L 18 U 181/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 194/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 181/06
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 05.04.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten, ob dem Kläger eine Verletztenrente im Wege der Neufeststellung wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen zusteht.

Der 1937 geborene Kläger erlitt am 30.03.1979 einen Arbeitsunfall. Er zog sich einen Kompressionsbruch des 12. BWK zu. Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 18.03.1992 ab 01.03.1989 eine Verletztenrente auf Dauer nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH. Dieser Bescheid erging in Ausführung des gerichtlichen Vergleiches vom 06.03.1992. Das Sozialgericht Würzburg (SG) hatte das Gutachten des Dr. N. (Dt. Krankenhaus I.) vom 14.06.1991 eingeholt, der als Unfallfolgen festgestellt hatte: Zustand nach Kompressionsfraktur des 12. BWK mit Höhenverminderung des Wirbels um die Hälfte, skoliotische Achsenabknickung, Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule, Muskelatrophie im Bereich der linken Ober- und Unterschenkelmuskulatur, deutliche degenerative Veränderungen im Bereich des BWS-LWS-Überganges, besonders große Osteophytenbildung im linken Bereich zwischen 12. BWK und 1. LWK. Die Verletztenrente wurde mit Bescheid vom 23.03.1994 abgefunden.

Den Antrag des Klägers vom 27.06.1995 auf Neufeststellung der Rente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.04.1996 und Widerspruchsbescheid vom 30.07.1996 ab. Im Klageverfahren holte das Sozialgericht Würzburg (SG) ein Gutachten des Chirurgen Dr. S. vom 24.07.1997 ein, der beim Kläger eine gut verheilte Kompressionsfraktur des 12. BWK mit Höhenminderung des Wirbels um ein Drittel und eine minimale skoliotische Achsenabknickung sowie eine lediglich endgradige Bewegungseinschränkung feststellte und die Höhe der MdE mit 20 vH einschätzte (Gutachten vom 24.07.1997). Das SG wies die Klage mit Urteil vom 20.05.1999 ab und führte aus, dass nach den Bewertungsmaßstäben im Unfallversicherungsrecht ein Wirbelkörperbruch ohne Nervenbeteiligung mit einer MdE von 10 bis 20 vH bewertet werde. Die Berufung blieb erfolglos. Das Bayer. Landessozialgericht -BayLSG- hat in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 04.12.2002 ausgeführt, dass sich eine höhere MdE als 20 vH nur bei einem instabilen Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung und statisch wirksamen Achsenknick begründen ließe, der Wirbelkörperbruch des Klägers aber fest verheilt sei.

Mit Schreiben vom 13.05.2003 beantragte der Kläger erneut die Neufeststellung der Verletztenrente. Unter Hinweis auf ein Attest des Orthopäden Dr. K. (staatlichen Krankenhauses in S.) vom 12.03.2003 machte er eine Verschlimmerung der Unfallfolgen und eine nunmehrige MdE von 30 vH geltend. Nach Beiziehung medizinischer Befunde und Röntgenaufnahmen sowie Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Chirurgen Dr. P. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.09.2003 die Neufeststellung der Verletztenrente ab. Eine wesentliche Änderung in den Unfallfolgen läge nicht vor.

Im Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte eine Untersuchung des Klägers (Bericht des Orthopäden Dr. A. - SSK Krankenhaus S. - vom 10.12.2003) und eine Stellungnahme des Dr. P. vom 15.03.2004. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2004 zurück. Es sei unverändert von einem gut verheilten Kompressionsbruch des 12. BWK mit Höhenminderung um ein Drittel mit minimaler skoliotischer Achsenknickung und endgradiger Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule auszugehen. Die MdE sei mit 20 vH weiterhin befundangemessen bewertet.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum SG erhoben. Zur Begründung hat er auf das Attest vom 12.03.2003 verwiesen. Der in diesem Attest festgestellten Einschätzung der MdE in Höhe von 30 vH sei zu folgen, da diese von den behandelnden Ärzten getroffen worden sei.

Im Klageverfahren hat die Beklagte ein Gutachten des Orthopäden Dr. A. vom 16.07.2004 vorgelegt. Die von Dr. A. beschriebenen Befunde stimmten mit den im Widerspruchsverfahren erhoben Befunden überein. Allerdings habe Dr. A. eine MdE-Bewertung von 35 vH getroffen, der nicht gefolgt werden könne. Dr. A. habe unfallfremde Leiden in die Bewertung einfließen lassen.

Das SG hat den Chirurgen Dr. S. mit Gutachten vom 03.10.2005 gehört. Er hat beim Kläger eine gut keilförmig verheilte Kompressionsfraktur des 12. BWK mit Höhenminderung des Wirbels um ein Drittel festgestellt. Eine minimale skoliotische Achsenabweichung nach links sei erkennbar, jedoch bestünden keine Zeichen für Nervenwurzelirritationen, Muskelatrophien oder nennenswerte Sensibilitätsstörungen. Eine Verschlimmerung sei nicht eingetreten. Die vom Kläger beklagten Beschwerden im BWS- und LWS-Bereich seien unfallunabhängig auf eine Osteoporose zurückzuführen. Die MdE sei weiter auf 20 vH einzuschätzen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 05.04.2006 abgewiesen. Es hat sich auf die Ausführungen des Dr. S. vom 03.10.2005 gestützt.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er verweist auf das Attest vom 12.03.2003 und die Äußerungen des Dr. A. vom 16.07.2004, nach denen von einer MdE von 30 vH bzw 35 vH auszugehen sei. Unfallfremde Ursachen seien nicht einbezogen worden. Vielmehr handele es sich bei der Deformation der Wirbelsäule um eine Unfallfolge, durch die auch die fortschreitende Osteoporose mitbedingt sei. Dr. S. habe nicht ausgeführt, welche Gesundheitsschäden beim Kläger hinzugetreten und aus welchen Gründen diese unfallbedingt oder unfallunabhängig entstanden seien.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 05.04.2006 und den Bescheid vom 08.09.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2004 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Folgen des Unfalls vom 30.03.1979 eine Rente nach einer höheren MdE als 20 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die das Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 05.04.2006 zurückzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils.

Der Senat hat eine gutachterliche Äußerung der Dres. S. und Ö. vom 02.03.2008 eingeholt und den Orthopäden Dr. A. mit Gutachten nach Aktenlage vom 04.06.2008 gehört. Dr. A. hat festgestellt, dass es unter Berücksichtigung der aktenkundigen Befunde und ärztlichen Äußerungen sowie der Röntgenaufnahmen seit der Begutachtung durch Dr. N. im Jahr 1991 nicht zu einer wesentlichen Änderung in den unfallbedingten Befunden gekommen sei.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Archivakten des SG (S 1 U 32/92, S 11 U 192/95 und S 5 U 530/96) und des BayLSG (L 17 U 443/99) sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber in der Sache nicht begründet. Das Urteil des SG vom 05.04.2006 ist nicht zu beanstanden, da der der Bescheid der Beklagten vom 08.09.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2004 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Eine Änderung der unfallbedingten Befunde, die dem gerichtlichen Vergleich vom 06.03.1992 bzw. dem Ausführungsbescheid der Beklagten vom 18.03.1992 zugrunde lagen, ist nicht eingetreten.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt gemäß § 48 Abs 1 S 1 des Zehntes Buch Sozialgesetzbuchs (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Maßgeblich ist eine wesentliche Leidensverschlimmerung oder das Hinzukommen neuer Leiden, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall stehen. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt vor, wenn sich der Grad der MdE wegen der nach § 56 Abs 1 S 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) anerkannten oder neu anzuerkennenden Unfallfolgen um mindestens 10 vH ändert.

Aus dem zum Vergleich heranzuziehenden Gutachten des Dr. N. vom 14.06.1991 ergibt sich, dass beim Kläger unfallbedingt eine Keilwirbelbildung des 12. BWK mit einer daraus resultierten verstärkten Rundrückenbildung im betroffenen Segment und einer leichten Skoliose in diesem Segment bestand. Zusätzlich waren Verschleißerscheinungen in den darüber- und darunterliegenden Segmenten zu verzeichnen. Hinzu kamen eine mittelgradige Einschränkung der Entfaltbarkeit, eine Muskelminderung im linken Bein und ein positives Lasègue-Zeichen, bei ansonsten unauffälligem neurologischem Befund.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Dr. A. lässt sich eine Änderung dieser gesundheitlichen Verhältnisse nicht dem Attest des Dr. K. vom 12.03.2003 entnehmen. Danach bestehe beim Kläger eine Kyphoskoliose zwischen TH 12 und L 1 nach Kompressionsbruch TH 12; ein körperlicher Arbeitsverlust von 30 Prozent sei festzustellen. Hierzu weist Dr. A. darauf hin, dass die zum damaligen Zeitpunkt angefertigten Röntgenaufnahmen einen weiterhin stabil verheilten Bruch des 12. BWK mit leichter Keilwirbelbildung und daraus resultierender verstärkter Rundrückenbildung in diesem Bereich und einer leichten Skoliose zeigen. Insgesamt lässt sich aus den in der Zeit von 1993 bis zum 24.09.2005 erstellten Röntgenaufnahmen eine im Verlauf unveränderter Keilwirbelbildung des 12. BWK bei vollständiger knöcherner Durchbauung des Bruches erkennen. Hieraus resultiert ein leichter skoliotischer Achsenknick und eine leicht verstärkte Rundrückenbildung in diesem Bereich, ausgeprägte Verschleißerscheinungen in den darüber- und darunter liegenden Segmenten sind nach den Röntgenaufnahmen nicht festzustellen, die Lendenwirbelsäule stellt sich durchgehend mit leichten Verschleißerscheinungen und einer leichten linkskonvexen Skoliose dar.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten des Dr. A. vom 16.07.2004. Auch zum Zeitpunkt dieser Begutachtung bestand ein stabiler Kompressionsbruch mit leichter Keilwirbelbildung, beweisend hierfür sind die zu einem späteren Zeitpunkt angefertigten Röntgenaufnahmen vom 27.09.2005. Trotz der von Dr. A. beschriebenen Abschwächung des Patellarsehnenreflexes und des Achillessehnenreflexes links und auch bei Berücksichtigung eines positiven Lasègue-Zeichens links bei 70 Grad und rechts bei 90 Grad sowie der beschriebenen Funktionseinschränkung im Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich kann eine Höhereinschätzung der MdE nicht erfolgen. Die von Dr. A. beschriebene Hallux valgus Deformität bilateral und der Zustand nach Radius-ulnar-/ Distalspitzenfraktur ist nicht auf das Unfallereignis vom 30.03.1979 zurückzuführen. Nicht unfallbedingt ist auch die beim Kläger bestehende Osteoporose.

Dass sich eine Verschlimmerung der Verhältnisse nicht ergeben hat, folgt auch aus dem von Dr. S. erstellten Gutachten vom 03.10.2005. Er hat beim Kläger eine keilförmig verheilte Kompressionsfraktur des 12. BWK mit Höhenminderung des Wirbels um ein Drittel und minimaler skoliotischer Achsenabweichung nach links festgestellt. Nervenwurzelirritationen, Muskelatrophien oder nennenswerte Sensibilitätsstörungen bestanden nicht. Dr. S. hat ein völlig normales Gangbild beschrieben. Bei der Inspektion der gesamten Wirbelsäule war keine wesentliche Deformität zu erkennen. Die Rückenmuskulatur war seitengleich gut gebaut. Die gefertigten Röntgenaufnahmen zeigen unveränderte Verhältnisse zu sämtlichen Röntgenaufnahmen ab 1993. Eine wesentliche Änderung ergibt sich auch nicht aus den Feststellungen der Dres. S. und Ö. vom 02.03.2008, die einen Restbefund der Wirbelfraktur diagnostizierten.

Nach alldem ist nicht von einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 Abs 1 SGB X auszugehen. Ferner gehen Dr. A. und Dr. S. zutreffend von einer Bewertung der Unfallfolgen mit einer MdE in Höhe von 20 vH aus. Dies entspricht der Einschätzung nach den Erfahrungswerten in der gesetzlichen Unfallversicherung, die für einen Wirbelkörperbruch ohne Nervenbeteiligung - je nach der Leistungsfähigkeit der Wirbelsäule - eine MdE von 10 bis 20 vH vorsehen (Mehrhoff-Meindl-Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl. 159). Eine höhere MdE als 20 vH setzt einen - beim Kläger nicht bestehenden - instabilen Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung und statisch wirksamem Achsenknick voraus (Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 536).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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