Zweck des § 200 Abs. 2 S. 1 SGB III, eine Anpassung des maßgeblichen Bemessungsentgelts an die realistischen Verdienstmöglichkeiten vorzunehmen, soweit sich die Herabbemessungsgründe nicht allein aus den Verhältnissen des Arbeitsmarktes ergeben.
Wie das BSG mit den Urteilen vom 5. September 2006 (SGB 2006, 610) und 21. Oktober 2003 (a.a.O.) entschieden hat, ist als Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung heranzuziehen, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken (§ 35 Abs. 2 SGB III) hat; alle Umstände des Einzelfalles sind hierbei zu berücksichtigen (sogenannte fiktive Bemessung). Nach § 35 Abs. 2 SGB III hat die Beklagte bei der Vermittlung die Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des Arbeitssuchenden sowie die Anforderungen der angebotenen Stellen zu berücksichtigen. Es kommt hier darauf an, für welche Beschäftigung der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter angemessener Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt. Dann ist festzustellen, welches tarifliches Arbeitsentgelt dieser Beschäftigung zuzuordnen ist.
Aus gesundheitlichen Gründen kommen alle von der Klägerin genannten Tätigkeiten nicht infrage, bei denen sie Reinigungs- und Desinfektionsmittel verwenden oder im feuchten Milieu arbeiten oder Kontakt mit den im Allergiepass genannten Allergenen vermeiden muss. Dies ergibt sich aus dem von ihr vorgelegten ärztlichen Attest von Dr. K. sowie dem amtsärztlichen Gutachten von Dr. M ... Davon betroffen sind die Tätigkeiten im Bereich der Kinder-, Behinderten-, Alten- und Krankenbetreuung sowie als Haushaltshilfe, abgesehen davon, dass die Beklagte ein vergleichbares Bemessungsentgelt, das die Klägerin angegeben hat, bereits berücksichtigt hat. Dieser finanzielle Gesichtspunkt gilt auch für die von der Klägerin geltend gemachte Telefon- und Vermittlungstätigkeit.
Für die Tätigkeit als Dolmetscherin und Übersetzerin fehlt ihr trotz Kenntnissen der englischen Sprache die entsprechende Vorbildung. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte aufgrund der beruflichen Ausbildung der Klägerin und der durchgeführten Maßnahmen sowie des positiven Leistungsbilds nach dem amtsärztlichen Gutachten das zutreffende Bemessungsentgelt aus dem Lohngruppenkatalog des Lohntarifvertrags vom
12. Mai 1995 für gewerbliche Arbeitnehmer in den bayerischen Betrieben des Groß-
und Außenhandels entnommen hat. Unter die von der Beklagten herangezogene Lohngruppe 2 fallen Arbeiten, die ohne einschlägige Kenntnisse nach kurzer Einarbeit ausgeführt werden wie z.B. Packer, Helfer, Lagerarbeiten, Kommissionierer, Beifahrer ohne Führerschein, Pförtner, Boten, Raumpflege. Hierfür wird in der Lohntafel ein Lohn von
2.594,00 DM angegeben. Die Beklagte ist zu Recht von diesem Betrag im Widerspruchsbescheid ausgegangen. Wächter werden der geringeren Lohngruppe 1 zugeordnet.
Eine höhere Einstufung als Hausmeister in die Lohngruppe 3 kommt nicht infrage, da hierbei Putzarbeiten anfallen können. Für Hausmeister mit handwerklichen Fähigkeiten (Lohngruppe 4) fehlt der Klägerin die entsprechende berufliche Vorbildung.
Nach dem Manteltarifvertrag von 23. Juni 1997 für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels liegt der oben genannten Einstufung eine regelmäßige Arbeitszeit von wöchentlich 38,5 Stunden zu Grunde, wobei sich die Arbeitszeit auf fünf Wochentage verteilt und der Samstag arbeitsfrei ist. Zwar ist eine abweichende Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit aus betrieblichen Gründen zulässig. Dies ändert jedoch nichts daran, dass innerhalb eines Verteilzeitraums bis maximal 52 Wochen die Wochenarbeitszeit bei Vollzeitkräften im Durchschnitt 38,5 Stunden betragen muss.
Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BSG eine günstigere Einstufung mit dem Hinweis begehrt, sie könne mehrere Beschäftigungen wie Fahrkartenkontrolle, Fahrkartenverkauf, Briefsortierung und Briefzustellung "gleichzeitig ausüben", kann ihr nicht gefolgt werden. Denn die angegebene Entscheidung vom 5. August 1999 (BSGE 84, 218) befasst sich mit einer anderen Problematik. In diesem Fall hatte der Kläger eine andere Verteilung der täglichen Arbeitszeit, nämlich vormittags vier Stunden und abends vier Stunden geltend gemacht. Das BSG hatte aufgrund dieser Sachlage eine Zusammenrechnung von Verdiensten aus mehreren Beschäftigungen, die eine Beitragspflicht begründen würden, nicht ausgeschlossen unter der Voraussetzung, dass der Betreffende tatsächlich in der Lage und bereit war, nebeneinander zwei beitragspflichtige Teilzeitbeschäftigungen auszuüben. Nach der Berufungsbegründung muss der Senat jedoch davon ausgehen, dass die Klägerin nur eine andere Berechnungsgrundlage geltend macht ("könnte ... ausüben"), aber nicht mitgeteilt hat, dass sie diese Arbeiten mit zwei mal vier Stunden vormittags und abends wirklich ausüben möchte. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte bereits, anders als in der von der Klägerin angegebenen Entscheidung, das Bemessungsentgelt schon nach einer Vollzeittätigkeit bestimmt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2).
22. September 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 1999 die Herabbemessung der Arbeitslosenhilfe erst ab 6. September 1999 festzustellen hat.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ein Zehntel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist das Bemessungsentgelt für die Arbeitslosenhilfe.
Die 1957 geborene Klägerin arbeitete nach ihren Angaben nach dem Hauptschulabschluss von Oktober 1972 bis April 1978 als Löterin bei S ... Während ihres Aufenthalts in den USA von Juni 1978 bis Juli 1985 war sie Einzelhandelsverkäuferin. Von August 1980 bis Ende Februar 1990 war sie als Stationshilfe im Kreiskrankenhaus A-Stadt tätig und vom 3. April 1990 bis 24. Juli 1993 als Reinigungskraft bei der Firma G. GmbH (R.); diese Tätigkeit musste sie wegen eines kontaktallergischen Ekzems an den Händen aufgrund des Umgangs und Kontakts mit Reinigungs- und Desinfektionsmitteln sowie Hautausschlägen beenden. Danach war sie arbeitslos und erhielt vom 26. Juli 1993 bis 6. Juni 1997 Arbeitslosengeld, anschließend Arbeitslosenhilfe. Von Juli 1994 bis Dezember 1994 nahm sie an einem beruflichen Orientierungs-/Praxisseminar mit Schulungsmaßnahmen (Aufgabenschwerpunkte Kommissionierung, Lagerwesen, Warenbestellung, Warenannahme, Reklamation, Warenausgabe) und von März 1996 bis Juli 1996 an einer Fortbildungsmaßnahme im gewerblichen Bereich mit einem Schreinereipraktikum teil.
Nach Angaben der Beklagten fanden bei der Klägerin noch folgende Maßnahmen statt: vom 28. Februar 1996 bis 25. April 1996 Feststellungsmaßnahme HOGA im Hotel- und Gaststättengewerbe, vom 10. Juni 1996 bis 6. Dezember 1996 WBI (Qualifizierung für arbeitslose Textilfachkräfte in andere Berufe) und vom 2. November 1998 bis 23. Dezember 1998 eine IFB Trainingsmaßnahme.
Auf Antrag bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosenhilfe ab 7. Juni 1997 in Höhe von 282,45 DM wöchentlich nach einem Bemessungsentgelt von 720,00 DM.
Die Beklagte holte aufgrund des ärztlichen Attestes von Dr. K. vom 18. März 1999, der ein kontaktallergisches Ekzem im Bereich der Hände bescheinigte, ein Gutachten von Dr. M. aufgrund einer Untersuchung vom 14. Juni 1999 ein. Danach sei die Klägerin in der Lage, vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Ausschluss von Schmutzarbeiten, hautbelastenden Stoffen und Feuchtarbeit zu verrichten. Beruflicher Kontakt mit den bekannten Allergenen laut Allergiepass sei zu vermeiden.
Mit Bescheid vom 6. September 1999 setzte die Beklagte die Arbeitslosenhilfe neu fest. Nach dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten könne die Klägerin die Beschäftigung, nach der die Leistung zuletzt bemessen wurde, nicht mehr ausüben. Sie legte der Bemessung den Tarifvertrag Groß- und Außenhandel mit einem tariflichen Arbeitsentgelt von monatlich 2.646,00 DM zu Grunde (wöchentliches Bemessungsentgelt 610,00 DM bei 38,50 Arbeitsstunden).
Hiergegen legte die Klägerin am 14. September 1999 Widerspruch ein; die Beklagte hob mit dem weiteren Bescheid vom 22. September 1999 die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe ab 2. September 1999 teilweise auf und wies mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 1999 den Widerspruch zurück. Solange der Arbeitslose aus Gründen, die in seiner Person liegen, nicht mehr das maßgebliche Bemessungsentgelt erzielen kann, sei Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Im Anschluss an das amtsärztliche Gutachten könne die Klägerin als Raumpflegerin nicht mehr eingesetzt werden, nach den Gesamtumständen komme sie für eine Tätigkeit als Lagerarbeiterin/Helferin im Groß- und Außenhandel in Betracht. Hierbei könne sie nach dem Tarifvertrag für den Groß- und Außenhandel in Lohngruppe 2 ein monatliches Brutto-Arbeitsentgelt von 2.594,00 DM und 52,00 DM vermögenswirksame Leistungen bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden erzielen. Bei dieser fiktiven Einstufung sei von der für sie günstigsten Bemessungsgrundlage ausgegangen worden. Hieraus errechne sich ein gerundetes Bemessungsentgelt von wöchentlich 610,00 DM. Dies sei mit der Klägerin bei einem Beratungsgespräch am 2. September 1999 besprochen worden.
Die Klägerin hat mit der Klage vom 8. Oktober 1999 beim Sozialgericht R. (SG) geltend gemacht, die Vermittlungsbemühungen der Beklagten seien unzureichend gewesen. Sie hätte in zahlreichen anderen Bereichen arbeiten können, nämlich im sozialen Bereich bei der Kinder-/Behinderten-/Alten- und Krankenbetreuung z.B. beim Bayerischen Roten Kreuz, in Kindergärten und Krankenhäusern (Verdienst 2.700,00 DM brutto), im Bereich der Telefonvermittlungstätigkeit (Verdienst 2.700,00 DM brutto), als Buskontrolleurin, im Fahrkartenverkauf, als Briefsortiererin und Briefzustellerin, Hausmeisterin, im Objektschutz und Werkschutz, als Haushaltshilfe oder als Übersetzerin.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass bei den angeführten Pflegearbeiten Kontakt mit Allergenen nicht zu vermeiden sei. Der Klägerin fehle die berufliche Qualifikation als Kinderpflegerin; als Kinderbetreuerin in privaten Haushalten könne nur ein wesentlich niedrigeres Entgelt erzielt werden. Unter Beachtung der bisherigen Tätigkeiten als Raumpflegerin und des bisherigen beruflichen Werdegangs kämen Tätigkeiten ohne Vorkenntnisse nach kurzer Einarbeitung infrage, wie sie der Lohngruppe 2 des Tarifvertrags für den Groß- und Außenhandel zugrunde liegen.
Das SG hat mit Urteil vom 18. März 2003 die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Neubemessung des für die Berechnung der Arbeitslosenhilfe maßgeblichen Bemessungsentgelts und die darauf gründende Teilaufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe seien gegeben. Wegen des Hautleidens sei die Klägerin als Reinigungskraft/Raum- pflegerin nicht mehr geeignet, ebenso nicht für alle Tätigkeiten der Betreuung und im Haushaltsbereich, da diese in erheblichem Umfang mit Arbeiten im Feuchtmilieu und mit Desinfektionsmitteln auszuüben sind. Bezüglich dieser Beschäftigungen verweise die Klägerin auf ein erzielbares Bruttoeinkommen von ca. 2.700,00 DM, dem die Beklagte bei der Berechnung bereits entsprochen hat. Für die Beschäftigung als Sprechstundenhilfe, Hausverwalterin oder Hausmeisterin und Übersetzungsarbeiten fehle der Klägerin die berufliche Vorbildung. Für Tätigkeiten im öffentlichen Verkehrswesen (Fahrkartenkontrolle, Fahrkartenverkauf) oder der Briefsortierung bzw. Briefzustellung fehle es am entsprechenden Arbeitsmarkt. Bei den geltend gemachten Beschäftigungen im Rahmen des Bewachungsgewerbes ergebe sich für sie keine günstigere Bemessungsgrundlage. Abzustellen sei allein auf das tarifliche Entgelt derjenigen Beschäftigung, zu deren Vornahme die Klägerin im Stande ist, nicht hingegen einer solchen, zu deren Ausübung ein Arbeitsloser unter anderen Umständen möglicherweise im Stande sein könnte.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 16. Juni 2003, mit der sie geltend macht, sie könnte mehrere einfache Beschäftigungen (Fahrkartenkontrolle, Fahrkartenverkauf, Briefsortierung, Briefzustellung) "gleichzeitig" ausüben. Daraus ergebe sich eine Erhöhung des fiktiven Bemessungsentgelts. Es sei bei ihrer Ausbildung und Qualifikation weiterhin ein Bemessungsentgelt von 720,00 DM zugrunde zu legen.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts R. vom 18. März 2003 und die Bescheide vom 6. September 1999 und 22. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides im 4. Oktober 1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 2, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Berufung ist nur zu einem geringen Teil begründet; im Übrigen ist sie zurückzuweisen.
Streitgegenstand ist die Herabbemessung des Bemessungsentgelts für die Arbeitslosenhilfe ab 2. September 1999 durch die Bescheide vom 6. September 1999 und 22. September 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 1999. Soweit die Beklagte die Herabbemessung rückwirkend ab 2. September 1999 vorgenommen hat, kann ihr nicht gefolgt werden. Im Übrigen sind die Bescheide und das angefochtene Urteil des SG rechtlich nicht zu beanstanden.
Gemäß § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Ergänzend hierzu regelt § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch III (SGB III), dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben ist, wenn die in § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorliegen. Abweichend von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an ein Verwaltungsakt auch aufzuheben, soweit sich das Leistungsentgelt aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 151 Abs. 2 Nr. 2 SGB III oder das Bemessungsentgelt aufgrund einer Anpassung nach § 201 SGB III zu Ungunsten des Betroffenen ändert. Die letztgenannte Vorschrift ist nicht einschlägig, weil die Herabbemessung hier sich nicht nach § 201 SGB III, sondern nach § 200 Abs. 2 SGB III richtet.
Die von der Beklagten angeführte Rechtsgrundlage für die rückwirkende Aufhebung der Bemessung der Arbeitslosenhilfe, nämlich § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X, ist nicht gegeben, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin ab 2. September 1999 bösgläubig gewesen ist. Das Wissen bzw. Wissenmüssen muss sich nämlich darauf beziehen, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen ist, setzt also Rechtskenntnis voraus. Die Kenntnis bzw. Unkenntnis bezieht sich auf den Wegfall des Anspruchs. Es ist daher erheblich, ob der Betroffene aus einem, im früheren Verwaltungsakt nicht berücksichtigten Grund vom Fortbestand des Anspruchs überzeugt war oder ohne grobe Fahrlässigkeit überzeugt sein konnte. Die Unkenntnis ist nur dann grob fahrlässig, wenn der Betreffende aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der Anspruch entfallen war. Es reicht nicht, wenn er mit dem Wegfall des Anspruchs "rechnen musste". Denn damit wird nichts darüber ausgesagt, ob und inwieweit er bei der Unkenntnis vom Anspruchswegfall die erforderliche Sorgfalt verletzt hat (Niesel, SGB III, 2. Auflage, § 330, Rdnr. 46 ff. m.w.N. der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)). Im vorliegenden Fall wusste die Klägerin zwar aufgrund der Behandlung ihres Hautleidens und des Attests von Dr. K. vom 18. März 1999, dass für sie eine Tätigkeit im Reinigungsbereich sowie andere Arbeiten im Feuchtmilieu nicht in Betracht kam. Sie hatte aber keine Kenntnis über die rechtlichen Auswirkungen dieser beruflichen Leistungseinschränkung. Somit war die rückwirkende teilweise Aufhebung der Bemessungsgrundlage nicht rechtmäßig.
Die Beklagte war jedoch berechtigt, die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe gemäß § 48
Abs. 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, weil in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung wegen der beruflichen Leistungseinschränkungen eingetreten ist. Die Neufeststellung der Arbeitslosenhilfe aufgrund einer Herabbemessung gemäß § 200 Abs. 2 SGB III ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift ist das Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat, solange der Arbeitslose aus Gründen, die in seiner Person liegen, nicht mehr das maßgebliche Bemessungsentgelt erzielen kann. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Grundsätzlich richtet sich das Bemessungsentgelt für die Arbeitslosenhilfe nach dem Bemessungsentgelt, das dem Arbeitslosengeld zu Grunde lag. § 200 Abs. 2 S. 1 SGB III betrifft die Herabbemessungs- gründe, die in der Person des Beziehers der Arbeitslosenhilfe liegen. Aus dem systematischen Verhältnis zu § 201 SGB III ergibt sich, dass mit Gründen im Sinne des § 200
Abs. 2 S. 1 SGB III keine arbeitsmarktbedingten Gründe gemeint sind (BSG vom 21. Oktober 2003 SozR 4-4300 § 200 Nr. 1 m.w.N.). Sinn des § 200 Abs. 2 S. 1 SGB III ist es, bestimmte Gründe zu erfassen, die nicht bereits bei der turnusmäßigen Herabsetzung nach § 201 SGB III berücksichtigt werden. Diese aber soll gerade auch - pauschal - einem Verlust an beruflicher Qualifikation Rechnung tragen. Damit bleiben als persönliche Gründe vor allem Leistungseinschränkungen übrig. Maßgebend sind nur solche Gründe, die den konkreten Arbeitslosenhilfebezieher aus einer Gruppe anderer Arbeitsloser, die ihm hinsichtlich beruflicher Qualifikation, Alter, Dauer der Arbeitslosigkeit und anderer Gesichtspunkte vergleichbar sind, individuell herausheben. Hierzu gehören besondere persönliche Leistungseinschränkungen, die in der Regel auf individuellen gesundheitlichen Beeinträchtigungen beruhen. Die Rechtsfolge ist die Festsetzung eines fiktiven Bemessungsentgelts aus dem erzielbaren tariflichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu erstrecken hat (Niesel, a.a.O., § 200, Rdnr. 10 ff. m.w.N.).
Nach dem Urteil des BSG vom 17. November 2005 (SGB 2006, 42) ist für eine Herabsetzung des Bemessungsentgelts nach § 200 Abs. 2 SGB III auch dann Raum, wenn die fragliche Leistungseinschränkung bereits im Zeitpunkt der Bewilligung von Arbeitslosengeld vorgelegen hatte. Denn es entspricht dem Sinn und Zweck des § 200 Abs. 2 S. 1 SGB III, eine Anpassung des maßgeblichen Bemessungsentgelts an die realistischen Verdienstmöglichkeiten vorzunehmen, soweit sich die Herabbemessungsgründe nicht allein aus den Verhältnissen des Arbeitsmarktes ergeben.
Wie das BSG mit den Urteilen vom 5. September 2006 (SGB 2006, 610) und 21. Oktober 2003 (a.a.O.) entschieden hat, ist als Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung heranzuziehen, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken (§ 35 Abs. 2 SGB III) hat; alle Umstände des Einzelfalles sind hierbei zu berücksichtigen (sogenannte fiktive Bemessung). Nach § 35 Abs. 2 SGB III hat die Beklagte bei der Vermittlung die Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des Arbeitssuchenden sowie die Anforderungen der angebotenen Stellen zu berücksichtigen. Es kommt hier darauf an, für welche Beschäftigung der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter angemessener Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt. Dann ist festzustellen, welches tarifliches Arbeitsentgelt dieser Beschäftigung zuzuordnen ist.
Aus gesundheitlichen Gründen kommen alle von der Klägerin genannten Tätigkeiten nicht infrage, bei denen sie Reinigungs- und Desinfektionsmittel verwenden oder im feuchten Milieu arbeiten oder Kontakt mit den im Allergiepass genannten Allergenen vermeiden muss. Dies ergibt sich aus dem von ihr vorgelegten ärztlichen Attest von Dr. K. sowie dem amtsärztlichen Gutachten von Dr. M ... Davon betroffen sind die Tätigkeiten im Bereich der Kinder-, Behinderten-, Alten- und Krankenbetreuung sowie als Haushaltshilfe, abgesehen davon, dass die Beklagte ein vergleichbares Bemessungsentgelt, das die Klägerin angegeben hat, bereits berücksichtigt hat. Dieser finanzielle Gesichtspunkt gilt auch für die von der Klägerin geltend gemachte Telefon- und Vermittlungstätigkeit.
Für die Tätigkeit als Dolmetscherin und Übersetzerin fehlt ihr trotz Kenntnissen der englischen Sprache die entsprechende Vorbildung. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte aufgrund der beruflichen Ausbildung der Klägerin und der durchgeführten Maßnahmen sowie des positiven Leistungsbilds nach dem amtsärztlichen Gutachten das zutreffende Bemessungsentgelt aus dem Lohngruppenkatalog des Lohntarifvertrags vom
12. Mai 1995 für gewerbliche Arbeitnehmer in den bayerischen Betrieben des Groß-
und Außenhandels entnommen hat. Unter die von der Beklagten herangezogene Lohngruppe 2 fallen Arbeiten, die ohne einschlägige Kenntnisse nach kurzer Einarbeit ausgeführt werden wie z.B. Packer, Helfer, Lagerarbeiten, Kommissionierer, Beifahrer ohne Führerschein, Pförtner, Boten, Raumpflege. Hierfür wird in der Lohntafel ein Lohn von
2.594,00 DM angegeben. Die Beklagte ist zu Recht von diesem Betrag im Widerspruchsbescheid ausgegangen. Wächter werden der geringeren Lohngruppe 1 zugeordnet.
Eine höhere Einstufung als Hausmeister in die Lohngruppe 3 kommt nicht infrage, da hierbei Putzarbeiten anfallen können. Für Hausmeister mit handwerklichen Fähigkeiten (Lohngruppe 4) fehlt der Klägerin die entsprechende berufliche Vorbildung.
Nach dem Manteltarifvertrag von 23. Juni 1997 für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels liegt der oben genannten Einstufung eine regelmäßige Arbeitszeit von wöchentlich 38,5 Stunden zu Grunde, wobei sich die Arbeitszeit auf fünf Wochentage verteilt und der Samstag arbeitsfrei ist. Zwar ist eine abweichende Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit aus betrieblichen Gründen zulässig. Dies ändert jedoch nichts daran, dass innerhalb eines Verteilzeitraums bis maximal 52 Wochen die Wochenarbeitszeit bei Vollzeitkräften im Durchschnitt 38,5 Stunden betragen muss.
Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BSG eine günstigere Einstufung mit dem Hinweis begehrt, sie könne mehrere Beschäftigungen wie Fahrkartenkontrolle, Fahrkartenverkauf, Briefsortierung und Briefzustellung "gleichzeitig ausüben", kann ihr nicht gefolgt werden. Denn die angegebene Entscheidung vom 5. August 1999 (BSGE 84, 218) befasst sich mit einer anderen Problematik. In diesem Fall hatte der Kläger eine andere Verteilung der täglichen Arbeitszeit, nämlich vormittags vier Stunden und abends vier Stunden geltend gemacht. Das BSG hatte aufgrund dieser Sachlage eine Zusammenrechnung von Verdiensten aus mehreren Beschäftigungen, die eine Beitragspflicht begründen würden, nicht ausgeschlossen unter der Voraussetzung, dass der Betreffende tatsächlich in der Lage und bereit war, nebeneinander zwei beitragspflichtige Teilzeitbeschäftigungen auszuüben. Nach der Berufungsbegründung muss der Senat jedoch davon ausgehen, dass die Klägerin nur eine andere Berechnungsgrundlage geltend macht ("könnte ... ausüben"), aber nicht mitgeteilt hat, dass sie diese Arbeiten mit zwei mal vier Stunden vormittags und abends wirklich ausüben möchte. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte bereits, anders als in der von der Klägerin angegebenen Entscheidung, das Bemessungsentgelt schon nach einer Vollzeittätigkeit bestimmt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2).
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved