S 26 (15) AS 148/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 26 (15) AS 148/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1/09
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Arbeitslosengeldes II streitig.

Die am 00. 00. 1969 geborene Klägerin berief sich im Oktober 2006 erstmals für sich und ihre Tochter darauf, dass sie und ihre Tochter kostenaufwändigere Ernährung benötigen würden. Mit Formularanträgen vom 8. Februar 2007 beantragte sie für sich und ihre Tochter SGB-II-Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für eine kostenaufwändigere Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II zu gewähren. Beigefügt war u.a. eine Bescheinigung der Gemeinschaftspraxis einzeln und in Abwesenheit der später zu hörenden Dres.L./M. vom 6. Februar 2007 für die Tochter der Klägerin, in der die Erforderlichkeit von Krankenkost (Vollkost) bescheinigt wurde. Der seitens der Beklagten eingeschaltete Arzt des Gesundheitsamtes Dr. O. bezüglich der Erkrankung der Klägerin mit Schreiben vom 16. Februar 2007 an, dass für das bei der Klägerin vorliegende Krankheitsbild eine besondere Kostform, die Einfluss auf das Krankheitsgeschehen habe, nicht bekannt sei. Es sei kein medizinisch begründeter Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung gegeben.

Die Beklagte lehnte hierauf mit Bescheid vom 1. März 2007 den Antrag der Klägerin ab und führte aus, dass zwar bei ihrer Erkrankung (Neurodermitis) zweifelsohne eine besondere Ernährung bedingt sei. Diese verursache aber nach allgemeingültigen Erkenntnissen keinen zusätzlichen Kostenaufwand. Die Finanzierung der notwendigen Reduktionskost sei aus den Regelleistungen möglich.

Hiergegen legte die Klägerin am 20. März 2007 Widerspruch ein und wies darauf hin, dass ihr Hausarzt bescheinigt habe, dass sie an Neurodermitis leide. Außerdem bestehe bei ihr eine Lebensmittelunverträglichkeit aufgrund der Neurodermitis. Sie benötige spezielle Pflegeprodukte für ihre Haut, müsse häufig Bettwäsche und Unterwäsche und Handtücher wechseln. Im Zusammenhang mit ihrer Neurodermitis bestehe eine Unverträglichkeit auf Tomaten, Paprika, Äpfel, Fruchtsäfte, Südfrüchte, Weißmehlprodukte, Brot, Kuchen, Kekse und Zitrusfrüchte. Ihr Hausarzt habe ihr außerdem empfohlen, auf Milchprodukte, Zucker und Kaffee zu verzichten. Um eine Mangelernährung zu vermeiden, sei sie auf eine möglichst ausgewogene, schadstoffarme Ernährung angewiesen, die höhere Kosten verursache als konventionelle Ernährung.

Die Beklagte wies den Widerspruch vom 20. März 2007 mit Widerspruchsbescheid vom 2. April 2007 zurück und führte aus, dass bei der von der Klägerin nachgewiesenen Erkrankung keine besondere Kostform bekannt sei, die Einfluss auf das Krankheitsgeschehen habe. Auf kostenintensive Diätprodukte könne daher verzichtet werden.

Mit Bescheid vom 20. April 2007 gewährte die Beklagte für die am 00 00 1996 geborene Tochter der Klägerin, die ebenfalls an Neurodermitis leidet, aufgrund einer amtsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 18. April 2007, worin Vollkost (25,56 EUR monatlich) für einen Zeitraum von 1/2 Jahr befürwortet wurden, für den Zeitraum vom 14. Februar 2007 bis 13. August 2007 einen solchen Ernährungsmehrbedarf.

Die Klägerin beantragte nochmals am 24. Juli 2007 für sich und ihre Tochter SGB-II-Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für eine kostenaufwändigere Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II zu gewähren und fügte eine Bescheinigungen der Gemeinschaftspraxis M/N Fachärzte für Allgemeinmedizin, Chirotherapie, Sportmedizin und Psychotherapie vom 10. Juli 2007 und 24. Juli 2007 bei, wonach für Mutter und Tochter jeweils für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2007 Krankenkost erforderlich und ärztlich verordnet sei.

Für die Tochter der Klägerin wurde erneut von dem Amtsarzt Dr. G. mit Schreiben vom 8. August 2007 ein Bedarf für kostenaufwändige Ernährung (Vollkost, 25,56 EUR monatlich) für ein halbes Jahr bestätigt und dementsprechend seitens der Beklagten durch Bescheid vom 16. August 2007 für den Zeitraum vom 14. August 2007 bis 13. Februar 2008 bewilligt.

Bei der Klägerin lehnte die Beklagte mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 13. August 2007 die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ab.

Hiergegen legte die Klägerin am 21. August 2007 Widerspruch ein und machte geltend, dass ihr Hausarzt ihre Neurodermitiserkrankung bestätigt habe. Zur Hautpflege für die extrem trockene Haut benötige sie spezielle Pflegeprodukte. Zudem bestehe eine Lebensmittelunverträglichkeit. Im Wesentlichen wiederholte die Klägerin ihre Angaben aus dem früheren Widerspruchsverfahren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, dass nach dem Begutachtungsleitfaden aufgrund neuerer Erkenntnisse der Ernährungswissenschaft, sowie ausweislich einer amtsärztlichen Stellungnahme keine Notwendigkeit mehr hinsichtlich einer kostenaufwändigen Ernährung bestünde. Eine besondere Kostform, die Einfluss auf das Krankheitsgeschehen habe, sei nicht bekannt.

Die Klägerin hat am 12. September 2007 Klage erhoben.
Sie wiederholt im Wesentlichen ihren Vortrag aus den Verwaltungsverfahren und trägt u.a. vor, dass sie aufgrund ihrer Lebensmittelunverträglichkeit z.B. keine Tomaten, Paprika, Äpfel oder Zitrusfrüchte essen könne. Außerdem habe ihr der Hausarzt empfohlen, auf Milchprodukte, Zucker und Kaffee zu verzichten. Sie solle sich möglichst ausgewogen und schadstoffarm ernähren.

Der Hausarzt der Klägerin Dr. N. bestätigt mit Schreiben vom 20. Februar 2008 eine Neurodermitiserkrankung und gab auf Nachfrage des Gerichts, ob die Klägerin teure Lebensmittel zu sich nehmen müsse, die teurer seien als übliche Vollwertkost an: " Ja, bei atopischem Ekzem ist eine entsprechende Ernährung angezeigt."

In einem Attest vom 24. Januar 2007 bestätigte der Hautarzt und Allergologe C. u.a.: "atopisches Ekzem, Prurigo, Krebsvorsorge (24.10.2006); Therapie: Clobetrasol-17- 0,015, Asche Basis Lotio".

In weiteren Attesten von Dr. med. L. vom 26. April 2007, 29. Oktober 2007 und 16. Januar 2008 wird u.a. ausgeführt, dass die Klägerin im Januar 2007 über differente Hustenbeschwerden tagsüber geklagt habe. Es bestehe "dringender V.a. auf ein Hyperaktives Bronchialsystem"; zwar sei Schimmelpilzbefall in der Wohnung der Klägerin seit 8 Jahren bekannt, ein Pricktest gegen über verschiedenen Pollenarten, Hausstaubmilbe, Tierhaaren und Schimmelpilzen sei allerdings negativ gewesen.

Mit Attest vom 19. Juni 2007 stellten Dres. med. L. /F. (Ärzte für Dermatologie/Allergologie) eine "Acne vulgaris" fest; es erfolge eine lokale antimikrobielle Behandlung.

Auf Nachfrage des Gerichts, ob ihr eine bestimmte Krankenkost ärztlich verordnet sei, gab sie im April 2008 an, ihr sei keine Krankenkost verordnet worden. Sie leide aber seit zehn Jahren an Allergien gegen Lebensmittel und sei daher informiert, welche Lebensmittel bei ihr allergische Reaktionen auslösen würden. Sie könne keine differenzierten Nachweise übe Mehrkosten durch ihre Erkrankung beibringen.

Ihr Hausarzt Dr. N. habe die Erkrankung an einem atopischen Ekzem bestätigt und auch den damit verbundenen Ernährungsmehrbedarf. Die Beklagte habe für ihre Tochter einen Mehrbedarf bei gleicher Erkrankung anerkannt.

Die Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin regte mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2008 an, ein Sachverständigengutachten eines Facharzt für Hauterkrankungen sowie einer Ökotrophologin einzuholen, um die Notwendigkeit der besonderen Ernährung abzuklären. Ferner möge durch ein Sachverständigengutachten eines Ernährungswissenschaftlers geklärt werden, dass die erforderliche Vollwerternährung kostenaufwändiger als sonstige Ernährung.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. August 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2007 zu verpflichten, ihr einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 25,56 EUR monatlich für den Zeitraum ab dem 8. Februar 2007 bis einschließlich 31. Januar 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die Klägerin leide unstreitig an Neurodermitis. Ein früherer Antrag auf Mehrbedarf sei ein solcher Antrag am 8. Februar 2007 an das Gesundheitsamt zur Prüfung weitergeleitet worden. Aufgrund der Stellungnahme des Gesundheitsamtes sei davon auszugehen, dass eine besondere Kostform, die Einfluss auf das Krankheitsgeschehen habe, nicht bekannt sei. Ein medizinisch begründeter Ernährungsmehrbedarf sei nicht gegeben. Die Ausführungen der Klägerin in deren Schreiben vom 14. Mai 2008 würden dies bestätigen. Es sei ihr bislang keine Krankenkost verordnet worden. Es sei zwar nachvollziehbar, dass die Klägerin bestimmte Hautpflegeprodukte benötige. Dies stehe hingegen in keinem direkten Zusammenhang zu deren Ernährung. Der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel sei nicht mit erhöhtem Ernährungskosten verbunden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen. Ferner wird auf die in der mündlichen Verhandlung eingeführten Dokumente betreffend Ernährungsmehrbedarf, Kosten vollwertiger Ernährung und atopische Dermatitis Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Soweit für die Klägerin bereits durch Bescheid vom 1. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2007 bestandskräftig ein Ernährungsmehrbedarf versagt wurde, ist der hierauf bezogene Klageantrag unzulässig.

Da die Klägerin erst am 24. Juli 2007 erneut einen Antrag auf Ernährungsmehrbedarf stellte, beginnt der zulässige Klagezeitraum mit diesem Tag (24. Juli 2007). Ob sie auch über den Monat August 2007 hinaus, in dem der Widerspruchsbescheid erging, zulässigerweise Klage erheben konnte, kann hier offen bleiben. Jedenfalls ist ihre Klage betreffend des zulässigen Klagezeitraums unbegründet.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 13. August 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2007 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da diese rechtmäßig sind. Ihr stehen für den streitbefangenen Zeitraum vom 8. Februar 2007 bis 31. Januar 2008 keine zusätzlichen Leistungen nach dem SGB II für Ernährungsmehrbedarf aufgrund ihrer Erkrankung zu.

Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. In Bezug auf die der Klägerin attestierten Erkrankungen käme allenfalls im Zusammenhang mit ihrer Neurodermitis bzw. einem atopischem Ekzem ein Ernährungsmehrbedarf in Betracht.

In der Rechtsprechung und Literatur wurde in der Vergangenheit u.a. für Neurodermitis ein Ernährungsmehrbedarf anerkannt. Grundlage hierfür waren im Wesentlichen die Empfehlungen des Deutschen Vereins,

vgl. u.a. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 1. November 2007 - L 10 AS 32/06 - mit weiteren Nachweisen; nach Auffassung des LSG Mecklenburg-Vorpommern war zum Entscheidungszeitpunkt noch auf die Empfehlungen (in der Fassung der 2. Aufl. 1997) zurückzugreifen, auch wenn nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine allgemeine Diätempfehlung bei atypischen Erkrankungen und damit eventuell auch bei Neurodermitis nicht bestehe. Denn letztendlich werde seitens des Deutschen Vereins eine Krankenkostzulage empfohlen und es erscheine aus Praktikabilitätsgründen sachdienlich hierauf zurückzugreifen.

Demgegenüber hat das Bundessozialgericht in seinen Entscheidungen vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 32/06 R und B 14/7b AS 64/06 R - ausgeführt, dass die berücksichtigten Empfehlungen des Deutschen Vereins zwar bislang allgemein Anwendung gefunden hätten. Derzeit könnten sie hingegen allenfalls als allgemeine Empfehlungen Berücksichtigung finden und seien (derzeit) nicht auch als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen. Derzeit würden die Empfehlungen nicht mehr in allen Punkten allgemeine und im wesentlichen unumstrittene aktuelle Erfahrungswerte wiedergeben. Sie würden aus dem Jahre 1997 datieren und sich auf Gutachten aus dem Zeitraum 1991 bis 1996 stützen. Sie seien u.a. im Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung (Krankenkostzulage) gemäß § 23 Abs. 4 BSHG des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe aus dem Jahre 2002 auf Kritik gestoßen und würden auch mit abweichenden Bewertungen aus dem Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner (Aktuel Ernaehr Med 2004, 245, 247f.) nicht in Einklang stehen. Angesichts des ebenfalls auf medizinischer Sachkunde beruhenden alternativen Bewertungsschemas des Begutachtungsleitfadens könne nicht mehr, wie ansonsten bei antizipierten Sachverständigengutachten üblich, davon ausgegangen werden, dass ein anderes, ebenso geeignetes Beurteilungssystem wie die Empfehlungen nicht vorhanden sei.

In einer nachfolgenden Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 15. April 2008 - B 14/11b AS 3/07 R - wurde im Hinblick auf die divergierende Auskunftslage davon ausgegangen, dass die jeweiligen Instanzgerichte im konkreten Einzelfall den Ernährungsmehrbedarf durch Sachverständigengutachten abzuklären hätten. Ein bloßer Verweis auf eine der erwähnten Stellungnahmen (z.B. Deutscher Verein 1997; Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Begutachtungsleitfaden 2002) reiche hingegen bei offensichtlicher Divergenz der Stellungnahmen nicht aus.

Von diesen Grundsätzen ausgehend gelangt die Kammer unter Berücksichtigung der oben erwähnten Stellungnahmen (Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Begutachtungsleitfaden 2002; Rationalisierungsschema 2004) und der kürzlich veröffentlichten 3. Auflage der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (Stand 1. Oktober 2008) sowie einer Wissenschaftlichen Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. zum Thema "Lebensmittelkosten im Rahmen einer vollwertigen Ernährung" (Stand April 2008 - im Folgenden: "Studie DGE 2008") zu der Überzeugung, dass für die Erkrankung der Klägerin (hier: Neurodermitis bzw. atopisches Ekzem) kein über den Regelsatz hinausgehender Mehrbedarf anerkannt werden kann. So wird in den aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins unter Ziffer 4.1 zwar davon ausgegangen, dass u.a. bei Neurodermitis regelmäßig eine "Vollkost" angezeigt sei. Allerdings sei bei Erkrankungen dieser Art in der Regel ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen. Es sei davon auszugehen, dass der notwendige Aufwand für eine Vollkost durch den Regelsatz gedeckt sei. Unter Ziffer III.2 erläutern die Empfehlungen des Deutschen Vereins in diesem Zusammenhang, dass nach dem Rationalisierungsschema 2004 Vollkost neu definiert werde. Vollkost sei danach eine Kost, die 1. den Bedarf an essenziellen Nährstoffen decke, 2. in ihrem Energiegehalt den Energiebedarf berücksichtige, 3. Erkenntnisse der Ernährungsmedizin zur Prävention und (neu!) auch zur Therapie berücksichtige, 4. in ihrer Zusammensetzung den üblichen Ernährungsgewohnheiten angepasst sei, soweit Punkte 1-3 nicht tangiert würden.

Weiter führt der Deutsche Verein nunmehr unter Bezugnahme auf die Studie DGE 2008 aus, dass der Bedarf eines Erwachsenen für Vollkost wöchentlich 43,46 EUR bzw. täglich 6,21 EUR betrage. Bei einer preisbewussten Einkaufsweise sei zudem eine Vollkost mit einem Aufwand von 4,00 EUR täglich zu finanzieren. Eine vollwertige Ernährung sei dann bezahlbar, wenn über alle Lebensmittelgruppen zu einem Preis eingekauft werde, der etwa im unteren Viertel der Preisstreuung liege. Vergleiche man diese Ergebnisse mit dem Ansatz von 4,52 EUR für Nahrungsmittel und Getränke, der bei der Regelsatzbemessung im Jahre 2003 zu Grunde gelegt worden sei, decke der Regelsatz für Haushaltsvorstände und allein Lebende den Mindestaufwand für eine Vollkost.

Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen des Deutschen Vereins, die im Einklang mit den aktuellen Erkenntnissen der Ernährungsmedizin stehen, an. Sie stehen zudem in Einklang mit dem Begutachtungsleitfaden 2002, wonach eine Vollkost eine gesundheitsfördernde Mischkost sei, die im Regelbedarf enthalten sei. Mehrkosten würden durch Vollkost nicht verursacht.

Vor dem Hintergrund der aktuellen und im Ergebnis übereinstimmenden Ausführungen, die von sachverständigen Gremien erstellt wurden, sieht die Kammer keine Veranlassung der Anregung der Klägerin zu folgen, Sachverständigengutachten im vorliegenden Verfahren einzuholen.

Nach Einschätzung der Kammer kommt den überarbeiteten Empfehlungen des Deutschen Vereins in der nunmehr erschienen 3. Auflage (vom 1. Oktober 2008) - jedenfalls bezüglich der Problematik des Kostenmehraufwands bei Vollkost - wieder die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu. Im Hinblick darauf, dass die Empfehlungen nunmehr wieder im Einklang mit den Erkenntnissen neuerer Bewertungssysteme (z.B. Begutachtungsleitfaden 2002 und Rationalisierungsschema 2004) stehen, dürfte auch kein anderes, ebenso geeignetes Beurteilungssystem vorliegen, das die Bewertungen der Empfehlungen des Deutschen Vereins in Frage stellt.

Unabhängig hiervon weist die Kammer ergänzend darauf hin, dass bei einem atopischem Ekzem auch nach Auffassung von Prof. Dr. B. ) die Ernährung lediglich im Säuglingsalter eine größere Rolle spielen soll. Kinder ab dem 2. Lebensjahr und Erwachsene sollten Nahrungsmittel, die sie nicht vertragen, vermeiden. Prinzipiell könne die Ansicht vertreten werden, dass es eine allgemeingültige Diät für den Patienten mit atopischem Ekzem nicht gebe. Wichtig sei neben Allergietests die Selbsterfahrung (einzuschränken sei: Alkoholische Getränke, Bohnenkaffee, stark kohlensäurehaltiges Mineralwasser, Cola, scharfe Gewürze, Senf, Zitrusfrüchte, sehr säurehaltige Früchte; empfehlenswert seien: schlacken-, vitamin- und eiweißreiche Ernährung, Gemüse, Presssäfte, Vollkornbrot, Knäckebrot, Haferflocken, schongedünstetes Gemüse, Salate, Gurken, Magermilchprodukte, Bienenhonig etc.).

Auch in einem Wikipedia-Artikel zu dem Thema "Atopisches Ekzem" (wikipedia.org/wiki/Atopisches Ekzem) wird bezüglich Ernährungsproblemen ausgeführt, dass ein wichtiger Bestandteil der Therapie die Verringerung oder Vermeidung von bekannten Provokationsfaktoren sei. Insbesondere während starker Schübe seien unverträgliche Lebensmittel zu vermeiden. Zur Behandlung des atopischen Ekzems gebe es eine Vielzahl von Ernährungstipps und Diäten, für deren Wirksamkeit es allerdings keine Belege gebe.

Im Hinblick darauf, dass die Wirksamkeit diverser Diäten fraglich ist und die Klägerin (ähnlich der Empfehlungen von Prof. B. ) lediglich sehr allgemein gehaltene Ernährungsempfehlungen ihres behandelnden Arztes vorgetragen hat, liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass selbst unter Berücksichtigung dieser Ratschläge eine Vollkost (unter Vermeidung bestimmter für die Klägerin konkret unverträglicher Lebensmittel) nicht aus den Regelsatzleistungen von ihr bestritten werden könnte.

Ob die Klägerin daneben höhere Aufwendungen für Körperpflege etc. treiben muss, ist nicht Gegenstand des Verfahrens und kann daher bei der Prüfung eines ernährungsbedingten Mehraufwandes keine Berücksichtigung finden. Es bleibt der Klägerin unbenommen, unter Vorlage von Nachweisen über eine gravierende Neurodermitis in Anlehnung an die Rechtsprechung des LSG NRW,

vgl. Beschluss vom 22. Juni 2007 - L 1 B 7/07 AS ER -

Leistungen für unvermeidbare medizinisch notwendige Medikamente und Hautpflegeprodukte, die nicht von der Krankenkasse übernommen würden, gemäß § 73 SGB XII geltend zu machen.

Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Beklagte für ihre Tochter aufgrund anderslautender amtsärztlicher Stellungnahmen bei einer vergleichbaren Diagnose (Neurodermitis) ihres des behandelnden Arztes die Erforderlichkeit eines Ernährungsmehraufwandes bislang noch bejaht. Eine gleichheitswidrige Verwaltungspraxis lässt sich schon deshalb nicht feststellen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass aus medizinischen Gründen bei Jugendlichen und Heranwachsenden der Ernährungsbedarf (und die damit verbunden Kosten) anders zu beurteilen sind, als bei Erwachsenen. Abgesehen hiervon würde sich vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen lediglich die Frage stellen, ob die Bewilligung eines Ernährungsmehrbedarfs für die Tochter der Klägerin noch mit dem aktuellen medizinischen / ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisstand vereinbar ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Berufung war nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die Rechtsache grundsätzliche Bedeutung hat. Im Hinblick auf die wechselnde Rechtsprechung insbesondere bezüglich der Berücksichtigung der Empfehlungen des Deutschen Vereins - und deren Neufassung im Oktober 2008 - bejaht die Kammer das Vorliegen grundsätzlicher Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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