L 8 R 205/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 53 (51) R 38/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 205/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.06.2007 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten wegen einer Beschäftigung im Ghetto Chelm (Polen) in der Zeit von August 1940 bis Oktober 1942 streitig.

Die jüdische Klägerin ist am 00.00.1921 in E/Polen als polnische Staatsangehörige geboren. Sie erhielt aufgrund Bescheides vom 11.03.1969 eine Beihilfe wegen Freiheitsentziehung (§ 43 Bundesentschädigungsgesetz -BEG-) vom 15.10.1941 bis 15.10.1942. Sie blieb bis zur Auswanderung nach Israel im März 1957 in Polen. Sie besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.

Im Entschädigungsverfahren gab die Klägerin 26.07.1966 einen Zwangsaufenthalt im Ghetto Chelm von Oktober 1939 bis Oktober 1942 an.

Die Klägerin gab am 08.01.1967 in einer eidlichen Erklärung im Entschädigungsverfahren Folgendes an:

,,Ich ... habe ... mit meinen Eltern vor dem Kriege und auch bei dessen Ausbruch in Chelm gelebt. Die Stadt wurde durch die deutschen Truppen im September 1939 besetzt und bald haben die Nazis mit den Judenverfolgungen begonnen ... Wir mussten auch unbezahlte, schwere Arbeit systematisch leisten ... Die jüdische Bevölkerung wurde in einem bestimmten Stadtviertel konzentriert und so wurde das Judenghetto errichtet. Wir auch verließen unsere bisherige Wohnung und mussten im Ghetto siedeln, wo wir in unbeschreibbaren Verhältnissen gelebt haben, unter ständiger Angst, leidend an Hunger und Frost. Die Ghettobevölkerung wurde immer kleiner und kleiner. Im Oktober 1942 habe ich beschlossen, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Zusammen mit einer Gruppe der Flüchtlinge ist es uns gelungen, vom Ghetto zu entkommen ..."

Im Entschädigungsverfahren der Klägerin konnte der Zeuge N H am 11.01.1967 zu dem Schicksal der Klägerin aus eigener Wahrnehmung nur Angaben zum Zeitraum nach der von der Klägerin angegebenen Flucht aus dem Ghetto Chelm machen. Er erklärte u. a., dass die Klägerin auch ein Ghettoflüchtling gewesen sei, und zwar von Chelm, wie er später erfahren habe.

Am 04.11.2002 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Regelaltersrente unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

In dem Antragvordruck gab die Klägerin am 22.03.2004 u.a. an:

Sie habe nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört. Zum Versicherungsverlauf erklärte sie, von August 1940 bis Oktober 1942 während ihres Aufenthalts im Ghetto Chelm Reinigungsarbeiten in einer Vollzeitbeschäftigung verrichtet zu haben. Als Arbeitsverdienst habe sie "zusätzliches Essen, Sonderration. Unterkunft u. Kost" erhalten zu haben. Es seien Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt worden. Sie habe Beiträge zur israelischen Nationalversicherung für den Zeitraum von 1971 bis 1987 entrichtet.

In dem Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG gab die Klägerin an, während ihres Aufenthaltes im Ghetto Chelm habe sie von August 1940 bis Oktober 1942 innerhalb des Ghettos bei der Reinigung von Diensträumen gearbeitet. Eine Bewachung habe nicht stattgefunden. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des Judenrates zustande gekommen. Sie habe 9-10 Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei "durch zusätzliches Essen, Sonderration (wöchentlich)" entlohnt worden. Barlohn habe sie nicht bekommen. Für ihre Tätigkeit habe sie an Sachbezügen Unterkunft erhalten.

Die Beklagte lehnte nach Auswertung der beigezogenen, die Klägerin betreffenden Entschädigungsakten den Antrag auf Bewilligung einer Regelaltersrente mit Bescheid vom 02.11.2005 ab und führte zur Begründung aus: Nach den ihr vorliegenden geschichtlichen Erkenntnissen seien in Chelm die Juden zwar gezwungen gewesen, in den eingeschränkten Vierteln zu leben, ein Ghetto sei dort aber nicht errichtet worden.

Dagegen legte die Klägerin am 09.11.2005 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie in einer eigenen Erklärung ausführte: Das Ghetto Chelm habe von Januar 1940 bis November 1942 existiert. Sie habe sich von August 1940 bis Oktober 1942 im Ghetto Chelm befunden. Zur Zwangsarbeit habe man sie nicht genommen. Aber man habe doch existieren müssen und sie habe sich an den Judenrat mit der Bitte um Arbeit gewandt. Sie habe Reinigungsarbeiten in den Diensträumen des Ghettos bekommen. Dafür habe sie von der Ghettoverwaltung Mittagessen jeden Tag, zusätzliche Lebensmittel für zu Hause wöchentlich bekommen. Sie erinnere sich nicht mehr, ob direkt oder als Lebensmittelcoupons. Das sei mehr gewesen, als sie für ihren täglichen Bedarf gebraucht habe, und sie habe auch ihrer Familie helfen können. Ihre Arbeit und die Entlohnung hätten ihnen beim Überleben im Ghetto geholfen.

Nach dem zur Verwaltungsakte genommenen Ausdruck der vom Karl Ernst Osthaus Museum gespeicherten Daten zu Chelm (Distrikt Lublin/Generalgouvernement) existierte dort ein Ghetto vom 01.01.1940 bis 06.11.1942 (www.keom.de).

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2006 zurück. Sie führte im Wesentlichen zur Begründung aus, es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin im Ghetto Chelm eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene und gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigung verrichtet habe.

Mit ihrer zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf am 22.08.2006 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat sich auf die sog. Anspruchstheorie berufen. Zur weiteren Begründung hat die Klägerin in einer Erklärung vom 12.09.2006 folgende Angaben gemacht:

"Im Ghetto Chelm befand ich mich vom August 1940 bis Oktober 1942. Zu Zwangsarbeiten hat man mich nicht genommen und ich habe sie auch in den Angaben zum E-Verfahren nicht erwähnt, ich habe meine freiwillige Arbeit auch nicht erwähnt, aber darüber hat man mich nicht gefragt. Ich erfüllte Reinigungsarbeiten und bekam Mittagessen täglich und zusätzliche Lebensmittel wöchentlich. Es war nicht Beköstigung am Arbeitsplatz, sondern ich habe haltbare Lebensmittel für zu Hause bekommen. Es war keine Gewährung von Suppe, sondern die Lebensmittel in solchem Umfang waren, dass, ich glaube, sie konnten die Versicherungspflicht erfüllen, weil ich habe meiner Familie geholfen. Ich habe natürlich keine Beweise, aber das bedeutet nicht, dass ich freiwillig nicht gearbeitet hatte und Entlohnung zum Überleben im Ghetto meiner ganzen Familie nicht verdient hatte."

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 02.11.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2006 die Tätigkeiten von August 1940 bis Oktober 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente ab 01.07.1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.

Mit Urteil vom 29.06.2007 hat das SG Düsseldorf die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.11.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2006 verurteilt, der Klägerin eine Altersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.08.1940 bis 31.10.1942 und Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG ab dem 01.07.1997 zu gewähren. Zu Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Regelaltersrente gem. § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien erfüllt. Die Klägerin verfüge über auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren anrechenbarer Pflichtbeitragszeiten unter Berücksichtigung der §§ 1, 2 ZRBG. Sie habe sich im Ghetto Chelm aufgehalten, das sich in einem Gebiet befunden habe, das vom Deutschen Reich besetzt gewesen sei. Es sei auch glaubhaft, dass die Klägerin eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt habe (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b) ZRBG). Über dieses Tatbestandsmerkmal seien Ghetto-Arbeitszeiten nach dem Typus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung einerseits von der nichtversicherten Zwangsarbeit andererseits abzugrenzen. Dabei liege Entgeltlichkeit der Tätigkeit vor, wenn der Betroffene für seine Arbeit eine Gegenleistung in nennenswertem Umfang erhalten habe. Für die Qualifizierung als "Entgelt" komme es nicht auf die Art und Höhe, auch nicht auf die Angemessenheit oder gar auf die Gerechtigkeit der Vergütung an. Unerheblich sei auch, in welcher Form die Einnahmen bezogen worden seien, es könnten Geld- oder Sachbezüge sein. Entscheidend sei nur, ob die Zuwendung tatsächlich wegen der geleisteten Arbeit und nicht aus anderen Gründen erfolgt sei (Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R; Urteile des SG Hamburg vom 09.02.2006, S 9 RJ 896/03, vom 03.05.2006, S 19 RJ 1061/03, und vom 02.05.2006, S 20 RJ 611/04). Dies berücksichtigend sei es glaubhaft, dass die Klägerin entgeltlich gearbeitet habe. Sie habe in den Fragebögen glaubhaft dargelegt, dass sie für ihre Tätigkeit im Ghetto Essen, Sonderrationen, Unterkunft und Kost erhalten habe. Weiter habe die von der Klägerin im Ghetto Chelm ausgeübte Arbeit eine freiwillige Arbeitsleistung und nicht Zwangsarbeit dargestellt. Es sei glaubhaft, dass die Klägerin die Beschäftigung im Ghetto Chelm aus freiem Willensentschluss aufgenommen habe.

Gegen das ihr am 30.07.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03.08.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, es sei nicht ausreichend glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit, dass die Klägerin die von ihr im Rentenverfahren angegebene Tätigkeit im Ghetto Chelm ausgeübt habe. Ferner stelle die von der Klägerin angegebene Gegenleistung für ihre Arbeit kein ausreichendes Entgelt dar, um eine Beitragszeit nach dem ZRBG anrechnen zu können. Es werde nicht dem weiten Entgeltbegriff des 4. Senats des BSG gefolgt, sondern dem des 13. Senats des BSG, nach dem die Gegenleistung für die Arbeit nicht nur eine Mindesthöhe erreichen müsse, um überhaupt als solche Versicherungspflicht begründen zu können, sondern auch nicht nur in der bloßen Gewährung von freiem Unterhalt bestehen dürfe, weil ansonsten Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes vorliege (§ 1228 Abs. 1 Nr. 2 RVO n.F.). Aus den Angaben der Klägerin zu den erhaltenen Leistungen für die Arbeit sei nicht zu entnehmen, dass diese eine angemessene Gegenleistung für die geleistete Arbeit gewesen sei. Nach den Angaben im Entschädigungsverfahren sei außerdem nicht von einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommenen Beschäftigung auszugehen. Nach ständiger Rechtsprechung des 5. und 13. Senats des BSG und der Senate des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) sei auch bei den Arbeiten, die unter den allgemeinen Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in einem Ghetto verrichtet worden seien, eine von den Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmte Beschäftigung, die grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliege, von nichtversicherungspflichtiger Zwangsarbeit abzugrenzen. Dabei sei das Vorliegen eines freien Beschäftigungsverhältnisses danach zu beurteilen, ob die Beschäftigung aufgrund einer zweiseitigen Vereinbarung aufgenommen worden sei und den Austausch wirtschaftlicher Werte (Arbeit gegen Lohn) zum Inhalt gehabt habe. Dies setze voraus, dass der Arbeiter neben einem gewissen Maß an Entscheidungsfreiheit zur Beschäftigungsaufnahme die - wenn auch nur begrenzte - Möglichkeit habe, auf die Organisation und Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses Einfluss zu nehmen und insbesondere dominierende Eingriffsmöglichkeiten des Staates in das Arbeitsverhältnis auch während der Beschäftigung fehlten. Dieses Maß an Entscheidungsfreiheit sei hier nicht ausreichend glaubhaft. Des Weiteren sei mit den vom Vordergericht für glaubhaft gehaltenen Arbeitszeiten in einem Ghetto die Wartezeit für eine Regelaltersrente nicht erfüllt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.06.2007 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf den ihr mit Verfügung vom 21.02.2008 übersandten Fragebogen des Senats hat die Klägerin angegeben, sich von August 1940 bis Oktober 1942 im Ghetto Chelm befunden zu haben. Vorher habe sie auch in Chelm gelebt. Nachher habe sie sich bis zur Befreiung im Juli 1944 in den Wäldern versteckt. Sie habe Reinigungsarbeiten in den Diensträumen des Ghettos erfüllt. Sie habe innerhalb und außerhalb des Ghettos gearbeitet, an die Orte und Anschriften erinnere sie sich nicht. Auf die Frage nach dem Arbeitgeber hat die Klägerin erklärt, diese Arbeiten habe ihr der Judenrat gegeben. Sie habe von Februar 1940 bis Oktober 1942 gearbeitet. Diese Arbeit sei wochenweise an 6 Tagen in der Woche verrichtet worden. Es habe keine Zeiträume gegeben, in denen sie keine Arbeit ausgeübt habe. Sie habe täglich 8-10 Stunden gearbeitet. Sie habe für die Arbeit täglich ein Mittagessen und wöchentlich zusätzliche Lebensmittel für zu Hause erhalten. Sie habe Brot, Zucker, Mehl, Graupen, Kartoffeln und Gemüse bekommen. An die Menge erinnere sie sich nicht. Sie meine, die Gegenleistung für die verrichteten Arbeiten von der Ghettoverwaltung erhalten zu haben. Es seien für die Arbeit keine Geldbeträge gezahlt worden. Sie habe sich aus eigenem Antrieb um die Arbeiten bemüht. Sie habe sich an den Judenrat gewandt und dieser habe ihr die Arbeiten vermittelt. Sie sei nicht zu den Arbeiten aufgefordert worden. Es habe keine Pflicht bestanden, die konkret von ihr ausgeführten Arbeiten zu verrichten. Sie sei nicht zur Arbeit gezwungen worden. Es habe die Möglichkeit bestanden, sich gegen die Aufnahme der Arbeiten zu entscheiden. Eine Bewachung von Polizisten sei auf dem Weg von und zur Arbeit nur erfolgt, wenn sie außerhalb des Ghettos gearbeitet habe. Während der Arbeit sei sie nicht bewacht, während der Arbeitsausübung nicht misshandelt worden. Sie habe sich mit ihren Eltern und ihren 5 jüngeren Geschwistern im Ghetto aufgehalten. Die Eltern hätten Zwangsarbeiten verrichtet, alle anderen hätten nicht gearbeitet. Zwangsarbeiten hätten ihre Eltern ständig verrichtet. Für die verrichteten Arbeiten hätten ihre Angehörigen nur ein Stückchen Brot täglich erhalten. Angaben zu dem Umfang, in dem ihren Angehörigen, die nicht arbeiteten, im Ghetto Chelm Lebensmittel zur Verfügung gestanden haben, hat die Klägerin nicht gemacht. Zeugen, die Angaben zu ihrem Aufenthalt im Ghetto Chelm machen können, könne sie nicht benennen.

Auf Anfrage des Senats hat die Jewish Claims Conference (JCC) - Art. 2 Fonds - die die Klägerin betreffenden Unterlagen übersandt. Gegenüber der JCC gab die Klägerin am 27.08.1993 einen Aufenthalt im Ghetto Chelm von August 1940 bis Oktober 1942 an. Die Beschreibung der Verfolgung enthält keine Angaben zu von ihr oder anderen Personen verrichteten Arbeiten. Die JCC lehnte den Antrag ab, da für das geschilderte Verfolgungsschicksal keine schlüssigen Nachweise beigebracht worden seien. Auch bei persönlicher Rücksprache habe die im Antrag erfolgte Schilderung nicht den historischen Tatsachen entsprechend nachvollzogen werden können. Die Unterlagen der JCC zu dem Antrag der Klägerin auf Leistungen aus dem Zwangsarbeiterfonds hat der Senat beigezogen. Die JCC hat mitgeteilt, dass die Klägerin eine Entschädigung aufgrund ihres Aufenthalts im Ghetto Chelm im Jahre 1942 erhalten habe und Leistungen vom Härtefonds nicht beantragt worden seien.

Yad Vashem hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass dort ein Bericht der Klägerin über ihr Verfolgungsschicksal nicht vorliege.

Die Klägerin ist unter dem 14.05.2008 vom Senat gefragt worden, ob möglicherweise Geschwister der Klägerin als Zeugen zur Verfügung stehen und ob bezüglich ihrer Eltern oder Geschwister Entschädigungs-, Renten- und Streitverfahren anhängig waren bzw. sind. Diese Anfrage ist trotz Erinnerung nicht beantwortet worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte und der Entschädigungsakte betreffend die Klägerin, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs.1, 110 Abs.1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Abwesenheit der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil ihr Prozessbevollmächtigter in der Terminsmitteilung, die ihm am 12.08.2008 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Gewährung einer Altersrente verurteilt. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin daher nicht iS von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Altersrente.

Wie der Senat bereits mit näherer Begründung entschieden hat (zB Urteil vom 06.06.2007, L 8 R 54/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de), folgt der Anspruch auf Altersrente allein aus dem SGB VI, ohne dass das ZRBG eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (ebenso BSG, Urteil v. 26.07.2007, B 13 R 28/06 R, aA BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R). Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente kann daher im Fall der Klägerin nur § 35 SGB VI sein. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. § 30 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R).

Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und Ersatzzeiten iS der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", dh Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG, Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, mwN).

Die Klägerin hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat und dort eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG iVm § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, dh mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Von den vorgenannten Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG kann schon der Aufenthalt der Klägerin im Ghetto Chelm, das im damals so genannten Generalgouvernement (Distrikt Lublin) und damit in einem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet gelegen hat, nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden. Allein aus dem wiederholten Vortrag der Klägerin, sich im Ghetto Chelm aufgehalten zu haben, kann im Hinblick auf die besonderen Umstände vorliegenden Einzelfalls nicht auf eine gute Möglichkeit, dass sich der behauptete Sachverhalt auch so zugetragen hat, geschlossen werden. Der Senat hält den behaupteten Ghettoaufenthalt lediglich für möglich, jedoch nicht für überwiegend wahrscheinlich und damit schließlich nicht für glaubhaft gemacht. Denn es sprechen nicht mehr Gesichtspunkte für einen Aufenthalt der Klägerin im Ghetto Chelm als gegen ihn. Aussagen von Zeugen, die den Ghettoaufenthalt aus eigener Wahrnehmung bekundet hätten, existieren selbst im Entschädigungsverfahren nicht. Die Klägerin hat im Entschädigungsverfahren und auch im Verwaltungs- und Streitverfahren keine Zeugen benannt, die ihren Vortrag hätten bestätigen können. Das ist insoweit nicht nachvollziehbar, als die Klägerin erklärt hat, sich mit ihren Eltern und ihren fünf jüngeren Geschwistern im Ghetto Chelm aufgehalten zu haben, die nach ihren Angaben gegenüber der JCC alle die nationalsozialistische Verfolgung überlebt hätten. Dementsprechend hat der Senat sich bemüht, über Aussagen von Geschwistern und die Beiziehung von etwaigen Entschädigungs-, Renten- und Streitverfahren der Eltern und Geschwister den Sachverhalt weiter aufzuklären und die Klägerin insoweit um sachdienliche Angaben gebeten. Dieser Bitte ist die Klägerin trotz Erinnerung nicht nachgekommen. Sie hat nicht mitgeteilt, ob Geschwister von ihr noch als Zeugen zur Verfügung stehen bzw. ob Entschädigungs-, Renten- und Streitverfahren ihrer Eltern und Geschwister anhängig waren bzw. sind. Da sie an der Sachverhaltsaufklärung nicht mitgewirkt und dem Senat nicht die Gelegenheit gegeben hat, ihre Angaben zu verifizieren, verstärken sich die Zweifel an der Richtigkeit ihrer Angaben, so dass mit ihren Erklärungen allein eine Glaubhaftmachung eines Aufenthaltes im Ghetto Chelm nicht gelingt. Der Umstand, dass die JCC - Art. 2-Fonds - den Antrag der Klägerin abgelehnt hat, da für das geschilderte Verfolgungsschicksal keine schlüssigen Nachweise beigebracht worden seien und auch bei persönlicher Rücksprache die im Antrag erfolgte Schilderung nicht den historischen Tatsachen entsprechend nachvollzogen habe werden können, spricht jedenfalls nicht für die Richtigkeit derr Tatsachendarstellung der Klägerin, auch wenn der Senat diesen Umstand nicht als gegen diese der klägerischen Darstellung sprechenden Gesichtspunkt wertet.

Vorstehende Ausführungen gelten gleichermaßen für die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommenen und gegen Entgelt ausgeübten Beschäftigung. Die behauptete Beschäftigung in Form von Reinigungsarbeiten ist daher ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.

Ebensowenig lässt sich im Sinne einer Glaubhaftmachung feststellen, dass die Klägerin eine - unterstellte - Beschäftigung gegen Entgelt iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG verrichtet hat. Entgelt in diesem Sinne ist als ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom 07.10.2004, aaO). Maßgebend sind dabei die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (aF). Zum Entgelt gehörten dabei nach § 160 aF neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO aF; vgl. zum Folgenden insbesondere BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; vom 07.10.2004, aaO; Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7 Anm. 3; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO Anm. 1 ff.). Als freier Unterhalt iS von § 1227 RVO aF ist dabei dasjenige Maß von wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinausgeht. Zum freien Unterhalt gehören insbesondere Unterkunft, Beköstigung und Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des freien Unterhalts geeignet und bestimmt sein. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es zB bei Deputaten der Fall ist. Die Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die gewährte Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar zur RVO, 5. Aufl., 1954, § 1228 Rdnr. 5). Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw. Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, zB der glaubhaften Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem Sachverständigengutachten oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so kann ein entsprechender Umfang im Einzelfall als glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend mitversorgt worden ist (sog. Hilfskriterium bei Beweisnot; vgl. Senat, Urteil v. 06.06.2007, aaO). Da andererseits unter den freien Unterhalt iS des § 1227 RVO aF nur Sachleistungen fallen, erfüllen Geldleistungen seine Voraussetzungen nicht, auch wenn sie den unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht erreichen. Die Ausgabe von Lebensmittelkarten oder -coupons unter Ghettobedingungen ist dabei als Gewährung von Sachbezügen, nicht als Geldleistung anzusehen.

Die von der Klägerin behauptete Gegenleistung für die - behaupteten, aber nicht glaubhaft gemachten - Reinigungsarbeiten stellt kein Entgelt iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG dar. Es steht zunächst nach den eigenen Angaben der Klägerin fest, dass sie Barlohn nicht erhalten hat. Soweit sie täglich ein Mittagessen, wöchentliche Sonderrationen in Form von verschiedenen Lebensmitteln (Brot, Zucker, Mehl, Graupen, Kartoffeln und Gemüse) für zu Hause und Unterkunft erhalten haben will, kann es sich nur um die Gewährung freien Unterhalts gehandelt haben. Die Gewährung von Unterkunft stellt sich dabei schon nicht als Gegenleistung für geleistete Arbeiten dar, sondern ist bereits Folge des behaupteten Ghettoaufenthalts. Verwertbare Angaben zu der Menge der wöchentlich erhaltenen Lebensmittel konnte die Klägerin nicht machen, sodass nicht ersichtlich ist, dass sie Lebensmittel in einem freien Unterhalt übersteigendem Umfang erhalten hat. Denn die Angaben der Klägerin lassen nicht erkennen, dass die ihr gewährten Lebensmittel nach ihrem vorbestimmten Maß zur beliebigen Verfügung geeignet gewesen, d.h. über den unmittelbaren Bedarf der Klägerin hinausgegangen sind. Sie kann sich an die Menge der ihr nach ihrer Behauptung gewährten Lebensmittel nicht erinnern. Unklar bleibt auch, ob sie die einzige der Familie war, die - wie sie behauptet hat - neben den Eltern, die Zwangsarbeiten verrichtet haben sollen, gearbeitet hat. Auch insoweit kann der Senat mangels Mitwirkung der Klägerin den Sachverhalt nicht weiter aufklären. Für eine maßgebliche Mitversorgung Dritter bestehen somit keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Die Klägerin kann sich weiter nicht mit Erfolg darauf berufen, für das Merkmal einer Beschäftigung "gegen Entgelt" iSv § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG reiche es aus, dass sie für ihre Arbeitsleistung einen Rechtsanspruch auf Entgelt gehabt habe, auch wenn dieses nicht gezahlt worden sei. Dies gilt unabhängig davon, ob nach den damals bestehenden Vorschriften in ihrer konkreten Ausgestaltung überhaupt ein individueller Lohnanspruch der Klägerin bestanden hat.

Die Zahlung von Entgelt kann nicht fingiert werden, weil sie - gegebenenfalls - verfolgungsbedingt unterblieben ist. § 12 WGSVG erlaubt lediglich die Fiktion der Beitragszahlung. Ist darüber hinaus verfolgungsbedingt auch kein Entgelt gezahlt worden, so ist als Ausgleich hierfür innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung die Ersatzzeit gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI vorgesehen, nicht aber die Anerkennung einer fiktiven Beitragszeit.

Allein der Rechtsanspruch auf Entgelt führt auch nicht nach den Grundsätzen der vom Reichsversicherungsamt (RVA) entwickelten Rechtsprechung zur Entgeltlichkeit der Beschäftigung, wonach für die Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung nicht das tatsächliche gezahlte Entgelt, sondern das Gehalt maßgebend war, auf dessen Zahlung bei Fälligkeit der Beiträge ein Rechtsanspruch bestand (sog. Fälligkeits- bzw. Entstehungsprinzip - z.T. auch als "Rechtsanspruchstheorie" bezeichnet - im Gegensatz zum sog. Zuflussprinzip; vgl. RVA, Entscheidung v. 29.10.1930, III AV. 44/30 B, Amtlich Nachrichten für Reichsversicherung (AN) 1931, IV 34; Entscheidung v. 08.12.1931, Entscheidungen und Mitteilungen [EuM]) 31 [1932], S. 537; Entscheidung v. 22.04.1936, III Ar. 60/35 BS, AN 1936, IV 275; Entscheidung v. 09.03.1938, II K 47/37 BS, AN 1938, IV 193).

Zunächst ist davon auszugehen, dass das Entstehungsprinzip mit Wirkung vom 01.07.1942 durch das Zuflussprinzip ersetzt worden ist. Ab diesem Zeitpunkt ordnete § 19 Abs. 1 der Zweiten Verordnung über die Vereinfachung des Lohnabzugs (Zweite LAV) v. 24.04.1942 (RGBl I, S. 252) nämlich an, dass die gesetzlichen Lohnabzüge, zu denen neben der Lohnsteuer auch die Beiträge zur Rentenversicherung gehörten (vgl. §§ 6 ff. Zweite LAV), grundsätzlich von derselben Bemessungsgrundlage zu berechnen waren. Daher ist anzunehmen, dass jedenfalls ab dem 01.07.1942 in der Sozialversicherung des Deutschen Reiches das Zuflussprinzip maßgebend war. Dies ist durch Ziff. 1 Satz 1 des Gemeinsamen Erlasses des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers v. 10.09.1944 (AN 1944 II, S. 281) mit Wirkung vom 01.10.1944 nochmals klar gestellt worden.

Unabhängig davon setzt die Anwendung des Fälligkeits- bzw. Entstehungsprinzips das Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne einer Vereinbarung über den Austausch wirtschaftlicher Werte (Arbeitsleistung gegen Entgelt) und die tatsächliche Durchführung dieses Austauschverhältnisses voraus. Nur unter dieser Bedingung hat das RVA aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalles den Fortbestand eines seit mehreren Jahren bestehenden Beschäftigungsverhältnisses angenommen, wenn der tatsächliche Austausch von Arbeitsleistung und Entgelt für einen kurzen Zeitraum, d.h. wenige Tage bis Wochen, unterbrochen war. Längere Unterbrechungen der Entgeltzahlung haben demgegenüber zum Erlöschen des Beschäftigungsverhältnisses geführt (vgl. hierzu RVA, Entscheidung v. 16.01.1920, II K. 17.19 B, EuM 12 [1921], 93; Entscheidung v. 26.01.1924, II K 113/1923 B, Amtliche Nachrichten des RVA 1924, 84; jeweils m.w.N.). Vor diesem Hintergrund kann das Fälligkeits- oder Entstehungsprinzip daher nicht dazu herangezogen werden, eine nicht getroffene Vereinbarung über ein Beschäftigungsverhältnis bzw. eine tatsächlich zu keinem Zeitpunkt vorgenommene Entgeltzahlung zu ersetzen.

Die Aufnahme einer Beschäftigung aus einem eigenen Willensentschluss iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) ZRBG ist aus den vorstehend dargelegten Gründen ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Mangels Mitwirkung der Klägerin kann ihre Behauptung, sich aus eigenem Antrieb um Arbeiten bemüht und sich dafür an den Judenrat gewandt zu haben, der ihr die Arbeiten vermittelt habe, nicht verifiziert werden. Die Zweifel an der Richtigkeit ihrer Angaben sind in vorliegendem Verfahren so groß, dass sie allein zur Glaubhaftmachung nicht ausreichen.

Da schon die Ausübung einer Beschäftigung im streitgegenständlichen Zeitraum nicht glaubhaft gemacht ist, kommt eine Anrechnung nach den Vorschriften des Fremdrentengesetzes und des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung ebenfalls nicht in Betracht. Den Reichsversicherungsgesetzen könnte eine Beschäftigung der Klägerin im Ghetto Chelm ohnehin nicht unterfallen, da die Klägerin nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaß (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, zum sog. Generalgouvernement, in dem Chelm lag).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Der Fall wirft keine grundsätzlichen Rechtsfragen auf, nachdem schon der behauptete Ghettoaufenthalt, die behauptete Beschäftigung sowie die Aufnahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss und die entgeltliche Ausübung dieser Beschäftigung nicht glaubhaft gemacht sind.
Rechtskraft
Aus
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