L 7 AS 201/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 50 AS 939/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 201/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 04. Juni 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Das Berufungsverfahren betrifft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Kläger wehrt sich sowohl gegen die Einstellung der Leistungen wegen seiner Weigerung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, als auch gegen eine materiell-rechtliche Leistungsaufhebung.

Der Kläger ist 41 Jahre alt. Er ist allein stehend und lebte bis vor kurzem in einer 40,25 qm großen Einzimmerwohnung. Der Kläger ist gelernter Maschinenschlosser. Von August 1988 bis Ende August 2004 war er bei der Firma H. Hydraulik als Versuchsmonteur beschäftigt. Bis Ende August 2005 bezog er Arbeitslosengeld. Einkommen oder nennenswertes Vermögen waren im streitgegenständlichen Zeitraum nicht vorhanden.

Der Kläger erhielt ab dem 29.08.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bewilligungsbescheid vom 18.11.2005). Mit Bescheid vom 22.12.2005 hatte die Beklagte Leistungen für den Zeitraum Januar bis Juni 2006 bewilligt (977,88 EUR pro Monat).

Wegen deutlicher Anzeichen für eine psychische Erkrankung bat die Beklagte das städtische Gesundheitsamt um eine Untersuchung des Klägers. Dieser war für den 24.01.2006 und dann nochmals für den 21.02.2006 zur persönlichen Untersuchung vorgeladen worden, weigerte sich aber jeweils mit der Begründung, er würde sich nicht ärztlich untersuchen lassen, denn er sei in seiner Hausarztpraxis bestens versorgt; er habe das Recht auf freie Arztwahl.

Auf die erste Absage des Klägers hin hatte die Beklagte ihm schriftlich mitgeteilt, er würde in nächster Zeit eine neue Ladung zur ärztlichen Untersuchung erhalten. Nach der zweiten Weigerung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 30.03.2006 die Leistungen zum 30.04.2006 wegen fehlender Mitwirkung ein. Zudem hob die Beklagte mit Bescheid vom 03.04.2006 die Leistungsbewilligung mit Wirkung ab 01.05.2006 wegen fehlender Hilfebedürftigkeit auf.

Gegen beide Bescheide legte der Kläger am 13.04.2006 Widerspruch ein. Dem half die Beklagte mit Bescheid vom 05.05.2006 teilweise ab, indem sie Leistungen für Mai 2006 bewilligte (998,68 EUR). Sie empfahl ihm, ab Juni Leistungen nach dem SGB XII zu beantragen. Im Übrigen wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.06.2006 als unbegründet zurück. Am 16.06.2006 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht M ...

Sodann bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 20.07.2006 Leistungen für den Zeitraum Juni bis November 2006 (geändert durch Bescheid vom 07.12.2006), und zwar die Regelleistung und Leistungen für Unterkunft und Heizung. Entsprechende Weiterbewilligungen erfolgten durch Bescheid vom 07.12.2006 für den Zeitraum Dezember 2006 bis Mai 2007 und durch Bescheid vom 18.05.2007 für den Zeitraum Juni bis November 2007.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 04.06.2007 ab. Die Beklagte habe, so das Sozialgericht zur Begründung, Leistungen ab Juni 2006 zurecht versagt.

Mit Schriftsatz vom 28.06.2007 hat der Kläger Berufung eingelegt. Dabei weist er die Feststellung des Sozialgerichts, er leide an einer psychischen Erkrankung, entschieden von sich.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts M. vom 4. Juni 2007 sowie der Bescheide vom 30.03. und 03.04.2006, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2006, zu verurteilen, ihm auch ab Juni 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Durch weiteren Bescheid vom 23.11.2007 bewilligte die Beklagte Leistungen (Regelleistung und Leistungen für Unterkunft und Heizung) für den Zeitraum Dezember 2007 bis Mai 2008. Mit Bescheid vom 11.01.2008 hob sie die Bewilligung ab 01.02.2008 auf, weil keine Erwerbsfähigkeit vorliege.

Am 16.05.2008 teilte der Kläger der Beklagten telefonisch mit, er lebe nicht mehr in Deutschland. Er habe im Ausland Asyl beantragt und werde es auch bekommen. Er arbeite nun auch im Ausland. Ein erneuter Anruf ähnlichen Inhalts folgte am 30.07.2008.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Gerichts- und des Verwaltungsverfahrens wird auf die Akten des Sozialgerichts und des Bayer. Landessozialgerichts verwiesen. Sie lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Senat war nicht gehindert, trotz Ausbleibens des Klägers mündlich zu verhandeln und durch Urteil zu entscheiden. Der Kläger hatte seinen gemeldeten Wohnsitz in M. aufgegeben, ohne dass der neue Wohnsitz bekannt war. So konnte die Ladung zunächst nicht zugestellt werden. Die Anrufe des Klägers bei der Beklagten im Mai und Juli 2008 lassen vermuten, dass sich dieser tatsächlich im Ausland befindet. Im Rahmen der Telefonate wollte der Kläger seinen neuen Aufenthalt nicht preisgeben. So musste der Kläger öffentlich geladen werden, wobei diese Ladung einen Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens enthielt.

Soweit sich der Kläger gegen die Bescheide vom 30.03. und vom 03.04.2006 wendet, ist zum Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts bereits die Klage unzulässig gewesen. Denn beide Bescheide hatten sich bis dahin vollständig erledigt. Von ihnen ging keine Beschwer mehr aus. Der auf § 66 SGB I gestützte Bescheid vom 30.03.2006 erledigte sich hinsichtlich der Monate Mai und Juni 2006 bereits durch die nur wenige Tage später ergangene Bewilligungsaufhebung vom 03.04.2006; die verfahrensrechtliche Entscheidung wurde durch die Entscheidung in der Sache insoweit "abgelöst". Der Bescheid vom 30.03.2006 verlor seine Beschwer vollends durch die nachfolgenden Bewilligungen der vollen Leistungen. Die Beklagte demonstrierte damit unzweideutig, dass sie den Bescheid für gegenstandslos erachtete. Man kann sogar soweit gehen, die erste Leistungsbewilligung danach (Bescheid vom 20.07.2006) als konkludente Aufhebung des Bescheids vom 30.03.2006 zu interpretieren.

Der Bescheid vom 03.04.2006 wiederum wurde dadurch gegenstandslos, dass nachträglich für die von ihm betroffenen Monate Mai und Juni 2006 die vollen Leistungen bewilligt wurden.

Der Bescheid vom 30.03.2006 ist nicht gemäß § 96 SGG oder in analoger Anwendung dieser Vorschrift durch die nachfolgenden Bewilligungsbescheide prozessrechtlich "ersetzt" worden. Der Senat vertritt die Ansicht, dass nicht einmal die der Einstellung oder Versagung nach § 66 SGB I nachfolgende materiell-rechtliche Leistungsablehnung gemäß § 96 SGG in direkter oder analoger Anwendung zum Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens wird; die verfahrensrechtliche Regelung des § 66 SGB I ist nicht im Stande, eine nachfolgende materiell-rechtliche Regelung über § 96 SGG in das Gerichtsverfahren einzubeziehen (vgl. dazu Urteile des BayLSG vom 28.03.2002 - L 9 AL 399/99, vom 06.02.2003 - L 15 AL 15/01 und vom 16.12.2004 - L 9 AL 207/00). Umso weniger können die danach ergangenen Bewilligungsbescheide auf dieser Grundlage zum Verfahrensgegenstand geworden sein.

Die nachfolgenden Leistungsbewilligungen sind jedoch insofern nach § 96 SGG Streitgegenstand geworden, als sie den Aufhebungsbescheid vom 03.04.2006 ersetzt haben. Das bedeutet, dass die Leistungsbewilligungen für die Monate Mai und Juni 2006, die durch die Bescheide vom 05.05. und vom 20.07.2006 ausgesprochen worden waren, zum Streitgegenstand des Klage- und des Berufungsverfahrens geworden sind. Für die Zeit ab Juli 2006 durfte der Senat die jeweiligen Leistungsbewilligungen dagegen nicht überprüfen.

Hinsichtlich der Leistungsbewilligungen für die Monate Mai und Juni 2006 ist die Klage ebenfalls unbegründet. Denn dem Kläger wurde das bewilligt, worauf er Anspruch hatte; höhere Leistungen standen ihm nicht zu. Dass dem Kläger für Juni 2006 trotz voller Bewilligung die Regelleistung möglicherweise bis heute vorenthalten worden ist, verhilft ihm nicht zu einem wenigstens teilweisen Erfolg. Der Senat wertet die Klage insoweit nicht als Leistungsklage auf bescheidgemäße Zahlung, weil für ein solches Begehren kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Der Kläger besitzt mit dem Bewilligungsbescheid vom 20.07.2006 (geändert durch Bescheid vom 07.12.2006) ja bereits einen entsprechenden Titel gegen die Beklagte. Er muss nur von ihm Gebrauch machen, indem er jene zur Zahlung auffordert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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