L 12 AS 4351/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 1002/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 4351/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Kläger wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 6. August 2008 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Mannheim zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und eine damit verbundene Erstattungsforderung in Höhe von insgesamt 17.456,73 Euro für den Zeitraum von Januar 2005 bis einschließlich Mai 2006.

Die Kläger sind verheiratet und bewohnen gemeinsam mit ihrem 2004 geborenen Sohn eine Mietwohnung in M ... Sie bezogen vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2006 durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Bei der ersten Antragstellung im Dezember 2004 verneinte die Klägerin sämtliche Fragen auf dem Zusatzblatt 3 zur Antragstellung zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens und gab lediglich an, über ein Girokonto zu verfügen. Bei den Folgeanträgen wurde jeweils angegeben, dass sich insoweit keine Änderungen ergeben hätten. Im Rahmen eines Datenabgleichs erfuhr die Beklagte im Dezember 2005, dass die Klägerin bei der D. Bank über Konten verfügte. Der Saldo betrug zum 18. April 2006 24.167,81 Euro (Depot) und 2.243,69 Euro (Sparcard).

Im Rahmen einer Anhörung zur beabsichtigten Rücknahme der Bewilligungsbescheide teilten die Kläger bei einer persönlichen Vorsprache im Juni 2006 mit, dass insgesamt ein Vermögen von ca. 32.000,00 Euro vorhanden sei. Nachdem eine angekündigte Aufstellung des Vermögens nicht einging, hörte die Beklagte mit Schreiben vom 21. März 2007 die Klägerin nochmals zur beabsichtigten Rücknahme der Leistungsbewilligungen an. Daraufhin gaben die Kläger Fondsvermögen bei der D. Bank von ca. 25.000,00 Euro, ein Sparbuch des Klägers über 5.000,00 Euro und ein Kontokorrentguthaben bei der Volksbank R.-N. über 6.000,00 Euro an. Insgesamt seien 36.000,00 Euro vorhanden gewesen, welche als Anzahlung für den Erwerb einer Eigentumswohnung dienen sollten. Zu beachten sei, dass von dem Fondsvermögen 15.500,00 Euro der Schwester der Klägerin gehörten. Hierzu gab die Schwester der Klägerin eine eidesstattliche Versicherung ab. Gegenwärtig sei das Vermögen um 9.000,00 Euro gemindert, da die Familie diesen Betrag aufgebraucht habe, um die laufenden Lebenshaltungskosten zu bestreiten. Ursprünglich habe die Klägerin das Vermögen nicht angegeben, da sie irrtümlicherweise von höheren Freibeträgen ausgegangen sei und Ansparungen für die Eigentumswohnung wie eine Eigentumswohnung angesehen habe, für die eine Anzeigepflicht nicht vorliege.

Mit Bescheiden vom 25. Mai 2007 nahm die Beklagte zum Einen gegenüber der Klägerin und dem Sohn H.-D. und zum Anderen gegenüber dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2006 die Bewilligungsbescheide ganz zurück. Zur Begründung verwies die Beklagte darauf, dass bereits bei Antragstellung im Dezember 2004 ein Vermögen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft von insgesamt 38.116,43 Euro vorgelegen habe, welches nicht mitgeteilt worden sei. Nach Abzug der Freigrenze in Höhe von 17.200,00 Euro ergebe sich noch ein einzusetzendes Vermögen in Höhe von 20.816,43 Euro. Die festgesetzten Erstattungsbeträge beliefen sich für die Klägerin und ihren Sohn auf insgesamt 11.530,50 Euro und für den Kläger auf 8.578,03 Euro.

Auf die Widersprüche der Kläger änderte die Beklagte die Rücknahme- und Erstattungsbescheide dahingehend ab, dass von der Klägerin 8.123,93 Euro, vom Kläger 7.221,76 Euro und vom Sohn H.-D. 2.111,04 Euro erstattet verlangt wurden (Berücksichtigung der Abweichung der tatsächlich ausgezahlten Leistungen von den bewilligten Leistungen), im Übrigen wurden die Widersprüche zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 29. Februar 2008). Es liege Vermögen weit über den Freibeträgen vor. Der Vortrag der Kläger sei nicht schlüssig und daher nicht glaubhaft. Zum Einen werde darauf hingewiesen, dass das Vermögen von 36.000,00 Euro als Anzahlung für den Erwerb einer Eigentumswohnung dienen solle, auf der anderen Seite versichere die Schwester der Klägerin an Eides Statt, dass ihr 15.500,00 Euro des Vermögens zuzuordnen seien, welches sie für ihre Hochzeit und Wohnungseinrichtung verwenden wolle. Es müsse davon ausgegangen werden, dass das gesamte Vermögen solches der Kläger sei.

Hiergegen richten sich die Kläger mit ihrer am 31. März 2008 zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhobenen Klage. Nach wiederholter Mahnung setzte das SG dem Bevollmächtigten der Kläger mit Schreiben vom 3. Juli 2008 eine Frist zur Klagebegründung und Vorlage gegebenenfalls erforderlicher Belege bis 25. Juli 2008 und kündigte die Zurückweisung verspäteten Vorbringens an. Mit Schreiben vom 25. Juli 2008 legte der Bevollmächtigte der Kläger eine Klagebegründung vor und machte weiterhin geltend, der der Schwester der Klägerin zuzuordnende Betrag von ca. 15.500,00 Euro sei von dem Vermögen in Abzug zu bringen. Hierzu legte er eine Verdienstbescheinigung sowie eine Gehaltsabrechnung der Schwester der Klägerin vor, aus welcher sich entnehmen lässt, dass das Gehalt der Schwester auf das Girokonto der Klägerin überwiesen wurde. Mit Schreiben vom 28. Juli 2008 kündigte das Gericht die beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid an, verwies auf die derzeitige Unzulässigkeit der Klage mangels Vorlage einer Vollmacht und gewährte Gelegenheit zur Stellungnahme bis 5. August 2008. Am 5. August 2008 ging ein Schriftsatz des Bevollmächtigten der Kläger beim SG ein, mit welchem dieser sich zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid äußerte und im letzten Satz anfügte: "Anbei die Bevollmächtigung des Unterzeichners durch die Kläger", welche dem Schreiben jedoch nicht beigefügt war.

Mit Gerichtsbescheid vom 6. August 2008 wies das SG die Klage ab und führte zur Begründung aus, die Klage sei unzulässig, da die schriftliche Vollmacht nicht bis unmittelbar vor Absendung der Entscheidung eingereicht worden sei. Ebenfalls am 6. August 2008 ging beim SG die vom Bevollmächtigten der Kläger nachgereichte Vollmacht ein.

Gegen den ihnen am 8. August 2008 zugestellten Gerichtsbescheid wenden sich die Kläger mit ihrer am 8. September 2008 beim Landesssozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Der Bevollmächtigte habe am Vormittag des 6. August 2008 die Originalvollmacht beim Sozialgericht eingereicht. An diesem Tag habe eine Praktikantin für den Ausbildungsberuf der Rechtsanwaltsfachangestellten bei dem Bevollmächtigten der Kläger ihren ersten Arbeitstag gehabt, welche mit zur Post und zum Sozialgericht gegangen sei. Sie könne bezeugen, dass an diesem Tag ein Brief beim SG Mannheim eingeworfen worden sei. Nach §§ 105 Abs. 3 Halbs. 1, 133 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) werde die Verkündung bei einem Gerichtsbescheid durch die Zustellung ersetzt. Dies bedeute, dass die fehlende Handlung - hier die Vollmachtvorlage - bis zur Zustellung der Entscheidung nachgeholt werden könne. Soweit das SG ausführe, dass eine Vollmacht bis unmittelbar vor Absendung des Gerichtsbescheids nicht eingegangen sei, fehlten hierzu nähere Angaben. Weiter habe das SG erstmals mit Schreiben vom 28. Juli 2008 eine Frist für die Vorlage der Vollmacht gesetzt, welche nicht nur unangemessen kurz gewesen sei, zudem habe das SG sich missverständlich ausgedrückt. Der Bevollmächtigte habe davon ausgehen müssen, dass das SG aufgrund der Klagebegründung beabsichtigt habe, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. In dem Schreiben vom 28. Juli 2008 werde nicht ausreichend zum Ausdruck gebracht, dass die Klage wegen fehlender Vollmacht durch Gerichtsbescheid abgewiesen werde. Die Verfahrensweise des SG sei nicht fair, Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) werde so nicht gewahrt.

Die Kläger beantragen (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 6. August 2008 aufzuheben und den Rechtsstreit zur Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Mannheim zurück zu verweisen, hilfsweise, die Bescheide der Beklagten vom 25. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Februar 2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung an das SG Mannheim Erfolg.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gem. § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro übersteigt (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG).

Die Berufung ist auch begründet im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung an das SG Mannheim. Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das LSG eine angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Das SG Mannheim hat die Klage zu Unrecht, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, als unzulässig abgewiesen, weshalb der Rechtsstreit an das SG Mannheim zurückverwiesen wird. Die Abweisung der Klage als unzulässig war fehlerhaft, denn den Klägern kann nicht vorgeworfen werden, ihr zur Prozessführung bevollmächtigter Rechtsanwalt habe seine Bevollmächtigung nicht hinreichend nachgewiesen.

Gemäß § 73 Abs. 2 SGG können sich die Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens durch prozessfähige Bevollmächtigte vertreten lassen. Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen; sie kann nachgereicht werden, wofür das Gericht eine Frist bestimmen kann (§ 73 Abs. 6 S. 1 u. 2 SGG). Indes hat das SG nicht berücksichtigt, dass § 73 Abs. 6 S. 4 SGG in der hier maßgebenden ab 1. Juli 2008 geltenden Fassung (Art. 12 Nr. 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007- BGBl. I S. 2840) regelt, dass das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen nur zu berücksichtigen hat, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Übergangsregelungen sind nicht vorgesehen, so dass die Neufassung ab Inkrafttreten anzuwenden ist. Mit der Neuregelung wollte der Gesetzgeber einen weitgehenden Gleichlauf der großen Verfahrensordnungen hinsichtlich der Vorschriften über die gerichtliche Vertretungsbefugnis herstellen, um auch in diesem Bereich eine einheitliche Rechtsanwendung herbeizuführen (vgl. BT-Drucks. 16/3655 S. 33). Damit ist die frühere höchstrichterliche Rechtssprechung zur fehlenden Anwendbarkeit des § 88 Abs. 2 Zivilprozessordnung ((ZPO) vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3- 1500 § 73 Nr. 9) überholt. Die Sozialgerichte sollen den Mangel der Vollmacht nicht mehr von Amts wegen überprüfen, wenn als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Eine Fristsetzung zur Vorlage einer Vollmacht im Sinne von § 73 Abs. 6 S. 2 SGG kommt daher allenfalls in Betracht, wenn die gegnerische Partei den Mangel der Vollmacht rügt (vgl. BT-Drucks. 16/3655 S. 90 und 96). Letzteres war hier nicht der Fall. Da die Kläger durch einen Rechtsanwalt vertreten werden, war das SG Mannheim nicht befugt, den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 73 Abs. 6 S. 4 SGG). Das SG hat daher zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen, ohne in der Sache selbst zu entscheiden (§ 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

Es kann daher dahinstehen, ob das Verfahren auch an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG im Sinne eines Verstoßes gegen das aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Recht eines Verfahrensbeteiligten auf ein faires Verfahren (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), BVerfGE 101, 397, 404 f) leidet. Es kommt folglich nicht darauf an, ob der Hinweis vom 28. Juli 2008 mit hinreichender Deutlichkeit auf die drohende Abweisung der Klage als unzulässig durch Gerichtsbescheid wegen fehlender Vollmachtsvorlage hinweist, ob die bis zum 5. August 2008 gesetzte Frist nicht zu kurz bemessen ist und ob es den Grundsätzen des fairen Verfahrens entspricht, einen am letzten Tag der gesetzten Frist eingehenden Schriftsatz des Bevollmächtigten mit Hinweis auf eine beigefügte - allerdings fehlende - Vollmacht unbeachtet zu lassen oder ob insoweit nicht zumindest ein telefonischer Hinweis auf das Fehlen der Vollmacht angezeigt gewesen wäre.

Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist der Gerichtsbescheid des SG Mannheim aufzuheben und der Rechtsstreit in Ausübung des richterlichen Ermessens an das SG Mannheim zurück zu verweisen. Dabei ist insbesondere das Interesse der Kläger an einer Sachentscheidung durch die 1. Instanz zu berücksichtigen, welches sie durch ihren Zurückverweisungsantrag zum Ausdruck gebracht haben. Dieses Interesse der Kläger muss hinter dem Grundsatz der Prozessökonomie zurücktreten, da die Kläger ansonsten eine Instanz verlieren würden. Hierbei ist insbesondere von Bedeutung, dass das SG noch notwendige Ermittlungen durchzuführen hat. Hierbei wird es auch zu prüfen haben, ob neben den Eheleuten S. und B. Y. auch der durch sie gesetzlich vertretene Sohn H.-D. Kläger ist.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des SG vorbehalten.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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