L 13 AL 4851/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 1353/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 4851/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Bezug sog. Taggeldes, das von einem privaten Versicherungsunternehmen in der Schweiz gewährt worden ist, begründet kein Versicherungspflichtverhältnis im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 1 SGB III und führt deshalb nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit, wenn der Bezug nach dem Recht des Beschäftigungsstaats (hier: Schweiz) nicht beitragspflichtig gewesen ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23. September 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg).

Der 1975 geborene Kläger meldete sich am 1. Oktober 2001 beim damaligen Arbeitsamt L., Geschäftsstelle W.-T. (jetzt: Agentur für Arbeit; AA) arbeitslos. Zuvor hatte er bei der Firma D. W. in W.-T. als Produktionsmitarbeiter gearbeitet (Arbeitsverhältnis: 1. Februar 1999 bis 30. September 2000) und - nach einer Zeit des Krankengeldbezugs (1. Juli 2000 bis 31. Januar 2001) - vom 1. Februar bis 31. März 2001 bei der Firma Sch. GmbH, vom 11. April bis 31. Juli 2001 bei der D. P. AG sowie vom 1. August bis 30. September 2001 bei der Firma S. C. GmbH in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Mit Bescheid vom 8. November 2001 bewilligte das AA dem Kläger Alg ab 1. Oktober 2001 in Höhe von 298,62 DM wöchentlich (Bemessungsentgelt gerundet 750 DM; Leistungsgruppe A; Kindermerkmal 0) für die Dauer von 360 Kalendertagen. Nachdem die Bewilligung von Alg für den Zeitraum 1. Oktober bis 15.November 2001 wieder aufgehoben worden war, bezog der Kläger Alg zunächst bis 6. Oktober 2002 (insgesamt 325 Tage). Ab 7. Oktober 2002 nahm er an einer Weiterbildungsmaßnahme teil und bezog - nach Abbruch der Maßnahme am 10. Januar 2003 - ab 11. Januar 2003 erneut Alg (Bewilligungsbescheid vom 27. Januar 2003). Am 27. Januar 2003 nahm der Kläger eine Beschäftigung bei der Firma T. P. P. AG (TPP) in T. (Schweiz) auf; mit (bestandskräftig gewordenem) Bescheid vom 26. Februar 2004 hob das AA die Bewilligung von Alg ab 28. Januar 2003 auf.

Am 20. Februar 2004 meldete sich der Kläger erneut arbeitslos und beantragte Alg. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung der TPP vom 9. März 2004 hatte das Arbeitsverhältnis vom 27. Januar bis 30. September 2003 bestanden; Lohn sei bis 8. Juni 2003 gezahlt worden. Gemäß Bescheinigung der S. W. hatte der Kläger im Zeitraum 9. Mai 2003 bis 29. Februar 2004 Unfalltaggeld bezogen. Mit der Bescheinigung von Zeiten, die für die Gewährung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen sind (nach der Verordnung EWG (EWG-VO) 1408/71; Vordruck E 301 CH) vom 18. März 2004 bestätigte das Staatssekretariat für Wirtschaft, Direktion für Arbeit, Bern, die Zurücklegung von einer abhängigen Beschäftigung entsprechenden Versicherungszeiten und gleichgestellten Zeiten für die Zeit vom 27. Januar bis 8. Juni 2003. Die AA bewilligte dem Kläger daraufhin ab 1. März 2004 Alg in Höhe von 156,87 wöchentlich (Bemessungsentgelt gerundet 390 EUR; Leistungsgruppe A; Prozentsatz 60) für die Dauer von 18 Kalendertagen (Bewilligungsbescheid vom 16. März 2004). Mit Bescheid vom 30. März 2004 hob sie die Bewilligung von Alg für den 27. Januar 2003 auf und forderte vom Kläger die Erstattung zu Unrecht ausgezahlter Leistungen in Höhe von 21,93 EUR; mit (Änderungs-) Bescheid vom 31. März 2004 bewilligt die AA (bei im Übrigen unveränderten Berechnungsgrundlagen) Alg auch für den 19. März 2004. Zur Begründung seines am 2. April 2004 erhobenen Widerspruchs gegen den Bescheid vom 16. März 2004 trug der Kläger vor, er sei vor Eintritt der Arbeitslosigkeit in der Zeit vom 28. Januar 2003 bis 29. Februar 2004 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen und wende sich deshalb gegen die Dauer des Anspruchs auf Alg. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2004 wies die Widerspruchsstelle der AA den Widerspruch zurück. Der letzte Anspruch des Klägers auf Alg sei am 16. November 2001 entstanden. Dieser sei am 1. März 2004 bis auf einen Restanspruch von 19 Tagen erschöpft gewesen. Einen neuen Anspruch habe der Kläger mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit nicht erworben.

Mit der am 19. April 2004 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Auch der Bezug von Krankentagegeld begründe ein die Anwartschaftszeit erfüllendes Versicherungspflichtverhältnis. Dies müsse für das von einem privaten schweizerischen Krankenversicherungsunternehmen gewährte Taggeld entsprechend gelten. Er habe deshalb einen neuen Anspruch auf Alg erworben, was auch dazu führe, dass bei der Berechnung des Alg die in der Schweiz erzielten Entgelte zugrunde zu legen seien. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Maßgebend seien nach der EWG-VO 1408/71 allein die in der Bescheinigung E 301 aufgeführten Versicherungszeiten. Der Taggeldbezug sei in der Schweiz nicht versicherungspflichtig und in der für den Kläger ausgestellten Bescheinigung deshalb zu Recht nicht aufgeführt. Mit Urteil vom 23. September 2005 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei an den Inhalt der nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaft ausgestellten Bescheinigung E 301 gebunden.

Gegen das seinem Bevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 4. November 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15. November 2005 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er hält an seiner Auffassung fest, dass auch der Taggeldbezug als Versicherungspflichtverhältnis zu werten sei. Eine Bindung der Beklagten an die in der Bescheinigung E 301 aufgeführten Zeiten bestehe nicht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23. September 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 16. März 2004 und vom 31. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2004 zu verurteilen, ihm ab 1. März 2004 Alg unter Zugrundelegung eines in der Zeit vom 27. Januar 2003 bis 29. Februar 2004 bestehenden Versicherungspflichtverhältnisses zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des SG für zutreffend.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (637A135709), die Klageakten des SG (S 3 AL 1353/04) und die Berufungsakten des Senats (L 13 AL 4851/05) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung ist zulässig, sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch nicht begründet; das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage sind die dem Kläger Alg (nur) für die Zeit vom 1. bis 19. März 2004 bewilligenden Bescheide vom 16. März 2004 und vom 31. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2004. Diese erweisen sich als rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in subjektiven Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Alg über den 19. März 2004 hinaus; auch ein Anspruch auf höheres Alg besteht nicht.

Anspruch auf Alg haben gemäß § 117 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der hier noch anzuwendenden bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (geändert erst mit Wirkung vom 1. Januar 2005 durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (Hartz III; BGBl. I S. 2848)) Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3). Nach der hier allein in Betracht kommenden Tatbestandsvariante des § 123 Satz 1 Nr. 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt drei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg (§ 124 Abs. 1 SGB III). Gemäß § 124 Abs. 2 SGB III reicht die Rahmenfrist nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte. In Anwendung dieser Vorschriften hat die Beklagte dem Kläger zu Recht Alg nur für 19 Kalendertage bewilligt. Der Anspruch des Klägers auf Alg ist am 16. November 2001 entstanden; die Anspruchsdauer betrug in Anwendung des § 127 Abs. 2 SGB III 12 Monate (360 Tage; vgl. § 339 Satz 1 SGB III), da der Kläger zu diesem Zeitpunkt das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Da der Kläger in der Zeit vom 16. November 2001 bis 6. Oktober 2002 Alg für die Dauer von 325 Tage und, nachdem die Beklagte die Bewilligung von Alg für den 27. Januar 2003 mit bestandskräftigem Bescheid vom 30. März 2004 aufgehoben hatte, in der Zeit vom 11. bis 26. Januar 2003 Alg für die Dauer von 16 Tagen bezogen hat (zur Minderung der Anspruchsdauer durch Erfüllung vgl. § 128 Abs. 1 Nr. 1 SGB III), bestand noch ein Restanspruch von 19 Tagen, den die Beklagte mit den streitgegenständlichen Bescheiden erfüllt hat. Auch die Höhe des Alg ist nicht zu beanstanden. Ausgehend von einem zutreffend ermittelten wöchentlichen Bemessungsentgelt - insoweit macht sich der Senat die von der Beklagten vorgenommene Berechnung (Bl. 251 der Verwaltungsakte der Beklagten) zu eigen und nimmt auf diese zur Begründung Bezug - von 390 EUR ergibt sich nach §§ 129, 137 SGB III in Verbindung mit der SGB III-Leistungsentgeltverordnung 2004 (zur Verordnungsermächtigung vgl. § 151 Abs. 2 Nr. 2 SGB III) für die Leistungsgruppe A ein allgemeiner Leistungssatz von 156,87 EUR wöchentlich.

Einen neuen Anspruch auf Alg hat der Kläger mangels (erneuter) Erfüllung der Anwartschaftszeit nicht erworben. Die am 29. Februar 2004 endende Rahmenfrist reicht hier in Anwendung des § 124 Abs. 2 SGB III längstens bis 16. November 2001 zurück. Seit diesem Zeitpunkt hat der Kläger lediglich in der Zeit vom 27. Januar bis 8. Juni 2003 und damit nicht für die Dauer von mindestens zwölf Monaten in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Der anschließende Bezug des von dem privaten Versicherungsunternehmen S. W. gewährten Taggelds begründete kein Versicherungspflichtverhältnis im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 1 SGB III und führt deshalb nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit. Maßgebend hierfür sind Art. 67 Abs. 1 Halbsatz 1 EWG-VO 1408/71 und Art. 80 EWG-VO 574/72. Diese Regelungen finden hier gemäß dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (vgl. Gesetz vom 2. September 2001 (BGBl. II S. 810) Anwendung (zur hier nicht einschlägigen teilweisen Fortgeltung des Abkommens vom 20. Oktober 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Arbeitslosenversicherung (BGBl. 1983 II S. 279), ratifiziert durch Gesetz vom 13. September 1983 (BGBl. II S. 278), vgl. Anhang III, A. der EWG-VO 1408/71 sowie Otting, DRV 2002, 257, 268).

Nach Art. 67 Abs. 1 Halbsatz 1 EWG-VO 1408/71 berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaats (hier: der Bundesrepublik Deutschland), nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, soweit erforderlich, die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die als Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats (hier: der Schweiz) zurückgelegt wurden, als handele es sich um Versicherungszeiten, die nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind. Gemäß Art. 80 Abs. 1 EWG-VO 574/72 hat die betreffende Person dem zuständigen Träger eine Bescheinigung über die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten (Vordruck E 301) vorzulegen, die sie nach den Rechtsvorschriften, die zuletzt für sie galten, als Arbeitnehmer zurückgelegt hat, und dabei die ergänzenden Angaben zu machen, die nach den von diesem Träger anzuwendenden Rechtsvorschriften erforderlich sind. Eine solche Bescheinigung ist im Fall des Klägers vorgelegt worden und weist Versicherungszeiten lediglich für die Zeit vom 27. Januar bis 8. Juni 2003 aus. Jedenfalls für die Zeit ab 1. Oktober 2003 bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die in dieser Bescheinigung gemachten Angaben unzutreffend wären (zur Bindungswirkung der Bescheinigung E 301 vgl. Kretschmer in Niesel, SGB III, Anh. A, Art. 67 Rdnr. 19 mwH. u. a. auf die Rspr. des Europäischen Gerichtshofs); denn nach schweizerischem Recht begründet der Bezug von Taggeld allein keine Beitragspflicht (vgl. Art. 13 des schweizerischen Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG)). Auch eine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit nach Art. 14 dieses Gesetzes kommt nicht in Betracht, insbesondere findet Art. 14 Abs. 1 Buchst. b AVIG keine Anwendung, da der Kläger seinen Wohnsitz während des Bezugs des Taggelds nicht in der Schweiz hatte. Da die Bescheinigung E 301 somit jedenfalls für die Zeit ab 1. Oktober 2003 zutreffende Angaben enthält und bis zu diesem Zeitpunkt die Anwartschaftszeit nicht erfüllt werden konnte, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob für den Zeitraum 9. Juni bis 30. September 2003 Art. 13 Abs. 2 Buchst. c AVIG Anwendung hätte finden können.

Der Kläger vermag sich letztlich auch nicht mit Erfolg darauf zu berufen, dass Zeiten des Krankentagegeldbezugs nach deutschem Recht versicherungspflichtig sind (vgl. § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB III). Das in Art. 67 Abs. 1 Halbsatz 1 EWG-VO 1408/71 normierte Gebot der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten soll erreichen, dass Versicherte, welche Anwartschaftszeiten in der Arbeitslosenversicherung anderer Mitgliedstaaten erworben haben, bei Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in dem zuständigen Staat keinen Nachteil erleiden (Eichenhofer in Fuchs (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl., Art. 67 Rdnr. 7). Die in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Anwartschaften auf Leistung sollen also nicht verloren gehen, sondern für einen (späteren) Leistungsfall erhalten bleiben. Normzweck des Art. 67 EWG-VO 1408/71 ist hingegen nicht, Zeiten anwartschaftsbegründend werden zu lassen, die dies nach dem Recht des Beschäftigungsstaats nicht sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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