L 19 B 168/08 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 24 AS 56/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 B 168/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 30.06.2008 wird geändert. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.04.2008 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 20. Juni 2008 aufschiebende Wirkung hat. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens insgesamt. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt H Prozesskostenhilfe bewilligt.

Gründe:

Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin ab März 2008 Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - (Bescheide vom 06.und12.03.2008). Mit Bescheid vom 21.04.2008 verfügte die Beklagte die Auszahlung der Kosten für Unterkunft und Heizung, die sie in Höhe von 290,38 EUR festgesetzt hatte, ab Mai 2008 unmittelbar an den Vermieter in Höhe von zunächst 342,50 EUR und mit Änderungsbescheid vom 20.06.2008 in Höhe von 290,38 EUR.

Das hiergegen angerufene Sozialgericht (SG) Detmold hat mit Beschluss vom 30.06.2008 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen diese Bescheide insoweit angeordnet, als durch den Bescheid für die Monate Mai und Juni 2008 eine Direktzahlung an den Vermieter von mehr als 290,38 EUR festgesetzt worden ist. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt.

Die dagegen gerichtete Beschwerde ist zulässig. Zwar ist die am 01.09.2008 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangene Beschwerde nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist von einem Monat (§ 173 S. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) bei Gericht eingegangen, die Antragstellerin hatte aber bereits am 17.07.2008 und damit fristgerecht beim SG Beschwerde erhoben.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Allerdings ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (§ 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG) unzulässig, weil der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid über die Auszahlung an den Vermieter (zu dessen Charakter als Verwaltungsakt vgl. Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn. 109 m.w.N.) gemäß § 86 a Abs. 1 S. 1 SGG aufschiebende Wirkung hat. Da die Antragsgegnerin diese jedoch missachtet und den Bescheid durch Zahlung der Kosten der Unterkunft unmittelbar an den Vermieter vollzogen hat, kann der Antrag in einen solchen auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs umgedeutet werden (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86 b Rn. 15 m.w.N.).

Dieser hat Erfolg, weil die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht infolge der Bestimmung des § 39 SGB II entfallen ist.

Nach § 39 Nr. 1 SGB II in der bis zum 01.09.2009 geltenden Fassung (a.F.) haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl. I 2917) ist § 39 Nr. 1 SGB II nunmehr dahin gefasst worden, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in Arbeit regelt, keine aufschiebende Wirkung haben. Es entspricht ganz überwiegender Meinung, dass Entscheidungen der Leistungsträger, durch die nur der Auszahlungsadressat bestimmt wird, wie dies bei der Zahlung der Kosten der Unterkunft unmittelbar an den Vermieter nach § 22 Abs. 4 SGB II der Fall ist (vgl. Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn. 99) keine Leistungsregelungen darstellen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.05.2007 - L 28 B 653/07 AS ER - zitiert nach Beschl. v. 12.07.2007 - L 28 B 1064/07 AS ER -; LSG Rheinland-Pfalz, NZS 2006, 542,543; SG Oldenburg, info also 2005, 221; Conradis in LPK SGB II, 2. Aufl., § 39 Rn. 8). Auch wenn diese Auffassung bezüglich Eingriffsentscheidungen der Leistungsträger nach dem SGB II teilweise auf einem unzulässigen Vergleich mit der Regelung über die aufschiebende Wirkung in Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit (§ 86 a Abs. 2 Nr. 2 SGG) beruht (vgl. SG Oldenburg, a.a.O., S. 222) und der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung eine weite Auslegung des Begriffs der Entscheidung über Leistungen im Sinne des § 39 Nr. 1 SGB II a.F. vertritt (vgl. ausführlich Beschl. des Senats v. 18.04.2008 – L 19 B 182/07 AS ER), kann insbesondere im Lichte der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Neuregelung des § 39 SGB II die Entscheidung des Leistungsträgers nach § 22 Abs. 4 SGB II nicht unter die Norm des § 39 SGB II subsummiert werden. Dabei kann dahinstehen, ob hier schon die Neufassung des § 39 Nr. 1 SGB II Anwendung findet oder sich die Entscheidung des Verfahrens noch nach der bis zum 01.01.2009 geltenden Rechtslage richtet. Denn § 39 SGB II hat in seiner Neufassung im Wesentlichen eine Erweiterung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung erfahren, so dass für eine einschränkende Abänderung des § 39 Nr. 1 SGB II für den hier zu entscheidenden Fall der Zahlung der Leistungen an einen Dritten jegliche Anhaltspunkte fehlen.

§ 39 Nr. 1 SGG bestimmt u.a. nunmehr, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen die Aufhebung, die Zurücknahme, den Widerruf oder die Herabsetzung einer Leistung regelnden Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung haben. Hierdurch wird aber nicht der Fall der Abzweigung bzw. Zahlung von Grundsicherungsleistungen an einen Dritten erfaßt. Denn dies stellt, wie bereits dargelegt, nur eine Bestimmung des Auszahlungsberechtigten dar, weil Anspruchsinhaber der Hilfebedürftige bleibt, so dass in die ihm erteilte Leistungsbewilligung durch die Entscheidung des Leistungsträgers nach § 22 Abs.4 SGB II nicht eingegriffen wird, da diese unverändert bleibt. Durch die Auszahlung der Leistung an den Vermieter wird der Leistungsanspruch des Hilfebedürftigen auch regelmäßig befriedigt, weil er von seinen Mietschulden gegenüber dem Vermieter frei wird. Selbst wenn wie hier die Mietschuld bestritten bzw. ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht wird, führt dies - abgesehen davon, dass das Beweissicherungsverfahren einen solchen Mietminderungsgrund der Antragstellerin nicht belegt hat - nicht zu einer Leistungsaufhebung, -rücknahme, -herabsetzung oder einem Leistungswiderruf, weil der Leistungsträger eine solche Entscheidung mit seiner Auszahlungsverfügung nicht bezweckt.

Da es demnach an einer gesetzlichen Bestimmung im Sinne des § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin fehlt, ist diese festzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe folgt aus §§ 73 a Abs. 1 SGG, 114, 115 Zivilprozessordnung (ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG):
Rechtskraft
Aus
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