L 17 U 323/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 U 5023/01 L
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 323/05
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.08.2005 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Höhe der Rente.

Die Klägerin ist Witwe des 1943 geborenen und aufgrund einer Plasmozytomerkrankung am 02.08.2001 verstorbenen J. A., der als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten versichert war. Am 10.07.1998 erlitt der Versicherte einen Unfall, als er beim Absteigen vom Traktor stürzte und mit der linken Schulter gegen den Kotflügel des Vorderrades schlug. Nach dem Durchgangsarztbericht des Dr. E. vom 10.07.1998 zog sich der Versicherte einen Schulterblattbruch (Scapularfraktur) links zu. Neurologische Defizite konnte Dr. E. nicht feststellen.

Im Nachschaubericht vom 27.07.1998 äußerte Dr.E. den dringenden Verdacht einer Rotatorenmanschettenruptur. Es hatte sich eine deutliche Abduktionsschwäche des linken Armes gezeigt. Eine Kernspintomographie konnte wegen erheblicher Platzangst des Versicherten nicht durchgeführt werden.

Dr.E. teilte in einem weiteren Durchgangsarztbericht vom 02.02.1999 mit, der Versicherte habe am 28.01.1998 (gemeint: 28.01.1999) eine Zerrung des linken Schultergürtels nach Scapularfraktur erlitten. Beim Holzmachen habe der Versicherte eine schnelle Bewegung zum Holz gemacht und dabei einen Riss in der linken Schulter verspürt.

Der Neurologe Dr.K. stellte unter dem 13.04.2000 eine Läsion des N. supra-scapularis und des N. thoracicus longus links fest. Aufgrund der muskulären Dysbalance sei es wahrscheinlich zu einer sog. Frozen Shoulder gekommen.

Die Beklagte holte ein chirurgisches Gutachten von Prof.Dr.B. vom 29.08.2000 mit Zusatzgutachen auf dem neurologischen Gebiet (Dr.W. vom 19.07.2000) und auf dem radiologischen Gebiet (Dr.E. vom 21.07.2000) ein. Chirurgisch seien keine Unfallfolgen mehr nachweisbar. Der Schulterblattbruch sei knöchern verheilt. Aufgrund einer Kernspintomographie vom 20.07.000 habe sich nach Dr.E. der Verdacht auf eine Teilläsion der Supraspinatussehne ergeben, die nach Prof Dr.B. unfallunabhängig auf dem Boden degenerativer Veränderungen entstanden sei. Nach den neurologischen Feststellungen sei es unfallbedingt zu einer Schädigung des N. thoracicus longus links mit Lähmung des Serratusmuskels links gekommen, d.h. zu einer fehlenden Fixation des Schulterblattes an der Thoraxwand. Diese Folge sei mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH zu bewerten.

Die Beklagte gewährte Verletztengeld bis 06.09.1998. Sie erkannte mit Bescheid vom 23.10.2000 und Widerspruchsbescheid vom 29.05.2001 den Unfall vom 10.07.1998 als Arbeitsunfall an und gewährte Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 vH ab dem 07.09.1998. Sie stellte als Unfallfolgen aufgrund des "Schulterblattbruchs links" fest: "Der Bruch ist knöchern verheilt. Schädigung des langen Brustnervens (N. thoracicus longus) mit fehlender Fixation des Schulterblattes." Nicht als Unfallfolge anzuerkennen sei ein degenerativer Schaden der Supraspinatussehne (degenerativer Rotatorenmanschettenschaden) mit Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit.

Dagegen hat der Versicherte Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Die Folgen des Unfalls seien mit einer höheren MdE als 20 vH zu entschädigen, da der Chirurg Dr.W. (Kreiskrankenhaus R.) in einer gutachterlichen Äußerung vom 26.04.2000 für eine private Unfallversicherung eine unfallbedingte Funktionsbeeinträchtigung des linken Armes von 3/7 festgestellt habe.

Das SG hat nach Einholung ärztlicher Unterlagen und Beiziehung der Akten der Beklagten und der Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Nürnberg Dr.H. gehört, der das nervenärztliche Gutachten nach Aktenlage vom 08.10.2003 mit ergänzender Stellungnahme vom 07.04.2004 erstellt hat. Danach sei es infolge des Unfalls zu einer Fraktur des linken Schulterblatts und zu einer Schädigung des N. thoracicus longus mit Lähmung des M. serratus anterior gekommen. Die hierdurch bedingte MdE sei mit 20 vH einzuschätzen. Die unter dem 27.07.1998 dokumentierte Abspreiz-(Abduktions)Schwäche des linken Armes könne durchaus für die von Dr.K. festgestellte Schädigung des N. suprascapularis sprechen. Allerdings führe eine Schädigung des N. suprascapularis in der Regel nur zu einer leichten Abspreizschwäche, hingegen zu einer - beim Kläger nicht dokumentierten - deutlichen Außenrotationsschwäche.

Auf Antrag der Klägerin hat PD Dr.I. das chirurgische Gutachten nach Aktenlage vom 21.01.2004 und die ergänzende Stellungnahme vom 27.08.2004 erstellt. Es sei davon auszugehen, dass unfallbedingt eine schmerzhafte Einschränkung der Beweglichkeit im linken Schultergelenk durch die Läsion des N. thoracicus longus einerseits sowie durch eine mit hoher Wahrscheinlichkeit zusätzlich vorliegende Schädigung des N. suprascapularis entstanden sei. Zusätzlich sei die Teilläsion der Rotatorenmanschette wesentlich dem Unfall anzulasten. Das Ausmaß der Bewegungseinschränkung sei erheblich gewesen und mit einer MdE von 30 vH zu bewerten. Die MdE sei auch in dieser Höhe zu beziffern, wenn die Schädigung der Rotatorenmanschette als unfallunabhängig anzusehen sei.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 05.08.2005 abgewiesen und sich den Ausführungen des Dr.H. angeschlossen. Es sei nicht davon auszugehen, dass es unfallbedingt auch zu einer Schädigung des N. suprascapularis oder der Rotatorenmanschette gekommen sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Nicht ausreichend gewürdigt habe das SG die Ausführungen des PD Dr.I., der bestätigt habe, dass sowohl eine Läsion des N. suprascapularis als auch eine Schädigung der Rotatorenmanschette zu den verletzungstypischen Begleitkomplikationen eine Scapularfraktur gehörten.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und von der Unfallklinik Murnau die kernspintomographische Aufnahme vom 20.07.2000 beigezogen. Er hat den Neurologen Dr.Z. mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Dr.Z. kam in dem Gutachten vom 03.01.2008 zum Schluss, dass der Unfall vom 07.09.1998 nicht zu neurologischen Gesundheitsstörungen geführt habe. Nicht zutreffend seien daher die mit Bescheid der Beklagten vom 23.10.2000 auf neurologischem Gebiet bezeichneten Unfallfolgen.

Die Beteiligten haben sich zu den Ausführungen des Dr.Z. nicht geäußert.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.08.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 23.10.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die Folgen des Unfalls vom 10.07.1998 eine Rente nach einer MdE von 30 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.08.2005 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber in der Sache nicht begründet. Das Urteil des SG vom 05.08.2005 ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin kann eine höhere Entschädigung für die Folgen des Unfalls vom 10.07.1998 nicht verlangen.

Nach § 56 Abs 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf Rente. Es ist festzustellen, ob und inwieweit durch die Folgen des Versicherungsfalls (hier: Arbeitsunfalls) die Erwerbsfähigkeit des Versicherten beeinträchtigt ist. Allerdings ist eine Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls u.a. nur anzuerkennen, wenn zwischen dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Dies setzt nach dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsbegriff voraus, dass das Unfallereignis mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder Verschlimmerung eines Gesundheitsschadens bewirkt hat. Diese Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr 17).

Bei dem streitgegenständlichen Unfall vom 10.07.1998 erlitt der Versicherte einen Schulterblattbruch. Hinsichtlich der Folgen des Unfall hat die Beklagte mit Bescheid vom 23.10.2000 ausgeführt, dass der Bruch knöchern verheilt ist, und eine Schädigung des langen Brustnervens (N. thoracicus longus) mit fehlender Fixation des Schulterblattes anerkannt. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist darüber hinaus weder eine Schädigung des N. suprascapularis noch eine Schädigung der Supraspinatussehne mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen.

Zur Überzeugung des Senats hat Dr.Z. ausgeführt, dass eine Schädigung des oberen Plexus brachialis links bzw. Armnervengeflechts links mit Beteiligung des N. axillaris und N. suprascapularis sowie N. thoracicus longus erst zu einem späteren Zeitpunkt als zum 10.07.1998 erfolgt ist. Hierfür spricht nach Dr.Z. zunächst, dass periphere Nervenschädigungen nach einem Schultertrauma in aller Regel unmittelbar oder sehr zeitnah innerhalb von wenigen Minuten bis Stunden nach dem Unfallereignis auftreten und später auftretende Nervenläsionen mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht durch die Gewalteinwirkung des Unfalls bedingt sind. Dr.E., der den Versicherten am Unfalltag untersucht hat, konnte neurologische Defizite nicht feststellen. Es erscheint nach Dr.Z. nicht als wahrscheinlich, dass Dr.E., der zwar kein Neurologe, aber Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie ist, eine Nervenschädigung übersehen hat.

Für eine spätere Schädigung des Armnervengeflechts spricht auch der zeitliche Verlauf mit insbesondere erst Monate nach dem Unfall dokumentierter Muskelatrophie (Bericht Dr.E. 21.12.1999), die im Verlauf zunehmende Muskelschwäche verschiedener vom Armnervengeflecht versorgter Muskeln sowie die elektromyographischen Befunde im Verlauf. Erst im Juli 2000 sind akute Denervationszeichen im M. supra- und infraspinatus sowie M. serratus anterior durch Dr.W. beschrieben worden. In der Regel sind aber Zeichen einer akuten Denervation zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nachweisbar. Zudem wurde von Dr.W. keine Sensibilitätsstörung berichtet. Dr.K. hat im April 2000 ein normales Radialis-SEP beschrieben.

Nach Dr.Z. ist es nicht möglich, retrospektiv eine sichere neurologische Diagnose zu stellen, die dem nach Aktenlage dokumentierten Krankheitsverlauf gerecht wird. Allerdings ist die Diagnose einer sporadisch auftretenden neuralgischen Schulteramyotrophie im Januar 1999 am ehesten geeignet, die Befunde im Verlauf zu erklären. Hierbei handelt es sich um eine unfallunabhängige, nichttraumatische Affektion des Plexus brachialis bzw. nervaler, in diesem Bereich verlaufender Strukturen. Typisch hierfür sind in erster Linie das Auftreten starker Schmerzen im Schulterbereich gefolgt von atrophisierenden Lähmungen. Für die Annahme einer derartigen unfallunabhängigen Nervenschädigung spricht auch, dass nach den von Dr.E. im Bericht vom 02.02.1999 geschilderten Angaben des Versicherten der Versicherte bis zum Zeitpunkt des Ereignisses vom 28.01.1999 in der Lage war, Holz zu machen. Nach Dr.Z. ist es unwahrscheinlich, dass der Versicherte mit den später beschriebenen Nervenschädigungen in der Lage gewesen wäre, diese Tätigkeit zu verrichten. Dies wird gestützt durch die Angaben des Versicherten gegenüber Dr.K ... In der Anamnese des Berichtes vom 13.04.2000 wird zwar ausgeführt, dass der linke Arm seit dem Unfall vom 10.07.1998 beeinträchtigt sei. Jedoch schildert der Versicherte, dass im Januar (gemeint 1999) ein reißender Schmerz in der linken Schulter aufgetreten sei und er seither auch massive Bewegungsschmerzen, insbesondere beim seitlichen Heben des Armes verspüre.

Dies zugrunde gelegt besteht kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der geltend gemachten Schädigung des N. suprascapularis. Allein aus dem von PD Dr.I. genannten Umstand, dass diese Nervenverletzung in der medizinischen Literatur als häufige Nervenverletzung im Rahmen einer Scapularfraktur beschrieben wird, ergibt sich nur die Möglichkeit, aber nicht die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs.

Dies gilt auch hinsichtlich der Verursachung einer Teilläsion der Supraspinatussehne. PD Dr.I. führt an, dass Läsionen der Rotatorenmanschette als Begleitverletzungen einer Scapularfraktur in einschlägigen Lehrbüchern beschrieben sind und der Versicherte Bewegungseinschränkungen aufwies, die typisch für eine Rotatorenmanschettenruptur sind. Ein ursächlicher Zusammenhang ergibt sich jedoch nicht aus der Möglichkeit einer Verletzung. Darüber hinaus weist das SG zutreffend darauf hin, dass sich aufgrund der Kernspintomographie vom 20.07.2000 nur der Verdacht auf eine Teilläsion der Supraspinatussehne ergeben hat und insofern das Vorliegen der Gesundheitsstörung als anspruchsbegründende Tatsache nicht mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen ist.

Nach allem ist das Urteil des SG nicht zu beanstanden und die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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