S 37 AS 17404/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 17404/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 17.12.2007 verurteilt, dem Kläger 1. im Zeitraum Januar bis April 2007 einen Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II in Höhe von 108,88 EUR monatlich, 2. im Zeitraum Mai bis Juli 2007 einen Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II in Höhe von 121,80 EUR monatlich, 3. ab August 2007 einen Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II in Höhe von 129,80 EUR monatlich zu gewähren. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:

Streitig ist die Berechnung des Zuschusses nach § 22 Abs. 7 SGB II.

Der 1987 geb. Kläger besuchte bis Juli 2006 eine Berufsfachschule. Im August 2007 wechselte er in eine Fachoberschulklasse. Er lebt zusammen mit seiner Mutter und einem 1996 geb. Bruder in einer Wohnung, für die von Januar bis April 2007 monatlich 482,63 EUR Bruttowarm-miete zu zahlen war. Seit Mai 2007 beträgt die Miete wegen einer Mieterhöhung 436,39 EUR, dazu kommen 85 EUR Heizkostenabschlag.

Neben Kindergeld erhielt der Kläger 304 EUR BAföG (von August 2006 bis Juli 2007). Seit August 2007 wird elternunabhängiges BAföG in Höhe von 354 EUR gezahlt.

Im Oktober 2006 hatte die Mutter des Klägers als Vertreterin einer 3-Personen-Bedarfsgemeinschaft (BG) Leistungen nach dem SGB II beantragt. Der Antrag wurde mangels Hilfebedürftigkeit abgelehnt (Bescheid vom 1.3.2007). Hiergegen war nach Bestätigung mit Widerspruchsbescheiden vom 22.5.2007, zugestellt am 5. Juli 2007, am 31. Juli Klage erhoben worden.

Eine gesonderte Bescheidung etwaiger Leistungsansprüche des Klägers erfolgte zunächst nicht. Erst auf einen im Gerichtstermin am 9.11.2007 förmlich zu Protokoll genommenen Antrag des Klägers auf Gewährung eines Mietzuschusses nach § 22 Abs. 7 SGB II führte der Beklagte Neuberechnungen durch, u.a. zu einem Mietzuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II. Im Ergebnis wurde der Mietzuschuss-Antrag abgelehnt, weil der Beklagte den im BAföG enthaltenen Mietanteil auf 116 EUR ansetzte und das bereinigte Kindergeld auf den Differenzbetrag des BAföG-Mietanteils zur anteiligen Zahlmiete von160,88 EUR bis April 2007 und 173,80 EUR seit Mai 2007 anrechnete. Ein Anspruch ergab sich danach nicht (Bescheid vom 17.12.2007).

Nachdem sich die Klage der Mutter und des Bruders des Klägers infolge der Neuberechnung der Alg II- und Sozialgeldleistungen mit Bescheiden vom 12.3.2008 erledigt hat, ist nur noch die Berechnung des Mietzuschusses streitig.

Insoweit macht der Kläger unter Bezugnahme auf Rechtsprechung geltend, dass der Zuschlag ohne Anrechnung des Kindergeldes zu bemessen sei.

Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17.12.2007 zu verurteilen, dem Kläger einen Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II ohne Anrechnung des Kindergeldes zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf Verwaltungsanweisungen und diese bestätigende Rechtsprechung.

Zum übrigen Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die beigezogene Leistungsakte verwiesen.

Die Beteiligten haben sich im Termin am 12.9.2008 mit einer schriftlichen Entscheidung nach § 124 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Gegenstand der Klage ist der nach § 96 SGG einbezogene Bescheid vom 17.12.2007, mit dem der Zuschuss generell abgelehnt wird. Die Klage erfasst nach inzwischen gefestigter BSG-Rechtsprechung, der das erkennende Gericht folgt, somit den Zeitraum seit Januar 2007 ohne Begrenzung auf Bewilligungsabschnitte, die im Übrigen im Rahmen des § 22 Abs. 7 SGB II auch nicht vorgesehen sind; § 41 SGB II spricht von "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts", womit auf § 19 SGB II Bezug genommen wird. Nach § 19 SGB II gehört der Zuschuss aber nicht zum Alg II.

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Der Kläger hat unter Beachtung des Meistbegünstigungsgrundsatzes wirksam zum 1.1.2007 den Mietzuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II beantragt. Denn bei sachgerechter Auslegung des im Oktober 2006 von der Mutter des Klägers als Vertreterin der 3-Personen-BG gestellten Antrags ist in diesem Antrag auch ein Antrag auf entsprechende Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II enthalten gewesen, weil der Meistbegünstigungsgrundsatz besagt, dass im Zweifel davon auszugehen ist, dass ein Kläger ohne Rücksicht auf den Wortlaut des Antrags all die Leistungen begehrt, die ihm den größten Nutzen bringen können (dazu jüngst BSG vom 26.8.2008 – B 8/9b SO 18/07 R).

Der Kläger gehört zu dem in § 22 Abs. 7 SGB II genannten Personenkreis:

Von Januar bis Juli 2007 erhielt er BAföG nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BAföG; darin enthalten ist ein Mietanteil von 52 EUR (Rückschluss aus § 12 Abs. 3 BAföG, wonach sich für Schüler, die nicht mehr im Elternhaus wohnen, der Mietanteil von 52 EUR um bis zu 64 EUR erhöht wird, wenn mehr als 52 EUR an Unterkunftskosten anfallen).

Seit August 2007 erhält der Kläger elternunabhängiges BAföG nach § 11 Abs. 3 BAföG. Darin ist nach § 13 Abs. 2 BAföG nur ein Mietanteil von 44 EUR enthalten.

Da die Mietkosten der BG unstreitig angemessen i. S. von § 22 Abs. 1 SGB II sind, ergeben sich für den Kläger ungedeckte Mietkosten in Höhe von 108,88 EUR (= 160,88 EUR - 52 EUR) im Zeitraum Januar bis April 2007 und von 121,80 EUR (= 173,80 EUR - 52 EUR) im Zeitraum Mai bis Juli 2007.

Seit August 2007 beträgt der ungedeckte Mietanteil 129,80 EUR (= 173,80 EUR - 44 EUR).

Höchst streitig ist, ob darauf das im BAföG anrechnungsfreie Kindergeld anzurechnen ist. Inzwischen liegen eine ganze Reihe von LSG-Urteilen zu dem Problem einer sachgerechten Bemessung des Mietzuschusses vor. Hierbei gelangen die LSG-Senate jeweils unter Anwendung der klassischen Auslegungsmethoden zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Das erkennende Gericht zieht daraus den Schluss, dass Wortlaut und Zweck des § 22 Abs. 7 SGB II verschiedene Lesarten gleichermaßen zulassen.

In diesem Fall muss an die Stelle der vom jeweiligen rechtspolitischen Standpunkt des urteilenden Gerichts abhängigen Lesart die für Sozialleistungsansprüche einschlägige Interpretationshilfe des § 2 Abs. 2 SGB II treten: dass soziale Rechte möglichst weitgehend zu verwirklichen sind.

Überdies muss bedacht werden, dass die Regelung des § 22 Abs. 7 SGB II eine systemwidrige Sonderstellung im SGB II einnimmt. Wiederholte Versuche der Länder, diese Vorschrift zugunsten einer bedarfsdeckenden Ausgestaltung des BAföG aus dem SGB II zu nehmen, zuletzt im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, sind allein aus Kostengründen erfolglos geblieben.

Die Sonderstellung des § 22 Abs. 7 SGB II wird insbesondere daran deutlich, dass nur bestimmte Bezieher von BAB oder BAföG den Mietzuschuss erhalten. Es ist damit offen-kundig, dass § 22 Abs. 7 SGB II eine BAB oder BAföG ergänzende Funktion hat. Deshalb ist es nur konsequent, wenn daraus der Schluss gezogen wird, dass die Nichtanrechnung des Kindergeldes im SGB III und Bafög auch für den Ergänzungsanspruch nach § 22 Abs. 7 SGB II gilt.

Die Berechnungsweise der Beklagten wirft außerdem die Frage auf, wie es mit dem Gleich-behandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG zu vereinbaren ist, wenn § 22 Abs. 7 SGB II einer Einkommensberechnung wie nach § 11 SGB II unterzogen wird. Denn stellt man die von § 22 Abs. 7 SGB II begünstigen BAB/BAföG-Bezieher Hilfebedürftigen gleich, ist kaum vertretbar, Auszubildenden oder Studenten, die keine Förderung mehr erhalten, auch keinen Zuschuss zu zahlen oder, im Härtefall, nur ein Darlehen nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II.

Nach einhelliger Auffassung setzt der Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II keine Härtefall-prüfung voraus, so dass hinsichtlich der für eine Willkürprüfung nach Art. 3 GG heran zu ziehenden Vergleichsgruppe –Studenten und Auszubildende, die kein(e) BAB/BAföG erhalten – kein Argument erkennbar ist, warum nicht mehr geförderte Studenten oder Azubis überhaupt keine SGB II-Leistungen zum regulären Lebensunterhalt erhalten bzw. warum für sie trotz voller Hilfebedürftigkeit der Leistungsausschluss für Mietkosten bleibt.

Lösen lässt sich die Problematik ohne Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Einschätzung des Gerichts nur, wenn man die Regelung des § 22 Abs.7 SGB II strikt und durchgehend als BAB/BAföG-Zusatzleistung, die eigentlich im SGB III oder BAföG geregelt werden müsste, versteht. Dann kann aber nicht im Gegenzug die Einkommensanrechnung des § 11 SGB II herangezogen werden. Zumindest müsste dann auch auf der Bedarfsseite eine SGB II-Analoge Berechnung stehen (s. dazu LSG Berlin-Brandenburg vom 3.6.2008 - L 28 B 819/08 AS ER), was aber wiederum die Frage aufwirft, warum der Leitungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II dann nur für bestimmte BAB/BAföG-Bezieher nicht gilt.

Das erkennende Gericht folgt daher der "BAföG-Berechnung" des LSG Hessen (L 7 AS 10/08 B ER vom 24.4.2008), LSG Berlin-Brandenburg (L 14 B 133/08 AS ER vom 7.2.2008) und LSG Mecklenburg-Vorpommern (L 8 B 130/07 vom 25.3.2008).

Im Zeitraum Januar bis April 2007 hat der Kläger somit einen Anspruch auf 108,88 EUR Mietzuschuss; für Mai, Juni und Juli 2007 erhöht sich der Zuschuss entsprechend der Miet-erhöhung auf 121,80 EUR. Mit Wechsel zum elternunabhängigen BAföG, im August 2007, beträgt der Zuschuss 129,80 EUR.

Für die Zeit ab August 2008 sind die geänderten BAföG-Sätze einzustellen.

Eine Aufrundung des Zuschuss gemäß § 41 Abs. 2 SGB II ist nach Ansicht des Gerichts nicht vorzunehmen, da es sich bei dem Zuschuss nicht um Alg II-Leistungen handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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