L 8 R 1344/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 RA 2707/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 1344/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rentenleistung wegen Alters unter Berücksichtigung sogenannter "Ghetto-Zeiten" von Dezember 1940 bis November 1942. Die Klägerin ist 1924 in Polen geboren worden und seit 1948 israelische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Israel. In der Verwaltungsakte der Entschädigungsbehörde (jetzt: Landesamt für Besoldung und Versorgung B-W) betreffend den von der Klägerin 1950 gestellten Antrag auf Entschädigung nach dem Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz) finden sich folgende Angaben zum hier streitigen Zeitraum: In einer am 25. Februar 1955 abgegebenen eidlichen Aussage zum Antrag auf Entschädigung für Freiheitsentziehung führte die Klägerin aus: "Als der Krieg begonnen hat, lebte ich in J. Als im September 1939 die Deutschen bei uns einrückten, musste ich sofort die gelbe Armbinde anlegen. Wir durften bei Nacht unter Todesstrafe nicht ausgehen. Wir wurden zu Zwangsarbeiten im Wald unter Bewachung von deutschem Militär geführt. Im Jahr 1942 wurde der Ort judenrein gemacht, d.h. man hat alle Juden außerhalb der Stadt gebracht und erschossen. Ich versteckte mich in unserem Haus unter dem Fußboden. Als das Massaker vorbei war, bin ich zu einer christlichen Polin gegangen und habe mich dort ca. ein Jahr versteckt gehalten, um mich vor dem Tode zu retten. Das war bei einer polnischen Volksschullehrerin in Z in der Nähe von J ..." In einem ärztlichen Zeugnis des Dr. M M, T A, vom 31. Januar 1962 zum Antrag wegen Schadens an Körper und Gesundheit hieß es: " ...Die (Klägerin) war in der Zeit des Krieges im Ghetto. Sie hat sich unter menschenunwürdigen Bedingungen versteckt, wurde ins Konzentrationslager gebracht, wo sie verfolgt wurde und schrecklich körperlich und seelisch gelitten hat. Die Eltern und Schwester sind umgekommen". Die Klägerin selbst äußerte in einer eidlichen Erklärung vom 5. März 1962: " ...Als die Deutschen unseren Heimatort besetzten, begann meine Leidenszeit. Ich musste trotz meiner Jugend zwangsarbeiten. Ich arbeitete im Wald, bei jeder Witterung über meine Kraft ... 1942 flüchtete ich allein aus dem Ghetto J ..." Der Zeuge S B gab in einer eidlichen Erklärung vom 12. März 1962 an: "Nachdem die Deutschen unseren Heimatort (J) besetzt hatten, mussten wir im Ghetto leben. Hier war ich mit der Antragstellerin bis 1942 zusammen. Selbstverständlich hatte sie schwere Zwangsarbeiten leisten müssen, u. z. bei jeder Witterung – sie arbeitete im Wald ..."

Die Zeugin M B führte in einer eidesstattlichen Versicherung vom 4. April 1962 aus: " ...Als wir nach der Besetzung unserer Heimat durch die Deutschen im Ghetto leben mussten, wurde die (Klägerin) zu schweren Zwangsarbeiten herangezogen. Sie musste bei jeder Witterung, nur ungenügend bekleidet, im Wald oder beim Straßenbau arbeiten, was natürlich weit über ihre Kräfte ging ..." Der Vertrauensarzt Dr. F, R (Israel), schrieb in einem Gutachten für das Landesamt für Wiedergutmachung Stuttgart am 9. Juli 1963: " ...Gleich nach der deutschen Besetzung im Jahre 1939, als (die Klägerin) noch nicht ganz 15 Jahre alt war, änderte sich ganz plötzlich ihr normales Leben, sie sah den Verfall ihrer Familie, die Entehrungen des Vaters, die Verfolgungen der jüdischen Gemeinde, die Grausamkeiten und Entwürdigungen des Ghettos. 1942 wurde sie von den Eltern getrennt, kam in verschiedene Lager, arbeitete schwere und für sie ungewohnte Arbeiten, lebte in steter Angst um sich und die ihren ..." Im November 1990 beantragte die Klägerin erstmals die Gewährung einer Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Anerkennung von Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) und Ausübung von Rechten zur Nachentrichtung von Beiträgen beziehungsweise zur freiwilligen Versicherung nach den am 1. Januar 1990 in Kraft getretenen Vorschriften des Rentenreformgesetzes 1992. Zu dem Rentenantrag gab sie an, von Juni 1940 bis November 1942 ohne Unterbrechung als Sekretärin bei der Forstverwaltung "Ing. K I" in J / Wohnung Z gearbeitet zu haben. Sie habe dort ganztags und unter Bezahlung eines Gehalts nach Abzug der gesetzmäßigen Abzüge gearbeitet. Zum Beleg ihrer Angaben reichte sie Erklärungen der 1924 geborenen Frau R K und des 1921 geborenen Herrn K I ein, die sich auch zum Gebrauch der deutschen Sprache bei der Klägerin äußerten. Die Beklagte holte eine im Dezember 1991 bei ihr eingegangene Auskunft des polnischen Versicherungsträgers (ZUS) ein, der Unterlagen für die Zeit Juni 1940 bis November 1942 nicht ermitteln konnte, und zog die Entschädigungsakte bei. Durch Bescheid vom 12. Februar 1992 lehnte die Beklagte die Anerkennung von Beitrags- beziehungsweise Beschäftigungszeiten für die Zeit vom 1. Juni 1940 bis zum 30. November 1942 ab, da sie weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden seien. Durch Bescheid vom 13. Februar 1992 lehnte sie auch die Nachentrichtung von Beiträgen nach § 21 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) in Verbindung mit § 10 WGSVG in der bis 31. Dezember 1989 geltenden Fassung und nach § 22 WGSVG sowie die freiwillige Versicherung nach § 10 Angestelltenversicherungsgesetz mangels anrechenbarer Versicherungszeiten ab. Im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 13. Februar 1992 trug die Klägerin ergänzend vor, dass es sich bei dem Arbeitgeber K I um einen Deutschen aus der Tschechoslowakei gehandelt habe. Sie habe alle fälligen Büroarbeiten verrichtet. Er habe ihr gesagt, dass von ihrem Gehalt Sozialversicherungsbeiträge abgezogen würden. Ihre jetzigen Angaben stünden nicht im Widerspruch zu dem, was sie im Entschädigungsverfahren gesagt habe. Die Zwangsarbeiten hätten nicht regelmäßig stattgefunden und nicht ihre reguläre Arbeitszeit im Büro beeinflusst. Sie habe im Ghetto J wohnen müssen. Dank der Bemühungen ihres Arbeitgebers sei sie aber im Besitz eines Ausweises gewesen, der es ihr gestattet habe, ihren Arbeitsplatz außerhalb des Ghettos aufzusuchen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1993 zurück, die hiergegen erhobene Klage (Sozialgericht Berlin S 3 An 1017/03) nahm die Klägerin im Oktober 1993 zurück. Nachdem die Klägerin zwischenzeitlich ohne Erfolg die Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg, Nachentrichtungsrechte und die Gewährung von Altersrente (abgelehnt durch Bescheid vom 14. Oktober 1996 wegen nicht erfüllter Wartezeit) beantragt hatte, stellte sie am 5. September 2002 erneut einen Antrag auf Gewährung von Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Wie bereits 1990 machte sie geltend, als Sekretärin bei dem Ingenieur K I gearbeitet zu haben. Die Höhe des Entgelts sei ihr nicht erinnerlich. In einem am 24. November 2002 von ihr unterzeichneten Fragebogen der Beklagten "zum ZRBG" gab sie weiter an, dass die Beschäftigung außerhalb des Ghettos erfolgt sei und sie jeden Tag in das Ghetto zurückgekehrt sei. Als von ihr verrichtete Arbeiten gab sie "Büroarbeiten, Beeren im Wald sammeln für Einkochen, Holz im Wald sammeln" und als Umfang der täglichen Arbeitszeit "ab früh bis abends je nach Not" an. Die Arbeit sei ihr durch den Judenrat vermittelt worden, sie habe einen "kleinen Lohn" sowie Lebensmittel und Kleider erhalten. Sie habe keinen Arbeitsnachweis besessen. Sie sei vom Ghetto nicht in ein Zwangsarbeits- oder Konzentrationslager verlegt worden, da sie in einem Sägewerk in Illegalität versteckt gewesen sei. Dort sei sie im November 1942 befreit worden. Anfang 1943 sei sie nach B-B gekommen, wo sie bis zum Ende des Krieges geblieben sei. Durch Bescheid vom 19. Dezember 2002 lehnte die Beklagte die "Rücknahme des Bescheides vom 14. Oktober 1996" ab. Die Zeit vom 1. Juni 1940 bis zum 30. November 1942 könne nicht als Beitragszeit berücksichtigt werden, da kein Sachverhalt im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu "Ghettozeiten" vorliege. Auch die Regelungen des ZRBG erfassten den Sachverhalt nicht. Im Widerspruchsverfahren erklärte die Klägerin, dass ihr Vater ihr zu der Arbeit verholfen habe. Er habe dem Arbeitgeber eine Summe Geldes dafür gegeben. Der Arbeitgeber habe ihr einen Ausweis verschafft, damit sie das Ghetto habe verlassen können, um sich zu ihrem Arbeitsplatz begeben und in das Ghetto zurückkehren zu können. Durch Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Beitragszeit sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden. Die von der Klägerin abgegebene Erklärung vermöge nicht die widersprüchlichen Angaben im Renten- und Entschädigungsverfahren aufzuklären. Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Daraus, dass sie im Entschädigungsverfahren mehrfach von Zwangsarbeit und davon gesprochen habe, dass sie nicht bezahlt worden sei, folge nicht, dass tatsächlich kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Die damaligen Angaben seien davon geprägt gewesen, eine Entschädigung nach dem BEG zu erhalten. Von ihr als juristischer Laiin könne nicht erwartet werden, dass sie den Begriff Zwangsarbeit immer im richtigen Zusammenhang verwende. Als Jüdin habe sie arbeiten müssen, um nicht in ein Vernichtungslager gebracht zu werden. Entscheidend seien die tatsächlichen Gegebenheiten. Durch Urteil vom 22. Juli 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Rente, weil sie die Wartezeit nicht erfüllt habe. Die Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit sei nicht möglich, da die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 ZRBG nicht erfüllt seien. Eine Beitragszeit sei nicht glaubhaft gemacht. Als Mittel der Glaubhaftmachung lägen allein die schriftlichen Aussagen der Zeugen K und I vom 22. Mai 1991 vor, die mit der eigenen Erklärung der Klägerin vom selben Tag wortgleich seien. Da weder die Verwaltungsakte der Beklagten noch die Entschädigungsakten weitere Indizien für die ausgeübte Beschäftigung enthielten, spreche nicht mehr für als gegen die geltend gemachte Beschäftigung. Bei einem unbefangenen Leser erweckten die Angaben im Entschädigungsverfahren den Eindruck, als seien allein schwere körperliche Arbeiten ausgeübt worden. Obwohl die Klägerin nun vortrage, dass diese Arbeiten neben der Ganztagsbeschäftigung als Sekretärin verrichtet worden seien, finde sich selbst in dem Gutachten des Dr. F aus dem Jahr 1963 trotz ausführlicher biografischer Vorgeschichte kein Hinweis auf eine Beschäftigung als Sekretärin. Das verwundere, nachdem die Klägerin nun vortrage, dass die freiwillige Arbeit als Sekretärin überwogen habe. Selbst wenn aber angenommen werde, dass eine Beschäftigung ausgeübt worden sei, so sei dies nicht innerhalb eines Ghettos geschehen. Auch von daher liege somit keine Ghetto-Beitragszeit im Sinne des ZRBG vor. Arbeitsverhältnisse außerhalb eines Ghettos mit regulären Gehaltszahlungen hätten bereits vor der "Ghetto-Rechtsprechung" des BSG nicht in dem Verdacht gestanden, auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses erbracht worden zu sein. Etwas anderes könne dann gelten, wenn das Beschäftigungsverhältnis innerhalb des Ghettos begründet worden sei. Ein derartiger Fall liege hier aber nicht vor. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und wiederholt im wesentlichen ihre Begründung aus der Vorinstanz. Ergänzend führt sie aus, dass ihr durch das Verschweigen eines Entgelts im Entschädigungsverfahren kein Vorteil entstanden sei. Nach Angaben über freiwillige Arbeitsverhältnisse sei nicht gefragt worden, weil sie ohne Bedeutung gewesen seien. Dem entsprechend fehlten sie regelmäßig. Zum Beleg ihrer Angaben hat die Klägerin eigene Erklärungen vom 27. September 2005 und 28. Juni 2006 sowie diverse Kopien von Urteilen, Schriftstücken und Texten von Internet-Seiten eingereicht. Insoweit wird auf die Anlagen zu den Schriftsätzen ihres Bevollmächtigten vom 14. November 2005, 16. Mai 2006, 6. Juli 2006, 11. September 2007, 8. Februar 2008 und 12. August 2008 Bezug genommen. Die Klägerin beantragt unter Berücksichtigung des Schriftsatzes ihres Bevollmächtigten vom 12. August 2008, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Altersrente unter Anerkennung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit von Dezember 1940 bis November 1942 zu gewähren, hilfsweise, die Klägerin zur Beweissicherung in Israel persönlich anzuhören, ein Glaubwürdigkeitsgutachten über die persönlichen Aussagen der Klägerin einzuholen, ein Gutachten eines Sachverständigen einzuholen, inwieweit die Angaben der Klägerin zur Art ihrer Tätigkeiten, den Bedingungen zur Arbeitsaufnahme und zur Entgeltzahlung im historischen Einklang stehen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Senat hat den Beteiligten einen Ausdruck in englischer Sprache von der Internet-Seite "deathcamps.org", betreffend das Stichwort "J B" übersandt. Er hat ferner die Entschädigungsakten der Klägerin vom Landesamt für Besoldung und Versorgung B-W und die Gerichtsakten SG Berlin S 3 An 1017/93 und S 19 An 2263/96 beigezogen, die ihm bei seiner Entscheidung ebenso vorlagen wie die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Berufung ist unbegründet. Allerdings ist über den begehrten Anspruch nicht – wie die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden meinte – im Rahmen des Zugunstenverfahrens nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu entscheiden. Da die Klägerin einen Rentenanspruch erst ab dem 1. Juli 1997 geltend macht, ist unerheblich, ob der bestandskräftig gewordene, vor diesem Zeitpunkt erlassene Bescheid vom 14. Oktober 1996 im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig war. Gleichwohl war der Bescheid vom 19. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2002 nicht aufzuheben. Die Beklagte hat mit dem Bescheid ersichtlich über den Antrag der Klägerin vom 5. September 2002 entschieden. Soweit sie den Bescheid darauf gestützt hat, dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X nicht vorlägen, stellt dies lediglich eine unzutreffende Begründung dar. Streitig ist der Sache nach ein Anspruch auf Altersrente, den die Klägerin aus dem ZRBG ableitet. Das ZRBG verändert jedoch nicht die Anforderungen an die gesetzlichen Wartezeiten für solche Renten (BSG SozR 4-5075 § 1 Nr. 4 unter 2 b aa). Der für die Klägerin allein in Betracht kommende Anspruch auf Regelaltersrente setzt voraus, dass die Versicherte das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt hat (§ 35 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI -). Die Klägerin hat zwar im Dezember 1989 das 65. Lebensjahr vollendet, doch ist die Wartezeit für die Regelaltersrente nicht erfüllt. Nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI ist die Erfüllung der Wartezeit von fünf Jahren Voraussetzung für den Anspruch. Nach § 51 Abs. 1 SGB VI werden auf die allgemeine Wartezeit Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet. Nach § 51 Abs. 4 SGB VI werden auf die Wartezeiten auch Kalendermonate mit Ersatzzeiten (§ 250 SGB VI) angerechnet. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die allgemeine Wartezeit, gegebenenfalls zusammen mit Ersatzzeiten wegen Verfolgung, erfüllt hat. Denn um eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung erlangen zu können, muss sie jedenfalls "Versicherte" gewesen sein. Versichert ist aber nur diejenige, für die wenigstens ein Beitrag zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung vor Beginn der Rente wirksam gezahlt worden ist oder als wirksam entrichtet gilt. Die Klägerin hat weder nach den allgemeinen Vorschriften des Rentenrechts (einschließlich des "Fremdrentenrechts") noch unter Berücksichtigung des ZRBG wenigstens einen Monat einer solchen "Beitragszeit" in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt. Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VI sind Beitragszeiten solche Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Die Klägerin macht eine Beschäftigung in einem Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs deutschen Bundesrechts und auch außerhalb des Geltungsbereichs der Rentenversicherungsgesetze des früheren Deutschen Reichs geltend. Deshalb kann die streitige Zeit keine Pflichtbeitragszeit nach § 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI sein. Der von der Klägerin angegebene Beschäftigungsort liegt in der Wojwodschaft L und damit im ehemaligen so genannten Generalgouvernement. Als damalige polnische Staatsangehörige jüdischer Abstammung gehörte sie nicht zu dem von den Reichsversicherungsgesetzen erfassten Personenkreis. Zuständig war nach dem damaligen Rechtszustand allein der polnische Sozialversicherungsträger, weil das sogenannte Generalgouvernement trotz vielfältiger Abhängigkeiten vom Deutschen Reich diesem gegenüber Ausland und das bis dahin geltende polnische Recht grundsätzlich in Kraft blieb, soweit die polnischen Staatsangehörigen davon betroffen waren (s. BSG SozR 4-5050 § 15 Nr. 1 und SozR 3-2200 § 1248 Nr. 17). Damit kann die Klägerin eine in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigende Beitragszeit nach den allgemeinen Vorschriften nur auf Grund von § 15 Abs. 1 Satz 1 Fremdrentengesetz (FRG) zurückgelegt haben. Diese Bestimmung sieht vor, dass Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen. Nach Maßgabe des § 16 FRG gilt entsprechendes für Beschäftigungszeiten im Vertreibungsgebiet. Hier kann wiederum dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für die prinzipielle Anwendbarkeit des FRG überhaupt vorliegen (siehe dazu ausführlich BSG SozR 4-5050 § 15 Nr. 1). Denn eine Gleichstellung polnischer Beitragszeiten gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG würde voraussetzen, dass die Entrichtung von Beiträgen zum polnischen Rentenversicherungsträger nachgewiesen oder wenigstens glaubhaft gemacht ist (vgl. § 4 Abs. 1, 2 FRG). Dafür, dass Beiträge an den polnischen Versicherungsträger für eine etwaige Arbeit der Klägerin tatsächlich entrichtet worden sind, gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte. Ohne Nachweis oder Glaubhaftmachung von Beitragszeiten zum ausländischen Versicherungsträger können nur über § 15 Abs. 3 Satz 1 FRG solche Zeiten der Beschäftigung im Ausland einer in Deutschland zurückgelegten Beitragszeit gleichstehen, die bei ihrer Zurücklegung nach dem zu dieser Zeit geltenden Recht als Beitragszeiten im Sinne des Absatzes 1 anrechnungsfähig waren und für die an einen Träger eines Systems der sozialen Sicherheit Beiträge nicht entrichtet worden sind, soweit für sie nach Bundesrecht Beiträge zu zahlen gewesen wären. Die Anwendung des § 15 Abs. 3 Satz 1 FRG scheitert – ebenso wie die des § 16 FRG bereits daran, dass die tatsächlichen Grundlagen für eine dem Grunde nach versicherungspflichtige Beschäftigung nicht glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 (ggf. i. V. mit Abs. 2) FRG glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Das ist nicht der Fall. Auch bei Arbeiten, die unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verrichtet wurden, kann auf die Merkmale, die ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auch sonst kennzeichnen, nicht verzichtet werden (BSG SozR 3-5070 § 14 Nr. 2 und 3; BSG SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15, 16 und 17). Deshalb führen im besonderen Arbeiten, die auf Grund einer Zwangseinwirkung verrichtet worden sind, nicht zur Versicherungspflicht. Das Sozialgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommnen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Beschäftigungsverhältnis in diesem Sinn nicht glaubhaft gemacht worden sind. Die Klägerin hat im Entschädigungsverfahren Arbeiten im hier streitigen Zeitraum nicht nur mit dem Wort "Zwangsarbeit" bezeichnet. Nur dann, wenn dies so gewesen wäre, könnte der Klägerin eingeräumt werden, dass dies rechtlich unerheblich sein könnte, weil mit diesem Begriff nicht zwangsläufig eine Tatsache bezeichnet wird, sondern auch eine rechtliche Wertung gemeint sein kann. Vielmehr hat die Klägerin damals angegeben, dass sie unter Bewachung des deutschen Militärs bei jedem Wetter schwere körperliche Arbeiten im Wald (nach Angaben der Zeugin B auch beim Straßenbau) verrichtet hat. Dafür, dass sie diese Arbeit freiwillig eingegangen sein könnte, gibt es nach ihrer damaligen Darstellung, welche durch Zeugen untermauert wurde, keinen Anhaltspunkt; dies wird im Ergebnis auch von der Klägerin nicht in Frage gestellt. Die jetzt von der Klägerin eingereichten Zeugenerklärungen können keinen höheren Grad an Wahrscheinlichkeit ihres jetzigen Vortrags begründen. Denn die Darstellung des Sachverhalts im Entschädigungsverfahren war ebenfalls mit Zeugenangaben belegt. Es gibt keinen Grund dafür, den jetzigen Zeugenerklärungen ein größeres Gewicht zu geben als den damaligen, zumal zeitnäheren. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass die erstmals 1990 abgegebene Darstellung der Klägerin über ihre Arbeit im fraglichen Zeitraum wahrscheinlicher ist als die im Entschädigungsverfahren. Sie trägt einen völlig anderen Lebenssachverhalt vor, ohne dass nachvollziehbar wird, wie sich dieser mit ihren Angaben im Entschädigungsverfahren in Einklang bringen ließe: Es bleibt völlig offen, wann sie die – nach ihren Angaben vollschichtige – Büroarbeit neben den Zwangsarbeiten verrichtet hat, wo doch nach den durch Zeugenaussagen untermauerten Angaben im Entschädigungsverfahren bereits die Zwangsarbeiten im Wald die Kräfte der Klägerin überstiegen. Ebenso bleibt ohne plausible Erklärung, warum sie diese Arbeit, die sie zeitlich in erheblichem Umfang beschäftigt haben müsste, im Entschädigungsverfahren mit keinem Wort erwähnt hat. Dem kann sie nicht entgegenhalten, dass ihr durch die Angaben im Entschädigungsverfahren kein Vorteil entstanden sei und "freiwillige" Arbeiten damals keine Rolle spielten. Beides trifft offenkundig nicht zu: Auch im Entschädigungsverfahren bestand die selbstverständliche Pflicht zu wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben aller für den begehrten Anspruch maßgeblichen Umstände. Wenn die Klägerin – wie sie jetzt vorträgt – in erheblichem zeitlichen Umfang "freiwilligen" Beschäftigungen nachgegangen wäre, so wäre dies schon deshalb für den Anspruch auf Entschädigung bedeutsam gewesen, weil die Entschädigungsbehörde vor die berechtigte Frage gestellt gewesen wäre, inwieweit die Klägerin überhaupt entschädigungspflichtige Zwangsarbeit geleistet hatte. Ebenso wenig nachvollziehbar sind die Angaben der Klägerin zu ihrer "Vergütung": Wenn sie die Arbeit als Bürokraft, wie sie vorträgt, tatsächlich deshalb erhalten hat, weil ihr Vater dem "Arbeitgeber" eine Summe Geldes gegeben hat, dann bleibt offen, ob es sich bei den Leistungen, die sie nach ihrem Vortrag von dem "Arbeitgeber" erhalten hat, überhaupt um ein Arbeitsentgelt gehandelt hat oder ob die Zahlung des Vaters nicht darauf gerichtet war, den – von dem "Arbeitgeber" zu gewährleistenden – Unterhalt abzusichern, während dessen "Gegenleistung" darin bestand, die Klägerin Zwangsmaßnahmen der deutschen Verwaltung nach Möglichkeit zu entziehen. Die von der Klägerin im Lauf des Rechtsstreits eingereichten Unterlagen aus anderen Verfahren zum Themenkreis "Ghetto-Beschäftigungen" können kein für sie günstigeres Beweisergebnis herbeiführen. Entscheidungen anderer Gerichte sind für die Würdigung der hier konkret in Frage stehenden tatsächlichen Angaben der Klägerin rechtlich ebenso unbeachtlich wie Gutachten über zeitgeschichtliche Zusammenhänge. Erstere können sich zwangsläufig nur auf einen dort als feststehend erachteten Sachverhalt beziehen, letztere lediglich dann zu Gunsten der Klägerin wirken, wenn ein Sachverhalt im Sinne der Glaubhaftmachung feststeht, der wenigstens vom Ansatz her geeignet ist, zu einer für die Klägerin günstigen Rechtsfolge zu führen. Das ist aber, wie ausgeführt, gerade nicht der Fall. Ebenso wenig lässt sich eine der Darstellungen der Klägerin mit Blick auf das in Kopie eingereichte Schreiben des "Amtes des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete" vom 5. Juli 1940 als wahrscheinlicher (und zudem als "überwiegend wahrscheinlich") ansehen. Daraus ergibt sich lediglich, dass im fraglichen Zeitraum für die Klägerin die rechtliche Möglichkeit bestanden hat, in einem "freien" Arbeitsverhältnis gestanden zu haben. Ob dies allerdings wirklich so war, kann wiederum nur anhand der konkreten Umstände des einzelnen Falles beurteilt werden. Aus dem ZRBG ergibt sich kein für die Klägerin günstigeres Ergebnis. Denn die Voraussetzungen des § 1 ZRBG für die Zahlbarmachung einer Rente aus der Zeit der Beschäftigung der Klägerin in der streitigen Zeit sind nicht erfüllt. Nach § 1 Abs. 1 ZRBG gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Es kann offen bleiben, ob die Anwendung des ZRBG bereits daran scheitert, dass sich die Klägerin im streitigen Zeitraum möglicherweise nicht in einem "Ghetto" im Sinne des Gesetzes aufgehalten hat. Jedenfalls müssen auch nach diesem Gesetz Tatsachen, die für eine entgeltliche Beschäftigung sprechen, wenigstens glaubhaft gemacht sein. Den Hilfsanträgen musste der Senat nicht nachkommen. Für eine persönliche Anhörung der Klägerin gibt es keinen Anlass. Sie hatte während des Verfahrens ausreichend Gelegenheit, sich zu den voraussichtlich entscheidungserheblichen Umständen, im besonderen auch zu den Widersprüchen ihres Vortrags zu äußern; ihr Anspruch auf rechtliches Gehör war damit gewahrt. Ebenso wenig mussten Gutachten über die Glaubwürdigkeit der Klägerin oder über historische Zusammenhänge eingeholt werden. Die zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits notwendige Sachkunde besitzt der Senat selbst (s. auch BSG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 – B 13 R 407/08 B). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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