Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 239/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Tenor: Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen und bei der Beklagten versicherten Ehemannes - künftig: Versicherter - eine Berufskrankheit - BK - nach Nr. 4105 und/oder 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - BKV - festzustellen.
Der am 1. Januar 1955 in Ekezik ca. 50 km südwestlich von Yildizeli und ca. 80 km südwestlich von Sivas (Zentralanatolien) in der Türkei, geborene und am 13. November 2005 verstorbene Versicherte war ab dem 21. April 1980 - als dem Zeitpunkt seiner Übersiedelung ins Bundesgebiet - hier als Arbeiter wie folgt versicherungspflichtig beschäftigt:
- April - Juli 1980 Hoch-Tief-Kabelbau ... - Juli 1980 - Juni 1981 ... Hoch-Tiefbau, ... - August - Oktober 1981 ... Hoch-Tiefbau, ... - Oktober 1981 - Februar 1982 Flora Gartenbau ... - Februar 1982 - Februar 1985 ... Kieswerk, ... - April 1986 - Oktober 2003 ... AG, ...
Im Oktober 2003 wurde bei dem an Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie vorerkrankten Versicherten ein malignes epitheliales Pleuramesotheliom links (Brustfellkrebs) diagnostiziert, nachdem der Versicherte ab September 2003 über Husten und abdominelle Beschwerde geklagt hatte. Ab Juni 2004 bezog der Versicherte aufgrund dessen von der Deutschen Rentenversicherung Rente wegen voller Erwerbsminderung. Im vom Internisten Dr ...unterzeichneten Behandlungsbericht der Thoraxklinik ... vom 28. Oktober 2004 hieß es, die Erkrankung des in der Türkei aufgewachsenen und im Bundesgebiet zwischen 1986 und 2003 als Betonarbeiter beschäftigten Versicherten sei nicht operabel, die Einleitung einer Chemotherapie werde geplant. Am 3. November 2004 zeigte Dr ...der Beklagten den Verdacht auf eine BK Nr. 4105 infolge von Betonstaub und den im Beton enthaltenden Bindemitteln an.
Gegenüber dem technischen Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten teilte der Versicherte in einem am 12. November 2004 mit anwesendem Dolmetscher geführten Gespräch entsprechend dem Vermerk der Beklagten vom 23. November 2004 u. a. Folgendes mit: Er sei ca. bis zu seinem 14 Lebensjahr im Dorf Yildizeli etwa 60 km westlich von Sivas aufgewachsen; anschließend habe er in Kayseri und Sivas gelebt und zwischen 1977 und 1979 den Wehrdienst in Antayla abgeleistet. Er habe nie geraucht. Bei den Firmen ... und ...habe er Handaushubarbeiten für die Verlegung von Strom- und Telefonkabel verrichtet, die Kabel sodann eingesandet und den Boden verdichtet. Bei der Flora ... habe er Pflanzarbeiten im Außenbereich ausgeführt und bei der Firma ... ca. 5 Maschinen zur Kiesgewinnung (Förder-, Sieb- und Brechanlagen) bedient und gewartet. Bei der Firma ... sei er von 1986 bis 2003 in der Abteilung beschäftigt gewesen, die Treppenteile aus Beton hergestellt habe. Er vermute infolge der ständigen Staubbelastung in der Produktionshalle erkrankt zu sein. Täglich seien in ca. 5 Meter Entfernung zu seinem Arbeitsplatz mit einem Winkelschleifer Grate an Betonteilen abgeschliffen worden. Auch andere türkischstämmige und bei der Firma ... beschäftigten Arbeitskollegen seien lungenkrank. In unmittelbarer Nachbarschaft zu der Halle in der er gearbeitet habe, seien keine Asbestzement-Wellplatten von Dachflächen montiert worden.
Im Vermerk vom 8. Dezember 2004 führte Dipl-Ing ... vom TAD aus, Latenzzeit (30 - 50 Jahre) und Herkunft des Versicherten aus Zentralanatolien (natürliche Asbestvorkommen) ließen auf eine geographische Ursache der Mesotheliomerkrankung schließen.
Unter dem 27. Dezember 2004 beantwortete die ... AG, die ihr von der Beklagten gestellten Fragen zum Arbeitsplatz des Versicherten wie folgt: Der Kläger sei seit ... April 1986 als Betonarbeiter beschäftigt. Er habe seither Betonstufen an halbautomatischen Maschinen herzustellen. Dabei habe er mit den Arbeitsstoffen Beton (Sand und Zement) in frischem und weichen Zustand umzugehen. Staub falle bei dieser Tätigkeit nicht an.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2005 teilte das Institut für Pathologie der Ruhr-Universitätsklinik ...der Beklagten mit, eine Staubanalyse könne nicht durchgeführt werden, weil Lungengewebe dafür offenbar nicht zur Verfügung stehe. Diese Annahme bestätigte die Beklagte mit Schreiben vom 1. Februar 2005, wonach dem Versicherten gemäß Bericht des Pathologischen Instituts der Universität ... vom selben Tag lediglich Pleurabiopsate, aber kein Lungengewebe entnommen worden seien.
Gewerbeärztin Dr ..., stellte nunmehr unter dem 21. Januar 2005 fest, eine BK Nr. 4105 könne nicht zur Anerkennung vorgeschlagen werden, weil eine haftungsbegründende Kausalität nicht habe wahrscheinlich gemacht werden können. Bei seinen Beschäftigungen in Deutschland sei er keiner asbestfeinstaubgefährdenden Tätigkeit ausgesetzt gewesen. Eine umweltbezogene Krankheitsursache im Heimatland Türkei sei deshalb zu erwägen.
Mit Bescheid vom 17. Februar 2005 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung einer BK nach Nr. 4105 und Nr. 4103 der Anlage 1) zur BKV ab. Zur Begründung hieß es, der Versicherte sei infolge seiner beruflichen Tätigkeit in Deutschland keiner Asbeststaubeinwirkung ausgesetzt gewesen.
Dagegen erhob der Versicherte am 21. Februar 2005 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, die Beklagte habe es versäumt, die bei der Firma ...geführte "Gefahrstoffliste" zu erheben und ihm zu überlassen. Dies sei nachzuholen. Außerdem seien auch 2 weitere bei ...beschäftigte Arbeitskollegen des Versicherten lungenerkrankt.
Unter dem 10. Juni 2005 und dem 25. August 2005 übersandte die Beklagte dem Bevollmächtigten des Versicherten das Gefahrstoffkataster der Firma ... und das Sic herheitsdatenblatt mit Informationen zum Gefahrstoff " ..." (= "Strahleffekt (ph) + viskos") unter Hinweis darauf, ein beruflicher Kontakt des Versicherten mit Asbest sei weiter nicht nachgewiesen. Auf Anfrage der Beklagten stellte Dr ..., Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde an der Thoraxklinik ..., mit Stellungnahme vom 2. November 2005 fest, Hinweise auf eine karzinogene "krebsverursachende Wirkung" des Produkts "Strahleffekt" seien laut Sicherheitsdatenblatt auszuschließen. Ein Zusammenhang zwischen dem Pleuramesotheliom und einem Kontakt mit dem Produkt "Strahleffekt" sei unwahrscheinlich.
Mit Stellungnahme vom 28. Dezember 2005 regte Dipl.-Ing ... an, weiter zu klären, ob das Gefahrstoffkataster der Firma ... den gesamten Beschäftigungszeitraum des Versicherten (4/86-10/03) repräsentiere. Konkurrierend sei weiter zu beachten, dass der Versicherte im zentralanatolischen Hochland (Kappadokien) geboren und aufgewachsen sei. Dieses Gebiet zähle zu den besonders zeolithreichen Regionen. Nach epidemiologischen und tierexperimentellen Studien sei das Zeolith-Mineral für die hohe Mesotheliominzidenz in der dortigen Bevölkerung ursächlich. Daraufhin ermittelte der TAD (Vermerk vom 10. Januar 2006), dass bei der Firma ...ein Gefahrstoffverzeichnis erst seit ca. 1997/1998 geführt worden sei. Der Versicherte habe aber zu keinem Zeitpunkt Asbestzementplatten verarbeitet. Für die Herstellung von Aussparungskörpern sei im Betrieb stets Holz verwandt worden. Die Firma ... verarbeite auch keine asbesthaltigen Baustoffe.
Unter dem 6. Dezember 2006 äußerte der Bevollmächtigte der Klägerin, unabhängig davon, ob bei der Firma ... Asbest verarbeitet worden sei, sei zu berücksichtigen, dass die Produktions- und Lagerhallen der Firma mit frei zugänglichen, witterungszersetzten Asbestzementplatten / Eternitplatten eingekleidet und verkleidet seien. Außerdem seien diese Platten mechanischer Einwirkung (etwa Kollision mit Gabelstaplern und Erschütterungen infolge der Betonsteinproduktion) ausgesetzt gewesen. Entgegen der Auffassung des TAD könne aber auch eine Asbestexposition bei keiner der Beschäftigungsfirmen des verstorbenen Versicherten ausgeschlossen werden, weil die Verwendung von Asbest in der damaligen Zeit in Rohren und Eternitplatten gang und gäbe gewesen sei.
Daraufhin hatte der TAD weitere Ermittlungen durchgeführt, die in seiner Stellungnahme vom 23. Juli 2007 wiedergeben wurden. Darin hieß es erneut, die Firma ... habe bei der Herstellung ihrer Betonbauteile nie Asbest zugemischt. Der Versicherte habe von Anbeginn seiner Beschäftigung an in der 1985/1986 erstellten, neuen Halle (Mittelbau) gearbeitet, die mit Blech eingedeckt sei.
In der Folge wies die Beklagte den Widerspruch des Versicherten mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2007 als unbegründet zurück. Voraussetzung für die Anerkennung einer BK Nr. 4105 oder 4103 lägen nicht vor, weil der Versicherte während seines Berufslebens im Bundesgebiet keiner beruflichen Asbesteinwirkung ausgesetzt gewesen sei.
Am 14. Januar 2008 hat die Klägerin in der Rechtsnachfolge des verstorbenen Versicherten Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
Die Klägerin ist weiter der Auffassung, der verstorbene Versicherte, ihr Ehemann, sei bei seiner Tätigkeit in der Firma ... erheblichen Gefahren ausgesetzt gewesen. Entgegen ihrer Angaben habe die Firma ... früher den hergestellten Betonteilen sehr wohl Asbest zugemischt. Außerdem sei der Versicherte nicht nur in der neu erstellten Mittelhalle, sondern auch in der Vorgängerhalle, in die Asbestzementplatten eingebaut gewesen seien, beschäftigt gewesen. Diese Tatsachen könne der Seniorchef der Firma, ..., bezeugen. Die neu erstellte Mittelhalle sei erst errichtet worden, nachdem der Versicherte seine Tätigkeit bei der Firma ...aufgenommen habe. Ferner sei nicht geklärt, was mit den Asbestzementplatten geschehen sei, die beim Abbruch der alten Hallen angefallen seien. Die Klägerin müsse davon ausgehen, diese Platten seien auf dem Firmengelände verblieben. Zu rügen sei weiter, dass die Beklagte die Todesumstände der früheren Arbeitskollegen, K. Ö. und M. G., des verstorbenen Versicherten nicht ermittelt habe. K. Ö. sei an einem Pleuramesotheliom verstorben, M. G. sei an Lungenkrebs gestorben. Die Häufung der Lungenkrebserkrankungen bei Arbeitnehmern der Firma ... sei signifikant. Schließlich sei pflichtwidrig eine Röntgenbeugeanalyse nicht durchgeführt worden, dies sei nachzuholen.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheids vom 12. Dezember 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Lungenerkrankung des am 13. November 2005 verstorbenen Versicherten als Berufskrankheit anzuerkennen und der Klägerin von Oktober 2003 bis zum 13. November 2005 Verletztenrente für den Versicherten nach einer MdE von 100 und ab dem 13. November 2005 Witwenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren und festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren erforderlich war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig, weil der Nachweis einer beruflichen Asbestexposition des verstorbenen Versicherten nicht habe erbracht werden können. Damit sei nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin zu entscheiden gewesen.
Das Gericht hat den, den verstorbenen Versicherten behandelnden Lungenfacharzt Dr ... Thoraxklinik ... im Wege der schriftlichen sachverständiger Zeugenaussagen vernommen; auf die in den Gerichtsakten befindliche Aussage von Dr ... vom 21. April 2008 wird Bezug genommen. Der von der Klägerin weiter als behandelnder Arzt angegebene Neurologe Dr ..., hat dem Gericht am 20. Mai 2008 mitgeteilt, den verstorbenen Versicherten nicht behandelt zu haben.
Unter dem 21. August 2008 hat der Personalvorstand der Firma ... AG dem Gericht mitgeteilt, der von der Klägerin als Zeuge benannte K ... sei seit ...Jahren aus der Geschäftsleitung ausgeschieden und könne aus eigener Erinnerung kaum etwas zum Sachverhalt beitragen. Der verstorbene Versicherte sei am 28. April 1986 in die Firma eingetreten, sei ab dem 30. September 2003 dauerhaft erkrankt und mit dem 31. Mai 2004 bei Gewährung von Erwerbsminderungsrente aus der Firma ausgeschieden. Er habe nur im sog. Mittelblock gearbeitet, der bereits zu Beginn seines Beschäftigungsverhältnisses mit Stahlblech eingedeckt gewesen sei. Der Versicherte sei vollschichtig beschäftigt gewesen. In der Halle, in der er tätig gewesen sei, habe es keine Asbestbelastung gegeben. Im Betrieb sei zudem nie Asbest verarbeitet worden, so dass es auch keinen Anlass gegeben habe, entsprechende Messungen durchzuführen. Das Unternehmen beschäftige viele hundert Mitarbeiter, die teilweise über Jahrzehnte beschäftigt seien - Fälle, die irgendwie mit Asbest in Verbindung zu bringen gewesen seien, habe es aber nie gegeben. Des Weiteren hat der Personalvorstand der ... AG mit Schreiben vom 12. Dezember 2008 die auf das Jahr 1985 datierenden Baumaterialrechnungen für die Errichtung der neuen Produktionshalle (sog. Mittelblock) vorgelegt.
Auf Antrag der Klägerin hat das Gericht den früheren ( ...) Vorstands- und seitherigen Aufsichtsratsvorsitzenden der Firma ... AG, ..., während der mündlichen Verhandlung als Zeugen vernommen. Für seine Aussage wird auf die Ausführungen in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Ferner hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung durch auszugsweises Verlesen eingeführt:
1) das von Prof. Dr. J ..., Justus-Liebig-Universität Gießen im Auftrag des Gesundheitsamts Darmstadt unter dem 22. April 2008 erstattete Gutachten zu "Gesundheitsgefährdung durch Asbest in der Bessunger Schule Darmstadt" (55 Seiten), veröffentlicht unter www.portal-darmstadt.de 2) die Informationsschrift "betroffen? Krebs des Brustfells (Pleuramesotheliom)" des Deutschen Krebsforschungszentrums, Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg, Neuauflage Januar 2005 (12 Seiten) und 3) die Internet-Informationsseite des Pharma-Konzerns Lilly Deutschland GmbH zum Thema "Hauptrisikofaktor Asbest", Stand 2. April 2008 (1 Seite).
Auf Frage des Gerichts hat die Klägerin bestätigt, dass der verstorbene Versicherte nicht obduziert worden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Behördenakte und den Inhalt der Gerichtsakten (S 4 U 239/08) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Die Klägerin ist gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten. Nach dieser Vorschrift stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tode des Berechtigten seinem Ehegatten zu, wenn dieser mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat oder von ihm wesentlich unterhalten worden ist.
Die zulässige Klage ist aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht verlangen, die Lungenerkrankung ihres Ehemanns, des am 13. November 2005 verstorbenen Versicherten als Berufskrankheit nach BK Nr. 4105 (Pleuramesotheliom) oder 4103 (Asbestose) anzuerkennen und ihr von Oktober 2003 bis zum 13. November 2005 Verletztenrente für den Versicherten nach einer MdE von 100 und ab dem 13. November 2005 Witwenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII - sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeiten erleiden. Die Bundesregierung wurde ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (Satz 2).
Wie bei einem Arbeitsunfall müssen auch bei einer Berufskrankheit die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u.a. neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen und die Krankheit gehören, erwiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (vgl. BSG 45, 285).
Der verstorbene Versicherte ist einem Brustfellkrebsleiden (Pleuramesotheliom) erlegen, das er sich infolge der Einatmung von asbesthaltigen Stoffen zugezogen hat. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind andere umweltrelevante Ursachen als Asbest und die vergleichbar biobeständige Mineralfaser Erionit für die Entstehung des Pleuramesothelioms bisher nicht gesichert (vgl. Prof. Dr ..., Gutachten, a. a. O., S. 30 m. w. N.).
Asbest ist ein Sammelbegriff für zwei Gruppen faserförmiger silikatischer Mineralien: die Serpentinasbeste und die Amphibolasbeste. Als Arbeitsstoff kommt meist Chrysotil (Weißasbest), ein Magnesiumsilikat mit geringem Eisenanteil aus der Gruppe der Schichtsilikate vor. Auf Chrysotil als wichtigsten Serpentinasbest entfallen etwa 90 % aller in der Welt gewonnenen und industriell verarbeiteten Asbeste. Die Gruppe der Amphibolasbeste hat einen Anteil von unter 10 % am Asbestweltverbrauch. Hierzu gehören das Natriumeisensilikat Krokydolith, der sog. Blauasbest, ferner das Magnesiumeisensilikat Amosit, der sog. Braunasbest sowie der Anthophyllit. In der Bundesrepublik Deutschland, welche Importland für Asbest ist, werden bzw. wurden aus Rohasbest zahlreiche Produkte hergestellt. Beispielhaft aufgeführt seien die Asbestzementindustrie, die Reibbelagindustrie, die Gummi-Asbest(IT)-Industrie, die Asbestpapier-, -pappen-, -dichtungs- und -filterindustrie, die Asbesttextilindustrie und die Asbestkunststoffindustrie. Seit etwa 1980 ist der Verbrauch von Asbest deutlich zurückgegangen und wird in den nächsten Jahren voraussichtlich auslaufen. Darüber hinaus werden bzw. wurden in den verschiedensten Gewerbezweigen asbesthaltige Produkte eingesetzt, z. B. bei bestimmten Tätigkeiten im Hoch- und Tiefbaugewerbe, Kraftfahrzeuggewerbe, Isoliergewerbe, im Lüftungs-, Klima-, Heizungs- sowie Fahrzeugbau. Wichtige Gefahrenquellen für das Einatmen von Asbeststaub sind bzw. waren insbesondere: • Asbestaufbereitung. Hierbei wird in Kollergängen, Prall- oder Schlagmühlen entweder asbesthaltiges Muttergestein zerkleinert und/oder Rohasbest zu stärker aufgeschlossenen Fasern aufgelockert; • Herstellung und Verarbeitung von Asbesttextilprodukten wie Garne, Zwirne, Bänder, Schnüre, Seile, Schläuche, Tücher, Packungen, Kleidung usw. Dabei kommen Tätigkeiten wie Abfüllen, Einwiegen, Mischen, Krempeln, Spinnen, Zwirnen, Flechten, Weben und Zuschneiden vor. Auch das Tragen unbeschichteter Asbestarbeitsschutzkleidung ist ggf. zu berücksichtigen; • industrielle Herstellung und Bearbeitung von Asbestzementprodukten, speziell witterungsbeständiger Platten und Baumaterialien einschließlich vorgefertigter Formelemente, z. B. für Dacheindeckungen, Fassadenkonstruktionen, baulichen Brandschutz usw.; • Bearbeitung und Reparatur der vorgenannten Asbestzementprodukte, z. B. Tätigkeiten wie Sägen, Bohren, Schleifen usw. im Baustoffhandel oder Bauhandwerk; • industrielle Herstellung und Bearbeitung von asbesthaltigen Reibbelägen, speziell Kupplungs- und Bremsbelägen; • Ersatz von solchen Reibbelägen, z. B. Tätigkeiten wie Überdrehen, Schleifen, Bohren, Fräsen von Bremsbelägen in Kfz-Reparaturwerkstätten usw.; • Herstellung, Anwendung, Ausbesserung und Entsorgung von asbesthaltigen Spritzmassen zur Wärme-, Schall- und Feuerdämmung (Isolierung); • Herstellung, Verarbeitung und Reparatur von säure- und hitzebeständigen Dichtungen, Packungen usw., z. B. im Leitungsbau der chemischen Industrie; • Herstellung, Be- und Verarbeitung von Gummi-Asbest(IT)-Produkten; • Herstellung, Be- und Verarbeitung asbesthaltiger Papiere, Pappen und Filzmaterialien; • Verwendung von Asbest als Zusatz in der Herstellung von Anstrichstoffen, Fußbodenbelägen, Dichtungsmassen, Gummireifen, Thermoplasten, Kunststoffharzpreßmassen usw.; • Entfernen, z. B. durch Abbrucharbeiten, Reparaturen usw. sowie Beseitigung der vorgenannten asbesthaltigen Produkte. Außerdem enthalten verschiedene Minerale, z. B. Speckstein (Talkum), Gabbro, Diabas usw. geringe Asbestanteile, u. a. als Tremolit und Aktinolith. Sie können infolgedessen über eine Mischstaubexposition zu Asbestrisiken führen
Nach Nr. 4105 der Anlage 1) zur BKV gelten als Berufskrankheiten durch Asbest verursachte Mesotheliome des Rippenfells, des Bauchfells und des Perikards. Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt also voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit in der Person des Versicherten gegeben sein müssen, zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegen muss und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (vgl. Kasseler Kommentar - Ricke - § 9 SGB VII, Rn. 11; Schmitt, SGB VII, Kommentar, 2. Aufl., 2004, § 9 Rn. 2).
Unzweifelhaft sind die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4105 in der Person des verstorbenen Versicherten erfüllt, wie die Berichte der Thoraxklinik Heidelberg vom 28. Oktober 2004 und vom 21. April 2008 belegen. Die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 4105 sind aber nicht nachgewiesen und heute - nach dem Versterben des Versicherten am 13. November 2005 - auch nicht mehr nachweisbar. Damit kann die Erkrankung des verstorbenen Versicherten an Brustfellkrebs nicht mit Wahrscheinlichkeit auf seine berufliche Tätigkeit bei der ... AG zurückgeführt werden. Erst recht scheidet eine Verursachung des Brustfellkrebs durch die vorangegangene Berufstätigkeit des verstorbenen Versicherten bei den Firmen ..., ..., ... und ... aus, weil er dort für das erkennende Gericht offensichtlich keiner Asbestgefährdung ausgeliefert gewesen ist.
Aber auch während seiner Beschäftigung bei der Firma ... zwischen 1986 und 2003 ist der verstorbene Versicherte als Betonarbeiter keiner asbestfeinstaubgefährenden Tätigkeit ausgesetzt gewesen. Die Arbeitsmittel, mit denen der verstorbene Versicherte als Betonbauer umzugehen hatte, enthielten keine Asbestzusätze, wie sich aus den von der Firma ... vorgelegten Sicherheitsdatenblättern zu den einzelnen Gefahrstoffen laut Gefahrstoffregister ergibt. Für den vom verstorbenen Versicherten genutzten Gefahrstoff " ..." (= "Strahleffekt (ph)") ist auf Anfrage der Beklagten von Lungenfacharzt Dr ..., Thoraxklinik ..., unter dem 2. November 2005 bestätigt worden, dass ein Zusammenhang zwischen dem Pleuramesotheliom und dem Kontakt mit dem Produkt "Strahleffekt" unwahrscheinlich ist. Darüber hinaus hat der aktuelle Personalvorstand der ... AG dem Gericht unter dem 21. August 2008 schriftlich bestätigt, in Unternehmen sei während der Beschäftigungszeit des verstorbenen Versicherten kein Asbest verarbeitet worden. Diese Aussage hat der Zeuge K ..., ... Aufsichtsratsvorsitzender und vormals langjähriger Vorstandsvorsitzender des Unternehmens, anlässlich seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht glaubhaft bekräftigt. Der Zeuge hat dabei auch auf Nachfrage erklärt, dass im Unternehmen keine Asbestfaserverarbeitung stattgefunden hat und der Rohstoff Asbest im Unternehmen nicht verwandt worden ist.
Betonzusatzmittel und andere Produkte, wie sie im Gefahrstoffkataster der Firma ... aufgelistet sind, können ein Pleuramesotheliom nicht auslösen. Ebenso ist die aus der asbestlosen Aufbereitung und Zersägung von Betonfertigteilen herrührende Staubbelastung geeignet für die Entstehung eines Mesothelioms auch nur mitursächlich zu sein. Denn aus Betonfertigteilen, die asbestfrei hergestellt worden sind, kann folgerichtig auch bei einer Zersägung oder einer wie auch immer gearteten Aufspaltung kein Asbestfeinstaub austreten. Andere, nicht asbesthaltige Staubpartikel, wie sie in der Produktionshalle, in der der verstorbene Versicherte zwischen 1986 und 2003 beschäftigt gewesen ist, sicher aufgetreten sind, sind wiederum von vornherein nicht geeignet, ein Mesotheliom auszulösen oder auch nur zu fördern.
Die "neue", 1985 errichtete Produktionshalle in der der verstorbene Versicherte zwischen April 1986 und Oktober 2003 ausschließlich gearbeitet hat, besteht aus asbestfreien Bauelementen. Das Hallendach ist seit der Neubauerrichtung 1985 mit Stahlblech eingedeckt. Das Gericht hat keinen Anlass an der Glaubhaftigkeit der entsprechenden Ausführungen des Zeugen K ... zu zweifeln. Mittelbar wird die Richtigkeit dieser Aussage weiter durch die von dem Personalvorstand der Firma ... vorgelegten Baumaterialrechnungen der Firma ... für die "neue" Fabrikationshalle vom 11. April 1985 ..., 8. Mai 1985 ... und vom 24. Juli 1985 ... bestätigt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass auch der verstorbene Versicherte persönlich anlässlich seiner Anhörung durch einen Mitarbeiter des TAD der Beklagten am 12. November 2004 erklärt hat, nicht in einer Halle oder in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Halle gearbeitet zu haben, in der Asbestzement-Wellplatten von Dachflächen anderer Hallen demontiert worden sind (Vermerk der Beklagten vom 23. November 2004). Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin zum Verbleib alter asbestzementhaltiger Hallendacheindeckungen von abgerissenen Produktionshallen auf dem Betriebsgelände der ... AG und zu möglichen Kollisionen von Gabelstaplern mit asbesthaltigen Baumaterialen oder Hallenplatten vorgetragen hat, ist dieser Vortrag als spekulativ zu bewerten. Das Gericht jedenfalls hat keinen Anlass an der glaubhaften Aussage des Zeugen K ... zu zweifeln, wonach die Eternitplatten der alten Produktionshalle(n) vorschriftsmäßig entsorgt worden sind. Das der Zeuge keine näheren Einzelheiten zum Entsorgungsvorgang selbst hat angeben können, erscheint dem Gericht nur allzu verständlich und in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Der Zeuge war zum Zeitpunkt der Um- und Neubauten der Produktionshallen in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Vorstandsvorsitzender einer Unternehmens-AG mit ca. 400 Mitarbeitern, das notwendigerweise arbeitsteilig organisiert war und ist. Dem entsprechend ist er nicht mit den Einzelheiten jedes Vorgangs befasst und erst recht nicht in der Lage über solche Vorgänge in einem zeitlichen Abstand von mehr als 20 Jahren nähere Auskunft als geschehen zu geben.
Im Übrigen ist auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den klägerseitig geltend gemachten Parallelerkrankungen zweier Arbeitskollegen des verstorbenen Versicherten - K. Ö. und M. G. - nach Feststellung der Tatsache, das es insoweit bereits an Berufskrankheits-Anzeigen fehlt, nicht weiter nachgegangen ist. Auch der Zeuge K ...hat dem Gericht bestätigt, dass ihm für die ... AG gemeldete Berufskrankheiten der Nrn. 4105, 4103 nach Anlage 1 der BKV - abgesehen vom Fall des verstorbenen Versicherten - nicht bekannt sind. Von einer Häufung von Lungenkrebserkrankungen bei Arbeitnehmern der ... AG - so der Bevollmächtigte der Klägerin - kann also in keiner Weise gesprochen werden, erst recht von keiner signifikanten Häufung. Aber auch unterstellt, die beiden von der Klägerin in Bezug genommenen Arbeitskollegen des verstorbenen Versicherten - K. Ö. und M. G. - hätten an einem Pleuramesotheliom gelitten und seien an dessen Folgen gestorben, rechtfertigte dies keine weiteren medizinischen Ermittlungen von Amts wegen. Denn zu einen steht fest, dass die Arbeitnehmer der ...AG nicht mit asbesthaltigen Baustoffen umzugehen hatten und haben (vgl. näher oben) und zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die beiden in Bezug genommenen Arbeitskollegen des verstorbenen Versicherten - wie dieser - aus Zentralanatolien stammen und dort aufgewachsen sind. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil sich bei Einwohnern von Endemiegebieten in Griechenland, der Türkei, Korsika oder Finnland häufiger asbestbedingte Pleuraveränderungen finden (vgl. näher Prof. Dr ..., Gesundheitsgefährdung durch Asbest in der Bessunger Schule Darmstadt, S. 25 des Gutachtens für das Gesundheitsamt Darmstadt vom 28. April 2008). Laut Schneider (a. a. O.) berichten Baris et al. (1987) über das endemische Vorkommen von Pleuraplaques in der Türkei durch umweltbedingte Einwirkungen von Asbest und Erionit, einem faserförmigen Zeolithmineral. Danach finden sich neben großen Asbestvorkommen (Chrysotil oder Amphibole) in Zentralanatolien (Antakia, Sivas, Erzinkan, Bursa und Eskisehir) zahlreiche kleinere Lagerstätten. In diesen Regionen sind hohe Inzidenzen für asbestassoziierte Lungen- und Pleuraveränderungen beobachtet worden. In Kappadokien, einer Region mit Zeolithvorkommen finden sich sogar in 15 % von n 549 röntgenologisch untersuchten Einwohnern verkalkende Pleuraplaques und eine Prävalenz von diffusen Pleurafibrosen in nochmals gleicher Größenordnung (vgl. Schneider, a. a. O., S. 26 m. w. N.). Entsprechende sachverständige Auskünfte hat das Hessische Landessozialgericht seinem Urteil im Verfahren L 3 U 755/94 (Urteil vom 22. April 1996, JURIS, Rn. 20) zugrunde gelegt. Diese Aussagen bestätigend, heißt es in der Informationsschrift für Patienten und Angehörige des Deutschen Krebsforschungszentrums, Heidelberg vom Januar 2005 "Krebs des Brustfells (Pleuramesotheliom)", dass sich "in manchen Gegenden der Erde, z.B. in der Zentral-Türkei", "natürliche Asbestvorkommen an der Erdoberfläche" finden. Weiter wird ausgeführt, "bei der dortigen Bevölkerung kommen häufiger Pleuramesotheliome auch in jüngeren Jahren vor, verursacht durch die landwirtschaftliche Bearbeitung asbesthaltiger Böden bzw. die Verwendung asbesthaltiger Materialen im Hausbau." Ein entsprechender Hinweis auf die umweltbedingte Erkrankung an einem Pleuramesotheliom von Bewohnern der Zentral-Türkei findet sich etwa unter dem Stichwort Brustfellkrebs, Ursachen auf der Internetseite des Pharmakonzerns Lilly Deutschland GmbH vom 2. April 2008 (www.lilly-pharma.de/gesundheit/krebs/brustfellkrebs/ ursachen.html).
Vor dem Hintergrund, das der verstorbene Versicherte in Deutschland beruflich keiner Asbestbelastung ausgesetzt gewesen ist, er aber in Zentralanatolien und damit einer Erdgegend mit stark erhöhten natürlichen Asbestvorkommen geboren und aufgewachsen ist und die Latenzzeit zwischen dem Asbestkontakt und der Diagnose eines Pleuramesothelioms zwischen 30 und 50 Jahre liegen kann (vgl. Deutsches Krebsforschungszentrum, Krebs des Brustfells, 2005, a. a. O., S. 11), und der weiteren Tatsache, dass eine Lungengewebsprobe des Versicherten zur Durchführung einer Staubgas- oder einer Röntgenbeugeanalyse nicht vorliegt, sind weitere Ermittlungen in dem Fall weder angezeigt noch auch nur mit minimaler Erfolgsaussicht möglich. Das es zu keiner Obduktion des verstorbenen Versicherten gekommen ist, bei der leicht eine Lungengewebsprobe hätte entnommen und analysiert werden können, hat weder die Beklagte noch sonst eine staatliche Stelle der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten. Die beim verstorbenen Versicherten durchgeführte Pleurabiopsie (vgl. Schreiben der Beklagten vom 1. Februar 2005) hilft insoweit nicht weiter, weil die Pleurabiopsie nur eine Untersuchungsmethode ist, die allein zur ersten Sicherung von pathologischen Befunden der Pleura erfolgt, aber keine hinreichende Menge an gezielt ausgewählten Gewebsproben zur Durchführung weitergehender Untersuchungen (etwa einer Staubanalyse) liefert. Hierzu wäre zumindest eine Thorakoskopie erforderlich gewesen (vgl. A. Ballin, Die Bedeutung der Thorakoskopie für die Diagnostik des Pleuramesothelioms, Leipzig, 2005).
Da der verstorbene Versicherte im Bundesgebiet beruflich nicht mit Asbest oder asbesthaltigen Stoffen in Berührung gekommen ist (vgl. oben), liegen zugleich auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4103 der Anlage 1 zu BKV (Asbestose) nicht vor.
Nach dem Grundsatz zur objektiven Beweislast gilt, dass jeder die Beweislast zu Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft das Vorhandensein positiver wie das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale. Ein Beteiligter muss daher die Folgen tragen, wenn eine Ungewissheit wegen der für ihn günstigen Tatsachen verblieben ist (Leitherer, in Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 9. Aufl., § 103 Rn. 19a mit zahlreichen Nachweisen der Rechtsprechung). Eine Umkehr der Beweislast ist nach den sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen nicht möglich, auch dann nicht, wenn es sich um einen sogenannten Beweisnotstand handelt oder sich im Einzelfall Billigkeitserwägungen ergeben.
Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2007 Bezug genommen (§ 136 Abs. 3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine Erstattung der Vorverfahrenskosten gemäß § 63 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X unter Feststellung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Widerspruch vorliegend im Ergebnis zu Recht von der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2007 zurückgewiesen worden ist. Damit ist der Widerspruch erfolglos geblieben, so dass für eine Kostenerstattung auch insoweit kein Raum bleibt.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen und bei der Beklagten versicherten Ehemannes - künftig: Versicherter - eine Berufskrankheit - BK - nach Nr. 4105 und/oder 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - BKV - festzustellen.
Der am 1. Januar 1955 in Ekezik ca. 50 km südwestlich von Yildizeli und ca. 80 km südwestlich von Sivas (Zentralanatolien) in der Türkei, geborene und am 13. November 2005 verstorbene Versicherte war ab dem 21. April 1980 - als dem Zeitpunkt seiner Übersiedelung ins Bundesgebiet - hier als Arbeiter wie folgt versicherungspflichtig beschäftigt:
- April - Juli 1980 Hoch-Tief-Kabelbau ... - Juli 1980 - Juni 1981 ... Hoch-Tiefbau, ... - August - Oktober 1981 ... Hoch-Tiefbau, ... - Oktober 1981 - Februar 1982 Flora Gartenbau ... - Februar 1982 - Februar 1985 ... Kieswerk, ... - April 1986 - Oktober 2003 ... AG, ...
Im Oktober 2003 wurde bei dem an Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie vorerkrankten Versicherten ein malignes epitheliales Pleuramesotheliom links (Brustfellkrebs) diagnostiziert, nachdem der Versicherte ab September 2003 über Husten und abdominelle Beschwerde geklagt hatte. Ab Juni 2004 bezog der Versicherte aufgrund dessen von der Deutschen Rentenversicherung Rente wegen voller Erwerbsminderung. Im vom Internisten Dr ...unterzeichneten Behandlungsbericht der Thoraxklinik ... vom 28. Oktober 2004 hieß es, die Erkrankung des in der Türkei aufgewachsenen und im Bundesgebiet zwischen 1986 und 2003 als Betonarbeiter beschäftigten Versicherten sei nicht operabel, die Einleitung einer Chemotherapie werde geplant. Am 3. November 2004 zeigte Dr ...der Beklagten den Verdacht auf eine BK Nr. 4105 infolge von Betonstaub und den im Beton enthaltenden Bindemitteln an.
Gegenüber dem technischen Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten teilte der Versicherte in einem am 12. November 2004 mit anwesendem Dolmetscher geführten Gespräch entsprechend dem Vermerk der Beklagten vom 23. November 2004 u. a. Folgendes mit: Er sei ca. bis zu seinem 14 Lebensjahr im Dorf Yildizeli etwa 60 km westlich von Sivas aufgewachsen; anschließend habe er in Kayseri und Sivas gelebt und zwischen 1977 und 1979 den Wehrdienst in Antayla abgeleistet. Er habe nie geraucht. Bei den Firmen ... und ...habe er Handaushubarbeiten für die Verlegung von Strom- und Telefonkabel verrichtet, die Kabel sodann eingesandet und den Boden verdichtet. Bei der Flora ... habe er Pflanzarbeiten im Außenbereich ausgeführt und bei der Firma ... ca. 5 Maschinen zur Kiesgewinnung (Förder-, Sieb- und Brechanlagen) bedient und gewartet. Bei der Firma ... sei er von 1986 bis 2003 in der Abteilung beschäftigt gewesen, die Treppenteile aus Beton hergestellt habe. Er vermute infolge der ständigen Staubbelastung in der Produktionshalle erkrankt zu sein. Täglich seien in ca. 5 Meter Entfernung zu seinem Arbeitsplatz mit einem Winkelschleifer Grate an Betonteilen abgeschliffen worden. Auch andere türkischstämmige und bei der Firma ... beschäftigten Arbeitskollegen seien lungenkrank. In unmittelbarer Nachbarschaft zu der Halle in der er gearbeitet habe, seien keine Asbestzement-Wellplatten von Dachflächen montiert worden.
Im Vermerk vom 8. Dezember 2004 führte Dipl-Ing ... vom TAD aus, Latenzzeit (30 - 50 Jahre) und Herkunft des Versicherten aus Zentralanatolien (natürliche Asbestvorkommen) ließen auf eine geographische Ursache der Mesotheliomerkrankung schließen.
Unter dem 27. Dezember 2004 beantwortete die ... AG, die ihr von der Beklagten gestellten Fragen zum Arbeitsplatz des Versicherten wie folgt: Der Kläger sei seit ... April 1986 als Betonarbeiter beschäftigt. Er habe seither Betonstufen an halbautomatischen Maschinen herzustellen. Dabei habe er mit den Arbeitsstoffen Beton (Sand und Zement) in frischem und weichen Zustand umzugehen. Staub falle bei dieser Tätigkeit nicht an.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2005 teilte das Institut für Pathologie der Ruhr-Universitätsklinik ...der Beklagten mit, eine Staubanalyse könne nicht durchgeführt werden, weil Lungengewebe dafür offenbar nicht zur Verfügung stehe. Diese Annahme bestätigte die Beklagte mit Schreiben vom 1. Februar 2005, wonach dem Versicherten gemäß Bericht des Pathologischen Instituts der Universität ... vom selben Tag lediglich Pleurabiopsate, aber kein Lungengewebe entnommen worden seien.
Gewerbeärztin Dr ..., stellte nunmehr unter dem 21. Januar 2005 fest, eine BK Nr. 4105 könne nicht zur Anerkennung vorgeschlagen werden, weil eine haftungsbegründende Kausalität nicht habe wahrscheinlich gemacht werden können. Bei seinen Beschäftigungen in Deutschland sei er keiner asbestfeinstaubgefährdenden Tätigkeit ausgesetzt gewesen. Eine umweltbezogene Krankheitsursache im Heimatland Türkei sei deshalb zu erwägen.
Mit Bescheid vom 17. Februar 2005 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung einer BK nach Nr. 4105 und Nr. 4103 der Anlage 1) zur BKV ab. Zur Begründung hieß es, der Versicherte sei infolge seiner beruflichen Tätigkeit in Deutschland keiner Asbeststaubeinwirkung ausgesetzt gewesen.
Dagegen erhob der Versicherte am 21. Februar 2005 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, die Beklagte habe es versäumt, die bei der Firma ...geführte "Gefahrstoffliste" zu erheben und ihm zu überlassen. Dies sei nachzuholen. Außerdem seien auch 2 weitere bei ...beschäftigte Arbeitskollegen des Versicherten lungenerkrankt.
Unter dem 10. Juni 2005 und dem 25. August 2005 übersandte die Beklagte dem Bevollmächtigten des Versicherten das Gefahrstoffkataster der Firma ... und das Sic herheitsdatenblatt mit Informationen zum Gefahrstoff " ..." (= "Strahleffekt (ph) + viskos") unter Hinweis darauf, ein beruflicher Kontakt des Versicherten mit Asbest sei weiter nicht nachgewiesen. Auf Anfrage der Beklagten stellte Dr ..., Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde an der Thoraxklinik ..., mit Stellungnahme vom 2. November 2005 fest, Hinweise auf eine karzinogene "krebsverursachende Wirkung" des Produkts "Strahleffekt" seien laut Sicherheitsdatenblatt auszuschließen. Ein Zusammenhang zwischen dem Pleuramesotheliom und einem Kontakt mit dem Produkt "Strahleffekt" sei unwahrscheinlich.
Mit Stellungnahme vom 28. Dezember 2005 regte Dipl.-Ing ... an, weiter zu klären, ob das Gefahrstoffkataster der Firma ... den gesamten Beschäftigungszeitraum des Versicherten (4/86-10/03) repräsentiere. Konkurrierend sei weiter zu beachten, dass der Versicherte im zentralanatolischen Hochland (Kappadokien) geboren und aufgewachsen sei. Dieses Gebiet zähle zu den besonders zeolithreichen Regionen. Nach epidemiologischen und tierexperimentellen Studien sei das Zeolith-Mineral für die hohe Mesotheliominzidenz in der dortigen Bevölkerung ursächlich. Daraufhin ermittelte der TAD (Vermerk vom 10. Januar 2006), dass bei der Firma ...ein Gefahrstoffverzeichnis erst seit ca. 1997/1998 geführt worden sei. Der Versicherte habe aber zu keinem Zeitpunkt Asbestzementplatten verarbeitet. Für die Herstellung von Aussparungskörpern sei im Betrieb stets Holz verwandt worden. Die Firma ... verarbeite auch keine asbesthaltigen Baustoffe.
Unter dem 6. Dezember 2006 äußerte der Bevollmächtigte der Klägerin, unabhängig davon, ob bei der Firma ... Asbest verarbeitet worden sei, sei zu berücksichtigen, dass die Produktions- und Lagerhallen der Firma mit frei zugänglichen, witterungszersetzten Asbestzementplatten / Eternitplatten eingekleidet und verkleidet seien. Außerdem seien diese Platten mechanischer Einwirkung (etwa Kollision mit Gabelstaplern und Erschütterungen infolge der Betonsteinproduktion) ausgesetzt gewesen. Entgegen der Auffassung des TAD könne aber auch eine Asbestexposition bei keiner der Beschäftigungsfirmen des verstorbenen Versicherten ausgeschlossen werden, weil die Verwendung von Asbest in der damaligen Zeit in Rohren und Eternitplatten gang und gäbe gewesen sei.
Daraufhin hatte der TAD weitere Ermittlungen durchgeführt, die in seiner Stellungnahme vom 23. Juli 2007 wiedergeben wurden. Darin hieß es erneut, die Firma ... habe bei der Herstellung ihrer Betonbauteile nie Asbest zugemischt. Der Versicherte habe von Anbeginn seiner Beschäftigung an in der 1985/1986 erstellten, neuen Halle (Mittelbau) gearbeitet, die mit Blech eingedeckt sei.
In der Folge wies die Beklagte den Widerspruch des Versicherten mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2007 als unbegründet zurück. Voraussetzung für die Anerkennung einer BK Nr. 4105 oder 4103 lägen nicht vor, weil der Versicherte während seines Berufslebens im Bundesgebiet keiner beruflichen Asbesteinwirkung ausgesetzt gewesen sei.
Am 14. Januar 2008 hat die Klägerin in der Rechtsnachfolge des verstorbenen Versicherten Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
Die Klägerin ist weiter der Auffassung, der verstorbene Versicherte, ihr Ehemann, sei bei seiner Tätigkeit in der Firma ... erheblichen Gefahren ausgesetzt gewesen. Entgegen ihrer Angaben habe die Firma ... früher den hergestellten Betonteilen sehr wohl Asbest zugemischt. Außerdem sei der Versicherte nicht nur in der neu erstellten Mittelhalle, sondern auch in der Vorgängerhalle, in die Asbestzementplatten eingebaut gewesen seien, beschäftigt gewesen. Diese Tatsachen könne der Seniorchef der Firma, ..., bezeugen. Die neu erstellte Mittelhalle sei erst errichtet worden, nachdem der Versicherte seine Tätigkeit bei der Firma ...aufgenommen habe. Ferner sei nicht geklärt, was mit den Asbestzementplatten geschehen sei, die beim Abbruch der alten Hallen angefallen seien. Die Klägerin müsse davon ausgehen, diese Platten seien auf dem Firmengelände verblieben. Zu rügen sei weiter, dass die Beklagte die Todesumstände der früheren Arbeitskollegen, K. Ö. und M. G., des verstorbenen Versicherten nicht ermittelt habe. K. Ö. sei an einem Pleuramesotheliom verstorben, M. G. sei an Lungenkrebs gestorben. Die Häufung der Lungenkrebserkrankungen bei Arbeitnehmern der Firma ... sei signifikant. Schließlich sei pflichtwidrig eine Röntgenbeugeanalyse nicht durchgeführt worden, dies sei nachzuholen.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheids vom 12. Dezember 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Lungenerkrankung des am 13. November 2005 verstorbenen Versicherten als Berufskrankheit anzuerkennen und der Klägerin von Oktober 2003 bis zum 13. November 2005 Verletztenrente für den Versicherten nach einer MdE von 100 und ab dem 13. November 2005 Witwenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren und festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren erforderlich war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig, weil der Nachweis einer beruflichen Asbestexposition des verstorbenen Versicherten nicht habe erbracht werden können. Damit sei nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin zu entscheiden gewesen.
Das Gericht hat den, den verstorbenen Versicherten behandelnden Lungenfacharzt Dr ... Thoraxklinik ... im Wege der schriftlichen sachverständiger Zeugenaussagen vernommen; auf die in den Gerichtsakten befindliche Aussage von Dr ... vom 21. April 2008 wird Bezug genommen. Der von der Klägerin weiter als behandelnder Arzt angegebene Neurologe Dr ..., hat dem Gericht am 20. Mai 2008 mitgeteilt, den verstorbenen Versicherten nicht behandelt zu haben.
Unter dem 21. August 2008 hat der Personalvorstand der Firma ... AG dem Gericht mitgeteilt, der von der Klägerin als Zeuge benannte K ... sei seit ...Jahren aus der Geschäftsleitung ausgeschieden und könne aus eigener Erinnerung kaum etwas zum Sachverhalt beitragen. Der verstorbene Versicherte sei am 28. April 1986 in die Firma eingetreten, sei ab dem 30. September 2003 dauerhaft erkrankt und mit dem 31. Mai 2004 bei Gewährung von Erwerbsminderungsrente aus der Firma ausgeschieden. Er habe nur im sog. Mittelblock gearbeitet, der bereits zu Beginn seines Beschäftigungsverhältnisses mit Stahlblech eingedeckt gewesen sei. Der Versicherte sei vollschichtig beschäftigt gewesen. In der Halle, in der er tätig gewesen sei, habe es keine Asbestbelastung gegeben. Im Betrieb sei zudem nie Asbest verarbeitet worden, so dass es auch keinen Anlass gegeben habe, entsprechende Messungen durchzuführen. Das Unternehmen beschäftige viele hundert Mitarbeiter, die teilweise über Jahrzehnte beschäftigt seien - Fälle, die irgendwie mit Asbest in Verbindung zu bringen gewesen seien, habe es aber nie gegeben. Des Weiteren hat der Personalvorstand der ... AG mit Schreiben vom 12. Dezember 2008 die auf das Jahr 1985 datierenden Baumaterialrechnungen für die Errichtung der neuen Produktionshalle (sog. Mittelblock) vorgelegt.
Auf Antrag der Klägerin hat das Gericht den früheren ( ...) Vorstands- und seitherigen Aufsichtsratsvorsitzenden der Firma ... AG, ..., während der mündlichen Verhandlung als Zeugen vernommen. Für seine Aussage wird auf die Ausführungen in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Ferner hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung durch auszugsweises Verlesen eingeführt:
1) das von Prof. Dr. J ..., Justus-Liebig-Universität Gießen im Auftrag des Gesundheitsamts Darmstadt unter dem 22. April 2008 erstattete Gutachten zu "Gesundheitsgefährdung durch Asbest in der Bessunger Schule Darmstadt" (55 Seiten), veröffentlicht unter www.portal-darmstadt.de 2) die Informationsschrift "betroffen? Krebs des Brustfells (Pleuramesotheliom)" des Deutschen Krebsforschungszentrums, Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg, Neuauflage Januar 2005 (12 Seiten) und 3) die Internet-Informationsseite des Pharma-Konzerns Lilly Deutschland GmbH zum Thema "Hauptrisikofaktor Asbest", Stand 2. April 2008 (1 Seite).
Auf Frage des Gerichts hat die Klägerin bestätigt, dass der verstorbene Versicherte nicht obduziert worden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Behördenakte und den Inhalt der Gerichtsakten (S 4 U 239/08) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Die Klägerin ist gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten. Nach dieser Vorschrift stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tode des Berechtigten seinem Ehegatten zu, wenn dieser mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat oder von ihm wesentlich unterhalten worden ist.
Die zulässige Klage ist aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht verlangen, die Lungenerkrankung ihres Ehemanns, des am 13. November 2005 verstorbenen Versicherten als Berufskrankheit nach BK Nr. 4105 (Pleuramesotheliom) oder 4103 (Asbestose) anzuerkennen und ihr von Oktober 2003 bis zum 13. November 2005 Verletztenrente für den Versicherten nach einer MdE von 100 und ab dem 13. November 2005 Witwenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII - sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeiten erleiden. Die Bundesregierung wurde ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (Satz 2).
Wie bei einem Arbeitsunfall müssen auch bei einer Berufskrankheit die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u.a. neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen und die Krankheit gehören, erwiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (vgl. BSG 45, 285).
Der verstorbene Versicherte ist einem Brustfellkrebsleiden (Pleuramesotheliom) erlegen, das er sich infolge der Einatmung von asbesthaltigen Stoffen zugezogen hat. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind andere umweltrelevante Ursachen als Asbest und die vergleichbar biobeständige Mineralfaser Erionit für die Entstehung des Pleuramesothelioms bisher nicht gesichert (vgl. Prof. Dr ..., Gutachten, a. a. O., S. 30 m. w. N.).
Asbest ist ein Sammelbegriff für zwei Gruppen faserförmiger silikatischer Mineralien: die Serpentinasbeste und die Amphibolasbeste. Als Arbeitsstoff kommt meist Chrysotil (Weißasbest), ein Magnesiumsilikat mit geringem Eisenanteil aus der Gruppe der Schichtsilikate vor. Auf Chrysotil als wichtigsten Serpentinasbest entfallen etwa 90 % aller in der Welt gewonnenen und industriell verarbeiteten Asbeste. Die Gruppe der Amphibolasbeste hat einen Anteil von unter 10 % am Asbestweltverbrauch. Hierzu gehören das Natriumeisensilikat Krokydolith, der sog. Blauasbest, ferner das Magnesiumeisensilikat Amosit, der sog. Braunasbest sowie der Anthophyllit. In der Bundesrepublik Deutschland, welche Importland für Asbest ist, werden bzw. wurden aus Rohasbest zahlreiche Produkte hergestellt. Beispielhaft aufgeführt seien die Asbestzementindustrie, die Reibbelagindustrie, die Gummi-Asbest(IT)-Industrie, die Asbestpapier-, -pappen-, -dichtungs- und -filterindustrie, die Asbesttextilindustrie und die Asbestkunststoffindustrie. Seit etwa 1980 ist der Verbrauch von Asbest deutlich zurückgegangen und wird in den nächsten Jahren voraussichtlich auslaufen. Darüber hinaus werden bzw. wurden in den verschiedensten Gewerbezweigen asbesthaltige Produkte eingesetzt, z. B. bei bestimmten Tätigkeiten im Hoch- und Tiefbaugewerbe, Kraftfahrzeuggewerbe, Isoliergewerbe, im Lüftungs-, Klima-, Heizungs- sowie Fahrzeugbau. Wichtige Gefahrenquellen für das Einatmen von Asbeststaub sind bzw. waren insbesondere: • Asbestaufbereitung. Hierbei wird in Kollergängen, Prall- oder Schlagmühlen entweder asbesthaltiges Muttergestein zerkleinert und/oder Rohasbest zu stärker aufgeschlossenen Fasern aufgelockert; • Herstellung und Verarbeitung von Asbesttextilprodukten wie Garne, Zwirne, Bänder, Schnüre, Seile, Schläuche, Tücher, Packungen, Kleidung usw. Dabei kommen Tätigkeiten wie Abfüllen, Einwiegen, Mischen, Krempeln, Spinnen, Zwirnen, Flechten, Weben und Zuschneiden vor. Auch das Tragen unbeschichteter Asbestarbeitsschutzkleidung ist ggf. zu berücksichtigen; • industrielle Herstellung und Bearbeitung von Asbestzementprodukten, speziell witterungsbeständiger Platten und Baumaterialien einschließlich vorgefertigter Formelemente, z. B. für Dacheindeckungen, Fassadenkonstruktionen, baulichen Brandschutz usw.; • Bearbeitung und Reparatur der vorgenannten Asbestzementprodukte, z. B. Tätigkeiten wie Sägen, Bohren, Schleifen usw. im Baustoffhandel oder Bauhandwerk; • industrielle Herstellung und Bearbeitung von asbesthaltigen Reibbelägen, speziell Kupplungs- und Bremsbelägen; • Ersatz von solchen Reibbelägen, z. B. Tätigkeiten wie Überdrehen, Schleifen, Bohren, Fräsen von Bremsbelägen in Kfz-Reparaturwerkstätten usw.; • Herstellung, Anwendung, Ausbesserung und Entsorgung von asbesthaltigen Spritzmassen zur Wärme-, Schall- und Feuerdämmung (Isolierung); • Herstellung, Verarbeitung und Reparatur von säure- und hitzebeständigen Dichtungen, Packungen usw., z. B. im Leitungsbau der chemischen Industrie; • Herstellung, Be- und Verarbeitung von Gummi-Asbest(IT)-Produkten; • Herstellung, Be- und Verarbeitung asbesthaltiger Papiere, Pappen und Filzmaterialien; • Verwendung von Asbest als Zusatz in der Herstellung von Anstrichstoffen, Fußbodenbelägen, Dichtungsmassen, Gummireifen, Thermoplasten, Kunststoffharzpreßmassen usw.; • Entfernen, z. B. durch Abbrucharbeiten, Reparaturen usw. sowie Beseitigung der vorgenannten asbesthaltigen Produkte. Außerdem enthalten verschiedene Minerale, z. B. Speckstein (Talkum), Gabbro, Diabas usw. geringe Asbestanteile, u. a. als Tremolit und Aktinolith. Sie können infolgedessen über eine Mischstaubexposition zu Asbestrisiken führen
Nach Nr. 4105 der Anlage 1) zur BKV gelten als Berufskrankheiten durch Asbest verursachte Mesotheliome des Rippenfells, des Bauchfells und des Perikards. Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt also voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit in der Person des Versicherten gegeben sein müssen, zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegen muss und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (vgl. Kasseler Kommentar - Ricke - § 9 SGB VII, Rn. 11; Schmitt, SGB VII, Kommentar, 2. Aufl., 2004, § 9 Rn. 2).
Unzweifelhaft sind die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4105 in der Person des verstorbenen Versicherten erfüllt, wie die Berichte der Thoraxklinik Heidelberg vom 28. Oktober 2004 und vom 21. April 2008 belegen. Die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 4105 sind aber nicht nachgewiesen und heute - nach dem Versterben des Versicherten am 13. November 2005 - auch nicht mehr nachweisbar. Damit kann die Erkrankung des verstorbenen Versicherten an Brustfellkrebs nicht mit Wahrscheinlichkeit auf seine berufliche Tätigkeit bei der ... AG zurückgeführt werden. Erst recht scheidet eine Verursachung des Brustfellkrebs durch die vorangegangene Berufstätigkeit des verstorbenen Versicherten bei den Firmen ..., ..., ... und ... aus, weil er dort für das erkennende Gericht offensichtlich keiner Asbestgefährdung ausgeliefert gewesen ist.
Aber auch während seiner Beschäftigung bei der Firma ... zwischen 1986 und 2003 ist der verstorbene Versicherte als Betonarbeiter keiner asbestfeinstaubgefährenden Tätigkeit ausgesetzt gewesen. Die Arbeitsmittel, mit denen der verstorbene Versicherte als Betonbauer umzugehen hatte, enthielten keine Asbestzusätze, wie sich aus den von der Firma ... vorgelegten Sicherheitsdatenblättern zu den einzelnen Gefahrstoffen laut Gefahrstoffregister ergibt. Für den vom verstorbenen Versicherten genutzten Gefahrstoff " ..." (= "Strahleffekt (ph)") ist auf Anfrage der Beklagten von Lungenfacharzt Dr ..., Thoraxklinik ..., unter dem 2. November 2005 bestätigt worden, dass ein Zusammenhang zwischen dem Pleuramesotheliom und dem Kontakt mit dem Produkt "Strahleffekt" unwahrscheinlich ist. Darüber hinaus hat der aktuelle Personalvorstand der ... AG dem Gericht unter dem 21. August 2008 schriftlich bestätigt, in Unternehmen sei während der Beschäftigungszeit des verstorbenen Versicherten kein Asbest verarbeitet worden. Diese Aussage hat der Zeuge K ..., ... Aufsichtsratsvorsitzender und vormals langjähriger Vorstandsvorsitzender des Unternehmens, anlässlich seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht glaubhaft bekräftigt. Der Zeuge hat dabei auch auf Nachfrage erklärt, dass im Unternehmen keine Asbestfaserverarbeitung stattgefunden hat und der Rohstoff Asbest im Unternehmen nicht verwandt worden ist.
Betonzusatzmittel und andere Produkte, wie sie im Gefahrstoffkataster der Firma ... aufgelistet sind, können ein Pleuramesotheliom nicht auslösen. Ebenso ist die aus der asbestlosen Aufbereitung und Zersägung von Betonfertigteilen herrührende Staubbelastung geeignet für die Entstehung eines Mesothelioms auch nur mitursächlich zu sein. Denn aus Betonfertigteilen, die asbestfrei hergestellt worden sind, kann folgerichtig auch bei einer Zersägung oder einer wie auch immer gearteten Aufspaltung kein Asbestfeinstaub austreten. Andere, nicht asbesthaltige Staubpartikel, wie sie in der Produktionshalle, in der der verstorbene Versicherte zwischen 1986 und 2003 beschäftigt gewesen ist, sicher aufgetreten sind, sind wiederum von vornherein nicht geeignet, ein Mesotheliom auszulösen oder auch nur zu fördern.
Die "neue", 1985 errichtete Produktionshalle in der der verstorbene Versicherte zwischen April 1986 und Oktober 2003 ausschließlich gearbeitet hat, besteht aus asbestfreien Bauelementen. Das Hallendach ist seit der Neubauerrichtung 1985 mit Stahlblech eingedeckt. Das Gericht hat keinen Anlass an der Glaubhaftigkeit der entsprechenden Ausführungen des Zeugen K ... zu zweifeln. Mittelbar wird die Richtigkeit dieser Aussage weiter durch die von dem Personalvorstand der Firma ... vorgelegten Baumaterialrechnungen der Firma ... für die "neue" Fabrikationshalle vom 11. April 1985 ..., 8. Mai 1985 ... und vom 24. Juli 1985 ... bestätigt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass auch der verstorbene Versicherte persönlich anlässlich seiner Anhörung durch einen Mitarbeiter des TAD der Beklagten am 12. November 2004 erklärt hat, nicht in einer Halle oder in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Halle gearbeitet zu haben, in der Asbestzement-Wellplatten von Dachflächen anderer Hallen demontiert worden sind (Vermerk der Beklagten vom 23. November 2004). Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin zum Verbleib alter asbestzementhaltiger Hallendacheindeckungen von abgerissenen Produktionshallen auf dem Betriebsgelände der ... AG und zu möglichen Kollisionen von Gabelstaplern mit asbesthaltigen Baumaterialen oder Hallenplatten vorgetragen hat, ist dieser Vortrag als spekulativ zu bewerten. Das Gericht jedenfalls hat keinen Anlass an der glaubhaften Aussage des Zeugen K ... zu zweifeln, wonach die Eternitplatten der alten Produktionshalle(n) vorschriftsmäßig entsorgt worden sind. Das der Zeuge keine näheren Einzelheiten zum Entsorgungsvorgang selbst hat angeben können, erscheint dem Gericht nur allzu verständlich und in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Der Zeuge war zum Zeitpunkt der Um- und Neubauten der Produktionshallen in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Vorstandsvorsitzender einer Unternehmens-AG mit ca. 400 Mitarbeitern, das notwendigerweise arbeitsteilig organisiert war und ist. Dem entsprechend ist er nicht mit den Einzelheiten jedes Vorgangs befasst und erst recht nicht in der Lage über solche Vorgänge in einem zeitlichen Abstand von mehr als 20 Jahren nähere Auskunft als geschehen zu geben.
Im Übrigen ist auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den klägerseitig geltend gemachten Parallelerkrankungen zweier Arbeitskollegen des verstorbenen Versicherten - K. Ö. und M. G. - nach Feststellung der Tatsache, das es insoweit bereits an Berufskrankheits-Anzeigen fehlt, nicht weiter nachgegangen ist. Auch der Zeuge K ...hat dem Gericht bestätigt, dass ihm für die ... AG gemeldete Berufskrankheiten der Nrn. 4105, 4103 nach Anlage 1 der BKV - abgesehen vom Fall des verstorbenen Versicherten - nicht bekannt sind. Von einer Häufung von Lungenkrebserkrankungen bei Arbeitnehmern der ... AG - so der Bevollmächtigte der Klägerin - kann also in keiner Weise gesprochen werden, erst recht von keiner signifikanten Häufung. Aber auch unterstellt, die beiden von der Klägerin in Bezug genommenen Arbeitskollegen des verstorbenen Versicherten - K. Ö. und M. G. - hätten an einem Pleuramesotheliom gelitten und seien an dessen Folgen gestorben, rechtfertigte dies keine weiteren medizinischen Ermittlungen von Amts wegen. Denn zu einen steht fest, dass die Arbeitnehmer der ...AG nicht mit asbesthaltigen Baustoffen umzugehen hatten und haben (vgl. näher oben) und zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die beiden in Bezug genommenen Arbeitskollegen des verstorbenen Versicherten - wie dieser - aus Zentralanatolien stammen und dort aufgewachsen sind. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil sich bei Einwohnern von Endemiegebieten in Griechenland, der Türkei, Korsika oder Finnland häufiger asbestbedingte Pleuraveränderungen finden (vgl. näher Prof. Dr ..., Gesundheitsgefährdung durch Asbest in der Bessunger Schule Darmstadt, S. 25 des Gutachtens für das Gesundheitsamt Darmstadt vom 28. April 2008). Laut Schneider (a. a. O.) berichten Baris et al. (1987) über das endemische Vorkommen von Pleuraplaques in der Türkei durch umweltbedingte Einwirkungen von Asbest und Erionit, einem faserförmigen Zeolithmineral. Danach finden sich neben großen Asbestvorkommen (Chrysotil oder Amphibole) in Zentralanatolien (Antakia, Sivas, Erzinkan, Bursa und Eskisehir) zahlreiche kleinere Lagerstätten. In diesen Regionen sind hohe Inzidenzen für asbestassoziierte Lungen- und Pleuraveränderungen beobachtet worden. In Kappadokien, einer Region mit Zeolithvorkommen finden sich sogar in 15 % von n 549 röntgenologisch untersuchten Einwohnern verkalkende Pleuraplaques und eine Prävalenz von diffusen Pleurafibrosen in nochmals gleicher Größenordnung (vgl. Schneider, a. a. O., S. 26 m. w. N.). Entsprechende sachverständige Auskünfte hat das Hessische Landessozialgericht seinem Urteil im Verfahren L 3 U 755/94 (Urteil vom 22. April 1996, JURIS, Rn. 20) zugrunde gelegt. Diese Aussagen bestätigend, heißt es in der Informationsschrift für Patienten und Angehörige des Deutschen Krebsforschungszentrums, Heidelberg vom Januar 2005 "Krebs des Brustfells (Pleuramesotheliom)", dass sich "in manchen Gegenden der Erde, z.B. in der Zentral-Türkei", "natürliche Asbestvorkommen an der Erdoberfläche" finden. Weiter wird ausgeführt, "bei der dortigen Bevölkerung kommen häufiger Pleuramesotheliome auch in jüngeren Jahren vor, verursacht durch die landwirtschaftliche Bearbeitung asbesthaltiger Böden bzw. die Verwendung asbesthaltiger Materialen im Hausbau." Ein entsprechender Hinweis auf die umweltbedingte Erkrankung an einem Pleuramesotheliom von Bewohnern der Zentral-Türkei findet sich etwa unter dem Stichwort Brustfellkrebs, Ursachen auf der Internetseite des Pharmakonzerns Lilly Deutschland GmbH vom 2. April 2008 (www.lilly-pharma.de/gesundheit/krebs/brustfellkrebs/ ursachen.html).
Vor dem Hintergrund, das der verstorbene Versicherte in Deutschland beruflich keiner Asbestbelastung ausgesetzt gewesen ist, er aber in Zentralanatolien und damit einer Erdgegend mit stark erhöhten natürlichen Asbestvorkommen geboren und aufgewachsen ist und die Latenzzeit zwischen dem Asbestkontakt und der Diagnose eines Pleuramesothelioms zwischen 30 und 50 Jahre liegen kann (vgl. Deutsches Krebsforschungszentrum, Krebs des Brustfells, 2005, a. a. O., S. 11), und der weiteren Tatsache, dass eine Lungengewebsprobe des Versicherten zur Durchführung einer Staubgas- oder einer Röntgenbeugeanalyse nicht vorliegt, sind weitere Ermittlungen in dem Fall weder angezeigt noch auch nur mit minimaler Erfolgsaussicht möglich. Das es zu keiner Obduktion des verstorbenen Versicherten gekommen ist, bei der leicht eine Lungengewebsprobe hätte entnommen und analysiert werden können, hat weder die Beklagte noch sonst eine staatliche Stelle der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten. Die beim verstorbenen Versicherten durchgeführte Pleurabiopsie (vgl. Schreiben der Beklagten vom 1. Februar 2005) hilft insoweit nicht weiter, weil die Pleurabiopsie nur eine Untersuchungsmethode ist, die allein zur ersten Sicherung von pathologischen Befunden der Pleura erfolgt, aber keine hinreichende Menge an gezielt ausgewählten Gewebsproben zur Durchführung weitergehender Untersuchungen (etwa einer Staubanalyse) liefert. Hierzu wäre zumindest eine Thorakoskopie erforderlich gewesen (vgl. A. Ballin, Die Bedeutung der Thorakoskopie für die Diagnostik des Pleuramesothelioms, Leipzig, 2005).
Da der verstorbene Versicherte im Bundesgebiet beruflich nicht mit Asbest oder asbesthaltigen Stoffen in Berührung gekommen ist (vgl. oben), liegen zugleich auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4103 der Anlage 1 zu BKV (Asbestose) nicht vor.
Nach dem Grundsatz zur objektiven Beweislast gilt, dass jeder die Beweislast zu Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft das Vorhandensein positiver wie das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale. Ein Beteiligter muss daher die Folgen tragen, wenn eine Ungewissheit wegen der für ihn günstigen Tatsachen verblieben ist (Leitherer, in Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 9. Aufl., § 103 Rn. 19a mit zahlreichen Nachweisen der Rechtsprechung). Eine Umkehr der Beweislast ist nach den sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen nicht möglich, auch dann nicht, wenn es sich um einen sogenannten Beweisnotstand handelt oder sich im Einzelfall Billigkeitserwägungen ergeben.
Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2007 Bezug genommen (§ 136 Abs. 3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine Erstattung der Vorverfahrenskosten gemäß § 63 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X unter Feststellung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Widerspruch vorliegend im Ergebnis zu Recht von der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2007 zurückgewiesen worden ist. Damit ist der Widerspruch erfolglos geblieben, so dass für eine Kostenerstattung auch insoweit kein Raum bleibt.
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