L 1 SK 14/08

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 26 R 276/06
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 SK 14/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Was ein umfangreicher Befundbericht ist, orientiert sich nicht nur an der Zeilen- oder Seitenzahl. Entscheidend ist der Arbeitsaufwand, den der Arzt mit der Bericht-erstellung hatte.
2. Kriterien für den geleisteten Arbeitsaufwand können sein:
- Ausführlichkeit
- Schwierigkeit, die Befunde zusammenzustellen
- Vielzahl der eigenen, fremden oder fachübergreifenden Befunde
- Vielzahl der technischen oder labortechnischen Befunde
- langes, komplexes Krankheitsbild
- gestraffte Form der Darstellung
3. Die unhaltliche Qualität des Berichts und die Spezialisierung des berichtenden Arztes sind unbeachtlich, ebenso Arbeiten, die vom Auftrag nicht gedeckt waren.
Die Vergütung des Antragstellers wird auf 71,90 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antragsteller erstattete nach schriftlicher Aufforderung und nach telefonischer Rücksprache mit dem Senatsvorsitzenden in freier Form den Behandlungs- und Befundbericht vom 28. Au¬gust 2008. Der Bericht umfasste 2,5 Seiten und bezog sich auf zwei stationäre Behandlungen sowie die ambulante Nachsorge eines türkisch-stämmigen Klägers, der an erheblichen neurologisch-psychiatrischen Gesundheitsstörungen litt. Der Bericht schloss mit einer gutachtlichen Aussage zur Teilnahme am Arbeitsleben.

Nachdem die Kostenbeamtin dem Antragsteller eine Vergütung von 50,00 EUR und 0,90 EUR Porto zugestanden hatte, beantragte dieser die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 JVEG. Hierzu nahm der Kostenprüfungsbeamte des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts am 11. November 2008 Stellung. Er schlug eine Vergütung von 44,90 EUR vor, weil die Tätigkeit des Antragstellers nicht außergewöhnlich umfangreich gewesen sei. Deshalb sei der Bericht mit 38,00 EUR und Porto sowie Schreibaufwand nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG mit insgesamt 6,90 EUR zu vergüten. Hierzu äußerte sich der Antragsteller am 29. November 2008. Auf den Schriftwechsel wird verwiesen.

Der Antragsteller ist mit 71,90 EUR zu vergüten.

Der Senat ist im Verfahren nach § 4 JVEG nicht an die Feststellungen der Kostenbeamtin und des Kostenprüfungsbeamten gebunden. Deren Abrechnungen sind hinfällig, wenn der Antragsteller – wie hier – den Antrag auf gerichtliche Festsetzung stellt. Dieser Antrag ist kein Rechtsbehelf gegen die Feststellungen der Kostenbeamtin und des Kostenprüfungsbeamten. Mit dem Antrag geht die funktionelle Zuständigkeit für die Festsetzung auf das Gericht über. Konsequenterweise gilt dann das so genannte Verböserungsverbot nicht (herrschende Meinung: LSG Hamburg, NJW 64, 1243; BGH NJW 69, 556; LSG Baden-Württemberg, Der Rechtspfleger 74, 374; Landesarbeitsgericht Hamm, Juristisches Büro 76, 491; OLG Karlsruhe, Juristisches Büro 88, 390). Dieses Rechtsproblem braucht der Senat indessen nicht zu vertiefen, da er einen höheren Betrag als in den Vergütungsabrechnungen vom 18. September und 11. November 2008 festsetzt. Das hat folgende Gründe: Die Vergütung für einen Behandlungs- und Befundbericht ist in § 10 JVEG und in der Anlage 2 zu dieser Vorschrift geregelt. Da die kurze gutachtliche Äußerung des Antragstellers nachträglich vom Senat gebilligt worden ist, ist der Bericht mit 38,00 EUR zu vergüten (Nr. 202). Nur dann, wenn die Leistung außergewöhnlich umfangreich ist, kann die Vergütung bis zu 75,00 EUR ausmachen (Nr. 203). Nach der Systematik dieser Vorschriften setzt eine Vergütung von mehr als 38,00 EUR schon eine außergewöhnlich umfangreiche Leistung voraus. Das heißt, die erbrachten Leistungen müssen das gewöhnliche Maß ganz erheblich überschreiten. Danach ist weiter abzustufen, bis dann mit einem extrem umfangreichen Bericht die Höchstvergütung von 75,00 EUR erreicht ist.

Der Begriff "umfangreich" ist dabei nicht nur nach der Zeilen- oder Seitenzahl zu bestimmen. Da es in § 10 und der Anlage 2 um die Vergütung von Leistungen geht, kommt es auf das Ausmaß der Arbeit an, die der Arzt mit der Berichterstattung hat. Diese Arbeit ist von Fall zu Fall verschieden. Die Rechtsprechung hat aber Kriterien entwickelt, an Hand derer der Arbeitsaufwand bestimmt werden kann. Solche Kriterien sind die Ausführlichkeit der Beschreibungen und die Schwierigkeit, die berichtenswerten Befunde zusammenzustellen. Diese Arbeiten können mit einem besonders hohen Zeitaufwand verbunden sein, wenn z. B. fachübergreifend eine Vielzahl eigener und fremder Befunde zusammenzufassen sind. Insbesondere gilt das auch für die Auswertung fremder Arztbriefe auf medizinischen Gebieten, in denen regelmäßig eine große Zahl technischer Befunde oder Funktionsdiagramme anfallen. Ebenso kann es einen erhöhten Arbeitsaufwand bedeuten, wenn ein komplexes wechselhaftes Krankheitsbild über Jahre hinweg aus schwer überschaubaren Unterlagen darzustellen ist (Beschluss des Senats vom 17. Oktober 2000 – L 1 SF 5/98 SK -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Januar 2003 L 10 SB 71/02 -). Auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet kann auch die erforderliche Rücksprache mit Familienangehörigen oder dem Patienten Zeitaufwand produzieren, wenn ein schwer überblickbarer Krankheitsverlauf zu schildern ist. Schließlich kann auch die straffe und übersichtliche Darstellung der Befunde und Aussagen eine zeitintensive Arbeit glaubhaft machen. Die inhaltliche Qualität des Berichts und der kurzen gutachtlichen Äußerung sind unerheblich (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 28. Februar 2001 L 10 SB 50/00 und vom 29. Januar 2003 – L 10 SB 71/02 -).

An diesen Kriterien gemessen überschreitet der Bericht vom 28. August 2008 jedenfalls den gewöhnlichen Umfang eines Behandlungs- und Befundberichtes ganz erheblich. Der reine Text umfasst zwei eng beschriebene Seiten mit besonders engem Zeilenabstand. Schon deshalb ist die Nr. 203 anwendbar. Inhaltlich bezieht sich der Bericht auf einen stationären Aufenthalt von einem Monat und einem weiteren von neun Tagen sowie auf die ambulante Nachsorge über drei Monate. Der Antragsteller hatte deshalb Krankenblätter über diese Zeiträume auszuwerten. In dem betrachteten Zeitraum war der türkische Kläger depressiv gestört und machte eine schwere Episode mit deutlichen Denkstörungen durch. Es handelte sich auf neurologisch-psychiatri¬schem Gebiet um ein komplexes Krankheitsgeschehen. Zu dessen Verständnis hat der Antragsteller die Aufnahmesituation und die Vorgeschichte sowie einige technische Befunde geschildert. Fachübergreifend finden sich auch Hinweise zu Störungen auf innermedizinischem Gebiet. Ausgewertet wurden schließlich ein Einweisungsbericht des ambulant behandelnden Nervenarztes und Schilderungen von Familienangehörigen in belastender Situation. Zur besseren Aufklärung des Krankheitsgeschehens waren Rücksprachen mit dem Kläger und seinen Familienangehörigen erforderlich. Die Schwierigkeit bei der Erhebung und Übermittlung neurologisch-psychiatrischer Daten hat der Antragsteller dadurch überwunden, dass er seinen Bericht verständlich und straff gegliedert hat. Insgesamt ist daher ein ganz außergewöhnlicher Zeitaufwand glaubhaft.

In der Abwägung, dass es aber durchaus noch umfangreichere Darstellungen, schwierigere Krankheitsbilder und Behandlungen über noch längere Zeiträume gibt und dass hierfür der Höchstsatz von 75,00 EUR reserviert bleiben muss, hält der Senat eine Vergütung von 65,00 EUR für angemessen. Mit der nicht zu beanstandenden Festsetzung des Schreibaufwandes und des Portos ist der Antragsteller daher mit 71,90 EUR zu vergüten.

Wenn der Antragsteller demgegenüber 97,00 EUR für seinen Bericht begehrt, muss er sich entgegenhalten lassen, dass eine solche Vergütung nach den gesetzlichen Vorschriften nicht möglich ist und dass Gerichte nun einmal an Gesetze gebunden sind. Außerdem muss der Senat darauf hinweisen, dass der Antragsteller offensichtlich aus ärztlichem Pflichtgefühl heraus mehr getan hat, als ihm abverlangt worden war. Es gibt aber keinen Entscheidungsspielraum für das Gericht, solche nicht in Auftrag gegebenen Leistungen zu vergüten.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist es keine juristische Spitzfindigkeit, zwischen Befundbericht und Gutachten zu unterscheiden. Die Aufgabe, im Rahmen eines Rechtsstreits zu bestimmten Fragen des Gerichts eine ärztliche Meinung abzugeben und dies in die Form eines Gutachtens zu bringen, obliegt den gerichtlich bestellten Sachverständigen. Sie werden dementsprechend höher vergütet. Der Arzt, der einen Befundbericht zu erstellen hat, referiert dagegen grundsätzlich nur Fakten, es sei denn, er ist zusätzlich zu einer kurzen gutachtlichen Stellungnahme zu diesen Fakten beauftragt. Es mag hier medizinisch sinnvoll gewesen sein, einen "unnötigen Kleinkrieg unter Fachkollegen" zu vermeiden und sich zu diesem Zweck einer Oberarztintervision sowie einer Supervision zu unterziehen. Aber dieser Zeitaufwand lag außerhalb des erteilten Auftrages. Es ergibt sich auch nicht aus der Akte, dass der Antragsteller ein "Gegengutachten in der Form eines Befundberichtes" erstellen sollte. Die vom Antragsteller geltend gemachte hohe fachliche Qualifikation und die Güte seiner bislang erstellten Gutachten zweifelt der Senat mit seiner Festsetzung nicht an. Im Gegenteil, der Senat berücksichtigt, dass der Antragsteller einen außergewöhnlich umfangreichen und gründlichen Bericht erstellt hat, der die Annäherung an den oberen Vergütungsrahmen rechtfertigt.

Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten sind nicht zu erstatten (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Dr. S B T
Rechtskraft
Aus
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