L 4 R 4192/08 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 7449/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 4192/08 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. August 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Nichtzulassung der Berufung in einem Verfahren, in welchem er die Erstattung von Kosten eines erledigten Widerspruchsverfahrens begehrt.

Der am 1938 geborene Kläger beantragte am 01. Januar 2002 bei der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich als Beklagte) Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres. Mit Bescheid vom 15. Mai 2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 01. Mai 2002 Altersrente für langjährig Versicherte in Höhe von EUR 1.404,06. Mit seinem hiergegen durch seinen Bevollmächtigten (Rentenberater) eingelegten Widerspruch wendete sich der Kläger gegen die Bewertung der ersten 48 Kalendermonate im Berufsleben durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG). Zugleich beantragte er vor dem Hintergrund eines beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgrund des Vorlagebeschlusses des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Dezember 1999 (B 4 RA 11/99 R) anhängigen Verfahrens das Ruhen des Widerspruchsverfahrens.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Neubewertung der ersten 48 Monate des Berufslebens durch das WFG für verfassungsmäßig erklärt hatte (Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvL 10/00 = SozR 4-2600 § 58 Nr. 7), wies die Beklagte den Widerspruch zurück und teilte mit, dass die durch das Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen nicht erstattet würden (Widerspruchsbescheid vom 21. August 2007).

Hiergegen erhob der Kläger mit dem an die Beklagten gerichteten Schreiben vom 19. September 2007, bei der Beklagten am 21. September 2007 eingegangen, Klage und bat zugleich um Weiterleitung an das zuständige Sozialgericht. Am 10. Oktober 2007 ging beim Sozialgericht Stuttgart (SG) das von der Beklagten weitergeleitete Schreiben ein. Der Kläger begehrte, die Beklagte zu verpflichten, ihm die Hälfte der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren zu erstatten, hilfsweise die Berufung zuzulassen. Zur Begründung der Klage trug der Kläger vor, der mit der Widerspruchseinlegung verbundene Erfolg sei darin zu sehen, dass er sich durch den Widerspruch der drohenden Gefahr des Rechtsverlustes für die Dauer des beim BVerfG anhängigen Musterverfahrens habe entziehen können. Er habe damit letztendlich erreicht, so gestellt zu werden, wie er gestanden hätte, wenn die Beklagte den angefochtenen Bescheid entsprechend ihren Pflichten unter Vorbehalt erteilt hätte. Die Beklagte habe die Widerspruchserhebung provoziert und veranlasst, weil sie den Rentenbescheid vom 15. Februar 2002 vorbehaltlos erteilt und damit gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses verstoßen habe. Die Beklagte sei auch aus Treue- und Fürsorgepflichten gehalten gewesen, den drohenden Rechtsverlust durch eine Nebenbestimmung entgegenzuwirken. Im Hinblick auf das Veranlassungsprinzip und der Parallele zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch müsse die Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens tragen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Nachdem der Widerspruch nicht erfolgreich gewesen sei, könnten Kosten für das Widerspruchsverfahren nicht übernommen werden,. Der Erfolg eines eingelegten Widerspruchs sei ausschließlich im Ausgang des Verfahrens zu sehen. Eine vom Erfolgsprinzip abweichende Verteilung der Kosten sei nicht gerechtfertigt. Eine unrichtige Beratung oder eine falsche Sachbehandlung liege nicht vor, da sie zum damaligen Zeitpunkt nach geltendem Recht entschieden habe.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 12. August 2008 ab. Der Widerspruch des Klägers sei erfolglos gewesen, sodass nach dem "Unterliegensprinzip" eine Erstattung der Kosten des Vorverfahrens nicht in Betracht komme. Er sei vollumfänglich mit seinem Begehren gescheitert. Auch seien die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht erfüllt. Denn die Beklagte habe durch den Erlass des Rentenbescheids vom 15. Mai 2002 nicht gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses verstoßen. Die Beklagte habe gültiges Gesetzesrecht angewandt. Auch sei es ihr verwehrt gewesen, den Rentenbescheid wegen anhängiger Verfahren beim BVerfG für vorläufig zu erklären. Auch folge aus dem Umstand, dass ein Normenkontrollverfahren beim BVerfG anhängig sei, weder ein Anspruch auf Erteilung entsprechender Verwaltungsakte unter Vorbehalt noch eine Hinweispflicht auf das anhängige Verfahren beim BVerfG. Auch sei dem Kläger kein Sozialleistungsanspruch durch die Beklagte vorenthalten bzw. ein solcher vereitelt worden. Die Berufung sei nicht zuzulassen, nachdem der Beschwerdewert die Berufungssumme des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht erreiche und die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 SGG nicht vorlägen. In der beigefügten Rechtsmittelbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass die Berufung den Beteiligten nur zustehe, wenn sie nachträglich zugelassen werde.

Mit seiner dagegen am 01. September 2008 beim Landessozialgericht (LSG) schriftlich eingelegten Beschwerde macht der Kläger geltend, folgenden Rechtsfragen komme eine grundsätzliche Bedeutung zu: 1. Trifft die Deutsche Rentenversicherung die Pflicht zu einer in Bezug auf ein Rentengesetz vorläufigen Rentenfestsetzung, wenn die Vereinbarung des jeweiligen Rentengesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines durch das BSG nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) eingeleiteten Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht ist? 2. Ist ein Rentenversicherungsträger bei einer Bejahung der Rechtsfrage nach Ziffer 1 nach dem Veranlassungsprinzip verpflichtet, die durch den Verstoß gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses notwendig gewordenen Kosten der Rechtsverfolgung zu übernehmen? Die erste Rechtsfrage sei im vorliegenden Sachzusammenhang bisher höchstrichterlich nicht ausdrücklich geklärt. Die zweite Rechtsfrage sei zwar durch das LSG im Urteil vom 01. Juli 2003 (Bezugnahme auf L 11 RJ 514/03) ausdrücklich bejaht worden. Es bestünden jedoch Zweifel an der praktischen Anwendbarkeit des Veranlassungsprinzips im Sozialverwaltungsverfahren. Sein Anspruch (auf Kostenerstattung) ergebe sich aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch in Verbindung mit dem Veranlassungsprinzip. Da der wegen der Bewertung der ersten Berufsjahre angefochtene Rentenbescheid im Bezug auf die Vorlagebeschlüsse des BSG noch nicht einmal einen allgemein gehaltenen Hinweis enthalten habe, habe ihm wegen § 79 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) ein Rechtsverlust gedroht. Die Beklagte habe daher eine im Sozialrechtsverhältnis begründete Obliegenheitspflicht zur Betreuung verletzt. Sie sei verpflichtet gewesen, den Bescheid unter Vorbehalt zu erteilen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Beklagte durch den vorbehaltlosen Rentenbescheid zugleich gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses verstoßen habe. Der eingetretene Schaden liege darin, dass ihm durch die notwendige Rechtsverfolgung Aufwendungen entstanden seien. Die Beklagte sei rechtlich dazu in der Lage, ihm den durch die notwendige Rechtsverfolgung entstandenen Schaden zu ersetzen. Dieser Anspruch ergebe sich aus dem Veranlassungsprinzip des § 93 der Zivilprozessordnung (ZPO), der als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzip und des Prinzips von Treu und Glauben in allen Verfahrensordnungen und damit auch im Sozialverwaltungsverfahren gelte. Die Pflichtverletzung sei auch ursächlich für den entstanden Schaden. In diesem Zusammenhang sei auch zu beachten, dass Art. 100 Abs. 1 GG das Rechtsstaatsprinzip und das Prinzip der Gewaltenteilung konkretisiere. Zur weiteren Begründung bezog sich der Kläger auf den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 2008 (L 18 B 1125/07 R).

Der Kläger beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. August 2008 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die gemäß § 145 Abs. 1 SGG zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch sonstige Gründe für die Zulassung der Berufung vorliegen.

1. Die Berufung bedarf der Zulassung im Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der ab 01. April 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes [SGG-ArbGÄndG] - vom 26. März 2008, BGBl. I, S. 444), es sei denn, die Berufung betrifft wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Vorliegend bedarf die Berufung der Zulassung, denn zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der Hälfte der Kosten - der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 23. Juli 2008 sein Begehren insoweit eingeschränkt - eines von dem Kläger durchgeführten Widerspruchsverfahrens streitig, die sich nicht auf mehr als EUR 750,00 belaufen. Etwas anderes macht auch der Kläger nicht geltend. Er geht vielmehr selbst davon aus, dass die Berufung der Zulassung bedarf.

Gemäß § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegende Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Gemessen an diesen Maßstäben ist die Berufung nicht zuzulassen.

Insbesondere kommt der Rechtssache entgegen der Auffassung des Klägers keine grundsätzliche Bedeutung zu. Voraussetzung hierfür ist, dass die Streitsache eine Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung klärungsbedürftig ist (vgl. BSG SozR 4-1500 § 160a Nr. 9). Die vorliegend in der Hauptsache allein streitige Frage, ob Kosten eines Widerspruchsverfahrens zu erstatten sind, ergibt sich bereits aus der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 63 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) und ist im Übrigen auch für Frage der Erstattungsfähigkeit von Kosten eines ruhenden Widerspruchsverfahrens wegen in anderen Fällen durchgeführten Musterverfahren bereits höchstrichterlich entschieden (BSG SozR 4-1300 § 63 Nr. 1).

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Dies gilt gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. Die gesetzliche Regelung stellt somit für die Frage, ob Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten sind, eindeutig auf den Erfolg des Widerspruchs ab. Dieser Maßstab ist auch dann anzuwenden, wenn das Vorverfahren geruht hat, um die höchstrichterliche Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage in Parallelverfahren abzuwarten (vgl. BSG a.a.O.). Der Widerspruch des Klägers war vorliegend nicht erfolgreich, denn die von ihm angefochtene Bewertung der ersten 48 Kalendermonate des Berufslebens entsprach der - verfassungsgemäßen - gesetzlichen Regelung. Die vom Kläger formulierten Fragen haben für die nach § 63 SGB X zu treffende und allein vom Erfolg des Widerspruchs abhängige Kostenentscheidung keine Bedeutung. Der Senat schließt sich insoweit ausdrücklich der Rechtsprechung des 10. Senats an (Beschluss vom 30. September 2008 - L 10 R 3620/08 NZB; Beschluss vom 04. November 2008 - L 10 R 4433/08 -), der sich im Übrigen auch der 11. Senat des LSG angeschlossen hat (vgl. Beschlüsse vom 19. November 2008 - L 11 R 2533/08 NZB und L 11 R 4522/08 NZB -). Im Beschluss vom 04. November 2008 des 10. Senats des LSG, der dem Klägervertreter bekannt ist, weil er auch an diesem Verfahren beteiligt war, wird auch ausführlich dargelegt, dass die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht vorliegen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf ausdrücklich Bezug. Wie für den 10. Senat des LSG (a.a.O.) ist auch für den erkennenden Senat insbesondere maßgeblich, dass der Kläger, wenn er das von ihm im Widerspruchsverfahren abgewartete Musterverfahren selbst durchgeführt hätte, eine Kostenerstattung nicht hätte erlangen können. Der Kläger kann aber nicht besser stehen als derjenige, der das Musterverfahren selbst durchführt.

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG sind nicht ersichtlich und werden von dem Kläger auch nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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