L 10 AL 350/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AL 277/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 350/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 16.10.2007 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitgegenstand ist die Bewilligung von Arbeitslosengeld ohne die Berücksichtigung von Nebeneinkünften.

Der 1972 geborene Kläger meldete sich am 06.11.2006 arbeitslos, woraufhin die Beklagte ihm Leistungen für die Zeit vom 06.11.2006 bis 05.07.2007 in Höhe von 23,17 EUR täglich bewilligte (Bescheid vom 21.11.2006). Nach der Vorlage von Bescheinigungen des Café V. über Nebeneinkommen in Höhe von 380,00 EUR brutto stellte die Beklagte die Leistung vom 01.12. bis 05.07.2007 neu fest, rechnete das Nebeneinkommen in Höhe von täglich 7,17 EUR auf das Alg an und rechnete mit den laufenden Leistungen auf (Bescheide vom 30.01.2007 und 26.02.2007). Der Widerspruch des Klägers hiergegen vom 30.01.2007 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2007 zurückgewiesen. Eine Klage hiergegen ist nicht anhängig.

Am 11.04.2007 erließ die Beklagte für die Zeit ab 06.11.2006 einen Änderungsbescheid, worin sie die Berechnungen und Aufrechnung wiederholte und für die Zeit vom 01.04. bis 11.04.2007 16,00 EUR einbehielt. Den Widerspruch hiergegen vom 1.05.2007 wies sie am 01.08.2007 unter Bezugnahme auf den Bescheidwortlaut zurück, nachdem der Widerspruch nicht begründet worden war. Laut Empfangsbekenntnis ist der Widerspruchsbescheid beim Klägerbevollmächtigten am 02.08.2007 eingegangen.

Am Dienstag, dem 04.09.2007 ist beim Sozialgericht Würzburg ein Telefax des Bevollmächtigten eingegangen, worin dieser mitgeteilt hat, er habe nachfolgende Klage, adressiert an das Sozialgericht "einzureichen über die Stadt A." am 03.09.2007 um 17.47 Uhr in den Briefkasten bei der Stadt A. eingeworfen. Tatsächlich habe der Kläger in dem Café V. Nebeneinkünfte unterhalb des Freibetrags erzielt und seit 01.06.2007 sei er nicht mehr bei Frau M. beschäftigt.

Der Beendigung der Tätigkeit hat die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 04.07.2007 Rechnung getragen und die Differenz von 7,17 EUR täglich nachgezahlt. Anlass für weitere Änderungen hat die Beklagte nicht gesehen, nachdem Nachweise für Einkommen unterhalb der bescheinigten Beträge nicht vorgelegt worden seien. Im Übrigen sei die Verfristung der Klage zu prüfen.

Am 05.09.2007 ist beim SG das Original der Klageschrift vom 03.09.2005 eingegangen, worin gleichzeitig Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt worden ist. Auf den Hinweis der Verfristung hat der Klägerbevollmächtigte geltend gemacht, es sei amtsbekannt, dass die Stadt A. keinen Fristkasten unterhalte. Falschbeurkundungen könnten nicht zu Lasten des Klägers gehen. Für den Briefeinwurf werde Beweis angeboten.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16.10.2007 abgewiesen. Der Eingang der Klageschrift bei der Stadt A. sei nicht dokumentiert, da weder das Telefax vom 04.09.2007 noch das Original der Klageschrift einen entsprechenden Eingangsvermerk der Stadt A. trage. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung sei nicht gestellt und Wiedereinsetzungsgründe seien nicht ersichtlich. Dem Klägerbevollmächtigten sei das Fehlen des Fristkastens bei der Stadt A. bekannt gewesen und er hätte rechtzeitig Klage erheben können.

Gegen den am 22.10.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22.11.2007 Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 16.10.2007 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 11.04.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2007 zu verurteilen, Arbeitslosengeld ohne Berücksichtigung der Nebeneinkünfte zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Stadt A. sei nicht verpflichtet, einen sog. Fristkasten zu unterhalten, wie er für ein Gericht z.B. angebracht sei. Soweit ein Rechtskundiger eine Klage bei einer unzuständigen Behörde einreiche, müsse er gegebenenfalls das Risiko eines Fristversäumnisses in Kauf nehmen.

Gegen den Beschluss des SG C-Stadt vom 17.10.2007 über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten wegen Verfristung hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Diese hat der Senat mit Beschluss vom 19.03.2008 zurückgewiesen. Ein Eingang der Klageschrift bis zum Fristende am 03.09.2007 sei nicht dokumentiert und Wiedereinsetzungsgründe seien nicht ersichtlich.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakte, der Akte des Sozialgerichts Würzburg sowie der Berufungs- und Beschwerdeakte Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 11.04.2007 sowie der Änderungsbescheid vom 04.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2007. Strittig ist sonach die Höhe des Arbeitslosengeldes vom 06.11.2006 bis 05.07.2007. Dies gilt auch in Anbetracht der Bestandskraft der für denselben Zeitraum ergangenen Bescheide vom 30.01.2007 und 26.02.2007, die durch den angegriffenen Bescheid für die Zeit vom 01.04 bis 11.04.2007 nur geringfügig abgeändert worden sind. Maßgeblich ist, dass die Beklagte für den gesamten Zeitraum ab 20.11.2006 eine "Neufeststellung" getroffen, also eine neuerliche Sachentscheidung getroffen hat, die angreifbar ist.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 16.10.2007 ist nicht zu beanstanden. Dem Gericht war eine inhaltliche Kontrolle der angegriffenen Bescheide verwehrt, weil die Klage zu spät erhoben worden ist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.

Gemäß § 87 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Hat ein Vorverfahren - wie vorliegend - stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides (§ 87 Abs 2 SGG). Zutreffend hat das Sozialgericht festgestellt, dass die einmonatige Klagefrist mit dem Tag nach der Zustellung am 03.08.2007 (§ 64 Abs 1 SGG) begonnen und am Montag, den 03.09.2007, gemäß § 64 Abs 2 SGG geendet hat. Die Klage ist jedoch erst am 04.09.2007 beim Sozialgericht per Fax eingegangen. Das Original der Klageschrift ist erst am 05.09.2007 eingegangen.

Die Frist für die Erhebung der Klage gilt auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Frist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder einer deutschen Konsularbehörde oder, soweit es sich um die Versicherung von Seeleuten handelt, auch bei einem deutschen Seemannsamt im Ausland eingegangen ist (§ 91 Abs 1 SGG). Die Klageschrift ist unverzüglich an das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit abzugeben (§ 91 Abs 2 SGG). Zwar kann nach der Erklärung des Klägerbevollmächtigten davon ausgegangen werden, dass die Klageschrift am 03.09.2007, also innerhalb der Frist, um 17.47 Uhr in einem verschlossenen Umschlag in den Briefkasten der Stadt A. eingeworfen worden ist. Die Stadt A. sah sich jedoch offensichtlich infolge der Adressierung des Briefs gehindert, diesen zu öffnen und hat ihn an das Sozialgericht weitergeleitet. Anders ist nicht erklärbar, dass die Klageschrift keinen Eingangsvermerk der Stadt trägt. Zur Fristwahrung genügt es aber nicht, dass die Klageschrift in einem an das Sozialgericht gerichteten und verschlossenen Umschlag innerhalb der Klagefrist in den Briefkasten einer Behörde eingeworfen wird, wenn der in den Briefkasten der Behörde erst nach Dienstschluss eingeworfene Brief am folgenden Tag, an dem die Klagefrist bereits abgelaufen war, ungeöffnet an das Sozialgericht weitergeleitet wird (BSG, Beschluss vom 08.05.1990 - 2 BU 14/90; Berchtold in Hennig, SGG, § 91 Rdnr 14 mwN). Eine Klageschrift kann nur "eingegangen" und unverzüglich weiterzuleiten sein, wenn sie als solche der Behörde erkennbar ist. Dies war innerhalb der Klagefrist am 03.09.2007 nicht der Fall.

Der vom Klägerbevollmächtigten zur Klagebegründung übersandte Beschluss des Sozialgerichts Würzburg (S 15 AS 602/06) besitzt schon deshalb für die Entscheidung keine Relevanz, weil in jenem Fall die Klage einen Eingangsstempel der Stadt A. trug.

Zutreffend hat das Sozialgericht auch Wiedereinsetzungsgründe verneint. Gemäß § 67 Abs 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Dabei steht das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden des Beteiligten gleich (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl, § 67 Rdnr 3e mwN). Der Klägerbevollmächtigte und damit der Kläger waren jedoch nicht ohne Verschulden verhindert, die Klagefrist einzuhalten.

Die Klageschrift ist am letzten Tag vor Ablauf der Klagefrist erstellt worden. Zu diesem Zeitpunkt erhöht sich die Sorgfaltspflicht dessen, der eine Frist zu wahren hat (Keller aaO § 67 Rdnr 9n). Ein pflichtbewusster Rechtsanwalt meidet kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist jedes Risiko, das zu einer Fristversäumung führen oder beitragen kann (BGH, Beschluss vom 09.05.2006, XI ZB 45/04, NJW 2006, 2637f). Wenn der Bevollmächtigte die Klageschrift dennoch an das Sozialgericht Würzburg adressierte und um 17.47 Uhr in den Briefkasten der Stadt A. warf, von dem er wusste, dass dieser keinen Friststempel beinhaltete, verstieß er damit gegen seine Sorgfaltspflichten. Wegen der Art der Adressierung war unklar, ob die Stadt A. den Umschlag überhaupt öffnen würde, was - wie oben dargestellt - unerlässlich war, um einen Eingang dokumentieren zu können. Damit war die Rechtslage aber zweifelhaft. In einem solchen Fall muss der Anwalt den sichersten Weg zur Fristwahrung wählen (BGH NJW RR 00, 1665). Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass der Klägerbevollmächtigte nicht gehindert gewesen wäre, die Klage rechtzeitig per Telefax zu erheben. Wie es festgestellt hat, war das Telefaxempfangsgerät des SG C-Stadt am 03.09.2007 voll funktionsfähig.

Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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