L 16 B 85/08 KR

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 218/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 85/08 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 09. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Der Kläger (d. Kl.) begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Detmold. Mit seiner Klage wendet er sich gegen die Weigerung der Beklagten (d. Bekl.), ihm auf der Grundlage von § 27 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 3 sowie § 31 Abs 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) methylphenidathaltige Arzneimittel ("Ritalin®" oder "Concerta®”) als Sachleistung zu verschaffen. Der 1973 geborene, bei d. Bekl. seit Geburt krankenversicherte Kläger leidet seit langen Jahren an psychischen Störungen. Festgestellt wurden bei ihm eine kombinierte Persönlichkeitsstörung und wiederkehrende depressive Störungen; außerdem ist er wegen eines ausgeprägten Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) in ärztlicher Behandlung. Er bezieht Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Im August 2007 legte er d. Bekl. ein Attest des behandelnden Nervenarztes T vor, der ihm bescheinigte, zur Verbesserung der Impulskontrolle und der Konzentrationsfähigkeit erhalte d. Kl. seit April 2007 das Medikament "Ritalin®”. Das Medikament sei - wie das gleichartige Medikament "Concerta®” - nützlich und erforderlich. Die Medikamente sind in Deutschland zur Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen zugelassen; für Erwachsene dürfen sie bei der Diagnose "Narkolepsie" (Tagesmüdigkeit) eingesetzt werden. Der von d. Bekl. gehörte medizinische Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Dr. X wies auf einen Bericht einer MDK-Expertengruppe vom 16.03.2006 hin, wonach der in den genannten Medikamenten enthaltene Stoff Methylphenidat nach amerikanischen Untersuchungen durchaus auch bei Erwachsenen wirksam sei, es jedoch eine erhebliche Unsicherheit über die Wirkungen einer Langzeitbehandlung Erwachsener bestehe. Deshalb dürften die gewünschten Medikamente bei d. Kl. nicht verabreicht werden. Im Übrigen lägen keinerlei Erkenntnisse vor, ob die Lebensqualität d. Kl. nachhaltig beeinträchtigt werde, wenn er die genannten Medikamente nicht erhalte. Nachdem der behandelnde Arzt T nochmals darauf hingewiesen hatte, dass eine Behandlung mit "Ritalin®” Voraussetzung für eine erfolgreiche weitere psychiatrische Therapie und für die berufliche Rehabilitation d. Kl. sei, äußerte sich Dr. X erneut und erläuterte, es gebe keine neuen Erkenntnisse; auch für das Parallel-Medikament "Medikinet®" gebe es noch keine Zulassung für die Behandlung Erwachsener. Mit Bescheid vom 15.05.2008 wies d. Bekl. daraufhin den Leistungsantrag d. Kl. zurück. Den Widerspruch, mit dem d. Kl. vorgebracht hatte, die Kosten für das Medikament in Höhe von 37,00 Euro monatlich könne er angesichts seiner niedrigen Einkünfte nicht tragen, wies d. Bekl. mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2008 zurück.

Dagegen hat sich d. Kl. mit der am 10.07.2008 erhobenen Klage gewandt und vorgetragen, d. Bekl. sei verpflichtet, ihm die genannten Medikamente zu gewähren. Andernfalls laufe er Gefahr, dass sich sein Leiden verschlimmere, er den Anforderungen des Alltags nicht gewachsen sei und er drohe, verhaltensauffällig werden. Er hat beantragt, ihm PKH zu gewähren und Rechtsanwalt G A, Q, beizuordnen. Dies hat das SG durch Beschluss vom 09.10.2008 abgelehnt, weil die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe. Unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Landessozialgerichts (LSG) Berlin (jetzt: Berlin-Brandenburg) vom 19.03.2004 (L 9 B 8/04 KR ER) und des LSG Rheinland-Pfalz vom 21.07.2005 (L 5 KR 56/05) hat es zur Begründung ausgeführt, es sei nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand nicht ersichtlich, dass eine Zulassungserweiterung zur Behandlung Erwachsener möglich oder beantragt sei. Auch grundrechtlich bedeutsame Leistungsvoraussetzungen (vgl Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 ff) lägen nicht vor; denn es sei keine lebensbedrohliche Situation feststellbar, die ausnahmsweise eine Leistungspflicht d. Bekl. begründen könnte.

Gegen den am 17.10.2008 zugestellten Beschluss richtet sich die am 17.11.2008 beim SG eingegangene Beschwerde d. Kl ...

II. Die Beschwerde ist unbegründet. D. Kl. steht die begehrte PKH gemäß § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 114 ff der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend der Auffassung des SG (jedenfalls derzeit noch) nicht zu.

1.Bei der gebotenen summarischen Prüfung lässt sich nach dem Inhalt der vorliegenden Akten und aus der zur Anwendung von methylphenidathaltigen Arzneimitteln bei Erwachsenen ergangenen Rechtsprechung der Sozialgerichte nicht erkennen, dass die erhobene Klage zurzeit die erforderliche Aussicht auf Erfolg haben könnte.

Gemäß § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 i.V.m. § 31 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte im Rahmen ihres Anspruchs auf Krankenbehandlung u.a. einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln.

Zu den apothekenpflichtigen Arzneimitteln gehören grundsätzlich auch die vom Kl. beanspruchten Medikamente "Concerta®” und "Ritalin®”. Der Anspruch eines Versicherten auf Versorgung mit Arzneimitteln ist jedoch nicht unbegrenzt, sondern unterliegt denselben allgemeinen Beschränkungen wie alle übrigen Leistungsansprüche im System der gesetzlichen Krankenversicherung. Daher sind auch bei der Arzneimittelversorgung das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V sowie die Qualitätsstandards des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V zu beachten. Die Qualitätssicherung bei Fertigarzneimitteln erfolgt allerdings - anders als bei Rezepturarzneimitteln - nicht im Rahmen des durch § 135 SGB V vorgegebenen Sicherungssystems (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R, in: Sozialrecht - SozR - 3-2500 § 31 Nr 8 = BSGE 89, 184 ff), sondern nach den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes (AMG). Die dort aufgestellten Kriterien der Qualität, der Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit des Medikaments erfüllen vergleichbare Funktionen wie die Grundsätze, die für eine wirtschaftliche und zweckmäßige Arzneimittelversorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V heranzuziehen sind. Ein Arzneimittel, dem die Zulassung nach § 21 Abs 1 AMG fehlt, ist regelmäßig im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnungsfähig. Darüber hinaus dürfen jedoch Arzneimittel, die - wie "Concerta®” oder "Ritalin®” - eine Zulassung haben, im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht für die Behandlung solcher Anwendungsgebiete verordnet werden, auf die sich die Zulassung nicht erstreckt (vgl § 22 Abs 1 Satz 1 Nr 6 AMG). Sie sind dann zwar auch im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung verkehrsfähige Arzneimittel, jedoch ist ihr Verordnungsbereich auf den Zulassungsbereich beschränkt. Die Medikamente "Concerta®” und "Ritalin®” bzw. der darin enthaltene Wirkstoff Methylphenidat sind zwar zugelassen, jedoch nur für die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen mit der Diagnose ADHS, nicht aber für Erwachsene (vgl auch die "Rote Liste", 2006, Nr 71359 - "Ritalin®” - bzw. Nr 71352 - "Concerta®” -; ähnlich Nrn 71353 - "Equasym®” -, 71354 - "Medikinet®” - und andere dort genannte methylphenidathaltige Medikamente; siehe auch den ähnlichen Anwendungsbereich mit dem Wirkstoff Atomoxetin Nr 71360 - "Strattera®” -).

Allerdings ist nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 89, 184 ff) ausnahmsweise unter engen Voraussetzungen die Verordnung eines Arzneimittels auch außerhalb des nach den Bestimmungen des AMG vorgegebenen Zulassungsbereichs möglich. Denn es ist zu berücksichtigen, dass das Arzneimittel grundsätzlich verkehrsfähig ist und seine Wirkungsweise und Risiken in Wesentlichen bekannt sind. Daher ist nach dieser Rechtsprechung die Anwendung eines Arzneimittels außerhalb des zugelassenen Indikationsbereichs (off-label-use) an enge Anforderungen geknüpft und steht unter drei Voraussetzungen:

1. Es geht um die Behandlung einer schwerwiegenden, d. h. lebensbedrohenden oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung;
2. es ist keine andere Therapie für die Erkrankung verfügbar;
3. es besteht aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht, dass mit dem betreffenden Präparat ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg erzielt werden kann.

Diese Voraussetzungen erscheinen aufgrund der in den Akten enthaltenen Informationen bei summarischer Prüfung hinsichtlich der Anwendung von "Concerta®” und "Ritalin®” für Erwachsene fraglich.

Es ist bereits nicht glaubhaft gemacht, dass das bei d. Kl. vorliegende Beschwerdebild als schwerwiegende Erkrankung im Sinne von Nr 1 angesehen werden kann. ADHS ist keine lebensbedrohende Erkrankung. Indem die Begriffe lebensbedrohlich und lebensbeeinträchtigend in unmittelbarem Zusammenhang zueinander erwähnt werden, wird deutlich, dass nicht jede Beeinträchtigung der Lebensqualität für die Eröffnung des off-label-use ausreicht. Dies macht bereits die Qualifikation "nachhaltig beeinträchtigend" deutlich. Jede Erkrankung ist regelmäßig dazu angetan, die Lebensqualität zu beeinträchtigen. Die Parallele zu der lebensbedrohenden Erkrankung stellt heraus, dass die Nachhaltigkeit der Beeinträchtigung besonderes Gewicht erhält (vgl. BSG in BSGE 97, 112 ff). Allein die Behauptung d. Kl., dass sich sein Leiden verschlimmere, er den Anforderungen des Alltags nicht gewachsen sei und drohe, verhaltensauffällig werden, reicht zur Glaubhaftmachung nicht aus. Eine derartig gesteigerte Intensität, wie sie hier gefordert wurde, mag sich möglicherweise aus den Unterlagen der behandelnden Ärzte ergeben. Diese auszuwerten und rechtlich bedeutsame Schlüsse zu ziehen, ist zunächst Sache d. Kl.; im Rahmen der von Amts wegen gebotenen Sachaufklärung wird das SG die entsprechenden Unterlagen beizuziehen und zu bewerten haben. Dass insoweit erhebliche Informationsdefizite bestehen, hat schon der MDK-Gutachter Dr. X mehrfach betont, ohne dass sich d. Bekl. veranlasst gesehen hätte, diesen Hinweisen nachzugehen und sie in die erforderliche komplexe Betrachtung der Angelegenheit einzubeziehen. Sollten sich Hinweise auf dauernde, nachhaltige Störungen der Lebensqualität in der von der Rechtsprechung geforderten, erheblich gesteigerten Intensität erkennen lassen, ist es dann Sache d. Kl., dies ggf. zum Anlass zu nehmen, einen erneuten PKH-Antrag zu stellen. Auf der Grundlage des bisherigen Vorbringens des Kl. ergeben sich jedenfalls keine Hinweise auf eine schwerwiegende Erkrankung.

Darüber hinaus ist derzeit auch zweifelhaft, ob eine andere Therapie für die Erkrankung nicht verfügbar ist. Denn dazu müsste das Beschwerdebild beim Kl. erst einmal deutlich gemacht werden. D. Bekl. hatte dazu den behandelnden Nervenarzt T aufgefordert, Näheres zum Krankheitsbild d. Kl. vorzutragen. Dies ist nicht geschehen. Erst wenn eine lückenlose Krankheitsgeschichte vorliegt, wird auch zu diskutieren sein, ob - wie Dr. X eher allgemein gehalten ausgeführt hat - "ein mehrdimensionales Therapiekonzept unter Einbeziehung psychotherapeutischer Behandlung und psychoedukativer sowie psychosoziale Maßnahmen” ausreichend ist, um einen wesentlichen Behandlungserfolg zu erzielen. Insofern ist von besonderer Bedeutung, dass schon der Nervenarzt T betont hat, dass etwa Gesprächstherapien beim Kl. erst dann greifen können, wenn zunächst die Fähigkeit d. Kl. zur Aufmerksamkeit und Konzentration hergestellt ist. Ohne genauere Kenntnisse vom Erkrankungsverlauf, von Art und Ausmaß der Störungen jedoch ist eine solche Beurteilung nicht möglich. Ob und wann die Voraussetzungen der Nr 2 der vom BSG aufgestellten Voraussetzungen für den off-label-use glaubhaft sein können, wird sich noch zeigen müssen.

Schließlich bleibt auch die dritte Voraussetzung für den off-label-Einsatz des Wirkstoffs Methylphenidat nach dem derzeitigen Erkenntnisstand höchst fraglich, nämlich dass eine begründete Wirksamkeitsprognose und der Ausschluss von Gefahren durch eine Langzeitbehandlung bei Erwachsenen glaubhaft gemacht oder nachgewiesen werden könne.

Das BSG hat die begründete Wirksamkeitsaussicht dann als gegeben erachtet, wenn die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase 3 (gegenüber Standards oder Placebo) veröffentlicht sind, ferner eine klinisch-relevante Wirksamkeit oder ein klinisch-relevanter Nutzen bei vertretbaren Risiken anzunehmen ist oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels mit dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen, aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Dazu enthalten weder die Akten noch der Vortrag der Beteiligten noch die vorliegende Rechtsprechung abschließende Erkenntnisse. Allerdings hat schon Dr. X darauf hingewiesen, dass eine MDK-Expertengruppe am 16.03.2006 offenbar die Wirksamkeit vom Methylphenidat bei Erwachsenen nicht generell in Frage stellt. Auch sollen in den USA randomisierte Studien der Phase III vorliegen. Aus der Rechtsprechung der letzten Jahre lässt sich zudem eine gewisse Entwicklung in den Erkenntnissen über den Einsatz der fraglichen Präparate erkennen: So hat das LSG Berlin schon in der vom SG herangezogenen Entscheidung L 9 B 8/04 KR ER (in juris.de) auf neuere Literatur sowie auf Erkenntnisse aus dem Gesundheitsministerium und dem Arzneimittelinstitut des Bundes hingewiesen (Randnummern - RNrn - 12, 18 und 20). In einem weiteren Beschluss hat das LSG Berlin berichtet, dass der Hersteller des Medikaments "Ritalin®” (Novartis AG) eine Zulassungsergänzung in Betracht ziehe (L 9 B 43/04 KR ER, juris.de). In ähnlicher Weise hat sich das vom SG bereits genannte LSG Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 21.07.2005 (juris.de) geäußert (vgl RNrn 5, 11, 14). Das LSG Baden-Württemberg hat über beabsichtigte weitere Studien zu "Medikinet®" sowie darüber berichtet, dass die hier umstrittene Arzneimittelgabe auch in England zugelassen sei (Urteil vom 13.12.2005, L 11 KR 3018/05, in sozialgerichtsbarkeit.de/Entscheidungen). Das Bayerische LSG (Urteil vom 13.06.2006, L 5 KR 93/06, juris.de) hat sogar darauf verweisen können, dass nicht nur in den USA, sondern auch in Dänemark und Norwegen methylphenidathaltige Medikamente zur Behandlung Erwachsener zugelassen seien (RNr 28). Auch seien Veröffentlichungen der Bundesärztekammer im Bundesärzteblatt vom 26.12.2005 zu beachten; ähnlich seien die Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN; vgl. u.a. RNrn 5, 26, 29). Das LSG Berlin-Brandenburg hat allerdings in einer neueren Entscheidung (Urteil vom 04.07.2007, L 9 KR 52/05, juris.de) keine Hinweise für eine Zulassung von "Ritalin®” oder "Concerta®” für die Behandlung Erwachsener erkennen können, jedoch zu verstehen gegeben, dass sich ein Gutachter im Verfahren des SG Berlin S 82 KR 2709/04 offenbar zu der Problematik eingehend geäußert habe (RNr 15). Auch das Schleswig-Holsteinische LSG (Urteil vom 31.01.2007, L 5 KR 45/06, juris.de = Medizinrecht - MedR - 2007, 563 ff) hat zu "Concerta®” die Erforderlichkeit weiterer medizinischer Untersuchungen betont und auf die Ausführungen des SG Lübeck im Verfahren S 5 KR 1059/04 verwiesen (RNr 28). Sehr ausführlich hat sich inzwischen auch das SG Düsseldorf zu dem strittigen Arzneimitteleinsatz bei Erwachsenen unter Hinweis auf neuere Literatur und Phase-III-Studien geäußert (rechtskräftige Urteile vom 05.03.2008, S 2 KA 209/06 und 84/07, juris.de, insbesondere Rnrn 5, 15, 28, 31 ff.). Die Auswertung neuester Studien aus dem Jahre 2007 belegt hingegen eher, dass die Ergebnisse der Methylphenidatstudien widersprüchlich sein dürften (Hinweis auf M. Maier, Die Behandlung der adulten ADHS ..., 2007, vgl RNr 33 aaO). Schließlich hat das LSG Hamburg vor kurzem auf immer noch nicht abgeschlossene Studien zu "Concerta®” und "Medikinet®” verwiesen (Beschluss vom 14.08.2008, L 1 B 258/08 KR ER zu "Concerta®”, "Ritalin®”, "Equasym®”, "Medikinet®”, in juris.de). Der Tendenz nach lässt sich den genannten Entscheidungen entnehmen, dass immer noch keine ausreichenden Studien, insbesondere zur möglicherweise schädlichen Langzeitwirkung, existieren, die eine Zulassung im off-label-use ermöglichen. Nichtsdestoweniger wird das SG im Rahmen der ihm obliegenden Sachaufklärungspflicht ggf gehalten sein, sich ein eigenständiges Bild über den im Fluss befindlichen Entwicklungsstand der Medikamente zu machen; dabei wird es auch bewerten müssen, dass für den Anwendungsbereich der "Narkolepsie” auf den ersten Blick offenbar keine Bedenken bestehen, die Mittel auch über längere Zeiträume anzuwenden. Ob all dies zu einer Erfolgsaussicht der Klage zu einem späteren Zeitpunkt führen kann, muss allerdings zum heutigen Zeitpunkt noch offen bleiben.

Zutreffend hat sich das SG im vorliegenden Fall auch mit den vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen auseinander gesetzt, wie zu verfahren ist, wenn es um die alternative Behandlung von lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen oder bei zumindest wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankungen geht (Beschluss vom 6. Dezember 2005, BVerfGE 115, 25 ff = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 - immunbiologische Therapie -). Das BVerfG hat aus grundrechtlichen Erwägungen verlangt, dass von den gesteigerten Voraussetzungen für die Erfolgsprognose einer Therapie abgesehen werden müsse, insbesondere wenn die Datenlage wegen der Art der Erkrankung oder ihres seltenen Auftretens nicht hinreichend gesichert werden kann, um die Qualitätsstandards zu erfüllen. Diese Voraussetzungen sind jedoch ebenfalls nicht erfüllt. Im Urteil vom 14. Dezember 2006 hat das BSG hierzu herausgestellt (B 1 KR 12/06 R, in: SozR 4-2500 § 31 Nr 8 zum Arzneimittel Mnesis®/ Wirkstoff Idebenone), dass die vom BVerfG zugrunde gelegten Anwendungsfälle einen nochmals gesteigerten Schweregrad aufweisen müssen, da es sich gewissermaßen um Fälle der erweiterten Ausnahme von der Ausnahme handele. Dass eine solche bedrängende Fallgestaltung vorliegend gegeben sein könnte, erscheint angesichts des bereits kursorisch beschriebenen Leidensbildes beim Kl. eher fernliegend. Weder erscheint die psychische Erkrankung lebensbedrohend noch scheint sie einen ähnlichen Schweregrad zu haben; auch ist nicht der Verlust eines wesentlichen Körperteils oder eines Sinnesorgans zu befürchten.

Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich, weil weder Gerichts- noch Anwaltsgebühren für das PKH-Verfahren angefallen sind noch eine Erstattung außergerichtlicher Kosten in Betracht kommt, vgl auch § 127 Abs. 4 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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