L 15 VU 2/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 VU 3/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VU 2/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VU 7/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts R. vom 01.06.2005 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1946 geborene Kläger begehrt Leistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in rentenberechtigendem Grad.

Der Kläger ist in der Zeit vom 15.08.1968 bis 13.03.1969 wegen vorgeworfener Vorbereitung einer Republikflucht zu Unrecht in K. bzw. C. inhaftiert gewesen und hat dort unter anderem Zwangsarbeiten verrichten müssen. Der Kläger führt die bei ihm bestehende Dysthymie auf die erlittene Strafhaft zurück. Das Landgericht C. hat bereits mit Beschluss vom 21.07.1999 festgestellt, dass der Kläger zu Unrecht inhaftiert worden ist. Unabhängig hiervon ist der Kläger am 23.07.1988 in P. bei G. Opfer einer Gewalttat geworden und hat dabei ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 16.09.2008 - L 15 VG 7/08 -).

Der Kläger hat mit dem Erstantrag auf Versorgung nach dem StrRehaG vom 20. bzw. 30.12.1999 folgende Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen geltend gemacht: Verfolgungsbedingte Gesundheitsschäden in Form einer dauernden Einbuße seiner körperlichen Beweglichkeit, Verschlimmerung seiner Herz-Kreislauf-Tätigkeit; seelische, psychische und physische Dauerbeeinträchtigung bzw. Störung.

Nach umfassenden Ermittlungen hat der Beklagte ein versorgungs-nervenärztliches Gutachten von Dr. S. K. eingeholt. Diese hat nach Untersuchung vom 24.09.2001 ausgeführt, wie aus den Vorbefunden ersichtlich sei, sei es im Anschluss an die Haft 1968/1969 offensichtlich zu keinen wesentlichen psychischen Störungen gekommen. Der Kläger sei danach berufstätig gewesen, sei zudem verheiratet gewesen und habe drei Kinder. Eine nervenärztliche Behandlung sei erst nach der Übersiedlung "in den Westen" 1989 erfolgt. Bei dem Kläger liege zwar eine gewisse psychische Symptomatik vor, dies begründe sich aber auf persönlichkeitsspezifischen Faktoren wie auch auf ein abgelaufenes Schädel-Hirn-Trauma 1988, welches der Kläger bei einer Schlägerei erlitten habe. Psychopathologisch würden sich aktuell keine schwereren Auffälligkeiten ergeben; wie aus den Vorbefunden ersichtlich, bestünden aber schon immer wieder stärkere depressive Episoden. Die Befunde seien auch als organische Wesensänderung eingeschätzt worden. Auf neurologischem Fachgebiet bestehe eine Anosmie; eine Hemisymptomatik oder sonstige fokal-neurologische Ausfälle seien aber nicht nachweisbar.

Mit weiterem versorgungsärztlich-psychiatrischem Gutachten von Dr. S. vom 14.05.2002 ist ausgeführt worden, dass sich bei der heutigen psychiatrischen und orientierend-neurologischen Untersuchung keine wesentlichen Unterschiede zur Befunderhebung in der nervenärztlichen Untersuchung vom September 2001 ergeben hätten. Gesundheitliche psychische Schädigungsfolgen durch die unrechtmäßige DDR-Inhaftierung in den 60er Jahren seien auch heute nicht fassbar. Die klinisch auffälligen hirnorganischen Veränderungen (kognitive Leistungseinbuße und Wesensänderung) seien mit großer Wahrscheinlichkeit auf das 1988 erlittene Schädel-Hirn-Trauma mit neuroradiologisch fassbaren postkontusionellen zerebralen Residuen zurückzuführen, ebenso der Verlust von Geruchs- und Teilverlust des Geschmackssinns. Anhand der Anamnese würden sich außerdem keine Hinweise auf veränderte oder anders als im September 2001 beurteilte internistische Befunde ergeben.

Hierauf gestützt hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung R. vom 19.06.2002 den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG abgelehnt. Mit Beschluss des Landgerichts C. vom 21.07.1999 sei das Urteil des Kreisgerichts R. vom 04.11.1968 aufgehoben worden. Die Inhaftierung vom 15.08.1968 bis 13.03.1969 sei zu Unrecht erfolgt. Für die Haftzeit sei dem Kläger eine Kapitalentschädigung gewährt worden. Er habe dem Grunde nach Anspruch auf Versorgung nach dem StrRehaG. Die vorliegenden Gesundheitsstörungen stünden jedoch in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der erlittenen Haft. Der Kläger selbst habe bei der versorgungsärztlichen Untersuchung vom 24.09.2001 angegeben, als junger Mensch auch nach 1969 nie an psychischen Beschwerden gelitten zu haben. Die klinisch auffälligen hirnorganischen Veränderungen seien mit großer Wahrscheinlichkeit auf das 1988 erlittene Schädel-Hirn-Trauma zurückzuführen. Die weiterhin geltend gemachten internistischen Beschwerden, insbesondere die Herz- und Kreislaufprobleme, stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der damals erlittenen Haft. Hierfür seien unter anderen konstitutionelle Faktoren wie eine Hypercholesterinämie mit langjährigem Nikotinkonsum verantwortlich. Dies werde auch durch die Familienanamnese bestärkt. Mehrere Familienmitglieder würden an Herzbeschwerden leiden.

Der Widerspruch vom 18.07.2002 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung R. vom 19.06.2002 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 05.11.2002 zurückgewiesen worden.

Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht R. mit Beweisanordnung vom 11.10.2004 PD Dr. W. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser ist mit psychiatrischem Fachgutachten vom 17.02.2005 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Kläger zwar eine Dysthymie bestehe. Diese könne jedoch nicht mit der 1968/1969 stattgefundenen Haft in Zusammenhang gebracht werden. Entsprechendes gelte für die Funktionsbeeinträchtigung des Herzens, da bereits vor der stattgehabten Haft eine Herzanomalie bekannt gewesen sei. Im Rahmen der Herzanomalie und der familiären Hypercholesterinämie sei es bei dem Kläger 1998 zu einem schädigungsfremden Herzinfarkt gekommen.

Auch in Berücksichtigung der Einwände des Klägers hat das Sozialgericht R. die Klage mit Urteil vom 01.06.2005 abgewiesen und sich hierbei im Wesentlichen auf das umfassende Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen PD Dr. W. vom 17.02.2005 gestützt. Letztendlich habe das Sozialgericht R. auch den Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 01.06.2005 entnommen, dass dieser selbst weniger die Inhaftierung, sondern zahlreiche Schicksalsschläge und von ihm als chronische Benachteiligung empfundene Ereignisse nach der Haft bis zu seiner Ausreise als eigentlichen Grund seiner psychischen Beschwerden ansehe.

Die hiergegen gerichtete Berufung des ehemaligen Bevollmächtigten des Klägers vom 29.12.2005 ging via Telefax am selben Tag beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) ein. Von Seiten des BayLSG wurden die Versorgungs-Akten des Beklagten und die Streitakten des Sozialgerichts R. beigezogen, ebenso sämtliche Unterlagen in dem Parallelverfahren L 15 VG 7/08.

Der ehemalige Bevollmächtigte des Klägers nahm die Berufung mit Schriftsatz vom 19.06.2007 zurück. Mit gleichzeitig am 21.06.2007 eingegangenem Schriftsatz hielt der Kläger selbst an seinem Begehren fest und hob mit ergänzender Berufungsbegründung vom 13.09.2007 hervor, er sei in der Haft mehrmals sexuell missbraucht worden. Mit weiterem Schriftsatz vom 23.11.2007 ersuchte der Kläger darum, eine Auskunft von Dr. T. K. einzuholen. Auf die Befundberichtanforderung des BayLSG vom 27.11.2007 teilte Herr K. telefonisch mit, dass er kein Arzt sei, sondern ein Journalist, der einen Bericht über die Gefangenschaft des Klägers in der DDR in einer B. Zeitung schreiben möchte. Mit weiteren Schreiben vom 08.02.2008 und 22.02.2008 beschrieb der Kläger die generellen Unrechtszustände in der ehemaligen DDR.

In der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2008 erschien der Kläger nach vorheriger telefonischer Mitteilung, er sei gesundheitlich etwas angeschlagen, nicht.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts R. vom 01.06.2005 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Versorgungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen. Dies gilt auch auf die umfassenden Unterlagen des Parallelvorganges L 15 VG 7/08.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) auf Grund seiner zu Unrecht erfolgten Inhaftierung in K. bzw. C. in der Zeit vom 15.08.1968 bis 13.03.1969.

Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger dem Grunde nach anspruchsberechtigt nach dem StrRehaG ist. Das Urteil des Kreisgerichts R. vom 04.11.1968 ist bereits mit Beschluss des Landgerichts C. vom 21.07.1999 aufgehoben worden. Die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen sind jedoch nicht ursächlich auf die zu Unrecht erfolgte Haft in der ehemaligen DDR zurückzuführen.

Der erkennende Senat stützt sich hierbei wie auch das erstinstanzliche Gericht auf das außergewöhnlich umfassende und fundierte Gutachten von PD Dr. W. vom 17.02.2005. Dieser hat darauf hingewiesen, dass die bei dem Kläger bestehende Dysthymie möglicherweise durch das 1988 stattgefundene Schädel-Hirn-Trauma mitbedingt sein kann; es können jedoch auch im Falle des Klägers andere deutlich gravierende Lebensumstände für die Genese der Dysthymie eine Rolle spielen: Die Übersiedlung des Klägers von der damaligen DDR in die BRD 1989; die zweimaligen gescheiterten bzw. in Scheidung endenden Ehen des Klägers; der heute sehr schlechte Kontakt des Klägers zu seiner älteren Tochter; die persistierenden Sorgen des Klägers um seinen lernbehinderten und drogenabhängigen Sohn; die seit der Übersiedlung in die BRD andauernde Langzeitarbeitslosigkeit und die damit verbundenen erheblichen finanziellen Sorgen (der Kläger bezieht seit 2001 rückwirkend zum Jahr 1998 eine Erwerbsunfähigkeitsrente); die kardialen Erkrankungen (langjährig bekannte Herzklappenanomalie sowie Zustand nach Herzinfarkt 1998) bei familiärer Hypercholesterinämie.

Den vorstehenden Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen PD Dr. W. mit psychiatrischem Fachgutachten vom 17.02.2005 ist aus der Sicht des erkennenden Senats vollinhaltlich beizupflichten. Denn die Zusammenschau mit den Akten in dem Parallelverfahren L 15 VG 7/08 ergibt, dass der Kläger im Wesentlichen durch die Gewalttat vom 23.07.1988 in P. bzw. die Übersiedlung in die BRD 1989 und die sich anschließenden Schicksalsschläge "aus der Bahn" geworfen worden ist.

Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 13.09.2007 darauf hingewiesen hat, er habe gegen seinen Willen stillschweigend seinen Körper mehrmals an einen Mitgefangenen hingeben müssen, sind diese Ausführungen für den erkennenden Senat glaubhaft (§ 15 KOV-VfG). Dennoch resultiert hieraus kein nach dem StrRehaG entschädigungspflichtiger Sachverhalt. Denn in den umfassenden Akten des Beklagten sowie den Gerichtsakten erster und zweiter Instanz findet sich keinerlei Hinweis auf ein posttraumatisches Belastungssyndrom als mögliche Schädigungsfolge. Vielmehr hat der erstinstanzlich bestellte Sachverständige PD Dr. W. auf Seite 57 seines psychiatrischen Gutachtens vom 17.02.2005 das Vorliegen einer Dysthymie (ICD-10: F34.1; DSM-IV: 304.4) sowie einen Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma mit Schädelbasisfraktur 1988 (ICD-10: SO6.9) diagnostiziert. Ein posttraumatisches Belastungssyndrom ist jedoch nicht beschrieben worden.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen. Die Anwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2008 ist gemäß § 110 Abs. 1 SGG nicht erforderlich gewesen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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