Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 VG 1794/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 1674/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Februar 2007 aufgehoben. Unter Aufhebung des Bescheids vom 08. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06. Mai 2004 wird festgestellt, dass die bei dem Kläger vorliegende Verätzung des linken Auges mit Herabsetzung der Sehkraft Folge des tätlichen Angriffs vom 15. Juli 1989 ist.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zusteht.
Der 1964 geborene Kläger wurde am 15. Juli 1989 im Rahmen einer Auseinandersetzung mit J. G. (J. G.) am linken Auge verletzt, als dieser ihm mit einer Gaspistole aus geringer Entfernung ins Auge schoss. Wegen dieser Tat wurde J. G. durch Urteil des Amtsgerichts O. vom 21. Mai 1990 (3 Ds 5/90) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Am 11. Juni 2003 beantragte der Kläger die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Als Gesundheitsstörung machte er eine Beeinträchtigung der Sehkraft des linken Auges durch Verätzung geltend, die auf die am 15. Juli 1989 erlittene Schussverletzung aus einem Gasrevolver zurückzuführen sei. Das frühere Versorgungsamt R. (VA) zog vom Amtsgericht O. die Verfahrensakte der Strafsache gegen J. G. bei. Mit Bescheid vom 8. Dezember 2003 lehnte das VA die Gewährung von Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab, der Kläger sei zwar Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden, wodurch er auch eine gesundheitliche Schädigung erlitten habe, jedoch seien Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung gleichwertig mitverursacht habe. Da sein Verhalten nach den durchgeführten Ermittlungen annähernd gleichwertige Bedingung für den Eintritt der Schädigung gewesen sei, habe er eine wesentliche Mitursache für die Schädigung gesetzt, weshalb Leistungen zu versagen seien. So sei im Urteil des Landgerichts R. vom 30. November 1990 ausgeführt, dass den Kläger an der Auseinandersetzung ein erhebliches Verschulden treffe, da er J. G. und dessen Freundin über einen längeren Zeitraum hinweg erheblich beleidigt habe. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, sein Verhalten sei keine annähernd gleichwertige Bedingung für den Eintritt der Schädigung gewesen. In den Strafverfahren vor dem Amtsgericht O. und dem Landgericht R. sei zwar festgestellt worden, dass es im Vorfeld der Schädigung zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen ihm und J. G. gekommen sei, jedoch habe er die von J. G. behaupteten Beleidigungen und Tätlichkeiten im Wesentlichen bestritten, weshalb im Strafprozess zu Gunsten des J. G. von der Richtigkeit seiner Angaben ausgegangen worden sei. Im Übrigen sei gegen die Zeugen W., R. und P. im Anschluss an das seinerzeitige Verfahren ein Strafverfahren wegen uneidlicher Falschaussage durchgeführt worden. Ungeachtet dessen, könne die Tat des J. G. jedoch mit seinem Verhalten keinesfalls gleichgestellt werden. Denn wie dem Urteil des Landgerichts R. zu entnehmen sei, habe J. G., nachdem sich die verbale Auseinandersetzung über einen Zeitraum von etwa einer Stunde hingezogen habe, gegen 01:30 Uhr das Lokal verlassen, sich zu seinem Pkw begeben, den dort verwahrten Signalrevolver geholt, sich wieder in den Gastraum begeben und sei dann unvermittelt auf ihn zugegangen und habe ihm aus einer Entfernung von ca. 10 cm ins Gesicht geschossen. Es habe sich weder um eine Verteidigungshandlung noch um Notwehr gehandelt. Die Strafkammer habe ausdrücklich festgestellt, dass die Aussagen der Zeugen R. und W. unglaubwürdig und unmöglich seien. Zwar möge die verbale Auseinandersetzug beim Strafmaß und den zivilrechtlichen Ersatzansprüchen eine gewisse Berücksichtigung finden, jedoch liege auch hier das Schwergewicht der Handlung eindeutig auf Seiten des Schädigers. Er, der Geschädigte, habe die Schädigung nicht verursacht. Es lägen auch keine Gründe in seinem Verhalten, die eine Entschädigung als unbillig erscheinen lassen könnten. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2004 im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe J. G. und dessen Freundin über einen längeren Zeitraum hinweg erheblich beleidigt und dadurch J. G. zu seiner Tat provoziert. Damit habe er eine wesentliche Mitursache für die Schädigung gesetzt. Einzelne Unstimmigkeiten in den Zeugenaussagen über körperliche Übergriffe vor der Tat fielen nicht ins Gewicht, da bereits über einen längeren Zeitraum erhebliche verbale Beleidigungen vorausgegangen seien, die einen Versagensgrund darstellten.
Dagegen erhob der Kläger am 8. Juni 2004 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage, die er unter Wiederholung seines Vorbringens im Widerspruchsverfahren begründete. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes mit dem Hinweis entgegen, nach Überzeugung des Landgerichts R. habe den Kläger insofern an der Auseinandersetzung ein "erhebliches" Mitverschulden getroffen, als er J. G. und dessen Freundin über einen längeren Zeitraum hinweg erheblich beleidigt habe. Dieses Verhalten müsse sich der Kläger negativ anlasten lassen. Das SG zog die Strafakten bei. Es wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Februar 2007 ab. Der Kläger habe die Schädigung durch sein eigenes Verhalten wesentlich (mit)verursacht, da die über einen längeren Zeitraum fortgesetzten erheblichen Beleidigungen und Provokationen des Klägers einen Versagungsgrund im Sinne des § 2 Abs. 1 OEG darstellten. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des den Bevollmächtigten des Klägers am 2. März 2007 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.
Dagegen hat der Kläger am 2. April 2007 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt, wonach seine möglicherweise provozierenden Äußerungen, also sein Mitverursachungsanteil, kein in etwa gleichwertiger Tatbeitrag gewesen sei und damit nicht als wesentliche Ursache angesehen werden könne. Bei Abwägung aller Umstände liege das Schwergewicht der Handlung weit überwiegend auf Seiten des Schädigers. Darüber hinaus seien in seinem Verhalten auch keine Gründe gegeben, die die Entschädigung als unbillig erscheinen ließen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Februar 2007 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Mai 2004 festzustellen, dass die bei ihm vorliegende "Verätzung des linken Auges mit Herabsetzung der Sehkraft" Folge des tätlichen Angriffs vom 15. Juni 1989 ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten und der beigezogenen Akte des Amtsgerichts O. am Neckar (3 Ds 5/90) sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig; sie ist auch begründet.
Das SG hätte die Klage nicht abweisen dürfen. Denn der Bescheid des Beklagten vom 8. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Mai 2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger ist - wovon der Beklagte zutreffend ausgegangen ist - am 15. Juli 1989 Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen, tätlichen Angriffs geworden, durch den infolge einer Verätzung des linken Auges seine Sehkraft herabgesetzt wurde. Diese Schädigungsfolge war beim Kläger festzustellen, mit der Folge, dass ihm hierfür Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG zu gewähren ist. Versagungsgründe im Sinne des § 2 Abs. 1 OEG liegen nicht vor, so dass entsprechende Leistungen auch nicht ausgeschlossen sind.
J. G. hat dem Kläger am 15. Juli 1989 mit einem Gasrevolver aus einer Entfernung von maximal zehn Zentimeter ins linke Auge geschossen, wodurch dieses Auge verätzt und seine Sehkraft herabgesetzt wurde. Damit steht fest, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen, tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 OEG geworden ist. In Bezug auf diese Beurteilung besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit. Demgegenüber ist streitig, ob die Gewährung von Leistungen ausgeschlossen sind, weil Versagungsgründe im Sinne des § 2 Abs. 1 OEG vorliegen.
Dies ist entgegen der Auffassung des Beklagten und des SG nicht der Fall.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchsstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Im Sinne der ersten Alternative dieser Regelung hat der Geschädigte die Schädigung dann verursacht, wenn sein Verhalten als wesentliche Bedingung für den Schadenseintritt anzusehen ist. Ob ein entsprechender, den Anspruch vernichtenden Tatbestand gegeben ist, bestimmt sich ebenso wie die Verursachung des Schadens durch den Täter im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG nach der sozialrechtlichen und speziell versorgungsrechtlichen Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung (BSGE, 52, 281 = SozR. 3800 § 2 Nr. 5). Ob der Geschädigte seine Schädigung wesentlich (mit-)verursacht hat, beurteilt sich daher danach, ob sein Tatbeitrag eine annähernd gleichwertige Bedingung neben der des rechtswidrig handelnden Angreifers gewesen ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich das Opfer bei seinem Ursachenbeitrag in ähnlich schwerer Weise gegen die Rechtsordnung vergangen hat, wie der vorsätzlich handelnde Gewalttäter, d.h. wenn dieser bspw. eine Straftat begangen hat, die ähnlich schwer wie die des Täters mit Strafe bedroht ist. Für einen derartigen Sachverhalt liegen vorliegend keine Anhaltspunkte vor. Nach Überzeugung des Senats ist der in Rede stehenden Tat des J. G. keine körperliche Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und J. G. vorausgegangen, die zu einer körperlichen Misshandlung des J. G. geführt hätte. Soweit dieser sich im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung und im Strafverfahren vor dem Amtsgericht O. dahingehend eingelassen hatte, dass der Kläger ihn vor Abgabe des Schusses an den Oberarmen festgehalten und an die Wand gedrückt habe, ist diese Darstellung durch die Ausführungen des in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht O. als Sachverständigen vernommenen Diplomphysikers König widerlegt worden. Denn der Sachverständige hat überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der Schussspuren am Auge und der Art der Verletzungen beim Kläger von einer Schussentfernung von weniger als zehn Zentimeter ausgegangen werden müsse. Damit kann die Einlassung des J. G., er habe den Kläger lediglich erschrecken wollen, die Pistole mit aller Kraft aus der Hosentasche gezogen und aus Hüfthöhe aus ca. 50 bis 60 Zentimeter Entfernung geschossen, nicht in Einklang gebracht werden. Da die Schlussfolgerungen des Sachverständigen demgegenüber mit den seinerzeitigen Angaben des Klägers in Einklang zu bringen sind, wonach er an der Bar gestanden sei, hinter sich etwas bemerkt habe, sich umgedreht und aus nächster Entfernung in den Lauf der auf ihn gerichteten Waffe geschaut habe, ist der Senat ebenso wie das Amtsgericht O. davon überzeugt, dass der Vorfall wie vom Kläger geschildert abgelaufen ist und seiner Verletzung zwar eine verbale, jedoch keine tätliche Auseinandersetzung vorausgegangen ist. Damit stehen der Tat des J. G., einer gefährlichen Körperverletzung im Sinne des § 223a des Strafgesetzbuchs (StGB), für die das Gesetz einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht, aber lediglich beleidigende Äußerungen des Klägers - wenn auch über einen gewissen Zeitraum - gegenüber, für die bei Erfüllung des Tatbestandes der Beleidigung gemäß § 185 StGB entweder eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorgesehen ist. Die Tat des Klägers wiegt damit nicht ähnlich schwer wie die Tat des J. G.
Der Tatbeitrag eines Opfers kann allerdings auch dann wesentlich mitursächlich im Sinne des § 2 Abs. 1 1. Alternative OEG sein, wenn das Opfer selbst keine Straftat begangen hat, es sich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tatbegehung aber bewusst und leichtfertig, d.h. grob fahrlässig, durch ein schwerwiegendes vorwerfbares Verhalten der Gefahr einer Gewalttat ausgesetzt und sich dadurch selbst gefährdet hat, also einen Angriff schuldhaft herausgefordert hat (vgl. BSGE 83, 62. 67 = SozR 3 - 3800 § 2 Nr. 9, BSG 77, 18, 20 = SozR 3 - 3800 § 2 Nr. 3). Von einem derartigen Tatbeitrag des Klägers ist der Beklagte und mit ihm das SG ausgegangen, weil dieser J. G. und seine damalige Freundin über einen längeren Zeitraum hinweg mit den Worten "Fettarsch" und "Schlampe" bzw. seinem Spitznamen "Frosch" und den Äußerungen "Quack, quack" verbal beleidigt und ihn dadurch zu seiner Tat provoziert habe. Der Senat lässt nach Auswertung der diesbezüglichen Einlassungen des Klägers, des J. G. und dessen damaliger Freundin offen, ob der Kläger diese beleidigenden Äußerungen tatsächlich in der vom Amtsgericht O. im Urteil vom 21. Mai 1990 zugunsten des damaligen Angeklagten J. G. zugrunde gelegten Form und Dauer getätigt hat. Denn auch unterstellt, der Kläger habe J. G. in dieser Form über einen Zeitraum von ca. einer Stunde mehrfach herabgesetzt und beleidigt, vermag der Senat nicht festzustellen, dass dem Kläger im Sinne der obigen Darlegungen subjektiv grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Denn dies setzt voraus, dass das Opfer die Selbstgefährdung nach seinen persönlichen Fähigkeiten sowie den Umständen des Einzelfalles ohne weiteres erkennen und vermeiden konnte und mit einer Gewalttat rechnen musste. Hiervon vermag der Senat nicht auszugehen. Denn es ist nicht ersichtlich, woraus der Kläger hätte ableiten können, dass J. G. im Anschluss an die verbalen Auseinandersetzungen mit dem Kläger, nachdem er das Lokal zunächst verlassen hatte, plötzlich mit einem Gasrevolver auf ihn zu tritt und ihm unvermittelt, nachdem er sich auf sein Schulterklopfen nach ihm umgedreht hatte, aus maximal zehn Zentimeter mit einer Gaspistole direkt ins Auge schießen würde. Zwar hat der Kläger J. G., wie er in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Senat bekundet hat, vor dem in Rede stehenden Ereignis nicht gekannt, jedoch deuteten die Umstände der verbalen Auseinandersetzung mit ihm und dessen konkretes Auftreten nicht darauf hin, dass er zu erheblichen Gewalttätigkeiten neigte und unvermittelt in rücksichtsloser Weise einen Gasrevolver einsetzen würde. Für eine derartige Gewaltbereitschaft vermag der Senat auch den zahlreichen Protokollen der beigezogenen Akten des Amtsgerichts O. über die Vernehmung der seinerzeit anwesenden Personen als Zeugen keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen. J. G. war schließlich auch nicht vorbestraft und somit offenbar wegen Gewaltdelikten zuvor nicht polizeilich in Erscheinung getreten. Für den Senat liegen daher keine Gesichtspunkte dafür vor, dass der Kläger subjektiv hätte erkennen können, dass er sich durch seine beleidigenden Äußerungen der Gefahr aussetzt, ohne Möglichkeit der Gegenwehr durch einen Schuss unmittelbar ins Auge ganz erheblich verletzt zu werden. Selbst wenn der Kläger J. G. über einen Zeitraum von einer Stunde durch mehrfache beleidigende Äußerungen herabgesetzt haben sollte, stellt sich die Provokation des Klägers im Vergleich zu der anschließenden doch außergewöhnlichen Reaktion des J. G., der nach Wiederbetreten des Lokals dem Kläger ohne Vorwarnung unvermittelt aus kürzester Entfernung ins Auge schoss, als objektiv völlig unverhältnismäßig dar und traf den Kläger wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Im Hinblick auf diese Gesichtspunkte vermag der Senat keinen Versagungsgrund im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative OEG zu bejahen. Eine Entschädigung des Klägers ist auch im Sinne der 2. Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht unbillig. Denn über die Provokation des Klägers hinaus liegen weitere Gründe nicht vor, die als solche die Entschädigung des Klägers als unbillig erscheinen lassen könnten. Denn Umstände, die im Sinne einer Verursachung im Sinne der 1. Alternative nicht zur Leistungsversagung führen, können für sich betrachtet nicht allein die Bejahung der Unbilligkeit rechtfertigen. Vielmehr müssen sonstige zusätzliche Gründe gegeben sein, um diesen Versagungsgrund bejahen zu können. Die Mitverursachung stellt gegenüber dem Ausschlussgrund der Unbilligkeit nämlich lediglich einen Sonderfall dar.
Da nach alledem Versagungsgründe im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht vorliegen, war unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen antragsgemäß festzustellen, dass die beim Kläger vorliegende Verätzung des linken Auges mit Herabsetzung der Sehkraft Folge des tätlichen Angriffs vom 15. Juli 1989 ist. Der Beklagte wird nunmehr zu prüfen haben, mit welchem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) diese Gesundheitsstörung zu bemessen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zusteht.
Der 1964 geborene Kläger wurde am 15. Juli 1989 im Rahmen einer Auseinandersetzung mit J. G. (J. G.) am linken Auge verletzt, als dieser ihm mit einer Gaspistole aus geringer Entfernung ins Auge schoss. Wegen dieser Tat wurde J. G. durch Urteil des Amtsgerichts O. vom 21. Mai 1990 (3 Ds 5/90) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Am 11. Juni 2003 beantragte der Kläger die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Als Gesundheitsstörung machte er eine Beeinträchtigung der Sehkraft des linken Auges durch Verätzung geltend, die auf die am 15. Juli 1989 erlittene Schussverletzung aus einem Gasrevolver zurückzuführen sei. Das frühere Versorgungsamt R. (VA) zog vom Amtsgericht O. die Verfahrensakte der Strafsache gegen J. G. bei. Mit Bescheid vom 8. Dezember 2003 lehnte das VA die Gewährung von Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab, der Kläger sei zwar Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden, wodurch er auch eine gesundheitliche Schädigung erlitten habe, jedoch seien Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung gleichwertig mitverursacht habe. Da sein Verhalten nach den durchgeführten Ermittlungen annähernd gleichwertige Bedingung für den Eintritt der Schädigung gewesen sei, habe er eine wesentliche Mitursache für die Schädigung gesetzt, weshalb Leistungen zu versagen seien. So sei im Urteil des Landgerichts R. vom 30. November 1990 ausgeführt, dass den Kläger an der Auseinandersetzung ein erhebliches Verschulden treffe, da er J. G. und dessen Freundin über einen längeren Zeitraum hinweg erheblich beleidigt habe. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, sein Verhalten sei keine annähernd gleichwertige Bedingung für den Eintritt der Schädigung gewesen. In den Strafverfahren vor dem Amtsgericht O. und dem Landgericht R. sei zwar festgestellt worden, dass es im Vorfeld der Schädigung zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen ihm und J. G. gekommen sei, jedoch habe er die von J. G. behaupteten Beleidigungen und Tätlichkeiten im Wesentlichen bestritten, weshalb im Strafprozess zu Gunsten des J. G. von der Richtigkeit seiner Angaben ausgegangen worden sei. Im Übrigen sei gegen die Zeugen W., R. und P. im Anschluss an das seinerzeitige Verfahren ein Strafverfahren wegen uneidlicher Falschaussage durchgeführt worden. Ungeachtet dessen, könne die Tat des J. G. jedoch mit seinem Verhalten keinesfalls gleichgestellt werden. Denn wie dem Urteil des Landgerichts R. zu entnehmen sei, habe J. G., nachdem sich die verbale Auseinandersetzung über einen Zeitraum von etwa einer Stunde hingezogen habe, gegen 01:30 Uhr das Lokal verlassen, sich zu seinem Pkw begeben, den dort verwahrten Signalrevolver geholt, sich wieder in den Gastraum begeben und sei dann unvermittelt auf ihn zugegangen und habe ihm aus einer Entfernung von ca. 10 cm ins Gesicht geschossen. Es habe sich weder um eine Verteidigungshandlung noch um Notwehr gehandelt. Die Strafkammer habe ausdrücklich festgestellt, dass die Aussagen der Zeugen R. und W. unglaubwürdig und unmöglich seien. Zwar möge die verbale Auseinandersetzug beim Strafmaß und den zivilrechtlichen Ersatzansprüchen eine gewisse Berücksichtigung finden, jedoch liege auch hier das Schwergewicht der Handlung eindeutig auf Seiten des Schädigers. Er, der Geschädigte, habe die Schädigung nicht verursacht. Es lägen auch keine Gründe in seinem Verhalten, die eine Entschädigung als unbillig erscheinen lassen könnten. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2004 im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe J. G. und dessen Freundin über einen längeren Zeitraum hinweg erheblich beleidigt und dadurch J. G. zu seiner Tat provoziert. Damit habe er eine wesentliche Mitursache für die Schädigung gesetzt. Einzelne Unstimmigkeiten in den Zeugenaussagen über körperliche Übergriffe vor der Tat fielen nicht ins Gewicht, da bereits über einen längeren Zeitraum erhebliche verbale Beleidigungen vorausgegangen seien, die einen Versagensgrund darstellten.
Dagegen erhob der Kläger am 8. Juni 2004 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage, die er unter Wiederholung seines Vorbringens im Widerspruchsverfahren begründete. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes mit dem Hinweis entgegen, nach Überzeugung des Landgerichts R. habe den Kläger insofern an der Auseinandersetzung ein "erhebliches" Mitverschulden getroffen, als er J. G. und dessen Freundin über einen längeren Zeitraum hinweg erheblich beleidigt habe. Dieses Verhalten müsse sich der Kläger negativ anlasten lassen. Das SG zog die Strafakten bei. Es wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Februar 2007 ab. Der Kläger habe die Schädigung durch sein eigenes Verhalten wesentlich (mit)verursacht, da die über einen längeren Zeitraum fortgesetzten erheblichen Beleidigungen und Provokationen des Klägers einen Versagungsgrund im Sinne des § 2 Abs. 1 OEG darstellten. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des den Bevollmächtigten des Klägers am 2. März 2007 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.
Dagegen hat der Kläger am 2. April 2007 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt, wonach seine möglicherweise provozierenden Äußerungen, also sein Mitverursachungsanteil, kein in etwa gleichwertiger Tatbeitrag gewesen sei und damit nicht als wesentliche Ursache angesehen werden könne. Bei Abwägung aller Umstände liege das Schwergewicht der Handlung weit überwiegend auf Seiten des Schädigers. Darüber hinaus seien in seinem Verhalten auch keine Gründe gegeben, die die Entschädigung als unbillig erscheinen ließen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Februar 2007 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Mai 2004 festzustellen, dass die bei ihm vorliegende "Verätzung des linken Auges mit Herabsetzung der Sehkraft" Folge des tätlichen Angriffs vom 15. Juni 1989 ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten und der beigezogenen Akte des Amtsgerichts O. am Neckar (3 Ds 5/90) sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig; sie ist auch begründet.
Das SG hätte die Klage nicht abweisen dürfen. Denn der Bescheid des Beklagten vom 8. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Mai 2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger ist - wovon der Beklagte zutreffend ausgegangen ist - am 15. Juli 1989 Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen, tätlichen Angriffs geworden, durch den infolge einer Verätzung des linken Auges seine Sehkraft herabgesetzt wurde. Diese Schädigungsfolge war beim Kläger festzustellen, mit der Folge, dass ihm hierfür Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG zu gewähren ist. Versagungsgründe im Sinne des § 2 Abs. 1 OEG liegen nicht vor, so dass entsprechende Leistungen auch nicht ausgeschlossen sind.
J. G. hat dem Kläger am 15. Juli 1989 mit einem Gasrevolver aus einer Entfernung von maximal zehn Zentimeter ins linke Auge geschossen, wodurch dieses Auge verätzt und seine Sehkraft herabgesetzt wurde. Damit steht fest, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen, tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 OEG geworden ist. In Bezug auf diese Beurteilung besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit. Demgegenüber ist streitig, ob die Gewährung von Leistungen ausgeschlossen sind, weil Versagungsgründe im Sinne des § 2 Abs. 1 OEG vorliegen.
Dies ist entgegen der Auffassung des Beklagten und des SG nicht der Fall.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchsstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Im Sinne der ersten Alternative dieser Regelung hat der Geschädigte die Schädigung dann verursacht, wenn sein Verhalten als wesentliche Bedingung für den Schadenseintritt anzusehen ist. Ob ein entsprechender, den Anspruch vernichtenden Tatbestand gegeben ist, bestimmt sich ebenso wie die Verursachung des Schadens durch den Täter im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG nach der sozialrechtlichen und speziell versorgungsrechtlichen Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung (BSGE, 52, 281 = SozR. 3800 § 2 Nr. 5). Ob der Geschädigte seine Schädigung wesentlich (mit-)verursacht hat, beurteilt sich daher danach, ob sein Tatbeitrag eine annähernd gleichwertige Bedingung neben der des rechtswidrig handelnden Angreifers gewesen ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich das Opfer bei seinem Ursachenbeitrag in ähnlich schwerer Weise gegen die Rechtsordnung vergangen hat, wie der vorsätzlich handelnde Gewalttäter, d.h. wenn dieser bspw. eine Straftat begangen hat, die ähnlich schwer wie die des Täters mit Strafe bedroht ist. Für einen derartigen Sachverhalt liegen vorliegend keine Anhaltspunkte vor. Nach Überzeugung des Senats ist der in Rede stehenden Tat des J. G. keine körperliche Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und J. G. vorausgegangen, die zu einer körperlichen Misshandlung des J. G. geführt hätte. Soweit dieser sich im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung und im Strafverfahren vor dem Amtsgericht O. dahingehend eingelassen hatte, dass der Kläger ihn vor Abgabe des Schusses an den Oberarmen festgehalten und an die Wand gedrückt habe, ist diese Darstellung durch die Ausführungen des in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht O. als Sachverständigen vernommenen Diplomphysikers König widerlegt worden. Denn der Sachverständige hat überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der Schussspuren am Auge und der Art der Verletzungen beim Kläger von einer Schussentfernung von weniger als zehn Zentimeter ausgegangen werden müsse. Damit kann die Einlassung des J. G., er habe den Kläger lediglich erschrecken wollen, die Pistole mit aller Kraft aus der Hosentasche gezogen und aus Hüfthöhe aus ca. 50 bis 60 Zentimeter Entfernung geschossen, nicht in Einklang gebracht werden. Da die Schlussfolgerungen des Sachverständigen demgegenüber mit den seinerzeitigen Angaben des Klägers in Einklang zu bringen sind, wonach er an der Bar gestanden sei, hinter sich etwas bemerkt habe, sich umgedreht und aus nächster Entfernung in den Lauf der auf ihn gerichteten Waffe geschaut habe, ist der Senat ebenso wie das Amtsgericht O. davon überzeugt, dass der Vorfall wie vom Kläger geschildert abgelaufen ist und seiner Verletzung zwar eine verbale, jedoch keine tätliche Auseinandersetzung vorausgegangen ist. Damit stehen der Tat des J. G., einer gefährlichen Körperverletzung im Sinne des § 223a des Strafgesetzbuchs (StGB), für die das Gesetz einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht, aber lediglich beleidigende Äußerungen des Klägers - wenn auch über einen gewissen Zeitraum - gegenüber, für die bei Erfüllung des Tatbestandes der Beleidigung gemäß § 185 StGB entweder eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorgesehen ist. Die Tat des Klägers wiegt damit nicht ähnlich schwer wie die Tat des J. G.
Der Tatbeitrag eines Opfers kann allerdings auch dann wesentlich mitursächlich im Sinne des § 2 Abs. 1 1. Alternative OEG sein, wenn das Opfer selbst keine Straftat begangen hat, es sich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tatbegehung aber bewusst und leichtfertig, d.h. grob fahrlässig, durch ein schwerwiegendes vorwerfbares Verhalten der Gefahr einer Gewalttat ausgesetzt und sich dadurch selbst gefährdet hat, also einen Angriff schuldhaft herausgefordert hat (vgl. BSGE 83, 62. 67 = SozR 3 - 3800 § 2 Nr. 9, BSG 77, 18, 20 = SozR 3 - 3800 § 2 Nr. 3). Von einem derartigen Tatbeitrag des Klägers ist der Beklagte und mit ihm das SG ausgegangen, weil dieser J. G. und seine damalige Freundin über einen längeren Zeitraum hinweg mit den Worten "Fettarsch" und "Schlampe" bzw. seinem Spitznamen "Frosch" und den Äußerungen "Quack, quack" verbal beleidigt und ihn dadurch zu seiner Tat provoziert habe. Der Senat lässt nach Auswertung der diesbezüglichen Einlassungen des Klägers, des J. G. und dessen damaliger Freundin offen, ob der Kläger diese beleidigenden Äußerungen tatsächlich in der vom Amtsgericht O. im Urteil vom 21. Mai 1990 zugunsten des damaligen Angeklagten J. G. zugrunde gelegten Form und Dauer getätigt hat. Denn auch unterstellt, der Kläger habe J. G. in dieser Form über einen Zeitraum von ca. einer Stunde mehrfach herabgesetzt und beleidigt, vermag der Senat nicht festzustellen, dass dem Kläger im Sinne der obigen Darlegungen subjektiv grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Denn dies setzt voraus, dass das Opfer die Selbstgefährdung nach seinen persönlichen Fähigkeiten sowie den Umständen des Einzelfalles ohne weiteres erkennen und vermeiden konnte und mit einer Gewalttat rechnen musste. Hiervon vermag der Senat nicht auszugehen. Denn es ist nicht ersichtlich, woraus der Kläger hätte ableiten können, dass J. G. im Anschluss an die verbalen Auseinandersetzungen mit dem Kläger, nachdem er das Lokal zunächst verlassen hatte, plötzlich mit einem Gasrevolver auf ihn zu tritt und ihm unvermittelt, nachdem er sich auf sein Schulterklopfen nach ihm umgedreht hatte, aus maximal zehn Zentimeter mit einer Gaspistole direkt ins Auge schießen würde. Zwar hat der Kläger J. G., wie er in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Senat bekundet hat, vor dem in Rede stehenden Ereignis nicht gekannt, jedoch deuteten die Umstände der verbalen Auseinandersetzung mit ihm und dessen konkretes Auftreten nicht darauf hin, dass er zu erheblichen Gewalttätigkeiten neigte und unvermittelt in rücksichtsloser Weise einen Gasrevolver einsetzen würde. Für eine derartige Gewaltbereitschaft vermag der Senat auch den zahlreichen Protokollen der beigezogenen Akten des Amtsgerichts O. über die Vernehmung der seinerzeit anwesenden Personen als Zeugen keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen. J. G. war schließlich auch nicht vorbestraft und somit offenbar wegen Gewaltdelikten zuvor nicht polizeilich in Erscheinung getreten. Für den Senat liegen daher keine Gesichtspunkte dafür vor, dass der Kläger subjektiv hätte erkennen können, dass er sich durch seine beleidigenden Äußerungen der Gefahr aussetzt, ohne Möglichkeit der Gegenwehr durch einen Schuss unmittelbar ins Auge ganz erheblich verletzt zu werden. Selbst wenn der Kläger J. G. über einen Zeitraum von einer Stunde durch mehrfache beleidigende Äußerungen herabgesetzt haben sollte, stellt sich die Provokation des Klägers im Vergleich zu der anschließenden doch außergewöhnlichen Reaktion des J. G., der nach Wiederbetreten des Lokals dem Kläger ohne Vorwarnung unvermittelt aus kürzester Entfernung ins Auge schoss, als objektiv völlig unverhältnismäßig dar und traf den Kläger wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Im Hinblick auf diese Gesichtspunkte vermag der Senat keinen Versagungsgrund im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative OEG zu bejahen. Eine Entschädigung des Klägers ist auch im Sinne der 2. Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht unbillig. Denn über die Provokation des Klägers hinaus liegen weitere Gründe nicht vor, die als solche die Entschädigung des Klägers als unbillig erscheinen lassen könnten. Denn Umstände, die im Sinne einer Verursachung im Sinne der 1. Alternative nicht zur Leistungsversagung führen, können für sich betrachtet nicht allein die Bejahung der Unbilligkeit rechtfertigen. Vielmehr müssen sonstige zusätzliche Gründe gegeben sein, um diesen Versagungsgrund bejahen zu können. Die Mitverursachung stellt gegenüber dem Ausschlussgrund der Unbilligkeit nämlich lediglich einen Sonderfall dar.
Da nach alledem Versagungsgründe im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht vorliegen, war unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen antragsgemäß festzustellen, dass die beim Kläger vorliegende Verätzung des linken Auges mit Herabsetzung der Sehkraft Folge des tätlichen Angriffs vom 15. Juli 1989 ist. Der Beklagte wird nunmehr zu prüfen haben, mit welchem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) diese Gesundheitsstörung zu bemessen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
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