Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 13 U 66/01
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 76/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. April 2004 wird zurückgewiesen Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob bei der Klägerin wegen Hörverlusten eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 50 der Liste der BK´en zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von BK´en der DDR – Lärm, der Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung verursacht, wobei eine soziale Bedeutung vorliegt, wenn die Hörschädigung zu Verständigungsschwierigkeiten mit anderen Personen führt – (BK 50 BKVO-DDR) oder ein Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Die am geborene Klägerin arbeitete von Oktober 1954 an bis Juli 1966 im S.-werk S. und war dann Hausfrau. Von September 1975 an bis Ende Dezember 1983 war sie als Reinigungskraft, anschließend bis Ende Dezember 1987 als Produktionsarbeiterin sowie von Januar 1988 an bis März 1991 wiederum als Reinigungskraft im P.-werk S. beschäftigt. Danach war sie ohne Arbeit. Seit Februar 1997 ist sie Altersrentnerin.
Am 8. Mai 2000 zeigte der Facharzt für HNO-Heilkunde Dipl.-Med. O. der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer BK an. Bei der Klägerin bestehe eine Lärmschwerhörigkeit, die sie auf ihre Tätigkeit im S.-werk S. zurückführe. Er fügte seiner Verdachtsanzeige Tonschwellen- und Sprachaudiogramme vom 29. Februar 2000, dem Tag des Behandlungsbeginns bei.
Zu den beruflichen Lärmeinwirkungen im Sprengstoffwerk gab die Klägerin am 1. Juni 2000 unter anderem an, sie habe 1956 an der Fertigpresse gearbeitet. Nebenan an der Abdeckmaschine sei es zu einer Explosion gekommen, in deren Folge sie eine Eisenplatte an den Kopf bekommen habe. Dadurch sei der Hörschaden entstanden.
Die Fachärztin für HNO-Krankheiten und Allergologie Dr. H. teilte der Beklagten unter Beifügung von Tonschwellen- und Sprachaudiogrammen vom 9. Februar 1993 sowie aus den Jahren 1994, 1997 und 1998 am 22. August 2000 mit, sie habe die Klägerin von 1993 bis 1999 behandelt, eine kombinierte Schwerhörigkeit beiderseits mit einen Tinnitus aurium (Ohrgeräusche) beiderseits und den Verdacht auf das Bestehen einer kombinierten beiderseitige Otosklerose (Verknöcherung der Gehörknöchelchen) gefunden. Die Klägerin habe anamnestisch keine Lärmexposition angegeben. Zur Klärung der Arbeitsplatzsituation der Klägerin im S.-werk S. fand am 4. September 2000 im Nachfolgeunternehmen des früheren Beschäftigungsbetriebes der Klägerin unter ihrer Beteiligung sowie derjenigen der Sicherheitsfachkraft ein Gespräch statt. In den hierzu vom Technischen Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten erstellten Arbeitsplatzanalysen vom 11. und 22. September 2000 führte der TAD aus: In der Zündhütchenhalle sei die Klägerin einem Lärm-Beurteilungspegel von 85 dB (A) ausgesetzt gewesen. Zudem sei es bei der Fertigung der Zündhütchen durch unsachgemäßen Umgang oder Störungen ca. einmal jährlich zu Explosionen gekommen, bei denen ein Schallpegel von über 140 dB (A) angenommen werden könne.
Die Beklagte zog den Sozialversicherungsausweis (SV-Ausweis) der Klägerin vom 10. Oktober 1975 bei. Hieraus gingen für den 23. Oktober 1978, den 12. Juni 1981, den 21. September 1982 sowie für den 9. Juli und den 23. Oktober 1987 Behandlungen bei dem Facharzt für HNO-Krankheiten Dr. P. hervor. Auf entsprechende Anfrage der Beklagten teilte Dr. P. am 18. Oktober 2000 mit, Befundunterlagen hierzu lägen ihm nicht mehr vor.
Die Nachfolgerin des früheren Beschäftigungsbetriebes übersandte der Beklagten am 4. Dezember 2000 Störfallberichte und führte hierzu aus, für die Klägerin seien im Zeitraum von 1955 bis 1957 keine Unfallanzeigen vorhanden. Auch nach den gesichteten Störfallmeldungen früherer Jahre sei die Klägerin nicht als Verunfallte bzw. bei Störfällen anwesende Arbeitnehmerin verzeichnet.
In seiner beratenden Stellungnahme vom 5. Februar 2001 empfahl der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. B., keine BK anzuerkennen. Weder durch eine Dauerbelastung von 85 dB noch durch gelegentliche Spitzenbelastungen von 140 dB könne eine Dauerschädigung der Ohren hervorgerufen werden. Zudem könne diese vor 24 Jahren (gemeint offensichtlich 34 Jahre) beendete leichte Lärmbelastung keine wesentliche Hörminderung verursachen, wie sie bei der Klägerin in Form einer sich seit 1993 stetig verschlechternden kombinierten Schwerhörigkeit mit einer Schallleitungskomponente zwischen 20 und 40 dB in allen Frequenzen bestehe. Auf Grundlage des ersten Tonschwellenaudiogramms vom 9. Februar 1993 ergebe sich rechts bei 1 kHz eine Hörminderung bei 40 dB, bei 2 kHz eine solche bei 50 dB und bei 3 kHz bei 50 dB, woraus sich (nach der 3-Frequenztabelle nach Röser 1980) ein Hörverlust von 40 % ableite. Entsprechend liege links eine Hörminderung bei 1 kHz bei 45 dB, bei 2 kHz bei 50 dB und bei 3 kHz bei 55 dB vor, so dass hier ein Hörverlust von 50 % resultiere. Würden diese Werte unter Berücksichtigung der zwischen 1993 und 1999 nachweislich fortgeschrittenen Hörverschlechterung auf das Expositionsende zurückgerechnet, liege in keinem Fall ein Hörverlust mit sozialer Bedeutung vor, was jedoch Voraussetzung für die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR sei. Schließlich bestehe bei der Klägerin eine Otosklerose, die sich ohne Lärmbelastung entwickle.
Mit Bescheid vom 1. März 2001 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR ab. Voraussetzung einer derartigen BK sei, dass die Erkrankung soziale Bedeutung erreicht habe, was einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (vH) entspreche. Eine solche MdE liege bei der Klägerin nicht vor. Zudem habe sich ihre Hörstörung seit 1993 wesentlich verschlechtert, was jedoch nicht mehr der beruflichen Lärmeinwirkung anzulasten sei. Denn nach wissenschaftlichen Erkenntnissen könne sich eine lärmbedingte Hörstörung nach Beendigung der Exposition nicht verschlimmern. Als Ursache der belegten Verschlechterung sei vielmehr die bei der Klägerin diagnostizierte Otosklerose anzusehen, bei der es sich um eine schicksalhafte Erkrankung ohne Zusammenhang zu beruflichen Lärmeinwirkungen handele. Da auch kein Beweis für das von der Klägerin angegebene Unfallereignis vorliege, sei auch die Anerkennung eines Arbeitsunfalls nicht möglich. Ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe (daher) nicht.
Den hiergegen am 13. März 2001 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. April 2001 als unbegründet zurück. Ergänzend schätzte die Gewerbeärztin S. vom Landesamt für Arbeitsschutz Sachsen-Anhalt in ihrer Stellungnahme vom 4. April 2001 ein, anhand der vorliegenden Audiogramme könne nicht wahrscheinlich gemacht werden, dass bereits zum Zeitpunkt des Expositionsendes 1966 eine berufsbedingte Schwerhörigkeit mit einem Körperschaden (KS) von 20 vH bestanden habe. Die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR sei deshalb nicht zu befürworten.
Am 3. Mai 2001 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben und zur Begründung geltend gemacht, im Sprengstoffwerk seien nicht nur einmal, sondern durchschnittlich dreimal jährlich Explosionsschallpegel von über 140 dB (A) aufgetreten. Für das Vorliegen einer BK 50 BKVO-DDR spreche, dass bei ihr eine Innenohrschwerhörigkeit vorliege. An Schwerhörigkeit leide sie seit dem Explosionstrauma von 1956. Diese Tatsache sowie das Unfallereignis könnten ihre ehemaligen Arbeitskolleginnen I. K. und H. F. bestätigen.
Die Beklagte hat zu der geltend gemachten BK ihre Ausführungen aus dem Vorverfahren wiederholt und darauf verwiesen, dass die Klägerin ihre Hörstörung selbst nicht auf die berufliche Lärmbelastung, sondern auf einen angeschuldigten Unfall des Jahres 1956 zurückführe. Die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall setzte jedoch neben dem vollen Beweis der versicherten Tätigkeit auch diejenigen des Unfallereignisses und der Erkrankung (Gesundheitserstschaden) voraus. Nach den betrieblichen Unfallaufzeichnungen der Jahre 1955 bis 1957 lasse sich der Vollbeweis für ein Ereignis im Jahre 1956 nicht erbringen.
Das SG hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 27. April 2004 in nichtöffentlicher Sitzung erörtert. In diesem Termin hat die Klägerin auch ihren SV-Ausweis vom 14. Oktober 1954 vorgelegt, auf einen Eintrag vom 16. März 1960 hingewiesen (Vorstellung im Ärztlichen Versorgungsbereich des S.-werkes S., ohne nachfolgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) und die Ansicht vertreten, hierdurch werde inhaltlich die bislang – irrtümlich – auf das Jahr 1956 datierte Angabe zum Unfallgeschehen belegt.
Mit Gerichtsbescheid vom 27. April 2004 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Die Klägerin habe weder einen Anspruch auf Anerkennung ihrer Hörstörung als BK noch – hilfsweise – als Folge eines im Jahre 1956 erlittenen Arbeitsunfalls. Es sei schon nicht nachgewiesen, dass sie 1966 schwerhörig gewesen sei. Daneben stehe selbst dann, wenn hiervon ausgegangen werde, nicht mit Wahrscheinlichkeit fest, dass eine solche Schwerhörigkeit wesentlich mit beruflichen Lärmeinwirkungen zusammenhänge und einen KS um wenigstens 20 vH bedingt habe. Hiergegen spreche, dass bei der Klägerin – entgegen ihrer Ansicht – keine reine Innenohr-, sondern eine kombinierte Schwerhörigkeit vorliege. Zudem bestehe eine Otosklerose, die sich lärmunabhängig entwickle. Auch habe die Klägerin bei Dr. H., die erstmals 1993 Hörverluste gefunden habe, keine Lärmexposition angegeben. Schließlich reiche ein Schallpegel von 85 dB regelmäßig nicht aus, eine Lärmschädigung herbeizuführen. Letztlich spreche auch die Zunahme der Hörverluste ab 1993 gegen einen Zusammenhang mit der Expositionszeit von 1954 bis 1966, da eine Lärmschwerhörigkeit ohne gefährdende Lärmeinwirkungen nicht fortschreiten könne. Eine Zuordnung der Schwerhörigkeit als Arbeitsunfallfolge scheide ebenfalls aus. Denn im Jahr 1956 sei für die Klägerin kein Unfall nachgewiesen, bei dem sie durch den Anprall einer Eisenplatte oder eine Explosion eine Schädigung des Hörvermögens erlitten habe. Überdies seien zur Verursachung von Knalltraumen erst Schallpegel ab 150 dB geeignet. Ein solcher Wert sei bei den damaligen Zündhütchenexplosionen nicht erreicht worden. Ein Unfall aus dem Jahr 1960 sei nicht Gegenstand des Verfahrens; hierüber habe die Beklagte bislang keine Entscheidung getroffen.
Gegen den am 30. April 2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27. Mai 2004 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung hat sie ihre bisherige Ansicht vertieft und unterstützend Stellungnahmen von Dipl.-Med. O. vom 13. Dezember 2004 und 27. September 2005 vorgelegt. Hierin hat Dipl.-Med. O. einen Zustand nach Knalltrauma vom 16. März 1960 wiedergegeben und eine an Taubheit grenzende pantonale (den Tieftonbereich betreffende) Innenohrschwerhörigkeit beiderseits diagnostiziert; anamnestisch sei es zu einem extremen Hörverlust gekommen. Auch wenn die audiometrischen Befunde kein typisches Bild einer Lärmschwerhörigkeit zeigten und die Altersschwerhörigkeit bzw. die gegebenenfalls bestehende Otosklerose mit Sicherheit als Mitursache zu werten seien, müsse nach den Angaben der Klägerin ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Hörstörung angenommen werden, wobei wegen des nicht eindeutigen Befundes auch eine Kulanzlösung zu erwägen sei.
Außerdem hat die Klägerin schriftliche Aussagen ihrer früheren Nachbarin B. B. sowie ihrer ehemaligen Kolleginnen H. F. und I. K. vorgelegt. Frau B. hat am 3. Dezember 2005 bekundet, dass ihr bei der Klägerin nach einer Explosion im Sprengstoffwerk ein Hörverlust aufgefallen sei. Frau F. hat am 5. Dezember 2005 ausgeführt: Im Jahre 1960 habe sich im Sprengstoffwerk eine Explosion ereignet. Durch den dabei freigesetzten starken Luftdruck sei auch eine Eisenplatte bewegt worden, die die Klägerin an den Kopf bekommen habe. Die Klägerin sei dann in die Krankenstation gebracht worden. Nach diesem Ereignis habe man mit der Klägerin nicht mehr in normaler Lautstärke sprechen können. Frau K. hat am 30. Januar 2006 vorgetragen, dass die Klägerin unmittelbar nach einer Explosion 1960 im Sprengstoffwerk stark schwerhörig geworden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. April 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 1. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2001 aufzuheben und festzustellen, dass die höchstgradige kombinierte Schwerhörigkeit/Taubheit beiderseits mit Tinnitus eine Berufskrankheit nach Nr. 50 der Liste zur Berufskrankeitenverordnung der DDR ist, hilfsweise, festzustellen, dass die genannte Erkrankung Folge eines Arbeitsunfalls vom 16. März 1960 ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. April 2004 zurückzuweisen.
Sie hält den Gerichtsbescheid für zutreffend. Mit Schreiben vom 22. Februar 2005 hat sie nach Auswertung der bei der Nachfolgerin des früheren Beschäftigungsbetriebes der Klägerin nochmals recherchierten Störfall- und Unfallmeldungen der Jahre 1954 bis 1968, aus denen für den 16. März 1960 weder Störfälle noch ein Unfall der Klägerin, sondern lediglich ein Wegeunfall eines Kollegen hervorgingen, unter Berufung auf die Gründe der angefochtenen Bescheide die Anerkennung eines Arbeitsunfalls vom 16. März 1960 abgelehnt.
Der Senat hat von der Oberärztin der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Dr. R. das nach ambulanter Untersuchung am 21. April 2006 erstellte Gutachten vom 15. Juli 2006 mit ergänzender Stellungnahme vom 29. März 2007 eingeholt. Zum geltend gemachten Unfallereignis hat die Klägerin weiter angegeben, sie habe am 16. März 1960 für einige Wochen als Aushilfe in der Zündhütchenabteilung gearbeitet. Ansonsten sei ihr Arbeitsplatz im Elektrobetrieb gewesen, wo sie Zünder gewickelt habe. Zum Zeitpunkt der Explosion habe sie neben der Fertigpresse gestanden. Eine Eisenplatte (25 cm lang, 10 cm breit und 8 cm dick), in der 20 bis 30 Patronen gesteckt hätten, sei ihr seitlich über dem Ohr an die rechte Schläfe geschlagen. Zwei Kolleginnen hätten sie zur Schwester gebracht, die sie mit Pflaster versorgt habe. Nach einer Stunde sei sie nach Hause gegangen und dann arbeitsunfähig gewesen. Gleich nach dem Unfall habe sie eine Hörstörung sowie ein Pfeifen und Ohrrauschen bemerkt. Dr. R. hat intakte Trommelfelle befundet und eine höchstgradige kombinierte Schwerhörigkeit/Taubheit beiderseits sowie einen Tinnitus in Form eines Rauschens diagnostiziert und dargelegt: Eine Exposition von 85 dB (A) sei zwar generell geeignet, eine berufsbedingte Schwerhörigkeit hervorzurufen. Eine Hörstörung des Ausmaßes, wie sie bei der Klägerin aktuell vorliege, könne hierauf jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit zurückgeführt werden. Auch der weitere Hörabfall ab 1993, der auf lärmunabhängige Ursachen beruhe, sowie die Schallleitungskomponente sprächen gegen das Vorliegen einer BK. Im Hinblick auf den angeschuldigten Unfall sei zwischen einem Knall- und einem Explosionstrauma zu differenzieren, wobei gefährdend jeweils Schalldruckpegel ab 135 dB (A) wirkten. Ein Knalltrauma sei durch eine sehr kurze Schallwelle hoher Intensität gekennzeichnet, wohingegen ein Explosionstrauma mit einer Schalldruckwelle von mehr als 3 Millisekunden verbunden sei und zu einer Zerreißung der Mittelohrstrukturen führe. Kennzeichnend hierfür seien Trommelfellperforationen oder spätere Ohrsekretionen. Falls ein Explosionstrauma angenommen werde, sei die gesamte Hörstörung als unfallbedingt zu werten, obgleich keinerlei Zeichen einer derartigen Explosion an den Trommelfellen vorhanden seien. Für einen Unfallzusammenhang spräche neben den Angaben der Klägerin und der Frauen B., F. und K. auch die Tatsache, dass es sehr oft zu Explosionen mit einem Pegel über 135 dB (A) gekommen sei. Andererseits sei eine sorgfältige Dokumentation von Explosionen und Unfällen vorhanden, in der ein Unfall der Klägerin nicht verzeichnet sei. Zudem habe die Klägerin gegenüber Dr. H. nie eine Lärmexposition oder eine Explosion angegeben. Insgesamt seien daher ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen wesentlichen Ursache nicht auszuschließen. Zur MdE-Bewertung sei zu beachten, dass das Sprachaudiogramm vom 9. Februar 1993 wegen der Unklarheit, ob die angegebene Kurve eine Zahlen- oder Einsilbenkurve sei, nicht verwertet werden könne. Werde das Tonschwellenaudiogramm vom 9. Februar 1993 herangezogen, sei nach der 4-Frequenztabelle nach Röser 1973 ein Hörverlust rechts von 82 % und links von 91 % abzuschätzen, woraus eine MdE um 70 vH resultieren würde. Die von Dr. B. vorgenommene Rückrechnung der MdE auf das Expositionsende sei problematisch, da eine Hörminderung nicht linear fortschreiten müsse. Damit bleibe die genaue Höhe der MdE für das Jahr 1966 letztlich offen.
Die Beklagte hat dazu eingewandt, die Klägerin habe das angeschuldigte Unfallereignis über Jahre auf 1956 datiert und erst am 27. April 2004 auf den 16. März 1960 korrigiert. Eine Arbeitsunfähigkeit nach dem 16. März 1960 sei nicht dokumentiert. Ferner habe das Knalltrauma nach der Unfallschilderung gegenüber Dr. R. die rechte Seite betroffen, wohingegen der Hörverlust links ausgeprägter sei. Im Übrigen sei aus dem Tonschwellenaudiogramm vom 9. Februar 1993 ein Hörverlust von rechts 40 % und links 50 % abzuleiten, woraus sich entgegen Dr. R. keine MdE um 70 vH, sondern eine solche um 30 vH ergebe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
I. Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat ihr Begehren, welches sie gemäß den §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässigerweise als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage verfolgen kann (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 46/03 R – SozR 4-2700 § 2 Nr. 3; Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 19/06 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 23, m.w.N.), zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 1. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2001 ist nicht zu beanstanden und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Bei ihr kann weder eine BK 50 BKVO-DDR festgestellt werden (nachfolgend unter 1.) noch hat sie einen Anspruch auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls (hierzu unter 2.), wobei entgegen der Ansicht des SG von den genannten Bescheiden auch ein Unfallereignis vom 16. März 1960 erfasst wird. Denn die Klägerin hat für diesen Tag nicht etwa ein weiteres Unfallgeschehen angeschuldigt, sondern ihren inhaltlich gleich bleibenden Vortrag nur hinsichtlich des Datums korrigiert. Folgerichtig hat sich die Beklagte in ihrem Schreiben vom 22. Februar 2005, welches rechtlich als wiederholende Verfügung zu qualifizieren ist (vgl. die Abgrenzung zum Zweitbescheid, von Wulffen/Engelmann, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 31 Rn. 32), insoweit auf die Ablehnungsgründe ihrer angefochtenen Bescheide berufen und – zutreffend – keinen rechtsbehelfsfähigen (Zweit-)Bescheid erlassen.
Anzuwenden sind hier noch die bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Denn die den Ansprüchen der Klägerin möglicherweise zugrunde liegenden Versicherungsfälle (BK bzw. Arbeitsunfall) sollen nach ihrem Vorbringen vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) – am 1. Januar 1997 eingetreten sein (siehe Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7. August 1996, BGBl. I 1996, 1254 ff.; §§ 212 ff. SGB VII). Nach § 215 Abs. 1 SGB VII ist für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 (in der DDR) eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und BK´en nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs. 2 und 3 RVO weiter, also über das Inkrafttreten des SGB VII hinaus, anzuwenden. Gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1996 gültigen Fassung gelten Arbeitsunfälle und Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle bzw. BK´en der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle bzw. BK´en im Sinne des Dritten Buches der RVO. Dies gilt u.a. nicht für Arbeitsunfälle und Krankheiten, die einem ab dem 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (§ 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO). Diese Vorschrift ist hier einschlägig, weil die Beklagte erst am 8. Mai bzw. 1. Juni 2000 Kenntnis von einer möglichen Lärmexposition bzw. einem Unfall der Klägerin erlangt hat. Anhaltspunkte für einen früheren Termin sind weder ersichtlich noch von der Klägerin behauptet.
Voraussetzung der geltend gemachten Ansprüche ist demnach, dass die Hörstörung der Klägerin die Anerkennungskriterien eines Arbeitsunfalls bzw. einer BK sowohl nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht als auch nach der RVO erfüllt (ständige Rechtsprechung des BSG, siehe nur Urteil vom 4. Dezember 2001 – B 2 U 35/00 R – SozR 3-8440 Nr. 50 Nr. 1; Urteil vom 18. August 2004 – B 8 KN 1/03 U R – SozR 4-5670 Anl. 1 Nr. 2402 Nr. 1; vgl. auch Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung, BT-Drucks 12/405, S. 116 Buchst. b). Dies ist hier nicht der Fall.
1. Ob bei der Klägerin die Feststellungsmerkmale einer BK nach dem Recht der RVO vorliegen (siehe § 551 Abs. 1 RVO in Verbindung mit Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung – Lärmschwerhörigkeit – BK 2301), kann der Senat offen lassen. Denn schon nach DDR-Recht scheidet die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR aus.
Die Fortgeltung des hier einschlägigen DDR-Rechts im Beitrittsgebiet dient der (zeitlich befristeten) Wahrung eines in der DDR etablierten rechtlichen Status bis zur endgültigen Überleitung des Unfallversicherungsrechts (siehe BT-Drucks. 11/7817, S. 158). Der historischen Auslegung der Vorschriften, insbesondere der Konkretisierung der Normen durch die Rechts- und Verwaltungspraxis der DDR, kommt deshalb ein besonderes Gewicht zu. Normativer Ausdruck hiervon ist Art. 19 des Einigungsvertrages (BGBl. II Nr. 35/1990 – EV), wonach Verwaltungsakte der DDR, die in der Regel auf deren Verwaltungspraxis beruhen, nach Maßgabe dieser Vorschrift wirksam bleiben. Die Vertragsparteien des EV wollten erkennbar die Verwaltungspraxis der DDR als Grundlage für fortbestehende Verwaltungsakte anerkennen, sofern rechtsstaatliche Grundsätze oder Regelungen des EV nicht entgegenstehen. Dabei haben Bestimmungen und Auslegungsgrundsätze, die von spezifisch sozialistischen Wertungen und Rechtsmaximen geprägt sind, unberücksichtigt zu bleiben (siehe nochmals BSG, Urteil vom 4. Dezember 2001, s.o.).
Nach § 221 des Arbeitsgesetzbuches der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I 185 – AGB) in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 der BKVO-DDR vom 26. Februar 1981 (GBl. I 137) ist eine BK eine Erkrankung, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen wird und die in der Liste der BK´en genannt ist. Unter Nr. 50 der 1. Durchführungsverordnung zur BKVO-DDR (Liste der BK´en) vom 21. April 1981 (GBl. I 139) ist eine Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung, die durch Lärm verursacht wird, als BK genannt, wobei eine soziale Bedeutung vorliegt, wenn die Hörschädigung zu Verständigungsschwierigkeiten mit anderen Personen führt. Erforderlich für die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR ist demnach neben dem Beleg einer ausreichenden Lärmexposition der Nachweis einer Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung im Sinne von Verständigungsschwierigkeiten mit anderen Personen, die durch diesen beruflichen Lärm verursacht worden ist (siehe Konetzke/Rehbohle/Heuchert, Berufskrankheiten, Gesetzliche Grundlagen zur Meldung, Begutachtung und Entschädigung, 2. Aufl., Berlin 1987, S. 76 f.). Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind bei der Klägerin nicht erfüllt.
a) Zwar ist auf Grundlage der Diagnosen von Dr. H., Dipl.-Med. O. und Dr. R. seit Februar 1993 eine Schwerhörigkeit gesichert. Es fehlt jedoch zum einen am Nachweis dafür, dass diese bis spätestens 1966 mit sozialer Bedeutung eingetreten war. Zum anderen steht auch nicht fest, dass die Klägerin in der Zeit von Oktober 1954 an bis Juli 1966 einem Lärm-Beurteilungspegel von 85 dB (A) ausgesetzt gewesen war, ab dem grundsätzlich eine berufsbedingte Hörschädigung entstehen kann (vgl. Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O., S. 74 f.; ebenso Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur BK 2301, Bekanntmachung vom 1. Juli 2008, GMBl. 2008, 798 ff. – Merkblatt). Denn entgegen der Annahme des TAD in seinen Stellungnahmen vom 11. und 22. September 2000 war die Klägerin gerade nicht während ihrer gesamten Beschäftigungszeit im S.-werk S. in der Zündhütchenfertigung tätig, sondern lediglich als Aushilfe für wenige Wochen im März 1960, wie sie selbst gegenüber Dr. R. klargestellt hat.
(1) Eine Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung war gegeben, wenn nach den Ergebnissen der audiometrischen Untersuchung ein KS von mindestens 20 % resultierte (siehe Empfehlung der Gesellschaft für Oto-Rhino-Laryngologie und zervikofaziale Chirurgie der DDR für die Begutachtung von Hörschäden vom 1. Oktober 1985, abgedruckt in: Berufskrankheiten im Gebiet der neuen Bundesländer 1945 bis 1990, Sonderheft 4 der Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin (Sonderheft), Berlin 1994, S. 265 ff. – Empfehlung –; Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O., S. 74; Richtlinie des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR zur Begutachtung von arbeitsbedingten Hörschäden vom 1. September 1989, abgedruckt in: Sonderheft, S. 271). Ohrgeräusche konnten bei der Bewertung des KS nur dann (mit maximal 10 %) berücksichtigt werden, wenn sich bereits allein aus dem Hörverlust ein KS von 20 % ergab (Empfehlung, a.a.O., S. 264; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand April 2008, M 2301, Rn. 9, S. 42). Maßgeblich für die Einschätzung des KS ist gemäß § 215 Abs. 6 SGB VII in Verbindung mit § 1154 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVO die Regelung des § 56 SGB VII. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die Höhe der MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Verletzten durch die Folgen des Versicherungsfalls beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf medizinisch-wissenschaftlichem Gebiet. Hierbei sind jedoch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum bei einer Vielzahl von Schäden für die Schätzung der MdE herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die in Form von Tabellenwerten zusammengefasst sind. Diese sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der MdE unterbreitet (siehe nur BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 – B 2 U 24/00 R – SozR 3-2200 § 581 RVO Nr. 8). Der Grad des KS entspricht damit regelmäßig demjenigen der MdE (BSG, Urteil vom 4. Dezember 2001, a.a.O.). Bezogen auf eine berufliche Hörminderung sind bei der MdE-Bewertung die Empfehlungen für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit ("Königsteiner Merkblatt”, 4. Auflage 1995, abgedruckt in: Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 2301, S. 6 ff.) einschlägig.
(2) Ausgehend hiervon hat Dr. R. wegen der Unverwertbarkeit des Sprachaudiogramms vom 9. Februar 1993 aus den Werten des Tonschwellenaudiogramms vom selben Tag zwar nach der 4-Frequenztabelle nach Röser 1973 (abgedruckt etwa in den vom damaligen Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996, S. 71) einen Hörverlust rechts von 82 % und links von 91 % bestimmt, woraus sich nach den Tabellen nach Feldmann 1995 bzw. Brusis/Mehrtens 1996 (Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 2301, S. 23 f.) eine MdE um 70 vH ergeben würde. Diese Vorgehensweise widerspricht jedoch den Kriterien des "Königsteiner Merkblatts”, in dem die 4-Frequenztabelle nach Röser 1973 nicht enthalten ist. Vielmehr bemisst sich der prozentuale Hörverlust aus dem Tonschwellenaudiogramm nach dem "Königsteiner Merkblatt” nach der 3-Frequenztabelle nach Röser 1980 (siehe Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 2301, S. 21). Hiernach ergibt sich unter Heranziehung des Tonschwellenaudiogramms vom 9. Februar 1993 entsprechend der zutreffenden Auswertung von Dr. B. ein Hörverlust für das rechte Ohr von 40 % und für das linke Ohr von 50 %, woraus sich in Anwendung der zuvor genannten MdE-Tabellen eine MdE um 30 vH ableitet. Auch wenn dieser Wert unter Berücksichtigung der von 1993 bis 2000 nachweislichen wesentlichen Verschlechterung nach den Darlegungen von Dr. R. einerseits nicht linear um 27 Jahre zurückgerechnet werden kann, so dass zu diesem Zeitpunkt die Unterschreitung einer MdE um 20 vH entgegen Dr. B. und der Gewerbeärztin S. nicht sicher feststeht, bleibt andererseits die Annahme eines solchen Wertes ebenso spekulativ. Damit ist bei der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt des Expositionsendes im Jahre 1966 ein KS von 20 %, ab dem eine Schwerhörigkeit von sozialer Bedeutung begründet ist, nicht voll nachgewiesen.
b) Unabhängig hiervon lässt sich – ohne dass es darauf noch entscheidend ankommt – ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den beruflichen Lärmeinwirkungen und der Schwerhörigkeit der Klägerin auch nicht wahrscheinlich machen. Hierbei ist zu beachten, dass die Anerkennung einer Schwerhörigkeit als BK 50 BKVO-DDR nur möglich ist, wenn die Kausalität mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit begründet werden kann; die theoretische Möglichkeit einer solchen Verursachung genügt dagegen nicht (Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O., S. 76 f.). Gemessen hieran ist auf Grundlage der ermittelten medizinischen Anknüpfungstatsachen bei der gebotenen wertenden Würdigung des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme der Ursachenzusammenhang nicht mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad zu belegen. Denn es spricht weit mehr gegen als für diese Kausalität.
(1) Übereinstimmend haben Dr. B. und Dr. R. darauf hingewiesen, dass ein – hier nicht nachgewiesener – langjähriger Dauerlärmpegel von 85 dB schon nicht ausreicht, eine Schwerhörigkeit des Ausmaßes hervorzurufen, wie sie bei der Klägerin vorliegt. Daran ändert auch eine (gelegentliche) Spitzenexposition mit einem Pegel um 140 dB nichts, zumal die Klägerin nur kurze Zeit in der Zündhütchenfertigung und ansonsten regelmäßig im Elektrobetrieb tätig war. Für die Annahme einer langjährigen Dauerbelastung von weit über 85 dB fehlen damit jegliche Anhaltspunkte.
(2) Weitere erhebliche Zweifel am Ursachenzusammenhang werden durch das bei der Klägerin bestehende Krankheitsbild genährt. Denn bei ihr liegt mit einer pantonal-kombinierten Schwerhörigkeit beiderseits mit beiderseitigem Tinnitus ein lärmuntypischer Zustand vor. Eine kombinierte Schwerhörigkeit ist durch das gleichzeitige Auftreten einer Schalleitungsschwerhörigkeit und einer Innenohrschwerhörigkeit gekennzeichnet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., Abschn. 7.3.3.2.4, S. 422). Charakteristisch für eine Lärmschwerhörigkeit ist demgegenüber gerade keine (kombinierte) Schallleitungsstörung, sondern eine Schallempfindungsschwerhörigkeit vom Haarzelltyp, d.h. eine (reine) Innenohrschwerhörigkeit, worauf Dr. B. und Dr. R. übereinstimmend hingewiesen haben. Auch erhebliche Hörverluste im Tieftonbereich sind für eine Lärmschwerhörigkeit nicht typisch (Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 2301, Rn. 2, S. 32a), was auch Dipl.-Med. O. ausdrücklich eingeräumt hat.
(3) Entscheidend gegen einen Zusammenhang zwischen der Exposition und der Hörminderung der Klägerin spricht letztlich auch der Krankheitsverlauf, nämlich die an Taubheit grenzende Zunahme der Hörverluste ab 1993. Denn eine lärmbedingte Schädigung des Innenohres kann ohne gefährdende Lärmarbeit nicht mehr fortschreiten; eine Ertaubung durch Lärm ist ausgeschlossen (Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O., S. 77; ebenso Merkblatt, a.a.O.).
Ist danach zum Zeitpunkt des Expositionsendes 1966 weder eine soziale Bedeutung im Sinne der BK 50 BKVO-DDR zu sichern noch die bei der Klägerin aktuell bestehende Schwerhörigkeit als Folge einer Lärmeinwirkung von 1954 bis 1966 wahrscheinlich zu machen, kann die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR nicht erfolgen.
2. Auch die hilfsweise begehrte Feststellung, dass die Schwerhörigkeit mit Tinnitus Folge eines Arbeitsunfalls vom 16. März 1960 ist, scheidet aus. Ob der Klägerin nach dem Recht der DDR ein solcher Anspruch zusteht (vgl. § 220 Abs. 1 AGB), kann dahinstehen. Denn jedenfalls sind bei ihr die Voraussetzungen eines insoweit einschlägigen Arbeitsunfalls nach der RVO nicht erfüllt, so dass die daran anschließende Prüfung der geltend gemachten Arbeitsunfallfolgen mangels zugrunde liegenden Versicherungsfalles entfällt.
Nach § 548 Abs. 1 RVO ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den eine versicherte Person bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten (versicherte Tätigkeit) erleidet. Ein Unfall ist ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt – so die heutige Legaldefinition in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, die auf die Jahrzehnte alte Definition in Rechtsprechung und Literatur zurückgeht (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 1/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, m.w.Nw.) und in der Sache auch 1960 galt. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach erforderlich, dass die Verrichtung, die der Versicherte zur Zeit des Unfalls ausübt, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher bzw. innerer Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem von außen auf den Körper wirkenden Ereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass dieses Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden verursacht hat (siehe nur BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 14, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 oder Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 24/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 18). Während für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheits(erst)schaden der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt, müssen die Grundlagen dieser haftungsbegründenen Kausalität – die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der Gesundheits(erst)schaden – vollbeweislich gesichert sein. Dieser Beweisgrad ist erst erfüllt, wenn kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt, wenn also das Gefühl des Zweifels beseitigt ist (siehe BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 5/05 R – SozR 4-5671 § 6 Nr. 2).
a) In Anwendung dieser Maßstäbe ist eine versicherte Tätigkeit der Klägerin am 16. März 1960 zwischen den Beteiligten unstrittig. Der Senat hat jedoch bereits mehr als unerhebliche Zweifel hinsichtlich eines Unfallereignisses. Zwar hat die Klägerin gegenüber Dr. Rasinski für den angeschuldigten Tag nochmals einen Unfallhergang geschildert, der in seinen Grundzügen vor allem durch Frau F. bestätigt wird. Zudem wird durch den SV-Ausweis-Eintrag belegt, dass die Klägerin am 16. März 1960 den Ärztlichen Versorgungsbereich des S.-werkes aufgesucht hatte. Gegen ein (voll) nachgewiesenes Unfallereignis spricht jedoch, dass zum Eintrag im SV-Ausweis in der dafür vorgesehenen Spalte gerade kein Betriebsunfall vermerkt ist. Hinzu tritt, dass in den sorgfältig dokumentierten betrieblichen Störfall- und Unfallaufzeichnungen der Jahre 1954 bis 1968, in denen selbst kleinere Vorkommnisse aufgeführt sind, für den 16. März 1960 weder überhaupt ein Störfall noch ein Unfall der Klägerin enthalten ist. Überdies hat die Klägerin bei Dr. H. während ihrer jahrelangen Behandlung nie ein Explosionstrauma angegeben. Insgesamt verbleiben danach für den Senat im Hinblick auf ein Unfallereignis erhebliche Zweifel.
b) Selbst wenn für den 16. März 1960 jedoch ein Unfallgeschehen entsprechend dem Vortrag der Klägerin unterstellt würde, fehlt immer noch ein einschlägig gesicherter Gesundheitserstschaden. Zwar wäre nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Darlegungen von Dr. R. auch ein Explosionstrauma mit einem Schallpegel unterhalb von 140 dB generell geeignet, eine Hörstörung zu verursachen, wie sie bei der Klägerin derzeit besteht (siehe die Grenze von 137 dB im Merkblatt, a.a.O.). Aus dieser Erkenntnis lässt sich indes noch nichts über einen konkreten Gesundheitserstschaden ableiten. Sein Vollbeweis ist insbesondere auch nicht aus den Angaben der Frauen B., F. und K. zu gewinnen, ihnen sei bei der Klägerin nach einer Explosion im S.-werk eine erhebliche Hörminderung aufgefallen. Denn diesen Bekundungen ist zwar ein wahrgenommener Funktionsverlust zu entnehmen. Sie können aber die fehlenden zeitnahen ärztlichen Befunde deshalb nicht ersetzten, weil sie lediglich ein nicht näher bestimmbares Ausmaß einer Hörminderung wiedergeben, jedoch keinen dafür verantwortlichen Gesundheitserstschaden objektiv belegen. Dies gilt umso mehr, als im SV-Ausweis im Anschluss an den Eintrag vom 16. März 1960 keine Arbeitsunfähigkeit verzeichnet ist. Schließlich haben Dr. H. und Dr. R. an den Trommelfellen auch keinerlei Perforationszeichen gefunden, die auf ein abgelaufenes Trauma rückschließen lassen. Fehlt es damit am erforderlichen Vollbeweis eines einschlägigen Gesundheitserstschadens, kommt es nicht mehr darauf an, ob ein solcher gegebenenfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das von der Klägerin angeschuldigte Unfallereignis zurückzuführen wäre, wogegen etwa sprechen mag, dass ihre Hörschädigung links ausgeprägter ist als rechts. Die daran anschließende Prüfung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den bei der Klägerin gegenwärtig bestehenden Hörverlusten und einem – nicht nachgewiesenen – Arbeitsunfall kann daher erst recht offen bleiben.
Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
III. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Streitig ist, ob bei der Klägerin wegen Hörverlusten eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 50 der Liste der BK´en zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von BK´en der DDR – Lärm, der Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung verursacht, wobei eine soziale Bedeutung vorliegt, wenn die Hörschädigung zu Verständigungsschwierigkeiten mit anderen Personen führt – (BK 50 BKVO-DDR) oder ein Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Die am geborene Klägerin arbeitete von Oktober 1954 an bis Juli 1966 im S.-werk S. und war dann Hausfrau. Von September 1975 an bis Ende Dezember 1983 war sie als Reinigungskraft, anschließend bis Ende Dezember 1987 als Produktionsarbeiterin sowie von Januar 1988 an bis März 1991 wiederum als Reinigungskraft im P.-werk S. beschäftigt. Danach war sie ohne Arbeit. Seit Februar 1997 ist sie Altersrentnerin.
Am 8. Mai 2000 zeigte der Facharzt für HNO-Heilkunde Dipl.-Med. O. der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer BK an. Bei der Klägerin bestehe eine Lärmschwerhörigkeit, die sie auf ihre Tätigkeit im S.-werk S. zurückführe. Er fügte seiner Verdachtsanzeige Tonschwellen- und Sprachaudiogramme vom 29. Februar 2000, dem Tag des Behandlungsbeginns bei.
Zu den beruflichen Lärmeinwirkungen im Sprengstoffwerk gab die Klägerin am 1. Juni 2000 unter anderem an, sie habe 1956 an der Fertigpresse gearbeitet. Nebenan an der Abdeckmaschine sei es zu einer Explosion gekommen, in deren Folge sie eine Eisenplatte an den Kopf bekommen habe. Dadurch sei der Hörschaden entstanden.
Die Fachärztin für HNO-Krankheiten und Allergologie Dr. H. teilte der Beklagten unter Beifügung von Tonschwellen- und Sprachaudiogrammen vom 9. Februar 1993 sowie aus den Jahren 1994, 1997 und 1998 am 22. August 2000 mit, sie habe die Klägerin von 1993 bis 1999 behandelt, eine kombinierte Schwerhörigkeit beiderseits mit einen Tinnitus aurium (Ohrgeräusche) beiderseits und den Verdacht auf das Bestehen einer kombinierten beiderseitige Otosklerose (Verknöcherung der Gehörknöchelchen) gefunden. Die Klägerin habe anamnestisch keine Lärmexposition angegeben. Zur Klärung der Arbeitsplatzsituation der Klägerin im S.-werk S. fand am 4. September 2000 im Nachfolgeunternehmen des früheren Beschäftigungsbetriebes der Klägerin unter ihrer Beteiligung sowie derjenigen der Sicherheitsfachkraft ein Gespräch statt. In den hierzu vom Technischen Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten erstellten Arbeitsplatzanalysen vom 11. und 22. September 2000 führte der TAD aus: In der Zündhütchenhalle sei die Klägerin einem Lärm-Beurteilungspegel von 85 dB (A) ausgesetzt gewesen. Zudem sei es bei der Fertigung der Zündhütchen durch unsachgemäßen Umgang oder Störungen ca. einmal jährlich zu Explosionen gekommen, bei denen ein Schallpegel von über 140 dB (A) angenommen werden könne.
Die Beklagte zog den Sozialversicherungsausweis (SV-Ausweis) der Klägerin vom 10. Oktober 1975 bei. Hieraus gingen für den 23. Oktober 1978, den 12. Juni 1981, den 21. September 1982 sowie für den 9. Juli und den 23. Oktober 1987 Behandlungen bei dem Facharzt für HNO-Krankheiten Dr. P. hervor. Auf entsprechende Anfrage der Beklagten teilte Dr. P. am 18. Oktober 2000 mit, Befundunterlagen hierzu lägen ihm nicht mehr vor.
Die Nachfolgerin des früheren Beschäftigungsbetriebes übersandte der Beklagten am 4. Dezember 2000 Störfallberichte und führte hierzu aus, für die Klägerin seien im Zeitraum von 1955 bis 1957 keine Unfallanzeigen vorhanden. Auch nach den gesichteten Störfallmeldungen früherer Jahre sei die Klägerin nicht als Verunfallte bzw. bei Störfällen anwesende Arbeitnehmerin verzeichnet.
In seiner beratenden Stellungnahme vom 5. Februar 2001 empfahl der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. B., keine BK anzuerkennen. Weder durch eine Dauerbelastung von 85 dB noch durch gelegentliche Spitzenbelastungen von 140 dB könne eine Dauerschädigung der Ohren hervorgerufen werden. Zudem könne diese vor 24 Jahren (gemeint offensichtlich 34 Jahre) beendete leichte Lärmbelastung keine wesentliche Hörminderung verursachen, wie sie bei der Klägerin in Form einer sich seit 1993 stetig verschlechternden kombinierten Schwerhörigkeit mit einer Schallleitungskomponente zwischen 20 und 40 dB in allen Frequenzen bestehe. Auf Grundlage des ersten Tonschwellenaudiogramms vom 9. Februar 1993 ergebe sich rechts bei 1 kHz eine Hörminderung bei 40 dB, bei 2 kHz eine solche bei 50 dB und bei 3 kHz bei 50 dB, woraus sich (nach der 3-Frequenztabelle nach Röser 1980) ein Hörverlust von 40 % ableite. Entsprechend liege links eine Hörminderung bei 1 kHz bei 45 dB, bei 2 kHz bei 50 dB und bei 3 kHz bei 55 dB vor, so dass hier ein Hörverlust von 50 % resultiere. Würden diese Werte unter Berücksichtigung der zwischen 1993 und 1999 nachweislich fortgeschrittenen Hörverschlechterung auf das Expositionsende zurückgerechnet, liege in keinem Fall ein Hörverlust mit sozialer Bedeutung vor, was jedoch Voraussetzung für die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR sei. Schließlich bestehe bei der Klägerin eine Otosklerose, die sich ohne Lärmbelastung entwickle.
Mit Bescheid vom 1. März 2001 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR ab. Voraussetzung einer derartigen BK sei, dass die Erkrankung soziale Bedeutung erreicht habe, was einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (vH) entspreche. Eine solche MdE liege bei der Klägerin nicht vor. Zudem habe sich ihre Hörstörung seit 1993 wesentlich verschlechtert, was jedoch nicht mehr der beruflichen Lärmeinwirkung anzulasten sei. Denn nach wissenschaftlichen Erkenntnissen könne sich eine lärmbedingte Hörstörung nach Beendigung der Exposition nicht verschlimmern. Als Ursache der belegten Verschlechterung sei vielmehr die bei der Klägerin diagnostizierte Otosklerose anzusehen, bei der es sich um eine schicksalhafte Erkrankung ohne Zusammenhang zu beruflichen Lärmeinwirkungen handele. Da auch kein Beweis für das von der Klägerin angegebene Unfallereignis vorliege, sei auch die Anerkennung eines Arbeitsunfalls nicht möglich. Ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe (daher) nicht.
Den hiergegen am 13. März 2001 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. April 2001 als unbegründet zurück. Ergänzend schätzte die Gewerbeärztin S. vom Landesamt für Arbeitsschutz Sachsen-Anhalt in ihrer Stellungnahme vom 4. April 2001 ein, anhand der vorliegenden Audiogramme könne nicht wahrscheinlich gemacht werden, dass bereits zum Zeitpunkt des Expositionsendes 1966 eine berufsbedingte Schwerhörigkeit mit einem Körperschaden (KS) von 20 vH bestanden habe. Die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR sei deshalb nicht zu befürworten.
Am 3. Mai 2001 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben und zur Begründung geltend gemacht, im Sprengstoffwerk seien nicht nur einmal, sondern durchschnittlich dreimal jährlich Explosionsschallpegel von über 140 dB (A) aufgetreten. Für das Vorliegen einer BK 50 BKVO-DDR spreche, dass bei ihr eine Innenohrschwerhörigkeit vorliege. An Schwerhörigkeit leide sie seit dem Explosionstrauma von 1956. Diese Tatsache sowie das Unfallereignis könnten ihre ehemaligen Arbeitskolleginnen I. K. und H. F. bestätigen.
Die Beklagte hat zu der geltend gemachten BK ihre Ausführungen aus dem Vorverfahren wiederholt und darauf verwiesen, dass die Klägerin ihre Hörstörung selbst nicht auf die berufliche Lärmbelastung, sondern auf einen angeschuldigten Unfall des Jahres 1956 zurückführe. Die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall setzte jedoch neben dem vollen Beweis der versicherten Tätigkeit auch diejenigen des Unfallereignisses und der Erkrankung (Gesundheitserstschaden) voraus. Nach den betrieblichen Unfallaufzeichnungen der Jahre 1955 bis 1957 lasse sich der Vollbeweis für ein Ereignis im Jahre 1956 nicht erbringen.
Das SG hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 27. April 2004 in nichtöffentlicher Sitzung erörtert. In diesem Termin hat die Klägerin auch ihren SV-Ausweis vom 14. Oktober 1954 vorgelegt, auf einen Eintrag vom 16. März 1960 hingewiesen (Vorstellung im Ärztlichen Versorgungsbereich des S.-werkes S., ohne nachfolgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) und die Ansicht vertreten, hierdurch werde inhaltlich die bislang – irrtümlich – auf das Jahr 1956 datierte Angabe zum Unfallgeschehen belegt.
Mit Gerichtsbescheid vom 27. April 2004 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Die Klägerin habe weder einen Anspruch auf Anerkennung ihrer Hörstörung als BK noch – hilfsweise – als Folge eines im Jahre 1956 erlittenen Arbeitsunfalls. Es sei schon nicht nachgewiesen, dass sie 1966 schwerhörig gewesen sei. Daneben stehe selbst dann, wenn hiervon ausgegangen werde, nicht mit Wahrscheinlichkeit fest, dass eine solche Schwerhörigkeit wesentlich mit beruflichen Lärmeinwirkungen zusammenhänge und einen KS um wenigstens 20 vH bedingt habe. Hiergegen spreche, dass bei der Klägerin – entgegen ihrer Ansicht – keine reine Innenohr-, sondern eine kombinierte Schwerhörigkeit vorliege. Zudem bestehe eine Otosklerose, die sich lärmunabhängig entwickle. Auch habe die Klägerin bei Dr. H., die erstmals 1993 Hörverluste gefunden habe, keine Lärmexposition angegeben. Schließlich reiche ein Schallpegel von 85 dB regelmäßig nicht aus, eine Lärmschädigung herbeizuführen. Letztlich spreche auch die Zunahme der Hörverluste ab 1993 gegen einen Zusammenhang mit der Expositionszeit von 1954 bis 1966, da eine Lärmschwerhörigkeit ohne gefährdende Lärmeinwirkungen nicht fortschreiten könne. Eine Zuordnung der Schwerhörigkeit als Arbeitsunfallfolge scheide ebenfalls aus. Denn im Jahr 1956 sei für die Klägerin kein Unfall nachgewiesen, bei dem sie durch den Anprall einer Eisenplatte oder eine Explosion eine Schädigung des Hörvermögens erlitten habe. Überdies seien zur Verursachung von Knalltraumen erst Schallpegel ab 150 dB geeignet. Ein solcher Wert sei bei den damaligen Zündhütchenexplosionen nicht erreicht worden. Ein Unfall aus dem Jahr 1960 sei nicht Gegenstand des Verfahrens; hierüber habe die Beklagte bislang keine Entscheidung getroffen.
Gegen den am 30. April 2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27. Mai 2004 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung hat sie ihre bisherige Ansicht vertieft und unterstützend Stellungnahmen von Dipl.-Med. O. vom 13. Dezember 2004 und 27. September 2005 vorgelegt. Hierin hat Dipl.-Med. O. einen Zustand nach Knalltrauma vom 16. März 1960 wiedergegeben und eine an Taubheit grenzende pantonale (den Tieftonbereich betreffende) Innenohrschwerhörigkeit beiderseits diagnostiziert; anamnestisch sei es zu einem extremen Hörverlust gekommen. Auch wenn die audiometrischen Befunde kein typisches Bild einer Lärmschwerhörigkeit zeigten und die Altersschwerhörigkeit bzw. die gegebenenfalls bestehende Otosklerose mit Sicherheit als Mitursache zu werten seien, müsse nach den Angaben der Klägerin ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Hörstörung angenommen werden, wobei wegen des nicht eindeutigen Befundes auch eine Kulanzlösung zu erwägen sei.
Außerdem hat die Klägerin schriftliche Aussagen ihrer früheren Nachbarin B. B. sowie ihrer ehemaligen Kolleginnen H. F. und I. K. vorgelegt. Frau B. hat am 3. Dezember 2005 bekundet, dass ihr bei der Klägerin nach einer Explosion im Sprengstoffwerk ein Hörverlust aufgefallen sei. Frau F. hat am 5. Dezember 2005 ausgeführt: Im Jahre 1960 habe sich im Sprengstoffwerk eine Explosion ereignet. Durch den dabei freigesetzten starken Luftdruck sei auch eine Eisenplatte bewegt worden, die die Klägerin an den Kopf bekommen habe. Die Klägerin sei dann in die Krankenstation gebracht worden. Nach diesem Ereignis habe man mit der Klägerin nicht mehr in normaler Lautstärke sprechen können. Frau K. hat am 30. Januar 2006 vorgetragen, dass die Klägerin unmittelbar nach einer Explosion 1960 im Sprengstoffwerk stark schwerhörig geworden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. April 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 1. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2001 aufzuheben und festzustellen, dass die höchstgradige kombinierte Schwerhörigkeit/Taubheit beiderseits mit Tinnitus eine Berufskrankheit nach Nr. 50 der Liste zur Berufskrankeitenverordnung der DDR ist, hilfsweise, festzustellen, dass die genannte Erkrankung Folge eines Arbeitsunfalls vom 16. März 1960 ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. April 2004 zurückzuweisen.
Sie hält den Gerichtsbescheid für zutreffend. Mit Schreiben vom 22. Februar 2005 hat sie nach Auswertung der bei der Nachfolgerin des früheren Beschäftigungsbetriebes der Klägerin nochmals recherchierten Störfall- und Unfallmeldungen der Jahre 1954 bis 1968, aus denen für den 16. März 1960 weder Störfälle noch ein Unfall der Klägerin, sondern lediglich ein Wegeunfall eines Kollegen hervorgingen, unter Berufung auf die Gründe der angefochtenen Bescheide die Anerkennung eines Arbeitsunfalls vom 16. März 1960 abgelehnt.
Der Senat hat von der Oberärztin der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Dr. R. das nach ambulanter Untersuchung am 21. April 2006 erstellte Gutachten vom 15. Juli 2006 mit ergänzender Stellungnahme vom 29. März 2007 eingeholt. Zum geltend gemachten Unfallereignis hat die Klägerin weiter angegeben, sie habe am 16. März 1960 für einige Wochen als Aushilfe in der Zündhütchenabteilung gearbeitet. Ansonsten sei ihr Arbeitsplatz im Elektrobetrieb gewesen, wo sie Zünder gewickelt habe. Zum Zeitpunkt der Explosion habe sie neben der Fertigpresse gestanden. Eine Eisenplatte (25 cm lang, 10 cm breit und 8 cm dick), in der 20 bis 30 Patronen gesteckt hätten, sei ihr seitlich über dem Ohr an die rechte Schläfe geschlagen. Zwei Kolleginnen hätten sie zur Schwester gebracht, die sie mit Pflaster versorgt habe. Nach einer Stunde sei sie nach Hause gegangen und dann arbeitsunfähig gewesen. Gleich nach dem Unfall habe sie eine Hörstörung sowie ein Pfeifen und Ohrrauschen bemerkt. Dr. R. hat intakte Trommelfelle befundet und eine höchstgradige kombinierte Schwerhörigkeit/Taubheit beiderseits sowie einen Tinnitus in Form eines Rauschens diagnostiziert und dargelegt: Eine Exposition von 85 dB (A) sei zwar generell geeignet, eine berufsbedingte Schwerhörigkeit hervorzurufen. Eine Hörstörung des Ausmaßes, wie sie bei der Klägerin aktuell vorliege, könne hierauf jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit zurückgeführt werden. Auch der weitere Hörabfall ab 1993, der auf lärmunabhängige Ursachen beruhe, sowie die Schallleitungskomponente sprächen gegen das Vorliegen einer BK. Im Hinblick auf den angeschuldigten Unfall sei zwischen einem Knall- und einem Explosionstrauma zu differenzieren, wobei gefährdend jeweils Schalldruckpegel ab 135 dB (A) wirkten. Ein Knalltrauma sei durch eine sehr kurze Schallwelle hoher Intensität gekennzeichnet, wohingegen ein Explosionstrauma mit einer Schalldruckwelle von mehr als 3 Millisekunden verbunden sei und zu einer Zerreißung der Mittelohrstrukturen führe. Kennzeichnend hierfür seien Trommelfellperforationen oder spätere Ohrsekretionen. Falls ein Explosionstrauma angenommen werde, sei die gesamte Hörstörung als unfallbedingt zu werten, obgleich keinerlei Zeichen einer derartigen Explosion an den Trommelfellen vorhanden seien. Für einen Unfallzusammenhang spräche neben den Angaben der Klägerin und der Frauen B., F. und K. auch die Tatsache, dass es sehr oft zu Explosionen mit einem Pegel über 135 dB (A) gekommen sei. Andererseits sei eine sorgfältige Dokumentation von Explosionen und Unfällen vorhanden, in der ein Unfall der Klägerin nicht verzeichnet sei. Zudem habe die Klägerin gegenüber Dr. H. nie eine Lärmexposition oder eine Explosion angegeben. Insgesamt seien daher ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen wesentlichen Ursache nicht auszuschließen. Zur MdE-Bewertung sei zu beachten, dass das Sprachaudiogramm vom 9. Februar 1993 wegen der Unklarheit, ob die angegebene Kurve eine Zahlen- oder Einsilbenkurve sei, nicht verwertet werden könne. Werde das Tonschwellenaudiogramm vom 9. Februar 1993 herangezogen, sei nach der 4-Frequenztabelle nach Röser 1973 ein Hörverlust rechts von 82 % und links von 91 % abzuschätzen, woraus eine MdE um 70 vH resultieren würde. Die von Dr. B. vorgenommene Rückrechnung der MdE auf das Expositionsende sei problematisch, da eine Hörminderung nicht linear fortschreiten müsse. Damit bleibe die genaue Höhe der MdE für das Jahr 1966 letztlich offen.
Die Beklagte hat dazu eingewandt, die Klägerin habe das angeschuldigte Unfallereignis über Jahre auf 1956 datiert und erst am 27. April 2004 auf den 16. März 1960 korrigiert. Eine Arbeitsunfähigkeit nach dem 16. März 1960 sei nicht dokumentiert. Ferner habe das Knalltrauma nach der Unfallschilderung gegenüber Dr. R. die rechte Seite betroffen, wohingegen der Hörverlust links ausgeprägter sei. Im Übrigen sei aus dem Tonschwellenaudiogramm vom 9. Februar 1993 ein Hörverlust von rechts 40 % und links 50 % abzuleiten, woraus sich entgegen Dr. R. keine MdE um 70 vH, sondern eine solche um 30 vH ergebe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
I. Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat ihr Begehren, welches sie gemäß den §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässigerweise als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage verfolgen kann (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 46/03 R – SozR 4-2700 § 2 Nr. 3; Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 19/06 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 23, m.w.N.), zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 1. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2001 ist nicht zu beanstanden und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Bei ihr kann weder eine BK 50 BKVO-DDR festgestellt werden (nachfolgend unter 1.) noch hat sie einen Anspruch auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls (hierzu unter 2.), wobei entgegen der Ansicht des SG von den genannten Bescheiden auch ein Unfallereignis vom 16. März 1960 erfasst wird. Denn die Klägerin hat für diesen Tag nicht etwa ein weiteres Unfallgeschehen angeschuldigt, sondern ihren inhaltlich gleich bleibenden Vortrag nur hinsichtlich des Datums korrigiert. Folgerichtig hat sich die Beklagte in ihrem Schreiben vom 22. Februar 2005, welches rechtlich als wiederholende Verfügung zu qualifizieren ist (vgl. die Abgrenzung zum Zweitbescheid, von Wulffen/Engelmann, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 31 Rn. 32), insoweit auf die Ablehnungsgründe ihrer angefochtenen Bescheide berufen und – zutreffend – keinen rechtsbehelfsfähigen (Zweit-)Bescheid erlassen.
Anzuwenden sind hier noch die bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Denn die den Ansprüchen der Klägerin möglicherweise zugrunde liegenden Versicherungsfälle (BK bzw. Arbeitsunfall) sollen nach ihrem Vorbringen vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) – am 1. Januar 1997 eingetreten sein (siehe Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7. August 1996, BGBl. I 1996, 1254 ff.; §§ 212 ff. SGB VII). Nach § 215 Abs. 1 SGB VII ist für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 (in der DDR) eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und BK´en nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs. 2 und 3 RVO weiter, also über das Inkrafttreten des SGB VII hinaus, anzuwenden. Gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1996 gültigen Fassung gelten Arbeitsunfälle und Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle bzw. BK´en der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle bzw. BK´en im Sinne des Dritten Buches der RVO. Dies gilt u.a. nicht für Arbeitsunfälle und Krankheiten, die einem ab dem 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (§ 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO). Diese Vorschrift ist hier einschlägig, weil die Beklagte erst am 8. Mai bzw. 1. Juni 2000 Kenntnis von einer möglichen Lärmexposition bzw. einem Unfall der Klägerin erlangt hat. Anhaltspunkte für einen früheren Termin sind weder ersichtlich noch von der Klägerin behauptet.
Voraussetzung der geltend gemachten Ansprüche ist demnach, dass die Hörstörung der Klägerin die Anerkennungskriterien eines Arbeitsunfalls bzw. einer BK sowohl nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht als auch nach der RVO erfüllt (ständige Rechtsprechung des BSG, siehe nur Urteil vom 4. Dezember 2001 – B 2 U 35/00 R – SozR 3-8440 Nr. 50 Nr. 1; Urteil vom 18. August 2004 – B 8 KN 1/03 U R – SozR 4-5670 Anl. 1 Nr. 2402 Nr. 1; vgl. auch Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung, BT-Drucks 12/405, S. 116 Buchst. b). Dies ist hier nicht der Fall.
1. Ob bei der Klägerin die Feststellungsmerkmale einer BK nach dem Recht der RVO vorliegen (siehe § 551 Abs. 1 RVO in Verbindung mit Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung – Lärmschwerhörigkeit – BK 2301), kann der Senat offen lassen. Denn schon nach DDR-Recht scheidet die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR aus.
Die Fortgeltung des hier einschlägigen DDR-Rechts im Beitrittsgebiet dient der (zeitlich befristeten) Wahrung eines in der DDR etablierten rechtlichen Status bis zur endgültigen Überleitung des Unfallversicherungsrechts (siehe BT-Drucks. 11/7817, S. 158). Der historischen Auslegung der Vorschriften, insbesondere der Konkretisierung der Normen durch die Rechts- und Verwaltungspraxis der DDR, kommt deshalb ein besonderes Gewicht zu. Normativer Ausdruck hiervon ist Art. 19 des Einigungsvertrages (BGBl. II Nr. 35/1990 – EV), wonach Verwaltungsakte der DDR, die in der Regel auf deren Verwaltungspraxis beruhen, nach Maßgabe dieser Vorschrift wirksam bleiben. Die Vertragsparteien des EV wollten erkennbar die Verwaltungspraxis der DDR als Grundlage für fortbestehende Verwaltungsakte anerkennen, sofern rechtsstaatliche Grundsätze oder Regelungen des EV nicht entgegenstehen. Dabei haben Bestimmungen und Auslegungsgrundsätze, die von spezifisch sozialistischen Wertungen und Rechtsmaximen geprägt sind, unberücksichtigt zu bleiben (siehe nochmals BSG, Urteil vom 4. Dezember 2001, s.o.).
Nach § 221 des Arbeitsgesetzbuches der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I 185 – AGB) in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 der BKVO-DDR vom 26. Februar 1981 (GBl. I 137) ist eine BK eine Erkrankung, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen wird und die in der Liste der BK´en genannt ist. Unter Nr. 50 der 1. Durchführungsverordnung zur BKVO-DDR (Liste der BK´en) vom 21. April 1981 (GBl. I 139) ist eine Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung, die durch Lärm verursacht wird, als BK genannt, wobei eine soziale Bedeutung vorliegt, wenn die Hörschädigung zu Verständigungsschwierigkeiten mit anderen Personen führt. Erforderlich für die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR ist demnach neben dem Beleg einer ausreichenden Lärmexposition der Nachweis einer Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung im Sinne von Verständigungsschwierigkeiten mit anderen Personen, die durch diesen beruflichen Lärm verursacht worden ist (siehe Konetzke/Rehbohle/Heuchert, Berufskrankheiten, Gesetzliche Grundlagen zur Meldung, Begutachtung und Entschädigung, 2. Aufl., Berlin 1987, S. 76 f.). Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind bei der Klägerin nicht erfüllt.
a) Zwar ist auf Grundlage der Diagnosen von Dr. H., Dipl.-Med. O. und Dr. R. seit Februar 1993 eine Schwerhörigkeit gesichert. Es fehlt jedoch zum einen am Nachweis dafür, dass diese bis spätestens 1966 mit sozialer Bedeutung eingetreten war. Zum anderen steht auch nicht fest, dass die Klägerin in der Zeit von Oktober 1954 an bis Juli 1966 einem Lärm-Beurteilungspegel von 85 dB (A) ausgesetzt gewesen war, ab dem grundsätzlich eine berufsbedingte Hörschädigung entstehen kann (vgl. Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O., S. 74 f.; ebenso Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur BK 2301, Bekanntmachung vom 1. Juli 2008, GMBl. 2008, 798 ff. – Merkblatt). Denn entgegen der Annahme des TAD in seinen Stellungnahmen vom 11. und 22. September 2000 war die Klägerin gerade nicht während ihrer gesamten Beschäftigungszeit im S.-werk S. in der Zündhütchenfertigung tätig, sondern lediglich als Aushilfe für wenige Wochen im März 1960, wie sie selbst gegenüber Dr. R. klargestellt hat.
(1) Eine Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung war gegeben, wenn nach den Ergebnissen der audiometrischen Untersuchung ein KS von mindestens 20 % resultierte (siehe Empfehlung der Gesellschaft für Oto-Rhino-Laryngologie und zervikofaziale Chirurgie der DDR für die Begutachtung von Hörschäden vom 1. Oktober 1985, abgedruckt in: Berufskrankheiten im Gebiet der neuen Bundesländer 1945 bis 1990, Sonderheft 4 der Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin (Sonderheft), Berlin 1994, S. 265 ff. – Empfehlung –; Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O., S. 74; Richtlinie des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR zur Begutachtung von arbeitsbedingten Hörschäden vom 1. September 1989, abgedruckt in: Sonderheft, S. 271). Ohrgeräusche konnten bei der Bewertung des KS nur dann (mit maximal 10 %) berücksichtigt werden, wenn sich bereits allein aus dem Hörverlust ein KS von 20 % ergab (Empfehlung, a.a.O., S. 264; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand April 2008, M 2301, Rn. 9, S. 42). Maßgeblich für die Einschätzung des KS ist gemäß § 215 Abs. 6 SGB VII in Verbindung mit § 1154 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVO die Regelung des § 56 SGB VII. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die Höhe der MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Verletzten durch die Folgen des Versicherungsfalls beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf medizinisch-wissenschaftlichem Gebiet. Hierbei sind jedoch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum bei einer Vielzahl von Schäden für die Schätzung der MdE herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die in Form von Tabellenwerten zusammengefasst sind. Diese sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der MdE unterbreitet (siehe nur BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 – B 2 U 24/00 R – SozR 3-2200 § 581 RVO Nr. 8). Der Grad des KS entspricht damit regelmäßig demjenigen der MdE (BSG, Urteil vom 4. Dezember 2001, a.a.O.). Bezogen auf eine berufliche Hörminderung sind bei der MdE-Bewertung die Empfehlungen für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit ("Königsteiner Merkblatt”, 4. Auflage 1995, abgedruckt in: Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 2301, S. 6 ff.) einschlägig.
(2) Ausgehend hiervon hat Dr. R. wegen der Unverwertbarkeit des Sprachaudiogramms vom 9. Februar 1993 aus den Werten des Tonschwellenaudiogramms vom selben Tag zwar nach der 4-Frequenztabelle nach Röser 1973 (abgedruckt etwa in den vom damaligen Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996, S. 71) einen Hörverlust rechts von 82 % und links von 91 % bestimmt, woraus sich nach den Tabellen nach Feldmann 1995 bzw. Brusis/Mehrtens 1996 (Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 2301, S. 23 f.) eine MdE um 70 vH ergeben würde. Diese Vorgehensweise widerspricht jedoch den Kriterien des "Königsteiner Merkblatts”, in dem die 4-Frequenztabelle nach Röser 1973 nicht enthalten ist. Vielmehr bemisst sich der prozentuale Hörverlust aus dem Tonschwellenaudiogramm nach dem "Königsteiner Merkblatt” nach der 3-Frequenztabelle nach Röser 1980 (siehe Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 2301, S. 21). Hiernach ergibt sich unter Heranziehung des Tonschwellenaudiogramms vom 9. Februar 1993 entsprechend der zutreffenden Auswertung von Dr. B. ein Hörverlust für das rechte Ohr von 40 % und für das linke Ohr von 50 %, woraus sich in Anwendung der zuvor genannten MdE-Tabellen eine MdE um 30 vH ableitet. Auch wenn dieser Wert unter Berücksichtigung der von 1993 bis 2000 nachweislichen wesentlichen Verschlechterung nach den Darlegungen von Dr. R. einerseits nicht linear um 27 Jahre zurückgerechnet werden kann, so dass zu diesem Zeitpunkt die Unterschreitung einer MdE um 20 vH entgegen Dr. B. und der Gewerbeärztin S. nicht sicher feststeht, bleibt andererseits die Annahme eines solchen Wertes ebenso spekulativ. Damit ist bei der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt des Expositionsendes im Jahre 1966 ein KS von 20 %, ab dem eine Schwerhörigkeit von sozialer Bedeutung begründet ist, nicht voll nachgewiesen.
b) Unabhängig hiervon lässt sich – ohne dass es darauf noch entscheidend ankommt – ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den beruflichen Lärmeinwirkungen und der Schwerhörigkeit der Klägerin auch nicht wahrscheinlich machen. Hierbei ist zu beachten, dass die Anerkennung einer Schwerhörigkeit als BK 50 BKVO-DDR nur möglich ist, wenn die Kausalität mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit begründet werden kann; die theoretische Möglichkeit einer solchen Verursachung genügt dagegen nicht (Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O., S. 76 f.). Gemessen hieran ist auf Grundlage der ermittelten medizinischen Anknüpfungstatsachen bei der gebotenen wertenden Würdigung des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme der Ursachenzusammenhang nicht mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad zu belegen. Denn es spricht weit mehr gegen als für diese Kausalität.
(1) Übereinstimmend haben Dr. B. und Dr. R. darauf hingewiesen, dass ein – hier nicht nachgewiesener – langjähriger Dauerlärmpegel von 85 dB schon nicht ausreicht, eine Schwerhörigkeit des Ausmaßes hervorzurufen, wie sie bei der Klägerin vorliegt. Daran ändert auch eine (gelegentliche) Spitzenexposition mit einem Pegel um 140 dB nichts, zumal die Klägerin nur kurze Zeit in der Zündhütchenfertigung und ansonsten regelmäßig im Elektrobetrieb tätig war. Für die Annahme einer langjährigen Dauerbelastung von weit über 85 dB fehlen damit jegliche Anhaltspunkte.
(2) Weitere erhebliche Zweifel am Ursachenzusammenhang werden durch das bei der Klägerin bestehende Krankheitsbild genährt. Denn bei ihr liegt mit einer pantonal-kombinierten Schwerhörigkeit beiderseits mit beiderseitigem Tinnitus ein lärmuntypischer Zustand vor. Eine kombinierte Schwerhörigkeit ist durch das gleichzeitige Auftreten einer Schalleitungsschwerhörigkeit und einer Innenohrschwerhörigkeit gekennzeichnet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., Abschn. 7.3.3.2.4, S. 422). Charakteristisch für eine Lärmschwerhörigkeit ist demgegenüber gerade keine (kombinierte) Schallleitungsstörung, sondern eine Schallempfindungsschwerhörigkeit vom Haarzelltyp, d.h. eine (reine) Innenohrschwerhörigkeit, worauf Dr. B. und Dr. R. übereinstimmend hingewiesen haben. Auch erhebliche Hörverluste im Tieftonbereich sind für eine Lärmschwerhörigkeit nicht typisch (Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 2301, Rn. 2, S. 32a), was auch Dipl.-Med. O. ausdrücklich eingeräumt hat.
(3) Entscheidend gegen einen Zusammenhang zwischen der Exposition und der Hörminderung der Klägerin spricht letztlich auch der Krankheitsverlauf, nämlich die an Taubheit grenzende Zunahme der Hörverluste ab 1993. Denn eine lärmbedingte Schädigung des Innenohres kann ohne gefährdende Lärmarbeit nicht mehr fortschreiten; eine Ertaubung durch Lärm ist ausgeschlossen (Konetzke/Rehbohle/Heuchert, a.a.O., S. 77; ebenso Merkblatt, a.a.O.).
Ist danach zum Zeitpunkt des Expositionsendes 1966 weder eine soziale Bedeutung im Sinne der BK 50 BKVO-DDR zu sichern noch die bei der Klägerin aktuell bestehende Schwerhörigkeit als Folge einer Lärmeinwirkung von 1954 bis 1966 wahrscheinlich zu machen, kann die Anerkennung einer BK 50 BKVO-DDR nicht erfolgen.
2. Auch die hilfsweise begehrte Feststellung, dass die Schwerhörigkeit mit Tinnitus Folge eines Arbeitsunfalls vom 16. März 1960 ist, scheidet aus. Ob der Klägerin nach dem Recht der DDR ein solcher Anspruch zusteht (vgl. § 220 Abs. 1 AGB), kann dahinstehen. Denn jedenfalls sind bei ihr die Voraussetzungen eines insoweit einschlägigen Arbeitsunfalls nach der RVO nicht erfüllt, so dass die daran anschließende Prüfung der geltend gemachten Arbeitsunfallfolgen mangels zugrunde liegenden Versicherungsfalles entfällt.
Nach § 548 Abs. 1 RVO ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den eine versicherte Person bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten (versicherte Tätigkeit) erleidet. Ein Unfall ist ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt – so die heutige Legaldefinition in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, die auf die Jahrzehnte alte Definition in Rechtsprechung und Literatur zurückgeht (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 1/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, m.w.Nw.) und in der Sache auch 1960 galt. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach erforderlich, dass die Verrichtung, die der Versicherte zur Zeit des Unfalls ausübt, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher bzw. innerer Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem von außen auf den Körper wirkenden Ereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass dieses Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden verursacht hat (siehe nur BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 14, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 oder Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 24/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 18). Während für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheits(erst)schaden der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt, müssen die Grundlagen dieser haftungsbegründenen Kausalität – die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der Gesundheits(erst)schaden – vollbeweislich gesichert sein. Dieser Beweisgrad ist erst erfüllt, wenn kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt, wenn also das Gefühl des Zweifels beseitigt ist (siehe BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 5/05 R – SozR 4-5671 § 6 Nr. 2).
a) In Anwendung dieser Maßstäbe ist eine versicherte Tätigkeit der Klägerin am 16. März 1960 zwischen den Beteiligten unstrittig. Der Senat hat jedoch bereits mehr als unerhebliche Zweifel hinsichtlich eines Unfallereignisses. Zwar hat die Klägerin gegenüber Dr. Rasinski für den angeschuldigten Tag nochmals einen Unfallhergang geschildert, der in seinen Grundzügen vor allem durch Frau F. bestätigt wird. Zudem wird durch den SV-Ausweis-Eintrag belegt, dass die Klägerin am 16. März 1960 den Ärztlichen Versorgungsbereich des S.-werkes aufgesucht hatte. Gegen ein (voll) nachgewiesenes Unfallereignis spricht jedoch, dass zum Eintrag im SV-Ausweis in der dafür vorgesehenen Spalte gerade kein Betriebsunfall vermerkt ist. Hinzu tritt, dass in den sorgfältig dokumentierten betrieblichen Störfall- und Unfallaufzeichnungen der Jahre 1954 bis 1968, in denen selbst kleinere Vorkommnisse aufgeführt sind, für den 16. März 1960 weder überhaupt ein Störfall noch ein Unfall der Klägerin enthalten ist. Überdies hat die Klägerin bei Dr. H. während ihrer jahrelangen Behandlung nie ein Explosionstrauma angegeben. Insgesamt verbleiben danach für den Senat im Hinblick auf ein Unfallereignis erhebliche Zweifel.
b) Selbst wenn für den 16. März 1960 jedoch ein Unfallgeschehen entsprechend dem Vortrag der Klägerin unterstellt würde, fehlt immer noch ein einschlägig gesicherter Gesundheitserstschaden. Zwar wäre nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Darlegungen von Dr. R. auch ein Explosionstrauma mit einem Schallpegel unterhalb von 140 dB generell geeignet, eine Hörstörung zu verursachen, wie sie bei der Klägerin derzeit besteht (siehe die Grenze von 137 dB im Merkblatt, a.a.O.). Aus dieser Erkenntnis lässt sich indes noch nichts über einen konkreten Gesundheitserstschaden ableiten. Sein Vollbeweis ist insbesondere auch nicht aus den Angaben der Frauen B., F. und K. zu gewinnen, ihnen sei bei der Klägerin nach einer Explosion im S.-werk eine erhebliche Hörminderung aufgefallen. Denn diesen Bekundungen ist zwar ein wahrgenommener Funktionsverlust zu entnehmen. Sie können aber die fehlenden zeitnahen ärztlichen Befunde deshalb nicht ersetzten, weil sie lediglich ein nicht näher bestimmbares Ausmaß einer Hörminderung wiedergeben, jedoch keinen dafür verantwortlichen Gesundheitserstschaden objektiv belegen. Dies gilt umso mehr, als im SV-Ausweis im Anschluss an den Eintrag vom 16. März 1960 keine Arbeitsunfähigkeit verzeichnet ist. Schließlich haben Dr. H. und Dr. R. an den Trommelfellen auch keinerlei Perforationszeichen gefunden, die auf ein abgelaufenes Trauma rückschließen lassen. Fehlt es damit am erforderlichen Vollbeweis eines einschlägigen Gesundheitserstschadens, kommt es nicht mehr darauf an, ob ein solcher gegebenenfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das von der Klägerin angeschuldigte Unfallereignis zurückzuführen wäre, wogegen etwa sprechen mag, dass ihre Hörschädigung links ausgeprägter ist als rechts. Die daran anschließende Prüfung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den bei der Klägerin gegenwärtig bestehenden Hörverlusten und einem – nicht nachgewiesenen – Arbeitsunfall kann daher erst recht offen bleiben.
Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
III. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
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