L 20 AS 92/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 3 AS 85/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AS 92/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 2/09 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Pflichtanspruch nach § 2303 Abs. 1 BGB ist nach Versterben eines Elternteils bei einem sog. Berliner Testament wegen eines Falles besonderer Härte im i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6, 2. Alt. SGB II nicht zur Vermeidung von Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II geltend zu machen, wenn das vererbte Hausgrundstück der Alterssicherung des längstlebenden Ehegatten in bescheideneren wirtschaftlichen Verhältnisse dient.
Bemerkung
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des LSG vom 24.11.08 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Neues Az. L 20 AS 1506/10 ZVW = Kläger hat die Klage zurückgenommen
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 14.11.2007 unter Berücksichtigung des in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2008 geschlossenen Teilvergleichs neu gefasst. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 12.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2005 verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Monate Oktober und November 2006 in Höhe von 649,00 EUR zu erbringen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge. Die Revison wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten stritten ursprünglich, ob dem Kläger für die Zeit vom 08.09.2005 bis 31.01.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zustehen. Nach einem in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2008 vor dem Senat geschlossenen Teilvergleich stehen im Berufungsverfahren nurmehr Leistungen für die Monate Oktober und November 2005 im Streit. Insbesondere ist streitig, ob beim Kläger anspruchsschädliches Vermögen in Form eines von ihm geltend zu machenden Pflichtteilsanspruchs vorhanden ist.

Der am 00.00.1974 geborene, ledige und erwerbsfähige Kläger ist Sohn der Eheleute S und I W (geb. 00.01.1947 bzw. 00.08.1934). Aus der Ehe ging noch eine Schwester des Klägers C W (geb. 00.09.1972) hervor. Der Vater des Klägers, der im mittleren Dienst bei der Bezirksregierung tätig gewesen war, verstarb am 22.12.2004, die übrigen Familienmitglieder des Klägers leben. Am 26.04.1995 haben die Eltern des Klägers ein handschriftliches, gemeinsames sog. Berliner Testament verfasst. Darin setzen sie sich gegenseitig "zu Alleinerben (Vollerben)" ein. Erben des Längstlebenden sollen danach die beiden gemeinsamen Kinder der Eheleute sein. Sollte eines der Kinder vom Nachlass des Erstverstorbenen seinen Pflichtteil fordern, so solle es auch vom Nachlass des Überlebenden den Pflichtteil erhalten; sein Erbteil wachse dann, auch ("sowohl") aus dem Nachlass des Überlebenden, dem anderen Kind zu. Sollte der Überlebende erneut heiraten, so sei er verpflichtet, den gemeinsamen Kindern die Hälfte seines vom Erstverstorbenen Geerbten unverzüglich herauszugeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Testament Bezug genommen.

Der Kläger bezog nach Eintritt von Arbeitslosigkeit vom 09.03. bis zum 07.09.2005 Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Höhe von täglich 30,66 EUR bzw. monatlich 919,80 EUR (Bescheid der Agentur für Arbeit N vom 14.03.2005). Er beantragte am 05.09.2005 bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Sein Girokonto befand sich mit 415,26 EUR im Soll (Stand: 12.09.2005). Der Kläger verfügte bei Antragstellung über Depots der BB Invest (Bankgesellschaft Berlin Investment GmbH) Nr. 000 und 001; deren Wert betrug ausweislich der Depotauszüge vom 27.01.2005 312,45 EUR bzw. 974,86 EUR. Sonstiges Vermögen sei nicht vorhanden. Seine Eltern S und I W gab er als "unterhaltspflichtige Angehörige außerhalb der Haushaltsgemeinschaft" an; sein Vater sei am 22.12.2004 verstorben. Der Kläger fügte hinzu: "kein Erbe; Berliner Testament wegen Haus". Ausweislich einer Mietbescheinigung der X + Stadtbau GmbH, N vom 06.09.2005 bewohnte der Kläger seinerzeit eine nicht vom Vermieter möblierte Wohnung von 41 m² Wohnfläche. Die Grundmiete betrug 205,46 EUR, die Betriebskostenvorauszahlung 45,00 EUR, die Kosten für Kaltwasser und Entwässerung 13,00 EUR und die Heizkostenvorauszahlung bis 30.09.2005 31,00 EUR bzw. 01.10.2005 41,00 EUR (Summe: 294,46, ab 01.10.2005 304,46 EUR). Ausweislich eines Prüfblattes in der Verwaltungsakte der Beklagten betrug seinerzeit die von der Beklagten maximal als angemessen betrachtete Miete für Wohnungen für eine Person bis 45 m² Größe einschließlich Nebenkosten 398,25 EUR (308,25 EUR Grundmiete zzgl. 90,00 EUR Nebenkosten).

Mit Bescheid vom 12.09.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab. Der Kläger habe angegeben, aufgrund des Todes seines Vaters im Dezember 2004 sei ein Haus mit Grundstück einem entsprechenden Testament zufolge seiner Mutter vermacht worden. Nach § 2303 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) habe der Kläger jedoch einen Anspruch auf seinen Pflichtteil an dem Erbe. Dieser Anspruch stelle einen Vermögenswert dar und sei deshalb vorrangig zur Sicherstellung des Lebensunterhalts einzusetzen, etwa durch Beleihung. Sollte der Pflichtteilsanspruch des Klägers zusammen mit seinen weiteren Vermögenswerten seine Vermögensfreigrenze nach dem SGB II i.H.v. 6.750,00 EUR nicht überschreiten, werde um Vorlage entsprechender Nachweise, auch über den Verkehrswert des Hauses, sowie um Nennung weiterer Erben usw. gebeten.

Der Kläger legte hiergegen unter Vorlage des Testamentes vom 26.04.1995 Widerspruch ein mit der Begründung, es sei bereits fraglich, ob ein Pflichtteilsanspruch überhaupt Vermögen i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB II darstelle. Jedenfalls aber könne ihm eine Geltendmachung nicht zugemutet werden, da die Verwertung des Pflichtteilsanspruchs i.S.v. § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II offensichtlich unwirtschaftlich wäre bzw. für ihn eine besondere Härte darstellen würde. Der Kläger verwies darauf, dass nach dem Testament bei Geltendmachung des Pflichtteils vom Nachlass des Erstverstorbenen eine Enterbung hinsichtlich des Nachlasses des überlebenden Elternteils erfolge, was insoweit nur noch einen Pflichtteilsanspruch übrig lasse. Im Übrigen wäre seine Mutter, sollte er den Pflichtteilsanspruch geltend machen müssen, unter Umständen gezwungen, das mit seinem Vater gemeinsam erworbene Haus zu veräußern. Dann aber sei nicht ausgeschlossen, dass sie sozialhilfebedürftig würde. Die Geltendmachung eines Pflichtteils sei ihm daher nicht zuzumuten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es stehe außer Zweifel, dass ein Pflichtteilsanspruch ein verwertbarer Vermögenswert i.S.d. § 12 SGB II sei. Ob ein sofortiger Verbrauch nicht möglich sei oder sonstige Hindernisse entgegenstünden, sei der Beklagten weder bekannt noch sei es geltend gemacht worden. Auch sei - mit Blick auf die Vermögensfreigrenze - der Wert des Nachlasses der Beklagten nicht bekannt; es werde mangels gegenteiliger Erkenntnisse von einer erheblichen Überschreitung ausgegangen. Eine Verwertung sei nicht unwirtschaftlich. Sofern der Kläger darauf verweise, er könnte dann nach dem Tod seiner Mutter auch aus deren Erbe nur den Pflichtteil beanspruchen und erlitte damit einen wirtschaftlichen Verlust, handele es sich um eine Prognose, welche unterstelle, dass beim Tode der Mutter noch entsprechende Werte vorhanden seien; dies sei jedoch nicht gesichert, so dass ein wirtschaftlicher Verlust nicht unterstellt werden könne. Der Kläger sehe, wenn seine Mutter das Haus verkaufen und evtl. Sozialhilfe in Anspruch nehmen müsse, keine besondere Härte für sich selbst, sondern für seine Mutter. Über die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Mutter sei der Beklagten ebenso wenig bekannt wie über den Wert des Nachlasses. Mithin stelle der Verweis des Klägers auf die vorrangige Möglichkeit der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs für ihn keine besondere Härte dar, sei nicht offensichtlich unwirtschaftlich und daher zumutbar.

Hiergegen hat der Kläger am 22.12.2005 Klage erhoben und ergänzend zu seinem Vorbringen im Widerspruch vorgetragen, das von seinen Eltern gemeinsam erworbene Haus G-weg 0 in N stelle die Altersvorsorge seiner Mutter dar. Sie verfüge nur über geringfügige Renten sowie über kein weiteres Vermögen. Vor diesem Hintergrund sei ihm die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs schlichtweg nicht zuzumuten. Seit dem 01.12.2005 wohne er, da er seit einiger Zeit keine Leistungen mehr beziehe, wieder im Hause seiner Mutter.

Seit dem 01.02.2006 steht der Kläger wieder in einem Beschäftigungsverhältnis.

Auf Anfrage des Sozialgerichts hat der Kläger mitgeteilt, in der Zeit, in der er von der Beklagten keine Leistungen bezogen habe, habe er sich monatlich von seiner Mutter ca. 150,00 EUR und von Freunden ca. 100,00 EUR geliehen; hiervon habe er auch seine Versicherungen, vor allem die Krankversicherungsbeiträge von 118,11 EUR monatlich, bezahlt. Er habe zum 01.12.2005 seine Wohnung kündigen müssen, um keine weiteren Schulden zu machen. Er habe im Hause seiner Mutter ein Zimmer bezogen, das er mietfrei habe bewohnen dürfen. Der Nachlass seines Vaters habe ausschließlich aus der Immobilie bestanden. Der Kläger hat einen Rentenbescheid und eine Rentenmitteilung seiner Mutter von der Deutschen Rentenversicherung (monatlicher Zahlbetrag ab 01.07.2005 603,32 EUR) bzw. über eine Betriebsrente für Witwen der VBL (monatlicher Zahlbetrag ab 01.07.2005 301,14 EUR) vorgelegt, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Er hat ferner eine Erklärung seiner Mutter vom 17.05.2006 vorgelegt, derzufolge diese neben dem Haus kein weiteres Vermögen vom Vater des Klägers geerbt hat. Auf weitere Anfrage des Sozialgerichts hat der Kläger mitgeteilt, das Hausgrundstück seiner Mutter sei im September 2005 nicht mehr belastet gewesen. Zum Verkehrswert könne er keine näheren Angaben machen. Es handele sich um eine 1971 erbaute Doppelhaushälfte von ca. 100 m² Wohnfläche und einer Grundstücksgröße von ca. 300 m². Das Haus habe noch keine Zentralheizung, und das Dach müsse gedeckt werden. In der Zeit ohne Leistungsbezug habe er äußerst sparsam gelebt. Er habe noch Barmittel von 900,00 EUR gehabt, die er auf sein Konto gezahlt habe (Bareinzahlung am 25.10.2005) und die es ihm zusammen mit den Zahlungen von Mutter und Freunden ermöglicht hätten, seinen Verbindlichkeiten nachzukommen. Er hat weiter vorgetragen, am 12.01.2006 sei ihm die Mietkaution von 578,78 EUR erstattet worden, von der er einen Teil seiner Schulden habe bezahlen können. Bis zur Beschäftigungsaufnahme am 01.02.2006 habe er seinen Dispokredit von 750,00 EUR ausgeschöpft. Dank seiner Mutter habe er auch keine zusätzlichen Aufwendungen für Lebensmittel aufbringen müssen. Soweit in Betracht gezogen werde, seine Mutter könne zur Abgeltung des Pflichtteilsanspruchs ein Darlehen aufnehmen, sei dem zu entgegnen, dass sie wegen ihrer geringen Einkünfte dieses Darlehen nicht zurückzahlen könnte; die Immobilie reiche daher als Sicherheit für ein Darlehen nicht aus. Der Kläger hat über sein Girokonto Kontounterlagen für die Zeit vom 01.10.2005 bis 01.02.2006 vorgelegt, auf die Bezug genommen wird. Er hat eine weitere Erklärung seiner Mutter vom 25.10.2006 vorgelegt. Danach hat diese ihn im Zeitraum, in dem er ohne Auskommen gewesen sei, finanziell unterstützt, könne aber über die Höhe des Geldes wegen mehrerer, nirgendwo vermerkter Zahlungen keine Angaben mehr machen; u.a. habe sie ihn beim Essen und beim Wohnen unterstützt.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 12.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf ihre angefochtene Entscheidung sowie auf den Inhalt ihrer Verwaltungsakte Bezug genommen. Soweit der Kläger seit dem 01.12.2005 ein Zimmer im Hause der Mutter bewohnt habe, sei § 12 Abs. 3 Ziff. 4 SGB II (selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe) nicht berührt; denn als Pflichtteilsberechtigter habe der Kläger keine dingliche Berechtigung an der Erbmasse. Die Mutter wäre keinesfalls der Sozialhilfe anheimgefallen. Denn bei einem Verkauf der Immobilie und der Aufteilung des Erlöses hätte sie aus ihrem Einkommen und Vermögen ihren Unterhalt und die Kosten einer anderen Unterkunft bestreiten können. Eine Doppelhaushälfte in N dürfte im Übrigen keinen unerheblichen Wert haben, zumal wenn sie in einem verkehrsarmen und gut erschlossenen Wohnquartier liege. Zwar sei nachvollziehbar, wenn der Kläger seiner Mutter die Konsequenzen einer Pflichtteilsgewährung habe ersparen wollen. Dies führe aber nicht dazu, dass die Allgemeinheit seinen Unterhalt bestreiten müsse.

Mit Urteil vom 14.11.2007 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 08.09.2005 bis 31.01.2006 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Die Angaben des Klägers zur Deckung seines Lebensunterhalts seien glaubhaft; seinen Lebensunterhalt habe er nicht durch Vermögen sicherstellen können. Sein Pflichtteilsanspruch gegenüber seiner Mutter sei zwar grundsätzlich Vermögen. Allerdings würde die Verwertung des Pflichtteilsanspruchs für den Kläger i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II eine besondere Härte bedeuten. Das Haus stelle den einzigen Vermögensgegenstand seiner Mutter dar. Der elterliche Wille bei Errichtung des Testaments sei dahingegangen, dem überlebenden Elternteil die Sicherheit zu verschaffen, auch nach dem Tod des anderen uneingeschränkt über das Haus verfügen zu können. Dies stelle eine besondere Sicherheit für das Alter dar sowie dafür, in der gewohnten Umgebung bleiben zu können, so lange man dies wünsche. Im streitigen Zeitraum sei die Mutter des Klägers 58 Jahre alt gewesen, der Kläger 31. Die Mutter habe also damit rechnen können, noch lange Zeit über die Sicherheit des Hausgrundstücks zu verfügen. Der Kläger habe demgegenüber nicht damit rechnen müssen, über einen langen Zeitraum hilfebedürftig zu bleiben; tatsächlich sei er auch nur ein knappes Jahr arbeitslos gewesen. Es erscheine unzumutbar, von ihm zu verlangen, das Erbe seiner Mutter dauerhaft einzuschränken, um seine voraussichtlich übergangsweise bestehende Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. In solchen Konstellationen seien auch die Auswirkungen auf die Verhältnisse der Mutter bei der Frage nach einer besonderen Härte zu berücksichtigen und nicht allein die wirtschaftlichen Folgen für den Kläger. Die Beklagte werde den tatsächlichen Umfang der Hilfebedürftigkeit noch festzustellen haben.

Gegen das am 22.11.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14.12.2007 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Ansicht, der Kläger habe im streitigen Zeitraum über vorrangig und zumutbar einzusetzendes Vermögen verfügt. Auch der nicht ausgezahlte Pflichtteil sei als Forderung Vermögensbestandteil. Der Wert des Hausgrundstückes betrage ausweislich eines beigefügten Wertgutachtens der Städtischen Bewertungsstelle vom 05.10.2006, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, 150.000,00 EUR. Das Haus sei dem Gutachten zufolge 1963 erbaut worden, die Wohnfläche betrage 120 m² und die Grundstücksgröße 703 m². Der Vater des Klägers sei alleiniger Eigentümer gewesen; der Pflichtteilsanspruch habe sich deshalb auf 1/8 von 150,000,00 EUR, also auf 18.750,00 EUR, belaufen. Hinzu kämen Vermögen des Klägers aus einem Fond i.H.v. 974,86 EUR sowie 312,45 EUR, ferner sein Barvermögen von 900,00 EUR, so dass der Gesamtwert seines Vermögens 20.937,31 EUR betragen habe. Bei einem Vermögensfreibetrag von 6.750,00 EUR sei damit ungeschütztes Vermögen i.H.v. 14.187,31 EUR vorhanden gewesen. Verfügungsbeschränkungen hätten nicht bestanden, und das Vermögen sei auch wirtschaftlich verwertbar gewesen. Zumutbarkeitserwägungen seien allein betreffend den Hilfeempfänger, nicht jedoch im Blick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen bei Dritten anzustellen; insoweit werde auf die Erörterungen von Berlit, in: LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 2 Rn. 14 f. verwiesen. Eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II habe nicht bestanden. Seine Mutter sei als Vollerbin nach seinem Vater zur freien Verfügung über das Hausgrundstück befugt. Es seien deshalb Verfügungen der Mutter nach dem Tod des Vaters, aber auch eine Wertminderung bis hin zu einem Wertverlust denkbar. Der Wert einer evtl. späteren Erbschaft des Klägers sei also unklar, während sein jetziger Pflichtteilsanspruch 18.750,00 EUR betrage. Die Nichtgeltendmachung des jetzigen Pflichtteilsanspruches bedeute daher den Verzicht auf einen gegenwärtigen realen Vermögenswert in der genannten Höhe zugunsten einer bloßen Erwartung, später eine Vermögensposition zu erlangen, die nur evtl. einen höheren, möglicherweise aber auch einen niedrigeren oder gar keinen wirtschaftlichen Wert mehr aufweise. Deshalb sei eine jetzige Geltendmachung nicht unwirtschaftlich, erst recht nicht offensichtlich unwirtschaftlich. Aus gleichen Gründen liege auch keine besondere Härte i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II vor. Eine Härte bestehe nur in atypischen, ungewöhnlichen Fällen und fordere besondere Umstände des Einzelfalles, die bei einer Gesamtbetrachtung eine typische Vermögenslage zu einer besonderen Situation machten, weil die soziale Situation des Hilfesuchenden nachhaltig beeinträchtigt werde. Eine solche Situation bestehe beim Kläger nicht. Ein verwandschaftliches Näheverhältnis zum Schuldner der Forderung oder die wirtschaftlichen Auswirkungen der Durchsetzung der Forderung beim Schuldner seien unbeachtlich; ansonsten wären Hilfeleistungen durch die Allgemeinheit für jemanden zu erbringen, der über ungeschütztes Vermögen verfüge. Ohnehin würden bei der Mutter des Klägers keine unzumutbaren Umstände entstehen. Sie könne bei fehlenden Schulden und einer monatlichen Rente von 908,00 EUR ihr Grundstück durchaus beleihen. Derzeit werde bei einem N Kreditinstitut ein Privatkredit zwischen 2.500,00 EUR und 25.000,00 EUR zu einem effektiven Jahreszins von 4,99 % angeboten. Bei Aufnahme eines Darlehens in Höhe des Pflichtteilsanspruchs von 18.750,00 EUR und einem angenommenen Jahreszins von 5,00 % beliefe sich die monatliche Zinsbelastung auf 78,13 EUR. Dem Kläger stünde es auch frei, den Pflichtteilsanspruch nur teilweise geltend zu machen, zumal er nicht damit habe rechnen müssen, über einen langen Zeitraum hilfebedürftig zu bleiben. Die Unzumutbarkeit ergebe sich auch nicht aus der testamentarischen Klausel über einen Verlust des Erbes nach dem überlebenden Elternteil bei Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs. Zum einen sei unklar, ob und in welchem Umfang nach dem Tod der Mutter noch werthaltige Erbmasse vorhanden sein werde. Zum anderen würde der Kläger einen jetzigen Pflichtteil nach seinem Vater von 1/8 der Erbmasse und nach einem Versterben der Mutter einen Pflichtteil des dann zur Erbmasse der Mutter zählenden Grundstücks von 1/4 erhalten. Die Summe beider Pflichtteile mache 3/8 des Grundstückswertes aus, während sich der volle Erbteil des Klägers nach dem Tod der Mutter auf 4/8 belaufe. Diese Differenz müsse der Kläger in Kauf nehmen. Dies gelte um so mehr, als eine Minderung des Verkehrswertes des Grundstücks über die Jahre wahrscheinlich sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 14.11.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er trägt vor, seine Mutter hätte, um seinen Pflichtteilsanspruch zu erfüllen, entweder das Haus veräußern oder ein Darlehen aufnehmen müssen. Beides hätte nicht dazu geführt, dass er in der Zeit seiner Hilfebedürftigkeit kurzfristig Geld zur Verfügung gehabt hätte. Es sei im Übrigen zweifelhaft, ob seine Mutter angesichts ihres Renteneinkommens überhaupt ein Darlehen erhalten hätte; sie hätte für ein solches nicht nur die von der Beklagten erwähnten Zins-, sondern auch die Tilgungsleistungen erbringen müssen. Von ihrer geringen Rente hätte sie ohnehin keine Kreditraten zahlen können. Die von der Beklagten angeführte Geltendmachung nur eines Teiles des Pflichtteilsanspruches hätte gleichwohl die Enterbung nach dem Testament eintreten lassen; die Unwirtschaftlichkeit einer Geltendmachung bestehe damit fort. Die Durchsetzung des vollen Pflichtteils sei schon deshalb unzumutbar, weil seine Mutter dann der Sozialhilfe anheimfalle. Der testamentarische Wille seiner Eltern sei dahin gegangen, dem Überlebenden die Sicherheit zu verschaffen, auch nach dem Tode des Partners uneingeschränkt über das Vermögen verfügen bzw. in der gewohnten Umgebung bleiben zu können. Der Erhalt der Immobilie habe der Alterssicherung gedient. Er selbst habe bei seinem Lebensalter nicht damit rechnen müssen, dauerhaft arbeitslos zu bleiben. Die Geltendmachung des Pflichtteils hätte die Altersvorsorge seiner Mutter dauerhaft eingeschränkt, nur um eine übergangsweise bestehende Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. Insofern sei das Sozialgericht zu Recht davon ausgegangen, dass auch die Auswirkungen auf die Verhältnisse seiner Mutter für die Beurteilung eines Härtefalls zu berücksichtigen seien. Seine Wohnung habe er im Übrigen wegen entsprechender Kündigungsfristen nicht vor dem 01.12.2005 aufgeben können; tatsächlich sei er aus ihr jedoch schon eher ausgezogen. Bei den Beträgen, die er von seiner Mutter oder von Freunden erhalten habe, habe es sich teilweise um Einkäufe gehandelt, die diese für ihn getätigt hätten; er sei von einem auf den anderen Tag in der Situation gewesen, kein Geld mehr gehabt zu haben, und Freunde und Mutter seien dann eingesprungen. Später, als er die Mietkaution zurückerhalten habe (584,78 EUR, eingegangen auf dem Girokonto des Klägers am 12.01.2006) habe er den Freunden z.B. 50,00 EUR zugesteckt. Die 900,00 EUR, die er noch in bar zu Hause gehabt habe, seien ein Rest aus einem von ihm in der Vergangenheit erhaltenen Schmerzensgeld gewesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2008 haben die Beteiligten sich im Wege des Teilvergleichs auf eine Beschränkung des streitigen Zeitraums auf den 01.10. bis 30.11.2005 verständigt. Soweit der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit hinsichtlich dieser Monate rechtskräftig obsiegt, wird die Beklagte die im vorliegenden Verfahren gefundenen rechtlichen Grundsätze auch auf den Leistungsanspruch des Klägers für die Monate September und Dezember 2005 sowie Januar 2006 anwenden und den Kläger entsprechend besser stellen. Wegen der Einzelheiten des Teilvergleichs wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2005 verletzt den Kläger i.S.d. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten.

Dem Kläger standen während des streitigen Zeitraumes vom 01.10. bis 30.11.2005 monatlich Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. jeweils 649,00 EUR zu.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die u.a. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Dass der Kläger diese Voraussetzungen erfüllt, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und auch nicht zweifelhaft. Die Beteiligten streiten allerdings, ob die weitere Leistungsvoraussetzung, hilfebedürftig zu sein (Nr. 4), beim Kläger deswegen entfällt, weil er nach § 2303 Abs. 1 BGB von seiner Mutter, die Alleinerbin des am 22.12.2004 verstorbenen Vater des Klägers ist, den Pflichtteil verlangen könnte.

Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Da der Kläger im streitigen Zeitraum ohne Einkommen und ohne sonstiges anrechenbares Vermögen oberhalb der Freigrenze war, kommt als die Hilfebedürftigkeit ausschließendes Vermögen allein sein Pflichtteilsanspruch nach § 2303 Abs. 1 BGB in Betracht.

Als Vermögen sind nach § 12 Abs. 1 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Ein Pflichtteilsanspruch wie der des Klägers unterfällt ohne weiteres dieser Legaldefinition. Denn das Vermögen i.S. dieser Definition besteht aus dem gesamten Bestand nicht nur an Sachen, sondern auch an Rechten in Geld oder Geldeswert (Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 13). Der Pflichtteilsanspruch hätte vom Kläger zudem ohne gesetzliche Hemmnisse geltend gemacht werden können; insbesondere war er im streitigen Zeitraum nicht verjährt, da ein Pflichtteilsanspruch nach § 2332 Abs. 1, 1. Hälfte BGB erst in drei Jahren von dem Zeitpunkt an verjährt, in welchem der Pflichtteilsberechtigte von dem Eintritt des Erbfalls und von der ihn beeinträchtigenden Verfügung Kenntnis erlangt.

Die Hilfebedürftigkeit entfällt nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II jedoch nur, wenn es sich um zu berücksichtigendes Vermögen handelt. Nicht als Vermögen zu berücksichtigen sind jedoch nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde.

Es kann dahinstehen, ob die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch den Kläger aufgrund der damit nach dem gemeinsamen Testament seiner Eltern unweigerlich einhergehenden Enterbung hinsichtlich des künftigen Nachlasses seiner Mutter bereits als offensichtlich unwirtschaftlich anzusehen ist, oder ob - insbesondere unter Berücksichtigung der von der Beklagten betonten Unwägbarkeiten der Wertentwicklung oder des Bestandes dieses künftigen Nachlasses zu Lebzeiten der Mutter - eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung nicht feststellbar erscheint.

Denn eine Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruches würde für den Kläger jedenfalls - wie das Sozialgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat - i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II eine besondere Härte bedeuten mit der Folge, dass der Pflichtteilsanspruch als Vermögen des Klägers nicht zu berücksichtigen ist.

Die Regelung in § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II ist gegenüber der - mit der Berufungsbegründung von der Beklagten jedoch unter Hinweis auf die dazu erfolgte Kommentierung von Berlit angeführten - allgemeinen Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II (danach muss der Hilfebedürftige "alle Möglichkeiten" zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit ausschöpfen) spezieller. Die Frage einer Verwertungspflicht hinsichtlich des Pflichtteilsanspruchs des Klägers ist deshalb allein bei § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II, nicht jedoch bei § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu verorten.

Bei dem Begriff der besonderen Härte i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Die Beurteilung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgebend sind dabei nur außergewöhnliche Umstände, die nicht durch die ausdrücklichen Freistellungen über das Schonvermögen (§ 12 Abs. 3 Satz 1 SGB II, § 4 Abs. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V)) und die Absetzungsbeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II erfasst werden (vgl. Mecke, § 12 Rn. 87). § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II setzt daher solche Umstände voraus (Beispiele bei Brühl, in: LPK-SGB II, a.a.O., § 12 Rn. 55 ff.; vgl. auch Behrend, in: jurisPK-SGB II, 2005, § 12 Rn. 52), die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte. Nach den Gesetzesmaterialien liegt ein Härtefall i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6, 2. Alt. SGB II etwa dann vor, wenn ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kurz vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge einsetzen muss, obwohl seine Rentenversicherung Lücken wegen selbstständiger Tätigkeit aufweist (BT-Drucks. 15/1749 S. 32). Es kommt nach den Vorstellungen des Gesetzgebers somit nicht allein auf den Verlust der Altersvorsorge und den Zeitpunkt des Eintritts an. Hinzu kommen muss vielmehr noch eine Versorgungslücke. Demnach sind nur besondere, bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende Umstände beachtlich und in ihrem Zusammenwirken zu prüfen (zum Ganzen BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 68/06 R; Urteil vom 16.05.2007 - B 11b AS 37/06 R = SozR 4-4200 § 12 Nr. 4; Urteil vom 08.02.2007 - B 7a AL 34/06 R m.w.N.). Dabei ist der Begriff der "besonderen" Härte gleichbedeutend mit demjenigen einer (bloßen) Härte i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch ((SGB XII); vgl. Mecke, a.a.O., Rn. 88; Brühl, a.a.O., Rn. 54). Die Herkunft des Vermögens spielt zwar keine entscheidende Rolle; sie kann jedoch so prägend sein, dass die Verwertung eine besondere Härte darstellt (Brühl, a.a.O., Rn. 56). Auch das Alter des Hilfebedürftigen und die voraussichtliche Dauer seiner Arbeitslosigkeit können ebenso beachtlich sein wie besondere, bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende und in ihrem Zusammenwirken zu untersuchende Umstände (Mecke, a.a.O., Rn. 91 m.w.N.).

In Ansehung aller Umstände des Einzelfalls sieht der Senat in der Verwertung des Pflichtteilsanspruchs des Klägers zur Vermeidung seiner Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II einen Fall besonderer Härte i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II:

Der Nachlass seines Vaters bestand im Wesentlichen aus dessen Miteigentumsanteil an dem Hausgrundstück W-weg 0 in N. Dieses Hausgrundstück, bei dem es sich ausweislich des von der Beklagten eingeholten Wertgutachtens um eine Immobilie handelt, die die Wohneigentumsbedürfnisse in gesicherten, aber bescheideneren Verhältnisses abdeckt und keine luxuriösen Elemente aufweist, entspricht der wirtschaftlichen Lebensleistung von Eheleuten mit der hergebrachten Aufgabenteilung einer Einverdienerehe, innerhalb derer zwei Kinder erzogen wurden. Die Tätigkeit des Vaters im mittleren Dienst einer Behörde erlaubte allein einen solchen Vermögensaufbau in bescheidenem Rahmen. Der Erwerb und die Abzahlung einer solchen Immobilie dient in derartigen Verhältnisses regelmäßig auch der Sicherung eines nicht kostenintensiven Wohnbedarfs und damit der wirtschaftlichen Absicherung der Eheleute für das Alter. Hiermit korrespondiert die Gestaltung des sog. Berliner Testaments der Eltern des Klägers, die sich - wie in derartigen familiären und vermögensmäßigen Verhältnissen üblich - zur Altersabsicherung des längstlebenden Ehegatten wechselseitig und unter Enterbung der Kinder zu Vollerben eingesetzt haben. Im Rahmen eines funktionierenden Familienzusammenhangs ist regelmäßig auch nicht davon auszugehen, dass nach Versterben eines Elternteils ein Kind nach § 2303 Abs. 1 BGB vom längstlebenden Elternteil den Pflichtteil einfordert und damit für diesen Elternteil die zur Zeit des Bestehens der Ehe geplante wirtschaftliche Absicherung gefährdet oder zumindest erschwert. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger seinen Pflichtteil nur im Wege einer Verletzung selbstverständlicher familiärer Rücksichten gegenüber seiner Mutter geltend machen können. Dies hätte die familiären Beziehung um so mehr belastet, als seine Mutter den seit langem erwachsenen Kläger nach Eintritt seiner Einkommenslosigkeit ohne Weiteres und mietfrei wieder in das elterliche Haus aufgenommen und ihn im Übrigen mit Sach- und Geldleistungen unterstützt hat. Dass eine solche Handlungsweise in der Familie des Klägers als Affront angesehen worden wäre, kommt im Übrigen schon in der Gestaltung des elterlichen Testaments zum Ausdruck, welches für den Fall der Geltendmachung des Pflichtteils unweigerlich die Enterbung des Pflichtteilsberechtigten und sein "Setzen" auf den bloßen Pflichtteil vom Nachlass des Längstlebenden vorsieht.

In solchen familiären und wirtschaftlichen Verhältnissen stellt der Pflichtteilsanspruch wegen seiner Gewährung durch § 2303 Abs. 1 BGB zwar rechtlich einen Vermögensgegenstand dar. Faktisch allerdings wird er im Rahmen funktionierender Familienbeziehungen nicht wie ein aktuell vorhandenes Vermögen wahrgenommen oder behandelt; vielmehr wird der ihm entsprechende Vermögensteil zu Lebzeiten des durch ein Berliner Testament begünstigten längstlebenden Ehepartners diesem Ehepartner zu alleinigen Verfügung mit allen Rechten (des Vollerben) belassen. Die Beklagte zwingt deshalb den Kläger, wenn sie von ihm letztlich seinen Pflichtteilsanspruch einzufordern verlangt, zu einem Verhalten, welches innerhalb funktionierender Familienzusammenhänge als sittenwidrig bzw. anstößig angesehen würde. Dem entspricht die eigentliche Zielrichtung des Pflichtteilsanspruchs, der dem an sich Erbberechtigten, aber etwa durch Testament Enterbten im durch § 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB zugestandenen Umfang doch an der wirtschaftlichen Hinterlassenschaft des Erblassers beteiligen und so die Folgen einer Enterbung mildern soll; normtypisch nimmt § 2303 Abs. 1 BGB deshalb auf gestörte, nicht jedoch auf gut funktionierende familiäre Verhältnisse Rücksicht.

Soweit die Beklagte auf eine mögliche fehlende dauerhafte Werthaltigkeit des Vermögens abstellt, spricht dies in diesem Zusammenhang im Übrigen nicht gegen, sondern gerade für die Nichtberücksichtigung des Pflichtteilsanspruches des Klägers: Im Rahmen funktionierender familiärer Verhältnisse erscheint es mehr als fernliegend, einen die eigene Mutter nach deren allgemeinen Verhältnissen wirtschaftlich gefährdenden oder zumindest belastenden Pflichtteil einzufordern, nur weil es nicht sicher ist, ob der Wert des für später zu erwartenden Erbes den des jetzigen Pflichtteils überhaupt noch erreichen wird. Dies macht gerade deutlich, dass der aktuelle Wert eines Pflichtteils zwar rechtlich - wegen der Möglichkeit, die § 2303 Abs. 1 BGB zur Verfügung stellt - Vermögen des Pflichtteilsberechtigten ist, faktisch aber jedenfalls bei wirtschaftlichen Zuschnitten wie in der Familie des Klägers nicht zu einer wahrnehmbaren wirtschaftlichen Besserstellung führt. Dann aber verbietet es sich nach Ansicht des Senats, in dem konkreten wirtschaftlichen Zuschnitt der Familie des Klägers zu fordern, eine solche Besserstellung zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit dadurch zu erzwingen, dass der Einsatz eines Vermögenswertes verlangt wird, der die wirtschaftliche Situation des Klägers sowohl nach der Vorstellung seiner Eltern als auch nach seiner eigenen Vorstellung niemals mitbestimmen sollte.

Soweit die Beklagte vorträgt, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Mutter des Klägers könnten die entscheidungsrelevanten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht definieren, so verkennt sie die besonderen familiären Situationen, auf die die Regelung in § 2303 Abs. 1 BGB als normtypischen Sachverhalt gerade Rücksicht nimmt und die sich im funktionierenden familiären Verhältnis des Klägers zu seiner Mutter gerade nicht widerspiegeln.

Insgesamt würde deshalb jedenfalls in Fällen wie dem des Klägers, in denen die wirtschaftliche Lebensleistung der Eltern nur zu einer bescheidenen, die unmittelbaren Wohnbedürfnisse des längstlebenden Ehegatten und damit das Alter wirtschaftlich sichernden Erbschaft führten, und in dem zugleich eine Belastung der Allgemeinheit durch Leistungen nach dem SGB II prognostisch nur für einen kürzeren Zeitraum zu erwarten ist (tatsächlich hat der Kläger seit dem 01.02.2006 dauerhaft wieder berufliches Auskommen gefunden), die Verwertung eines Pflichtteilsanspruchs eine besondere Härte i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II bedeuten. Aus diesem Grund ist der Pflichtteilsanspruch in Fällen wie dem vorliegenden nicht als Vermögen zu berücksichtigen.

Nicht zu entscheiden hat der Senat hingegen, ob bei anderen Sachverhaltsgestaltungen - z.B. bei höherem, über die verständigen wirtschaftlichen Sicherungsbedürfnisse des längstlebenden Ehegatten hinausreichendem Wert einer Erbschaft, bei höheren Einkünften oder Vorhandensein sonstigen erheblichen Vermögens des längstlebenden Ehegatten, bei ohnehin nicht mehr intakten Familienbanden, bei Wahrscheinlichkeit langdauernder Arbeitslosigkeit, usw. - ein Pflichtteil doch als Vermögen zu berücksichtigen sein kann; diese Frage lässt der Senat vielmehr ausdrücklich offen.

Handelt es sich bei dem Pflichtteilsanspruch des Klägers um nach § 12 Abs. 3 SGB II von vornherein nicht um zu berücksichtigendes Vermögen, kommt es nicht auf die Frage an, ob eine Hilfebedürftigkeit des Klägers nach § 9 Abs. 4, 1. Alt. SGB II schon deshalb bestand, weil der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich war. Nach der bis zum 30.03.2006 geltenden Fassung der Norm wären in diesem Falle Leistungen - nur - als Darlehen zu erbringen gewesen (für spätere Zeiträume ergibt sich dieses Ergebnis aus § 23 Abs. 5 Satz 1 SGB II; vgl. hierzu Mecke, a.a.O., § 9 Rn. 48). Zwar erscheint eine nicht sofortige Verwertbarkeit des Pflichtteilsanspruchs insoweit denkbar, als eine im Sinne eines Zahlungszuflusses beim Kläger erfolgreiche - ggf. streitige - Durchsetzung seines Pflichtteilsanspruchs gegen seine Mutter möglicherweise in der kurzen Zeit seiner Einkommenslosigkeit vom 08.09.2005 bis 31.01.2006 (knapp fünf Monate) und damit auch im noch streitigen Zeitraum Oktober und November 2005 nicht zu gewährleisten gewesen wäre. Zum einen richtet sich das Klageziel jedoch ohnehin auf eine zuschussweise und nicht allein auf eine darlehensweise Leistungsgewährung. Zum anderen setzt § 9 Abs. 4 SGB II eine spätere Vermögensverwertung gerade voraus, während § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB II die Berücksichtigung des von ihm erfassten Vermögens völlig ausschließt und sie nicht etwa zu einem späteren Zeitpunkt verlangt (Mecke, a.a.O., § 12 Rn. 89).

Erfüllte der Kläger im streitigen Zeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, so ist die Beklagte in Klarstellung des sozialgerichtlichen Tenors zu Leistungen in monatlicher Höhe von 649,00 EUR zu verurteilen. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus einer Regelleistung i.S.v. § 20 Abs. 2 SGB II (in der seinerzeit geltenden Fassung) von 345,00 EUR sowie - als Leistungen für angemessene, tatsächliche Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II - aus 205,46 EUR für Grundmiete, 45,00 EUR für Betriebskostenvorauszahlungen, 13,00 EUR Kosten für Kaltwasser und Entwässerung sowie 41,00 EUR Kosten für Heizkostenvorauszahlung. Die sich ergebende Bedarfssumme von monatlich 649,46 EUR ist nach § 41 Abs. 2 SGB II auf 649,00 EUR abzurunden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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