Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 1 P 22/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 41/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 37/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 7. September 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin nicht erst ab Januar 2004, sondern bereits ab 01.05.2003 Leistungen der Pflegeversicherung (Pflegegeld) und nicht bloß nach Pflegestufe I sondern nach Pflegestufe III zu gewähren hat.
Mit Schreiben vom 27.05.2003 beantragte die Klägerin, ihr Pflegegeld zu gewähren. Mit Schreiben vom 12.09.2003 erklärte ihr Lebensgefährte J., der nicht zum Betreuer bestellt war, er nehme den Pflegegeldantrag zurück.
Mit bei der Beklagten am 27.01.2004 eingegangenem Schreiben ließ die Klägerin erklären, sie halte ihren Pflegegeldantrag von Mai 2003 wieder aufrecht. Die Beklagte ließ durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein Gutachten
nach Hausbesuch am 23.06.2004 erstatten. Im Gutachten vom 26.07.2004 bestätigte der MDK lediglich einen Pflegebedarf von 12 Minuten im Bereich der Grundpflege und 20 Minuten für hauswirtschaftliche Verrichtungen. Dabei wurde von der Diagnose Erblindung des rechten Auges und Depression mit Angstzuständen ausgegangen. Mit Bescheid vom 05.08.2004 lehnte die Beklagte Leistungen der Pflegeversicherung ab. Auch nach Vorlage des Bescheids des Amtes für Versorgung und Familienförderung, in dem ein Grad der Behinderung (GdB)?um 90 attestiert wurde, und nach erneuter Begutachtung durch den MDK nach Aktenlage wies die Beklagte den Widerspruch im Widerspruchsbescheid vom 12.04.2005 zurück. Es sei lediglich eine Hilfe von 12 Minuten pro Tag im Grundpflegebereich erforderlich. Maßgebend sei, dass aus den orthopädischen Befunden keine Geheinschränkung abzuleiten sei.
Dagegen erhob die Klägerin beim Sozialgericht Bayreuth (SG) Klage mit dem Antrag, ihr Pflegegeld nach Stufe III ab Mai 2003 zu gewähren. Das SG fragte bei den behandelnden Ärzten und der von der Klägerin in Anspruch genommenen Krankengymnastikeinrichtung an. Es erhielt die Auskunft, die von Dr.H. verordneten Bewegungsbäder würden im Krankengymnastikinstitut durchgeführt, andere Behandlungen im Rahmen von Hausbesuchen.
Das SG beauftragte den Internisten Dr.G. mit der Erstattung eines Gutachtens zum Umfang der Pflegebedürftigkeit der Klägerin. Der Sachverständige kam im Gutachten vom 22.02.2006 zum Ergebnis, bei der Klägerin bestehe eine hochgradig psychogene Gangstörung bei depressiver Verstimmung. Es handele sich um psychische Störungen von echtem Krankheitswert. Infolge dessen sei die Klägerin bei zahlreichen Verrichtungen im Grundpflegebereich auf fremde Hilfe angewiesen, im Durchschnitt 102 Minuten pro Tag. Für hauswirtschaftliche Versorgung sei Hilfe im Umfang von 60 Minuten notwendig.
Mit Schreiben vom 07.04.2006 erklärte die Beklagte, sie erkenne das Vorliegen der Pflegestufe I rückwirkend ab 01.01.2004 an und gewähre entsprechende Leistungen. Die Klägerin nahm dieses Angebot nicht an und machte geltend, sie müsse nicht nur morgens und abends beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen betreut werden, sondern bei der Vorbereitung des Mittagsschlafs. Hierzu müsse sie vom zweiten in den dritten Stock gebracht und es müsse ihr beim An- und Auskleiden geholfen werden. Für Arzt- und Therapiebesuche sei sie auf Begleitung angewiesen. Dieser Zeitbedarf sei im Rahmen der Verrichtung Aufsuchen und Verlassen der Wohnung anzurechnen. Auch seien Botengänge notwendig. Insgesamt sei der tägliche Hilfebedarf mit 3,34 Stunden anzusetzen. Ein Pflegetagebuch liefere den Beweis hierfür.
Das SG bat Dr.G., zu den Einwendungen der Klägerin Stellung zu nehmen. Am 20.05.2006 führte dieser aus, falls die Klägerin tatsächlich regelmäßig Mittagsschlaf halte, seien insgesamt weitere 13 Minuten und damit für Grundpflege insgesamt 115 Minuten angemessen. Arztbesuche fänden nicht regelmäßig einmal pro Woche, Krankengymnastik teilweise im Hausbesuch statt. Bewegungsbäder seien ihrem Ziel nach zukunftsbezogen und dienten nicht der Behandlung einer Krankheit. Die Richtwerte für Pflegezeiten seien den Begutachtungsrichtlinien entsprechend berücksichtigt worden.
Die Klägerin wandte dagegen ein, der von Dr.G. geschätzte Zeitbedarf bewege sich am unteren Rand der Orientierungswerte und ihre Pflegeperson sei zum tatsächlich notwendigen Hilfeumfang nicht befragt worden. Für Mittagsschlaf seien weitere 22 Minuten an Unterstützung notwendig. Damit ergebe sich schon allein deswegen ein täglicher Hilfebedarf von 137 Minuten und danach Pflegestufe II. Hinzu kämen Begleitungen zum Arzt und zur Krankengymnastik. Die Klägerin legte eine ärztliche Heilmittelverordnung, in der Schmerzlinderung als Ziel angegeben wird, vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.09.2006 verurteilte das SG dem Anerkenntnis der Beklagten entsprechend - nach Anhörung - zur Gewährung von Pflegegeld nach der Stufe I ab Januar 2004. Im Übrigen wies es die Klage ab. Ein Anspruch auf Pflegegeld sei erst ab Januar 2004 begründet, weil der frühere Antrag wirksam zurückgenommen worden sei. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr.G. erreiche der Pflegeaufwand den zeitlichen Rahmen für Pflegestufe I. Nicht anrechenbar seien Unterstützungen im Zusammenhang mit dem Mittagsschlaf, da die Klägerin hier nicht zwangsläufig das Schlafzimmer aufsuchen sowie vollständig an- und auskleidet werden müsse. Die Angaben ihrer Pflegeperson zum Umfang der notwendigen Hilfe seien nicht nachvollziehbar. Arztbesuche seien nicht einmal pro Woche regelmäßig angefallen. Krankengymnastik und Bewegungsbäder seien nicht zur Aufrechterhaltung der häuslichen Existenz notwendig; sie dienten vielmehr rehabilitativen Zwecken. Der vom Amt für Versorgung und Familienförderung festgestellte Grad der Behinderung um 90 lasse für sich genommen keinen Rückschluss auf notwendige Pflegezeiten zu. Die Orientierung am unteren Rand der Orientierungswerte zur Pflegezeitbemessung durch den Sachverständigen sei nicht zu beanstanden. Erschwerende Umstände seien nicht erkennbar. Da bereits der Grundpflegebedarf für Pflegestufe II nicht erreicht werde, komme es auf Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht an. Im Übrigen zähle nur der objektive Pflegebedarf und nicht dessen subjektive Einschätzung.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und im Wesentlichen geltend gemacht, selbst wenn sie den Mittagsschlaf nicht im Schlafzimmer verbringe, benötige sie Hilfe beim An- und Ausziehen. Im Übrigen könne sie einen entspannten Schlaf nur in ihrem Bett finden. Insgesamt müsse für diese Verrichtung noch ein weiterer Hilfebedarf von 22 Minuten pro Tag hinzugerechnet werden. Das Gutachten des Dr.G. sei nicht aussagekräftig. Der Sachverständige habe beim Hausbesuch keine einzige Zeitmessung vorgenommen und ihren Betreuer nicht zu den Pflegezeiten befragt. Die Begleitung zu Arztbesuchen müsse in Ansatz gebracht werden, auch wenn dies nicht wöchentlich anfalle. Es müsse genügen, wenn Arztbesuche quartalsmäßig stattfänden. Begleitung zur Krankengymnastik im Bewegungsbad einschließlich Hilfe beim Be- und Entkleiden seien Pflegeverrichtungen. Wöchentliches Haare waschen sei zu berücksichtigen. Insgesamt werde damit ein Pflegeaufwand der Stufe III bzw. der Stufe II erreicht. Entgegen der Meinung des SG´s seien der Gesamt-GdB von 90 und die zuerkannten Merkzeichen ein Indiz für die Hilfebedürftigkeit. Maßgebend seien auch weniger die Gutachten des MDK, sondern das vorgelegte Pflegetagebuch.
Auf Anregung des Senats legte die Klägerin eine Bescheinigung der Gemeinschaftspraxis Dr.F. und Dr.O. vom 15.06.2007 vor. Darin werden Akupunkturbehandlungen einmal pro Woche, abgesehen von ärztlichen Urlaubszeiten, bestätigt und im Einzelnen mit Datum aufgeführt. Das Physiotherapiezentrum R. belegte die von der Gemeinschaftspraxis Dr.F./Dr.O. verordneten Behandlungen in einer Erklärung vom 03.05.2007. Die Heilmittelverordnungen der Dres.F. und O. mit den jeweiligen Diagnosen und Behandlungszielen wurden vorgelegt.
Der Senat hat die Neurologin und Psychiaterin Dr.A. mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt zur Frage, welchen Zielen die Akupunktur- und Bewegungsbadbehandlungen dienten, ob sie zur Aufrechterhaltung des häuslichen Lebens notwendig waren, ob sie der Krankheitsbehandlung oder rehabilitativen Zielen dienten und ob der Klägerin die Benutzung eines Taxis für Fahrten zu diesen Behandlungen zumutbar war. Im Gutachten vom 25.10.2007 führte die Sachverständige aus, die Akupunktur- und Bewegungsbadbehandlungen hätten nicht der Behandlung von Krankheiten gedient; sie seien hierzu sogar untauglich gewesen. Die Aufrechterhaltung des häuslichen Lebens sei hiervon nicht abhängig gewesen. Es seien auch keine Rehabilitationen angestrebt worden. Der Klägerin sei zwar die selbständige Benützung eines Taxis zumutbar gewesen. Aus psychischen Gründen sei sie hierzu jedoch nicht in der Lage gewesen.
Das Gesuch auf Ablehnung der Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit wies der Senat zurück.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Bayreuth vom 07.09.2006 und Aufhebung des Bescheids vom 05.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.04.2005 zu verurteilen, ihr ab 01.05.2003 Pflegegeld nach der Stufe III zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 07.09.2006 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf höhere bzw. früher beginnende Pflegeleistungen als nach Stufe I ab 01.01.2004 zu. Da der Senat die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurückweist, nimmt er auf die Entscheidungsgründe gemäß § 153
Abs.2 SGG Bezug.
Zur Ergänzung verweist er auf das in seinem Auftrag erstattete Gutachten der Dr.A. vom 25.10.2007. Entgegen der Meinung der Klägerin ist dieses Gutachten verwertbar. Das Gesuch auf Ablehnung der Sachverständigen wurde vom Senat zurückgewiesen. Inhaltliche Mängel kann der Senat nicht feststellen. Die Sachverständige war gehalten, das Krankheitsbild der Klägerin umfassend zu beurteilen. Dies ist schon deshalb erforderlich, weil sich daraus der Umfang der Hilfebedürftigkeit ableiten und plausibel machen lässt. Auch wenn Dr.A. im Ergebnis einen Hilfebedarf der Klägerin bei Wegen außer Haus bejaht, lässt sich ein höherer Hilfebedarf als von Dr.G. festgestellt, nicht begründen. Überzeugend führt die Sachverständige aus, dass eine Akupunkturbehandlung beim Krankheitsbild der Klägerin medizinisch nicht angezeigt war, wenngleich die behandelnden Ärzte dies in ihrer Heilmittelverordnung bejahten. Es stellt zwar einen gewissen Widerspruch dar, wenn der verordnende Arzt die Notwendigkeit einer bestimmten Behandlung bejaht und der rückblickend beurteilende Sachverständige zu einem davon abweichenden Ergebnis kommt. Jedoch ist für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit und des Umfangs der Hilfe allein entscheidend, welche Maßnahmen und Verrichtungen objektiv notwendig sind bzw. waren, um das Verbleiben im häuslichen Umfeld zu ermöglichen. Insoweit ist eine retrospektive Beurteilung zulässig. Darüber hinaus ist festzustellen, dass Akupunktur und die weiteren Behandlungen bei Dres.F. und O. nicht regelmäßig einmal pro Woche stattfanden. Vielmehr sind hier beginnend mit dem 02.06.2004 Wochen vorhanden, die mit keinem Arztbesuch belegt sind. Nach Angaben der Praxis handele es sich hierbei zwar um urlaubsbedingte Schließung der Praxis, jedoch beweist dies lediglich, dass eine Behandlung regelmäßig einmal pro Woche offenbar nicht notwendig war. Andernfalls hätte die Behandlung in einer Vertretungspraxis erfolgen müssen.
Der Senat folgt dem Gutachten von Dr.A. auch insoweit, als Bewegungsbäder nicht der Aufrechterhaltung des Lebens im häuslichen Bereich dienten. Eine solche Zielsetzung wäre nur dann zu bejahen, wenn sie zur Behandlung einer Erkrankung oder zur Linderung von Schmerzen notwendig gewesen wäre. Da die Bewegungsstörungen nach dem derzeitigen Erkenntnisstand im Wesentlichen auf der psychischen Störung der Klägerin beruhen, war eine physiotherapeutische Behandlung - so Dr. A. - durch Bewegungsbäder nicht angezeigt.
Soweit die Klägerin geltend macht, weitere Hilfe sei im Zusammenhang mit ihrem Mittagsschlaf erforderlich, folgt der Senat der Auffassung des Dr.G ... Demnach sind lediglich 13 Minuten für Hilfe beim An- und Ausziehen und Begleitung zu Bett erforderlich. Die von der Klägerin behaupteten zusätzlichen 22 Minuten an Hilfe sind nicht nachvollziehbar. Es kommt nicht darauf an, welche Zeit die betreffende Pflegeperson im konkreten Fall benötigt, sondern welche Zeit eine Pflegekraft, die nicht beruflich vorgebildet ist, durchschnittlich benötigt. Die Beurteilung des Dr.G. erscheint dem Senat insoweit überzeugend. Für das Haare waschen fällt nur einmal pro Woche Hilfe an. Die Zeit hierfür ist auf sieben Tage aufzuteilen. Selbst wenn man dem von Dr.G. für plausibel gehaltenen Hilfebedarf von 115 Minuten noch Unterstützung beim Haare waschen von anteilig 2 Minuten pro Tag hinzurechnen wollte, würde die Zeitvorgabe für Pflegestufe II mit 120 Minuten nicht erreicht.
Insgesamt kommt der Senat zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für Leistungen nach Stufe II oder Stufe III nicht erfüllt sind. Damit bleibt es bei der vom Sozialgericht zugesprochenen Leistung. Ein darüber hinausgehender Anspruch der Klägerin lässt sich nicht begründen.
Ihre Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin nicht erst ab Januar 2004, sondern bereits ab 01.05.2003 Leistungen der Pflegeversicherung (Pflegegeld) und nicht bloß nach Pflegestufe I sondern nach Pflegestufe III zu gewähren hat.
Mit Schreiben vom 27.05.2003 beantragte die Klägerin, ihr Pflegegeld zu gewähren. Mit Schreiben vom 12.09.2003 erklärte ihr Lebensgefährte J., der nicht zum Betreuer bestellt war, er nehme den Pflegegeldantrag zurück.
Mit bei der Beklagten am 27.01.2004 eingegangenem Schreiben ließ die Klägerin erklären, sie halte ihren Pflegegeldantrag von Mai 2003 wieder aufrecht. Die Beklagte ließ durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein Gutachten
nach Hausbesuch am 23.06.2004 erstatten. Im Gutachten vom 26.07.2004 bestätigte der MDK lediglich einen Pflegebedarf von 12 Minuten im Bereich der Grundpflege und 20 Minuten für hauswirtschaftliche Verrichtungen. Dabei wurde von der Diagnose Erblindung des rechten Auges und Depression mit Angstzuständen ausgegangen. Mit Bescheid vom 05.08.2004 lehnte die Beklagte Leistungen der Pflegeversicherung ab. Auch nach Vorlage des Bescheids des Amtes für Versorgung und Familienförderung, in dem ein Grad der Behinderung (GdB)?um 90 attestiert wurde, und nach erneuter Begutachtung durch den MDK nach Aktenlage wies die Beklagte den Widerspruch im Widerspruchsbescheid vom 12.04.2005 zurück. Es sei lediglich eine Hilfe von 12 Minuten pro Tag im Grundpflegebereich erforderlich. Maßgebend sei, dass aus den orthopädischen Befunden keine Geheinschränkung abzuleiten sei.
Dagegen erhob die Klägerin beim Sozialgericht Bayreuth (SG) Klage mit dem Antrag, ihr Pflegegeld nach Stufe III ab Mai 2003 zu gewähren. Das SG fragte bei den behandelnden Ärzten und der von der Klägerin in Anspruch genommenen Krankengymnastikeinrichtung an. Es erhielt die Auskunft, die von Dr.H. verordneten Bewegungsbäder würden im Krankengymnastikinstitut durchgeführt, andere Behandlungen im Rahmen von Hausbesuchen.
Das SG beauftragte den Internisten Dr.G. mit der Erstattung eines Gutachtens zum Umfang der Pflegebedürftigkeit der Klägerin. Der Sachverständige kam im Gutachten vom 22.02.2006 zum Ergebnis, bei der Klägerin bestehe eine hochgradig psychogene Gangstörung bei depressiver Verstimmung. Es handele sich um psychische Störungen von echtem Krankheitswert. Infolge dessen sei die Klägerin bei zahlreichen Verrichtungen im Grundpflegebereich auf fremde Hilfe angewiesen, im Durchschnitt 102 Minuten pro Tag. Für hauswirtschaftliche Versorgung sei Hilfe im Umfang von 60 Minuten notwendig.
Mit Schreiben vom 07.04.2006 erklärte die Beklagte, sie erkenne das Vorliegen der Pflegestufe I rückwirkend ab 01.01.2004 an und gewähre entsprechende Leistungen. Die Klägerin nahm dieses Angebot nicht an und machte geltend, sie müsse nicht nur morgens und abends beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen betreut werden, sondern bei der Vorbereitung des Mittagsschlafs. Hierzu müsse sie vom zweiten in den dritten Stock gebracht und es müsse ihr beim An- und Auskleiden geholfen werden. Für Arzt- und Therapiebesuche sei sie auf Begleitung angewiesen. Dieser Zeitbedarf sei im Rahmen der Verrichtung Aufsuchen und Verlassen der Wohnung anzurechnen. Auch seien Botengänge notwendig. Insgesamt sei der tägliche Hilfebedarf mit 3,34 Stunden anzusetzen. Ein Pflegetagebuch liefere den Beweis hierfür.
Das SG bat Dr.G., zu den Einwendungen der Klägerin Stellung zu nehmen. Am 20.05.2006 führte dieser aus, falls die Klägerin tatsächlich regelmäßig Mittagsschlaf halte, seien insgesamt weitere 13 Minuten und damit für Grundpflege insgesamt 115 Minuten angemessen. Arztbesuche fänden nicht regelmäßig einmal pro Woche, Krankengymnastik teilweise im Hausbesuch statt. Bewegungsbäder seien ihrem Ziel nach zukunftsbezogen und dienten nicht der Behandlung einer Krankheit. Die Richtwerte für Pflegezeiten seien den Begutachtungsrichtlinien entsprechend berücksichtigt worden.
Die Klägerin wandte dagegen ein, der von Dr.G. geschätzte Zeitbedarf bewege sich am unteren Rand der Orientierungswerte und ihre Pflegeperson sei zum tatsächlich notwendigen Hilfeumfang nicht befragt worden. Für Mittagsschlaf seien weitere 22 Minuten an Unterstützung notwendig. Damit ergebe sich schon allein deswegen ein täglicher Hilfebedarf von 137 Minuten und danach Pflegestufe II. Hinzu kämen Begleitungen zum Arzt und zur Krankengymnastik. Die Klägerin legte eine ärztliche Heilmittelverordnung, in der Schmerzlinderung als Ziel angegeben wird, vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.09.2006 verurteilte das SG dem Anerkenntnis der Beklagten entsprechend - nach Anhörung - zur Gewährung von Pflegegeld nach der Stufe I ab Januar 2004. Im Übrigen wies es die Klage ab. Ein Anspruch auf Pflegegeld sei erst ab Januar 2004 begründet, weil der frühere Antrag wirksam zurückgenommen worden sei. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr.G. erreiche der Pflegeaufwand den zeitlichen Rahmen für Pflegestufe I. Nicht anrechenbar seien Unterstützungen im Zusammenhang mit dem Mittagsschlaf, da die Klägerin hier nicht zwangsläufig das Schlafzimmer aufsuchen sowie vollständig an- und auskleidet werden müsse. Die Angaben ihrer Pflegeperson zum Umfang der notwendigen Hilfe seien nicht nachvollziehbar. Arztbesuche seien nicht einmal pro Woche regelmäßig angefallen. Krankengymnastik und Bewegungsbäder seien nicht zur Aufrechterhaltung der häuslichen Existenz notwendig; sie dienten vielmehr rehabilitativen Zwecken. Der vom Amt für Versorgung und Familienförderung festgestellte Grad der Behinderung um 90 lasse für sich genommen keinen Rückschluss auf notwendige Pflegezeiten zu. Die Orientierung am unteren Rand der Orientierungswerte zur Pflegezeitbemessung durch den Sachverständigen sei nicht zu beanstanden. Erschwerende Umstände seien nicht erkennbar. Da bereits der Grundpflegebedarf für Pflegestufe II nicht erreicht werde, komme es auf Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht an. Im Übrigen zähle nur der objektive Pflegebedarf und nicht dessen subjektive Einschätzung.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und im Wesentlichen geltend gemacht, selbst wenn sie den Mittagsschlaf nicht im Schlafzimmer verbringe, benötige sie Hilfe beim An- und Ausziehen. Im Übrigen könne sie einen entspannten Schlaf nur in ihrem Bett finden. Insgesamt müsse für diese Verrichtung noch ein weiterer Hilfebedarf von 22 Minuten pro Tag hinzugerechnet werden. Das Gutachten des Dr.G. sei nicht aussagekräftig. Der Sachverständige habe beim Hausbesuch keine einzige Zeitmessung vorgenommen und ihren Betreuer nicht zu den Pflegezeiten befragt. Die Begleitung zu Arztbesuchen müsse in Ansatz gebracht werden, auch wenn dies nicht wöchentlich anfalle. Es müsse genügen, wenn Arztbesuche quartalsmäßig stattfänden. Begleitung zur Krankengymnastik im Bewegungsbad einschließlich Hilfe beim Be- und Entkleiden seien Pflegeverrichtungen. Wöchentliches Haare waschen sei zu berücksichtigen. Insgesamt werde damit ein Pflegeaufwand der Stufe III bzw. der Stufe II erreicht. Entgegen der Meinung des SG´s seien der Gesamt-GdB von 90 und die zuerkannten Merkzeichen ein Indiz für die Hilfebedürftigkeit. Maßgebend seien auch weniger die Gutachten des MDK, sondern das vorgelegte Pflegetagebuch.
Auf Anregung des Senats legte die Klägerin eine Bescheinigung der Gemeinschaftspraxis Dr.F. und Dr.O. vom 15.06.2007 vor. Darin werden Akupunkturbehandlungen einmal pro Woche, abgesehen von ärztlichen Urlaubszeiten, bestätigt und im Einzelnen mit Datum aufgeführt. Das Physiotherapiezentrum R. belegte die von der Gemeinschaftspraxis Dr.F./Dr.O. verordneten Behandlungen in einer Erklärung vom 03.05.2007. Die Heilmittelverordnungen der Dres.F. und O. mit den jeweiligen Diagnosen und Behandlungszielen wurden vorgelegt.
Der Senat hat die Neurologin und Psychiaterin Dr.A. mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt zur Frage, welchen Zielen die Akupunktur- und Bewegungsbadbehandlungen dienten, ob sie zur Aufrechterhaltung des häuslichen Lebens notwendig waren, ob sie der Krankheitsbehandlung oder rehabilitativen Zielen dienten und ob der Klägerin die Benutzung eines Taxis für Fahrten zu diesen Behandlungen zumutbar war. Im Gutachten vom 25.10.2007 führte die Sachverständige aus, die Akupunktur- und Bewegungsbadbehandlungen hätten nicht der Behandlung von Krankheiten gedient; sie seien hierzu sogar untauglich gewesen. Die Aufrechterhaltung des häuslichen Lebens sei hiervon nicht abhängig gewesen. Es seien auch keine Rehabilitationen angestrebt worden. Der Klägerin sei zwar die selbständige Benützung eines Taxis zumutbar gewesen. Aus psychischen Gründen sei sie hierzu jedoch nicht in der Lage gewesen.
Das Gesuch auf Ablehnung der Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit wies der Senat zurück.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Bayreuth vom 07.09.2006 und Aufhebung des Bescheids vom 05.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.04.2005 zu verurteilen, ihr ab 01.05.2003 Pflegegeld nach der Stufe III zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 07.09.2006 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf höhere bzw. früher beginnende Pflegeleistungen als nach Stufe I ab 01.01.2004 zu. Da der Senat die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurückweist, nimmt er auf die Entscheidungsgründe gemäß § 153
Abs.2 SGG Bezug.
Zur Ergänzung verweist er auf das in seinem Auftrag erstattete Gutachten der Dr.A. vom 25.10.2007. Entgegen der Meinung der Klägerin ist dieses Gutachten verwertbar. Das Gesuch auf Ablehnung der Sachverständigen wurde vom Senat zurückgewiesen. Inhaltliche Mängel kann der Senat nicht feststellen. Die Sachverständige war gehalten, das Krankheitsbild der Klägerin umfassend zu beurteilen. Dies ist schon deshalb erforderlich, weil sich daraus der Umfang der Hilfebedürftigkeit ableiten und plausibel machen lässt. Auch wenn Dr.A. im Ergebnis einen Hilfebedarf der Klägerin bei Wegen außer Haus bejaht, lässt sich ein höherer Hilfebedarf als von Dr.G. festgestellt, nicht begründen. Überzeugend führt die Sachverständige aus, dass eine Akupunkturbehandlung beim Krankheitsbild der Klägerin medizinisch nicht angezeigt war, wenngleich die behandelnden Ärzte dies in ihrer Heilmittelverordnung bejahten. Es stellt zwar einen gewissen Widerspruch dar, wenn der verordnende Arzt die Notwendigkeit einer bestimmten Behandlung bejaht und der rückblickend beurteilende Sachverständige zu einem davon abweichenden Ergebnis kommt. Jedoch ist für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit und des Umfangs der Hilfe allein entscheidend, welche Maßnahmen und Verrichtungen objektiv notwendig sind bzw. waren, um das Verbleiben im häuslichen Umfeld zu ermöglichen. Insoweit ist eine retrospektive Beurteilung zulässig. Darüber hinaus ist festzustellen, dass Akupunktur und die weiteren Behandlungen bei Dres.F. und O. nicht regelmäßig einmal pro Woche stattfanden. Vielmehr sind hier beginnend mit dem 02.06.2004 Wochen vorhanden, die mit keinem Arztbesuch belegt sind. Nach Angaben der Praxis handele es sich hierbei zwar um urlaubsbedingte Schließung der Praxis, jedoch beweist dies lediglich, dass eine Behandlung regelmäßig einmal pro Woche offenbar nicht notwendig war. Andernfalls hätte die Behandlung in einer Vertretungspraxis erfolgen müssen.
Der Senat folgt dem Gutachten von Dr.A. auch insoweit, als Bewegungsbäder nicht der Aufrechterhaltung des Lebens im häuslichen Bereich dienten. Eine solche Zielsetzung wäre nur dann zu bejahen, wenn sie zur Behandlung einer Erkrankung oder zur Linderung von Schmerzen notwendig gewesen wäre. Da die Bewegungsstörungen nach dem derzeitigen Erkenntnisstand im Wesentlichen auf der psychischen Störung der Klägerin beruhen, war eine physiotherapeutische Behandlung - so Dr. A. - durch Bewegungsbäder nicht angezeigt.
Soweit die Klägerin geltend macht, weitere Hilfe sei im Zusammenhang mit ihrem Mittagsschlaf erforderlich, folgt der Senat der Auffassung des Dr.G ... Demnach sind lediglich 13 Minuten für Hilfe beim An- und Ausziehen und Begleitung zu Bett erforderlich. Die von der Klägerin behaupteten zusätzlichen 22 Minuten an Hilfe sind nicht nachvollziehbar. Es kommt nicht darauf an, welche Zeit die betreffende Pflegeperson im konkreten Fall benötigt, sondern welche Zeit eine Pflegekraft, die nicht beruflich vorgebildet ist, durchschnittlich benötigt. Die Beurteilung des Dr.G. erscheint dem Senat insoweit überzeugend. Für das Haare waschen fällt nur einmal pro Woche Hilfe an. Die Zeit hierfür ist auf sieben Tage aufzuteilen. Selbst wenn man dem von Dr.G. für plausibel gehaltenen Hilfebedarf von 115 Minuten noch Unterstützung beim Haare waschen von anteilig 2 Minuten pro Tag hinzurechnen wollte, würde die Zeitvorgabe für Pflegestufe II mit 120 Minuten nicht erreicht.
Insgesamt kommt der Senat zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für Leistungen nach Stufe II oder Stufe III nicht erfüllt sind. Damit bleibt es bei der vom Sozialgericht zugesprochenen Leistung. Ein darüber hinausgehender Anspruch der Klägerin lässt sich nicht begründen.
Ihre Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved