L 2 AS 5070/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 3101/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 5070/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. September 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsteller (Ast) hat keinen Erfolg.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Ast (vgl. §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) ist unbegründet. Die Ast können im Wege der einstweiligen Anordnung nicht die Verpflichtung des Antragsgegners verlangen, ihm die Zusicherung 1. zum Umzug in die Röntgenstr. 2. zur Übernahme der vollen Kosten der neuen Wohnung und 3. zur Übernahme von einer doppelten Miete für die neue und alte Wohnung in der Stockacher Str. zu erteilen. Die beim Sozialgericht Reutlingen (SG) noch beantragte Übernahme der Umzugskosten hat der Ast für erledigt erklärt und verfolgt diese im Beschwerdeverfahren nicht mehr weiter.

Verfahrensbeteiligte sind vorliegend auf Seiten der Antragsteller alle Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft, da Ansprüche der Bedarfsgemeinschaft geltend gemacht werden (vgl. u. a BSG Urteil v. 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R); zudem hat der Bevollmächtigte der Ast zum Ausdruck gebracht, Ansprüche der Bedarfsgemeinschaft geltend zu machen. Der Senat hat dies von Amts wegen zu beachten.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die betreffende Eilentscheidung kann, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung im Zusammenhang mit Leistungen nach dem SGB II bzw. Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) betont hat (Beschluss vom 12. Mai 2005, NVwZ 2005, S. 927 ff), sowohl auf eine Folgenabwägung (Folgen einer Stattgabe gegenüber den Folgen bei Ablehnen des Eilantrages) als auch alternativ auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache (Anordnungsanspruch), ergänzt um das Merkmal der Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund), ist das Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage summarisch zu prüfen; an den Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs sind umso niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht (Bundesverfassungsgericht a.a.O.). Zwar soll eine Entscheidung im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens grundsätzlich nicht die Hauptsache vorwegnehmen (vgl. Keller in Meyer-Ladwig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Aufl., § 86 b Rdnr. 31 m.w.N). Von diesem Grundsatz ist jedoch dann abzuweichen, wenn die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) dies erfordert, z.B. bei Leistungen nach dem SGB II etwa dann, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistungen für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 18. November 2008 - L 2 AS 4704/08 ER-B -). Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt dann vor, wenn die angeordnete Maßnahme nachträglich nicht mehr mit Wirkung für die Vergangenheit korrigierbar ist (vgl. Keller, a.a.O., § 86 b Rdnr. 31).

1. Zusicherung zum Umzug

In Betracht kommt die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlichen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft, die der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft gem. § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II einholen soll. Diese hat sich, wie das SG zu Recht ausgeführt hat, durch Zeitablauf erledigt. Die Ast zu 1. und 2. haben sich bereits durch den Mietvertrag am 15.07.2008 vor der Entscheidung des Ag am 17.07.2008 vertraglich gebunden. Im Übrigen trifft die Darstellung des Ast zu 1 in seiner Beschwerdebegründung, dass zwischen Antragstellung bzw. Unterschrift im Mietvertrag und der Ablehnung durch die Ag "mit Absicht soviel Zeit verstrichen lassen wurde, dass es dem Ast kaum möglich gewesen wäre, diese Wohnung unter den gegebenen Voraussetzungen zu erhalten, nicht zu. Hinsichtlich der Dauer der Bearbeitung des Antrags kommt es auf den Zeitpunkt der Wohnungsbesichtigung nicht an, weil die Ag hierauf keinen Einfluss hat, sondern alleine auf den Zeitpunkt der Antragstellung. Der Antrag wurde am 14.07.2008 gestellt, der Mietvertrag am 15.07.2008 unterzeichnet, die erste ablehnende Entscheidung der Ag erging am 17.07.2008, die in der modifizierten Fassung vom 28.07.2008 auch beibehalten wurde. Von daher gesehen kann keine Rede davon sein, dass die Ag eine Entscheidung mit Absicht verzögert habe.

2. Zusicherung der Übernahme der vollen Kosten der neuen Wohnung

Eine Zusicherung, nämlich die Zusage der zuständigen Behörde einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (§ 34 Abs. 1 SGB X), hat die Aufgabe, als verbindliche Zusage über das zukünftige Verhalten der Verwaltungsbehörde bei Erlass eines Verwaltungsaktes dem Adressaten, der seinerseits erst noch die Voraussetzungen für den Erlass des begünstigenden Verwaltungsaktes herbeiführen muss, Gewissheit zu verschaffen, dass seine Aufwendungen auch zu dem von ihm beabsichtigten Erfolg führen (vgl. Bundessozialgericht (BSG) BSGE 56, 249, 253). Durch den Umzug am 01.10.2008 haben die Ast bereits veränderte Tatsachen geschaffen, sodass ihnen eine Zusicherung nicht mehr nützt. Die geänderte Sachlage hat der Senat zu beachten (Binder in Lüdtke SGG 3. Aufl. § 86b RdNr. 21). Das Begehren im Beschwerdeverfahren ist daher dahin auszulegen, dass die Ast nun die Übernahme der tatsächlichen Wohnkosten begehren.

Hierfür ist ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) nicht glaubhaft gemacht. Die Ast erhalten von dem Ag weiterhin Leistungen für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 450 EUR für die Kaltmiete (s. Bescheid vom 20.08.2008). Die Differenz zur Miete in der neuen Wohnung in Höhe von 580 EUR beträgt damit 130 EUR (nicht 72 EUR wie vom SG angenommen). Die Ast tragen insoweit im Beschwerdeverfahren lediglich vor, dass sie wegen der Erkrankung der Ast zu 1. und zu 2. und der Schulpflicht des Ast zu 3. den Erwerbstätigenfreibetrag der Ast zu 2., worauf das SG seine Begründung gestützt hat, nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache für die Mietdifferenz einsetzen können. Hieraus geht aber nicht hervor, ob überhaupt bereits Mietrückstände angefallen sind und die Kündigung der Wohnung droht, ob also schwere schlechthin unzumutbare Nachteile unmittelbar drohen, die ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar werden lassen. Im Übrigen hat sich der Ag mit Fax vom 15.01.2009 bereit erklärt ab Oktober 2008 bis einschließlich Januar 2009 die Miete in der von ihm für angemessen gehaltenen Höhe von 508 EUR zu übernehmen und den Ast eine Nachzahlung in Höhe von 232 EUR (Mietdifferenz 58 EUR x 4 Monate) mit der nächst möglichen Zahlbarmachung zukommen zu lassen, was den Differenzbetrag weiter verringert.

Im Übrigen haben die Ast auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach vorläufiger summarischer Prüfung ist die Wohnung in der Röntgenstr. nicht angemessen. Nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Angemessenheit der Wohnungskosten ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 2 RdNr 24; Nr 3 RdNr 19 ff) in mehreren Schritten zu prüfen: Zunächst bedarf es der Feststellung, welche Größe die gemietete Wohnung aufweist. Nach Feststellung der Wohnraumgröße ist als weiterer Faktor der Wohnstandard zu berücksichtigen. Angemessen sind die Aufwendungen für eine Wohnung nur dann, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist. Die Wohnung muss im unteren Segment der nach der Größe in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk liegen, der den Vergleichsmaßstab bildet. Da es im Ergebnis allein auf die Kostenbelastung des Grundsicherungsträgers ankommt, kann dahinstehen, ob einzelne Faktoren wie Ausstattung oder Lage isoliert als angemessen anzusehen sind, solange der Grundsicherungsträger nicht mit unangemessen hohen Kosten belastet wird. Das BSG folgt insoweit der Produkttheorie, die abstellt auf das Produkt aus angemessener Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3 RdNr 20 BSG Urteil v.18.06.2008 -B 14/11b AS 61/06 R).

Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Bestimmung der angemessenen Wohnungsgröße die für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau anerkannte Wohnraumgröße zugrunde zu legen (SozR 4-4200 § 22 Nr 3 RdNr 19). Nach der Verwaltungsvorschrift des Landes Baden-Württemberg sind dies bei einem Haushalt mit vier Haushaltsangehörigen bis zu 90 m² oder vier Wohnräume. Diese Größe überschreitet die Wohnung der Ast in der Röntgenstr. mit 100 m². Zusätzlicher Wohnraum dürfte den Antragstellern auch nicht wegen der Behinderung der Antragsteller zu 1. und zu 2. zustehen. Dieser kann wegen persönlicher Bedürfnisse Schwerbehinderten mit bis zu 15 m² oder als ein zusätzlicher Wohnraum zugebilligt werden, wenn durch die Art der Behinderung ein zusätzlicher Wohnflächenbedarf besteht. Davon ist insbesondere bei Rollstuhlfahrern auszugehen. Bei der Herzerkrankung des Ast zu Ziff. 1 und der Krebserkrankung der Ast zu Ziff. 2 ist dies nicht der Fall.

Für die Ermittlung der danach angemessenen Miethöhe ist der gültige Mietspiegel der Stadt Tuttlingen heranzuziehen. Die von dem Ag zugrunde gelegte Kaltmiete in Höhe von 5,08 EUR/m² ist nach vorläufiger summarischer Prüfung jedenfalls nicht zu niedrig angesetzt. Sie orientiert sich im Mietspiegel an Neubauten von 1980 bis 1990 in mittlerer Lage an der Obergrenze für Wohnungen über 90 m². Selbst wenn man in diesem Segment den Wert für Wohnungen zwischen 66 und 90 m² zugrunde legt, beträgt der Mittelwert 4,88 EUR. Zugrunde gelegt ist damit zumindest ein mehr als mittlerer Bereich, der sogar über das zu verlangende Maß, einfachen und grundlegenden Bedürfnissen zu genügen, hinausgeht. Anspruch auf eine Wohnung im Segment Neubau ab 01.01.1991 haben die Ast nicht. Von daher sind auch nicht die Tabellenwerte des Mietspiegels für diesen Bereich zugrunde zu legen. Demnach überschreitet die Wohnung der Ast mit einer Kaltmiete von 5,80 EUR den Rahmen der Angemessenheit auch hinsichtlich der Miete pro m² deutlich.

3. Übernahme einer doppelten Miete

Auch in Bezug hierauf ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Es mag sein, dass noch eine Forderung der alten Vermieter besteht. Aus der von den Ast vorgelegten Auskunft des früheren Vermieters, dass sie die Stellung eines Nachmieters ablehnen und selber dafür ab 01.11.2008 sorgen werden, lässt sich nicht entnehmen, dass die Mietforderung für Oktober 2008 auch tatsächlich erhoben worden ist und diese noch von ihnen gefordert und eingetrieben worden ist. Letztlich ist auch hinsichtlich eines Anordnungsanspruchs unklar, ob ein Umzug tatsächlich zum 01.10.2008 hätte erfolgen müssen oder ob die neue Wohnung in der Röntgenstr. nicht auch zum 01.11.2008 unter Einhaltung der Kündigungsfrist der alten Wohnung hätte angemietet werden können. Im Übrigen ist der Ag nur zur Förderung einer angemessenen Wohnung verpflichtet, weil nur dann sichergestellt ist, dass die Ast auch auf Dauer darin wohnen bleiben können.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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