L 15 VG 7/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 VG 1/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 7/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VG 26/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts R. vom 10.01.2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1946 geborene Kläger begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Der Kläger ist am 23.07.1988 in P. bei G. Opfer einer Gewalttat geworden und hat nach einem Faustschlag ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Er hat deswegen am 25.02.1998 einen Erstantrag bei dem Amt für Versorgung und Familienförderung R. eingereicht und als gesundheitliche Schädigungen ein Halswirbelsäulensyndrom, den Verlust des Riechvermögens mit Geschmacksstörung, eine seelische Störung, Schlafstörungen, eine Depression sowie eine deutlich verlangsamte Psychomotorik geltend gemacht. Der Beklagte hat das anhängige Feststellungsverfahren nach dem Schwerbehindertenrecht (nunmehr SGB IX) abgewartet und im Folgenden mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Familien und Soziales B-Stadt vom 23.08.2000 den Antrag auf Beschädtigtenversorgung abgelehnt. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen würden keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) - nunmehr Grad der Schädigungsfolgen (GdS) - von mindestens 50 v.H. bedingen. Da der Kläger nicht allein in Folge der Schädigung schwerbeschädigt sei, seien Leistungen nicht zu bewilligen (§ 10a Abs.1 Nr.1 OEG). Es habe daher ungeprüft bleiben können, ob der Tatbestand des § 1 Abs.1 OEG erfüllt sei, keine Ausschließungsgründe gemäß § 2 OEG gegeben seien und ob der Kläger bedürftig im Sinne von § 10a Abs.1 Nr.2 OEG sei.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahren hat der Beklagte die Rentenstreitakten des Sozialgerichts R. S 6 RJ 361/99 ergänzend ausgewertet. Im Folgenden ist der Widerspruch vom 26.10.2000 gegen den Bescheid des Amtes für Familie und Soziales B-Stadt vom 23.08.2000 mit Widerspruchsbescheid des Sächsischen Landesamtes für Familie und Soziales vom 09.01.2003 zurückgewiesen worden. Eine schädigungsbedingte MdE von mindestens 50 v.H. liege allein in Folge der Schädigung nicht vor, sodass die Härteregelung des § 10a OEG nicht zur Anwendung komme. Als Schädigungsfolge nach dem OEG sei nach dem vorliegenden Unterlagen der "Verlust des Riechvermögens mit Geschmacksstörung" in Folge der Schädelbasisfraktur mit einer MdE um 15 v.H. anzuerkennen. Alle weiteren nach dem SGB IX vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien als schädigungsunabhängig zu betrachten.

Die hiergegen gerichtete Klage vom 08.02.2003 ist am 11.02.2003 beim Sozialgericht R. eingegangen. Zur Begründung hob der Kläger hervor, dass der Täter zu einem Jahr Haft verurteilt, ihm jedoch politischer Schutz gewährt worden sei. Trotz Verurteilung zum Schadensersatz habe er auch keinerlei Zahlungen erhalten. Er sehe sich insoweit als Opfer der Stasi bzw. des SED-Regimes.

Das Sozialgericht R. hat die Akten des Beklagten, die Schwerbehinderten-Akten, Renten-Streitakten sowie die Vorgänge nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) beigezogen. Danach ist das Urteil des Kreisgerichts R. vom 04.11.1968 mit Beschluss des Landgerichts B-Stadt vom 21.07.1999 aufgehoben worden; die Inhaftierung vom 15.08.1968 bis 13.04.1969 ist zu Unrecht erfolgt. Mit Beweisanordnung vom 11.10.2004 ist PD. Dr. W. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt worden. Dieser ist mit psychiatrischen Fachgutachten vom 17.02.2005 zu dem Ergebnis gekommen, dass die bei dem Kläger bestehende Dysthymie möglicherweise durch das 1988 stattgefundene Schädel-Hirn-Trauma mitbedingt sein könnte; es könnten jedoch im Falle des Klägers auch andere gravierende Schicksalsschläge für die Genese der Dysthymie eine Rolle gespielt haben, insbesondere die Übersiedlung von der damaligen DDR in die BRD 1989, die zweimaligen jeweils gescheiterten und in Scheidung endenden Ehen des Klägers, der heute sehr schlechte Kontakt des Probanden zu seiner älteren Tochter, die persistierenden Sorgen des Klägers um seinen lernbehinderten und drogenabhängigen Sohn, erhebliche finanzielle Probleme aufgrund der Langzeitarbeitslosigkeit seit der Übersiedlung in die BRD sowie kardiale Erkrankungen (langjährig bekannte Herzklappenanomalie sowie Zustand nach Herzinfarkt 1998 und familiärer Hypercolesterinämie). Informatorisch werde mitgeteilt, dass unabhängig von der dargelegten Kausalitätsfrage die bei dem Kläger bestehende Dysthymie eine MdE von 30 v.H. bedingen würde.

Der Kläger hat im Folgenden wiederholt gerügt, dass er als "Staatsfeind" Opfer des "SED-Unrechtsstaats" geworden sei.

Das Sozialgericht R. hat die Klage gegen den Bescheid vom 23.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2003 mit Gerichtsbescheid vom 10.01.2008 abgewiesen. Entsprechend den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen PD Dr. W. mit psychiatrischem Fachgutachten vom 17.02.2005 sei der Kläger nicht allein in Folge der Gewalttat vom 23.07.1988 schwerbeschädigt. Eine höhere Gesamt-MdE als 40 v.H. werde zweifelsfrei nicht erreicht, selbst wenn man entgegen den Ausführungen von PD Dr. W. die bestehende organische Wesensänderung in vollem Umfang auf das Schädel-Hirn-Trauma 1988 zurückführen würde. Die für "Altfälle" geltende Härtefallregelung des § 10a OEG wirke daher nicht zugunsten des Klägers.

Die hiergegen gerichtete Berufung vom 20.02.2008 ging am 22.02.2008 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) ein. Zur Begründung verwies der Kläger mit Schriftsatz vom 13.06.2008 nochmals darauf, dass er Opfer der "Stasi-Epoche" geworden sei.

Von Seiten des BayLSG wurden die Akten des Beklagten, die Schwerbehindertenakten und fünf Band Streitakten des Sozialgericht R. beigezogen. Entsprechendes gilt für die Unterlagen nach dem StrRehaG in dem Parallelverfahren L 15 VU 2/05.

In der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2008 ist für den Kläger niemand erschienen. Der Kläger hat kurzfristig mitgeteilt, dass er nicht zum Termin erscheinen werde, da er gesundheitlich etwas angeschlagen sei.

Der Bevollmächtigte des Beklagten stellt den Antrag,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts R. vom 10.01.2008 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten, die Schwerbehindertenakten des Freistaates Bayern sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz einschließlich der Unterlagen in dem Parallelverfahren L 15 VU 2/05 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß den §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht R. hat die Klage gegen den Bescheid vom 23.08.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2003 mit Gerichtsbescheid vom 10.01.2008 zutreffend abgewiesen.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird vorab gemäß § 153 Abs.2 SGG auf die Gründe der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen, der sich das BayLSG vollinhaltlich anschließt.

Ergänzend ist der Kläger nochmals darauf aufmerksam zu machen, dass ihm für die Folgen der Gewalttat vom 23.07.1988 in P. bei G. - es handelt sich hierbei um einen sog. "Altfall" im Sinne von § 10a des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) bereits deswegen keine Versorgungsleistungen bewilligt werden können, weil er nicht allein in Folge dieser Schädigung schwerbeschädigt ist.

Dies ergibt sich nicht nur aus dem umfassenden und fundierten Gutachten von PD Dr. W. vom 17.02.2005, das das Sozialgericht R. erstinstanzlich eingeholt hat, sondern auch aus den beigezogenen Schwerbehinderten-Akten des Freistaates Bayern. Unabhängig von der Ursache ist dort der Grad der Behinderung (GdB) gemäß §§ 2 Abs.2, 69 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) mit 50 festgestellt worden (vgl. Änderungs-Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung R. vom 13.09.2000 bzw. Bescheid des Zentrum Bayern Familie und Soziales Region Oberpfalz vom 13.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Zentrum Bayern Familie und Soziales vom 09.07.2008). Hierbei sind folgende Gesundheitsstörungen berücksichtigt worden:
1. Organische Wesensänderung (Einzel-GdB 30);
2. Verlust des Geruchsinns (Einzel-GdB 20)
3. Durchblutungsstörungen des Herzens, abgelaufener Herzinfarkt, Koronardilatation, Stentimplantation (Einzel-GdB 20);
4. chronische Bronchitis (Einzel-GdB 20);
5. Funktionsbehinderung des Schultergelenkes rechts (Einzel-GdB 10);
6. Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule (Einzel-GdB 10);
7. Leberschaden (Einzel-GdB 10).

Als Schädigungsfolgen der Gewalttat vom 23.07.1988 in P. bei G. sind somit der "Verlust des Riechvermögens mit Geschmacksstörung" mit einem Einzel-GdS von 20 v.H. zu berücksichtigen, außerdem allenfalls ein Teil der bestehenden "organischen Wesensveränderung". In Berücksichtigung von Rz.26.3 und Rz.19 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 1996 bis 2008" kommt daher maximal ein Gesamt-GdS um circa 25 v.H. in Betracht. Ein schädigungsbedingter GdS von 50 v.H. wird zweifelsfrei nicht erreicht, wie dies das Sozialgericht R. bereits mit Gerichtsbescheid vom 10.01.2008 zutreffend ausgeführt hat. Der Kläger kann sich somit nicht auf die Härtefallregelung des § 10a OEG berufen.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts R. vom 10.01.2008 zurückzuweisen. Die Anwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2008 ist hierbei nicht erforderlich gewesen (§ 110 Abs.1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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