Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 R 551/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 B 659/08 R
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 8. Juli 2008 aufgehoben.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob der zwischen den Beteiligten am 10. April 2008 vor dem Sozialgericht Augsburg (SG) geschlossene Vergleich zu berichtigen war.
Mit der beim SG am 27. August 2007 erhobenen Klage wandte sich die Beschwerdeführerin (BF) gegen den Rentenbescheid des Beschwerdegegners (BG) vom 15. Dezember 2006 (Widerspruchsbescheid vom 9. August 2007), mit dem Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum ab 1. Januar 2002 in Höhe von 2.723,27 EUR zurückgefordert wurden. Die Bf begehrte, den Bescheid aufzuheben, soweit Beitragsanteile für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2003 zurückgefordert wurden. Im Zuge der mündlichen Verhandlung am 10. April 2008 regte der damals zuständige Vorsitzende der Kammer eine Beendigung des Rechtsstreits auf der Grundlage einer mit Wirkung ab
1. Januar 2003 geltend gemachten Nachforderung der Beiträge an. Die Beteiligten schlossen daraufhin folgenden Vergleich:
"1. In Abänderung des Bescheides vom 15. Dezember 2006 und des Widerspruchsbe-
scheides vom 9. August 2007 sind sich die Beteiligten darüber einig, dass die Klägerin
an die Beklagte einen Betrag von 1.764,11 EUR zu zahlen hat.
2. Die Klägerin wird den Betrag der Beklagten auf das im Anhörungsschreiben vom
13. Dezember 2006 genannte Konto bis spätestens 30. April 2008 in einer Summe
überweisen.
3. Die Beklagte übernimmt auf der Grundlage der Mittelgebühr die außergerichtlichen
Kosten des Klageverfahrens der Klägerin.
4. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit Abschluss dieses Vergleichs der
Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist."
Der Vergleich wurde vorgelesen und von den Beteiligten genehmigt.
Am 9. Mai 2008 beantragte die BG Berichtigung dieses Vergleichs. Die Beteiligten hätten einen Vergleich dahingehend schließen wollen, dass die Klage insoweit begründet gewesen sei, als von der BG nicht schon ab 1. Januar 2002, sondern ab 1. Januar 2003 die von ihr geschuldeten Beiträge nachgefordert werden dürften. Die BF habe im Schriftsatz vom 4. Dezember 2007 das Klagebegehren insoweit eingeschränkt. Es sei in der mündlichen Verhandlung ein Rechen- bzw. Übertragungsfehler unterlaufen und für das Jahr 2002 zu Gunsten der BF ein Abzug von 959,16 EUR vorgenommen worden. In dieser Summe seien versehentlich auch 503,16 EUR Anteile aus den Zuschüssen zur Krankenversicherung für 2002 enthalten, deren Erstattung die BG von der BF nie gefordert habe und die daher auch nicht Gegenstand des Vergleichs hätten sein können. Tatsächlich hätte der Abzug zu Gunsten der BF 456,00 EUR betragen müssen. Die von der BF aufgrund des vom Gericht vorgeschlagenen Vergleichs zu erstattende Summe hätte mithin nicht 1.764,11 EUR, sondern 2.267,27 EUR ausgemacht. Die BF erklärte sich mit einer Berichtigung des Vergleichs nicht einverstanden. Es liege insbesondere kein Rechenfehler vor, den das SG berichtigen könne. Der Vergleich sei vom BG in Kenntnis sämtlicher Umstände des Falles und des genauen Rückzahlungsbetrages geschlossen worden.
Das SG entschied durch Beschluss vom 8. Juli 2008, gestützt auf § 138 Sozialgerichtsgesetz (SGG), der Vergleich vom 10. April 2008 sei in Ziffer 1 dahingehend zu berichtigen, dass die BF an den BG einen Betrag von 2.267,27 EUR zu zahlen habe. Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil seien jederzeit von Amts wegen zu berichtigen. Eine Berichtigung sei nicht nur bei Urteilen, sondern auch bei Prozessvergleichen möglich. Der am 10. April 2008 geschlossene Vergleich sei offenbar unrichtig. Es sei zu klären gewesen, ob ein Rückforderungsanspruch bezüglich der überzahlten Rente bereits ab dem 1. Januar 2002 oder ab dem 1. Januar 2003 gegeben sei. Aufgrund der Auskünfte der BF sowie der Hinweise des Vorsitzenden der Kammer seien sich die Beteiligten im Ergebnis darüber einig gewesen, dass eine Rückzahlungsverpflichtung erst ab dem 1. Januar 2003 greife. Bei der Berechnung des exakten Rückzahlungsbetrages sei es dann zu einem Rechenfehler gekommen, da unbeabsichtigt Zuschüsse zur Krankenversicherung für das Jahr 2002 mit in die Berechnung eingeflossen seien. Dadurch sei statt eines Betrages von 2.267,27 EUR lediglich ein Betrag von
1.764,11 EUR errechnet worden. Dieser Rechenfehler sei daher im Sinne einer Klarstellung zu korrigieren gewesen. Der Beschluss wurde der BF am 17. Juli 2008 zugestellt. Die Entscheidung erging durch die neue Vorsitzende der zuständigen Kammer des SG.
Gegen diesen Beschluss hat die BF beim SG am 25. Juli 2008 Beschwerde eingelegt und auf die bisherigen Ausführungen Bezug genommen. Das SG hat die Beschwerde am
1. August 2008 dem Bayerischen Landessozialgericht vorgelegt.
Die BF beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 8. Juli 2008 aufzuheben.
Die BG beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hat sich im Beschwerdeverfahren inhaltlich nicht mehr geäußert. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Der Senat hat die Akten der BG und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Beschwerdeakte Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 SGG) und auch begründet.
Die Zulässigkeit der Beschwerde folgt aus der analogen Anwendung des § 138 SGG iVm § 172 SGG. Nach § 138 Satz 1 SGG sind Schreibfehler oder Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil zu berichtigen. Der Vorsitzende entscheidet hierüber gemäß § 138 Satz 2 SGG durch Beschluss. Die Berichtigung eines Urteils ist nach § 172 SGG mit der Beschwerde anfechtbar (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl.,
§ 172 Rdnr. 3, § 138 Rdnr. 5). Mit Blick auf den Regelungszwecks des § 138 SGG ist diese Vorschrift auf einen gerichtlichen Vergleich anzuwenden, der ein dem Urteil gleichwertiger Vollstreckungstitel ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Wenn aber die Berichtigung eines Prozessvergleichs analog § 138 SGG statthaft ist (so auch Meyer-Ladewig/Keller/
Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 138 Rdnr. 2 mwN.), muss folglich auch die Möglichkeit der Überprüfung des Berichtigungsbeschlusses in einem Beschwerdeverfahren eröffnet sein. Darüber hinaus ist die Beschwerde statthaft, wenn wie hier mit Blick auf die Vorschrift des § 122 SGG iVm § 164 Zivilprozessordnung - ZPO -, die bei einer Berichtigung einer Niederschrift zu beachten sind, ein wesentlicher Verfahrensfehler vorliegt (Meyer-Ladewig/
Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 122 Rdnr. 9 mwN).
Die Berichtigungsvoraussetzungen des § 138 SGG liegen hier nicht vor. Der Prozessvergleich vom 10. April 2008 beinhaltet keinen Schreibfehler, Rechenfehler und keine ähnliche offenbare Unrichtigkeit, die berichtigt werden könnten.
Der am 10. April 2008 geschlossene Vergleich war nicht unrichtig im Sinne des § 138 Satz 1 SGG. Damit führte erst der angefochtene Beschluss des SG zur Unrichtigkeit des Vergleichs. Der im angefochtenen Beschluss zu Grunde gelegte Betrag von
2.267,27 EUR war nicht Gegenstand des geschlossenen Vergleichs, denn er wurde nicht zu Protokoll diktiert und nicht vorgelesen oder genehmigt. Dementsprechend fehlt es an einem übereinstimmenden Vergleichswillen der Beteiligten hinsichtlich einer Rückforderungssumme von 2.267,27 EUR.
Der angefochtene Beschluss hält sich nicht an den prozessrechtlich zulässigen Rahmen des SGG. Ist ein Prozessvergleich so gefasst, wie ihn die Beteiligten nach Vorlesung durch den Vorsitzenden genehmigt haben, kann dieser, auch wenn einem Beteiligten bei dem vereinbarten Betrag ein Rechenfehler unterlaufen ist, nicht wegen offenbarer Unrichtigkeit berichtigt werden. Sofern ein richtig beurkundeter gerichtlicher Vergleich auf einer unzutreffenden Grundlage wie einem Rechenfehler beruht, bietet deshalb § 138 Satz 1 SGG (§ 319 Abs. 1 ZPO) keine prozessual zulässige Berichtigungsmöglichkeit (Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 6. Oktober 2004, Az.: Vf.33-VI-03; Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 13. Mai 1985, Az.: 3 W 12/85; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 319 Rdnr. 3; Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl., § 165 Rndr. 2).
Als Unrichtigkeit im Sinne des § 138 Satz 1 SGG sind nicht Mängel des Wollens infolge Irrtums über die tatsächlichen oder rechtlichen Grundlagen des Prozessvergleichs zu verstehen. Deshalb kann ein materiell-rechtlicher unrichtiger Prozessvergleich auf der Grundlage des § 138 Satz 1 SGG auch dann nicht beseitigt werden, wenn eine Unrichtigkeit offenbar ist (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Breith. 1956, 1255; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Breith. 1967, 1067). Selbst wenn hier ein Mangel der Berechnung des Rückforderungsbetrages einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Anpassung des Vergleichs rechtfertigen oder die Frage der Wirksamkeit des Vergleichs im Hinblick auf einen eventuellen Dissens der Beteiligten aufwerfen könnte, bietet deshalb
§ 138 SGG für eine Änderung des Wortlauts des in der mündlichen Verhandlung am
10. April 2008 aufgenommenen Prozessvergleichs durch einen Berichtigungsbeschluss keine Rechtsgrundlage.
Eine Berichtigung gemäß § 138 SGG wäre allenfalls dann möglich, wenn der Vergleichstext als solcher widersprüchlich wäre (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Breith. 1967, 1067). Dies wäre dann denkbar, wenn auch die offenbar richtigen und unstrittigen Berechnungsgrundlagen selbst (z. B. in einem Klammerzusatz) in den Wortlaut des Vergleiches aufgenommen wären und diese dem Ergebnis der Forderungssumme nicht entsprechen würden. Dies ist hier aber nicht der Fall.
Dessen ungeachtet, also auch bei unterstellter Unrichtigkeit des Vergleiches, wäre die Unrichtigkeit nicht offenbar im Sinne des § 138 Satz 1 SGG. Offenbar ist eine Unrichtigkeit nur dann, wenn sie auf der Hand liegt, auch für Dritte klar erkennbar, durchschaubar, eindeutig und augenfällig ist und sich aus einer Entscheidung selbst oder ohne Weiteres aus erkennbaren Vorgängen bei Erlass oder Verkündung der Entscheidung ergibt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 138 Rdnr. 3d mwN; Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl., § 319 Rndr. 4 mwN). Auch diese Voraussetzungen, die auf den Erklärungshorizont unbeteiligter Personen abstellen, sind jedenfalls zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht gegeben. Die späteren Erklärungen der Beklagten sind unbeachtlich (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 138 Rdnr. 3d).
Mit Blick auf die Vorschriften zur Protokollberichtigung liegt im Übrigen ein wesentlicher Verfahrensfehler vor. Denn bei einer Berichtigung einer Niederschrift, in der ein Prozessvergleich protokolliert wurde, sind nicht ausschließlich die Voraussetzungen des § 138 SGG zu beachten, sondern darüber hinaus des § 122 SGG iVm § 164 ZPO, auch wenn die Niederschrift als solche nicht verändert wurde. Denn sofern ein gerichtlicher Vergleich in einer Niederschrift festgehalten wird und die Voraussetzungen eines Berichtigungsbeschlusses gemäß § 138 SGG gegeben sind, ist zusätzlich die Berichtigung der Niederschrift erforderlich. Zwar ist für die Berichtigung gemäß § 138 SGG der jeweilige Spruchkörper zuständig, also bei einem Wechsel des Vorsitzenden wie hier der Amtsnachfolger (Peter/Sautter/Wolff, SGG, 4. Aufl., § 138 Rndr. 28; Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 138 Rndr. 4a). § 164 Abs. 3 Satz 2 ZPO setzt allerdings für die Berichtigung einer Niederschrift die einvernehmliche Mitwirkung des bei der Protokollierung tätig gewesenen Richters und des Urkundenbeamten voraus (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 122 Rdnr. 9 mwN). Dieser Normzweck des § 122 SGG iVm § 164 ZPO kann nicht durch die Anwendung des § 138 SGG ausgehöhlt werden. Dies bedeutet, dass eine Berichtigung eines in einem Termin geschlossenen Vergleichs durch den gemäß § 138 SGG zuständigen Spruchkörper stets nur dann denkbar ist, wenn alle übereinstimmen, die an der Niederschrift mitgewirkt haben, also regelmäßig Vorsitzender und Urkundsbeamter. Hier wurden aber der am 10. April 2008 zuständige Vorsitzende der Kammer und die Urkundsbeamtin nicht im Vorfeld des angefochtenen Beschlusses entsprechend eingebunden.
Hier entfällt eine Korrektur der Niederschrift als solcher ohnehin, weil das SG, entgegen dem angefochtenen Beschluss, keinen Berichtigungsvermerk angebracht hat; sofern dies auf den den Beteiligten übersandten Niederschriften geschehen ist, ist dies zu korrigieren.
Ausführungen zu einer Anfechtbarkeit des Vergleiches (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/
Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 101 Rdnr. 13 mwN) erübrigen sich, weil die BG ausdrücklich die Berichtigung des Vergleichs beantragt hat und dementsprechend ein Berichtigungsbeschluss ergangen ist. Selbst wenn aber das Berichtigungsbegehren der BG als Anfechtungserklärung auszulegen wäre, führte dies nicht zur Unbegründetheit der Beschwerde.
Der Beschluss des SG vom 8. Juli 2008 war somit aufzuheben.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei (§ 183 SGG) und ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Streitig ist, ob der zwischen den Beteiligten am 10. April 2008 vor dem Sozialgericht Augsburg (SG) geschlossene Vergleich zu berichtigen war.
Mit der beim SG am 27. August 2007 erhobenen Klage wandte sich die Beschwerdeführerin (BF) gegen den Rentenbescheid des Beschwerdegegners (BG) vom 15. Dezember 2006 (Widerspruchsbescheid vom 9. August 2007), mit dem Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum ab 1. Januar 2002 in Höhe von 2.723,27 EUR zurückgefordert wurden. Die Bf begehrte, den Bescheid aufzuheben, soweit Beitragsanteile für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2003 zurückgefordert wurden. Im Zuge der mündlichen Verhandlung am 10. April 2008 regte der damals zuständige Vorsitzende der Kammer eine Beendigung des Rechtsstreits auf der Grundlage einer mit Wirkung ab
1. Januar 2003 geltend gemachten Nachforderung der Beiträge an. Die Beteiligten schlossen daraufhin folgenden Vergleich:
"1. In Abänderung des Bescheides vom 15. Dezember 2006 und des Widerspruchsbe-
scheides vom 9. August 2007 sind sich die Beteiligten darüber einig, dass die Klägerin
an die Beklagte einen Betrag von 1.764,11 EUR zu zahlen hat.
2. Die Klägerin wird den Betrag der Beklagten auf das im Anhörungsschreiben vom
13. Dezember 2006 genannte Konto bis spätestens 30. April 2008 in einer Summe
überweisen.
3. Die Beklagte übernimmt auf der Grundlage der Mittelgebühr die außergerichtlichen
Kosten des Klageverfahrens der Klägerin.
4. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit Abschluss dieses Vergleichs der
Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist."
Der Vergleich wurde vorgelesen und von den Beteiligten genehmigt.
Am 9. Mai 2008 beantragte die BG Berichtigung dieses Vergleichs. Die Beteiligten hätten einen Vergleich dahingehend schließen wollen, dass die Klage insoweit begründet gewesen sei, als von der BG nicht schon ab 1. Januar 2002, sondern ab 1. Januar 2003 die von ihr geschuldeten Beiträge nachgefordert werden dürften. Die BF habe im Schriftsatz vom 4. Dezember 2007 das Klagebegehren insoweit eingeschränkt. Es sei in der mündlichen Verhandlung ein Rechen- bzw. Übertragungsfehler unterlaufen und für das Jahr 2002 zu Gunsten der BF ein Abzug von 959,16 EUR vorgenommen worden. In dieser Summe seien versehentlich auch 503,16 EUR Anteile aus den Zuschüssen zur Krankenversicherung für 2002 enthalten, deren Erstattung die BG von der BF nie gefordert habe und die daher auch nicht Gegenstand des Vergleichs hätten sein können. Tatsächlich hätte der Abzug zu Gunsten der BF 456,00 EUR betragen müssen. Die von der BF aufgrund des vom Gericht vorgeschlagenen Vergleichs zu erstattende Summe hätte mithin nicht 1.764,11 EUR, sondern 2.267,27 EUR ausgemacht. Die BF erklärte sich mit einer Berichtigung des Vergleichs nicht einverstanden. Es liege insbesondere kein Rechenfehler vor, den das SG berichtigen könne. Der Vergleich sei vom BG in Kenntnis sämtlicher Umstände des Falles und des genauen Rückzahlungsbetrages geschlossen worden.
Das SG entschied durch Beschluss vom 8. Juli 2008, gestützt auf § 138 Sozialgerichtsgesetz (SGG), der Vergleich vom 10. April 2008 sei in Ziffer 1 dahingehend zu berichtigen, dass die BF an den BG einen Betrag von 2.267,27 EUR zu zahlen habe. Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil seien jederzeit von Amts wegen zu berichtigen. Eine Berichtigung sei nicht nur bei Urteilen, sondern auch bei Prozessvergleichen möglich. Der am 10. April 2008 geschlossene Vergleich sei offenbar unrichtig. Es sei zu klären gewesen, ob ein Rückforderungsanspruch bezüglich der überzahlten Rente bereits ab dem 1. Januar 2002 oder ab dem 1. Januar 2003 gegeben sei. Aufgrund der Auskünfte der BF sowie der Hinweise des Vorsitzenden der Kammer seien sich die Beteiligten im Ergebnis darüber einig gewesen, dass eine Rückzahlungsverpflichtung erst ab dem 1. Januar 2003 greife. Bei der Berechnung des exakten Rückzahlungsbetrages sei es dann zu einem Rechenfehler gekommen, da unbeabsichtigt Zuschüsse zur Krankenversicherung für das Jahr 2002 mit in die Berechnung eingeflossen seien. Dadurch sei statt eines Betrages von 2.267,27 EUR lediglich ein Betrag von
1.764,11 EUR errechnet worden. Dieser Rechenfehler sei daher im Sinne einer Klarstellung zu korrigieren gewesen. Der Beschluss wurde der BF am 17. Juli 2008 zugestellt. Die Entscheidung erging durch die neue Vorsitzende der zuständigen Kammer des SG.
Gegen diesen Beschluss hat die BF beim SG am 25. Juli 2008 Beschwerde eingelegt und auf die bisherigen Ausführungen Bezug genommen. Das SG hat die Beschwerde am
1. August 2008 dem Bayerischen Landessozialgericht vorgelegt.
Die BF beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 8. Juli 2008 aufzuheben.
Die BG beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hat sich im Beschwerdeverfahren inhaltlich nicht mehr geäußert. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Der Senat hat die Akten der BG und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Beschwerdeakte Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 SGG) und auch begründet.
Die Zulässigkeit der Beschwerde folgt aus der analogen Anwendung des § 138 SGG iVm § 172 SGG. Nach § 138 Satz 1 SGG sind Schreibfehler oder Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil zu berichtigen. Der Vorsitzende entscheidet hierüber gemäß § 138 Satz 2 SGG durch Beschluss. Die Berichtigung eines Urteils ist nach § 172 SGG mit der Beschwerde anfechtbar (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl.,
§ 172 Rdnr. 3, § 138 Rdnr. 5). Mit Blick auf den Regelungszwecks des § 138 SGG ist diese Vorschrift auf einen gerichtlichen Vergleich anzuwenden, der ein dem Urteil gleichwertiger Vollstreckungstitel ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Wenn aber die Berichtigung eines Prozessvergleichs analog § 138 SGG statthaft ist (so auch Meyer-Ladewig/Keller/
Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 138 Rdnr. 2 mwN.), muss folglich auch die Möglichkeit der Überprüfung des Berichtigungsbeschlusses in einem Beschwerdeverfahren eröffnet sein. Darüber hinaus ist die Beschwerde statthaft, wenn wie hier mit Blick auf die Vorschrift des § 122 SGG iVm § 164 Zivilprozessordnung - ZPO -, die bei einer Berichtigung einer Niederschrift zu beachten sind, ein wesentlicher Verfahrensfehler vorliegt (Meyer-Ladewig/
Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 122 Rdnr. 9 mwN).
Die Berichtigungsvoraussetzungen des § 138 SGG liegen hier nicht vor. Der Prozessvergleich vom 10. April 2008 beinhaltet keinen Schreibfehler, Rechenfehler und keine ähnliche offenbare Unrichtigkeit, die berichtigt werden könnten.
Der am 10. April 2008 geschlossene Vergleich war nicht unrichtig im Sinne des § 138 Satz 1 SGG. Damit führte erst der angefochtene Beschluss des SG zur Unrichtigkeit des Vergleichs. Der im angefochtenen Beschluss zu Grunde gelegte Betrag von
2.267,27 EUR war nicht Gegenstand des geschlossenen Vergleichs, denn er wurde nicht zu Protokoll diktiert und nicht vorgelesen oder genehmigt. Dementsprechend fehlt es an einem übereinstimmenden Vergleichswillen der Beteiligten hinsichtlich einer Rückforderungssumme von 2.267,27 EUR.
Der angefochtene Beschluss hält sich nicht an den prozessrechtlich zulässigen Rahmen des SGG. Ist ein Prozessvergleich so gefasst, wie ihn die Beteiligten nach Vorlesung durch den Vorsitzenden genehmigt haben, kann dieser, auch wenn einem Beteiligten bei dem vereinbarten Betrag ein Rechenfehler unterlaufen ist, nicht wegen offenbarer Unrichtigkeit berichtigt werden. Sofern ein richtig beurkundeter gerichtlicher Vergleich auf einer unzutreffenden Grundlage wie einem Rechenfehler beruht, bietet deshalb § 138 Satz 1 SGG (§ 319 Abs. 1 ZPO) keine prozessual zulässige Berichtigungsmöglichkeit (Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 6. Oktober 2004, Az.: Vf.33-VI-03; Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 13. Mai 1985, Az.: 3 W 12/85; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 319 Rdnr. 3; Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl., § 165 Rndr. 2).
Als Unrichtigkeit im Sinne des § 138 Satz 1 SGG sind nicht Mängel des Wollens infolge Irrtums über die tatsächlichen oder rechtlichen Grundlagen des Prozessvergleichs zu verstehen. Deshalb kann ein materiell-rechtlicher unrichtiger Prozessvergleich auf der Grundlage des § 138 Satz 1 SGG auch dann nicht beseitigt werden, wenn eine Unrichtigkeit offenbar ist (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Breith. 1956, 1255; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Breith. 1967, 1067). Selbst wenn hier ein Mangel der Berechnung des Rückforderungsbetrages einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Anpassung des Vergleichs rechtfertigen oder die Frage der Wirksamkeit des Vergleichs im Hinblick auf einen eventuellen Dissens der Beteiligten aufwerfen könnte, bietet deshalb
§ 138 SGG für eine Änderung des Wortlauts des in der mündlichen Verhandlung am
10. April 2008 aufgenommenen Prozessvergleichs durch einen Berichtigungsbeschluss keine Rechtsgrundlage.
Eine Berichtigung gemäß § 138 SGG wäre allenfalls dann möglich, wenn der Vergleichstext als solcher widersprüchlich wäre (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Breith. 1967, 1067). Dies wäre dann denkbar, wenn auch die offenbar richtigen und unstrittigen Berechnungsgrundlagen selbst (z. B. in einem Klammerzusatz) in den Wortlaut des Vergleiches aufgenommen wären und diese dem Ergebnis der Forderungssumme nicht entsprechen würden. Dies ist hier aber nicht der Fall.
Dessen ungeachtet, also auch bei unterstellter Unrichtigkeit des Vergleiches, wäre die Unrichtigkeit nicht offenbar im Sinne des § 138 Satz 1 SGG. Offenbar ist eine Unrichtigkeit nur dann, wenn sie auf der Hand liegt, auch für Dritte klar erkennbar, durchschaubar, eindeutig und augenfällig ist und sich aus einer Entscheidung selbst oder ohne Weiteres aus erkennbaren Vorgängen bei Erlass oder Verkündung der Entscheidung ergibt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 138 Rdnr. 3d mwN; Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl., § 319 Rndr. 4 mwN). Auch diese Voraussetzungen, die auf den Erklärungshorizont unbeteiligter Personen abstellen, sind jedenfalls zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht gegeben. Die späteren Erklärungen der Beklagten sind unbeachtlich (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 138 Rdnr. 3d).
Mit Blick auf die Vorschriften zur Protokollberichtigung liegt im Übrigen ein wesentlicher Verfahrensfehler vor. Denn bei einer Berichtigung einer Niederschrift, in der ein Prozessvergleich protokolliert wurde, sind nicht ausschließlich die Voraussetzungen des § 138 SGG zu beachten, sondern darüber hinaus des § 122 SGG iVm § 164 ZPO, auch wenn die Niederschrift als solche nicht verändert wurde. Denn sofern ein gerichtlicher Vergleich in einer Niederschrift festgehalten wird und die Voraussetzungen eines Berichtigungsbeschlusses gemäß § 138 SGG gegeben sind, ist zusätzlich die Berichtigung der Niederschrift erforderlich. Zwar ist für die Berichtigung gemäß § 138 SGG der jeweilige Spruchkörper zuständig, also bei einem Wechsel des Vorsitzenden wie hier der Amtsnachfolger (Peter/Sautter/Wolff, SGG, 4. Aufl., § 138 Rndr. 28; Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 138 Rndr. 4a). § 164 Abs. 3 Satz 2 ZPO setzt allerdings für die Berichtigung einer Niederschrift die einvernehmliche Mitwirkung des bei der Protokollierung tätig gewesenen Richters und des Urkundenbeamten voraus (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 122 Rdnr. 9 mwN). Dieser Normzweck des § 122 SGG iVm § 164 ZPO kann nicht durch die Anwendung des § 138 SGG ausgehöhlt werden. Dies bedeutet, dass eine Berichtigung eines in einem Termin geschlossenen Vergleichs durch den gemäß § 138 SGG zuständigen Spruchkörper stets nur dann denkbar ist, wenn alle übereinstimmen, die an der Niederschrift mitgewirkt haben, also regelmäßig Vorsitzender und Urkundsbeamter. Hier wurden aber der am 10. April 2008 zuständige Vorsitzende der Kammer und die Urkundsbeamtin nicht im Vorfeld des angefochtenen Beschlusses entsprechend eingebunden.
Hier entfällt eine Korrektur der Niederschrift als solcher ohnehin, weil das SG, entgegen dem angefochtenen Beschluss, keinen Berichtigungsvermerk angebracht hat; sofern dies auf den den Beteiligten übersandten Niederschriften geschehen ist, ist dies zu korrigieren.
Ausführungen zu einer Anfechtbarkeit des Vergleiches (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/
Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 101 Rdnr. 13 mwN) erübrigen sich, weil die BG ausdrücklich die Berichtigung des Vergleichs beantragt hat und dementsprechend ein Berichtigungsbeschluss ergangen ist. Selbst wenn aber das Berichtigungsbegehren der BG als Anfechtungserklärung auszulegen wäre, führte dies nicht zur Unbegründetheit der Beschwerde.
Der Beschluss des SG vom 8. Juli 2008 war somit aufzuheben.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei (§ 183 SGG) und ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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