L 10 Ar 1132/87

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 19 Ar 542/85
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 10 Ar 1132/87
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. Juni 1987 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. April 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 1985 verurteilt, dem Kläger ab 1. April 1985 Arbeitslosengeld zu gewähren.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um das Ruhen des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld nach § 118 b Arbeitsförderungsgesetz (AFG).

Der 1930 geborene Kläger war vom 28. November 1955 bis zum 31. März 1985 bei der Deutschen BP AG mit einem Monatsentgelt von zuletzt 4.101 DM brutto beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch fristgemäße ordentliche Kündigung der Arbeitgeberin vom 23. März 1984. Das Monatsentgelt setzte sich wie folgt zusammen: Grundentgelt 3.609 DM, Erfahrungszulage 160 DM, Schichterschwerniszulage 280 DM, vermögenswirksame Leistungen 52 DM. Ab dem 1. April 1985 erhielt der Kläger nach den Bestimmungen des Stützungsplanes der Arbeitgeberin eine monatliche Alterspension von 2.405 DM brutto und eine Ausgleichszahlung in Höhe von 476 DM brutto, insgesamt also 2.881 DM, und nach den Bestimmungen des Pensionsstatuts der Arbeitgeberin eine Schichtdienstpension von 278 DM monatlich. Mit Erreichen der Altersgrenze für eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind diese Bezüge entsprechend zu kürzen. Von diesen Bezügen werden keine Sozialversicherungsabgaben entrichtet. Auf den Stützungsplan, einer Gesamtbetriebsvereinbarung zwischen der Arbeitgeberin und dem Gesamtbetriebsrat der Arbeitgeberin vom 5. April 1982 und das Pensionsstatut, einer Gesamtbetriebsvereinbarung vom 30. November 1979, die der Kläger im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegt hat, wird Bezug genommen.

Am 1. April 1985 beantragte der Kläger bei der Beklagten Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 15. April 1985 lehnte die Beklagte die Gewährung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe ab, weil die Bezüge aus dem Stützungsplan Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung ähnlich seien. Gemäß § 118 b AFG ruhe der Anspruch auf Arbeitslosengeld während der Zeit, für die der Arbeitslose Vorruhestandsgeld mindestens in Höhe von 60 v.H. des Bruttoarbeitsentgelts im Sinne von § 3 Abs. 2 Vorruhestandsgesetz (VRG) beziehe.

Den am 3. Mai 1985 eingelegten Widerspruch begründete der Kläger wie folgt: Er erhalte kein Vorruhestandsgeld. Das Pensionsstatut gelte insofern schon seit 1959 und der Stützungsplan sei aus dem Jahre 1982. Im übrigen handele es sich um lebenslange Leistungen, die nur bei Bestehen eines Rentenanspruchs entsprechend zu kürzen seien. Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Arbeitgeberin mit, die Leistungen an den Kläger seien keine Vorruhestandsleistungen im Sinne des VRG.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1985 wurde der Widerspruch von der. Beklagten zurückgewiesen, weil die dem. Kläger von seiner früheren Arbeitgeberin gewährten Leistungen dem Vorruhestandsgeld im Sinne des VRG gleichständen. Das VRG enthalte keine die Anwendung des § 118 b AFG einengende Begriffsdefinition. Unter Vorruhestandsgeld seien nicht nur Leistungen der Arbeitgeber zu verstehen, für die diese einen Zuschuß nach dem VRG beanspruchen könnten, sondern auch sonstige Leistungen der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf deren Bezeichnung, wenn sie u.a. regelmäßig für Zeiträume nach beendetem Arbeitsverhältnis anfallen. Dies sei für die vom Kläger bezogenen Leistungen der Fall, zumal eine Kürzung bis zum frühesten Zeitpunkt der Geltendmachung eines gesetzlichen Rentenanspruchs unterbleibe und eine Höhe von mindestens 65 v.H. des Bruttoarbeitsentgeltes erreicht werde.

Mit der am 9. Juli 1985 beim Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main erhobenen Klage hat der Kläger sich weiter gegen die Versagung des Arbeitslosengeldes gewandt und vorgetragen: Der Stützungsplan sei ein Sozialplan, um ausscheidende Beschäftigte seiner früheren Arbeitgeberin für den Verlust des Arbeitsplatzes zu entschädigen. Die Auslegung des § 118 b AFG durch die Beklagte entspreche nicht dem Zweck der Regelungen, zwei Leistungen mit Lohnersatzfunktion zu verhindern, denn die Leistungen des Klägers seien keine Lohnersatzleistungen, sondern Entschädigungen für den Verlust des Arbeitsplatzes. Im übrigen würden die Leistungen, die der Kläger erhalte, im Gegensatz zum Vorruhestandsgeld nicht auf Tarifvertrag oder einzelvertraglichen Regelungen beruhen.

Ein Antrag des Klägers auf Arbeitslosenhilfe wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 7. Oktober 1986 abgelehnt, der durch Bescheid vom 3. Dezember 1986 ersetzt wurde, der wiederum Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits wurde.

Durch Urteil vom 2. Juni 1987 hat das SG die Klage abgewiesen und führt in den Entscheidungsgründen aus: Die dem Kläger von seiner früheren Arbeitgeberin gezahlte Pension sei Vorruhestandsgeld im Sinne des § 118 b AFG. Zwar erfolge die Zahlung nicht aufgrund eines Tarifvertrages, sondern aufgrund einer Betriebsvereinbarung, diese sei jedoch gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz Bestandteil des Arbeitsvertrages zwischen dem Kläger und seiner früheren Arbeitgeberin gewesen. Der Begriff des Vorruhestandsgeldes im Sinne des § 118 b AFG setze nicht voraus, daß alle Voraussetzungen des VRG erfüllt sein müßten, es genüge, daß die Zahlung vor Eintritt in den Ruhestand im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung geleistet werde. Es handele sich nicht um eine Abfindung aus dem Sozialplan, sondern um eine vorzeitige Zahlung der Pension aus der betrieblichen Altersversorgung, wie sich aus Nr. 2.2.1.1 des Stützungsplanes ergebe.

Gegen dieses dem Kläger am 4. September 1987 zugestellte Urteil richtet sich dessen am 30. September 1987 eingelegte Berufung, die wie folgt begründet wird: Sein Anspruch auf eine lebenslange Alterspension ergebe sich grundsätzlich aus § 1 Abs. 1 c des Pensionstatuts. Diese habe bei seiner Entlassung 1.895 DM betragen. Der Stützungsplan verweise lediglich auf diese Regelung und führe zu einer Hinzurechnung von acht fiktiven Dienstjahren gemäß seiner Nr. 8.2.2, was eine Erhöhung von ca. 510 DM monatlich bewirke. Hiervon würden mit Beginn einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ca. 360 DM wegfallen. Die restlichen 150 DM erhalte er auf Lebenszeit. Die Ausgleichs Zahlung in Höhe von 476 DM habe ihre Rechtsgrundlage allein im Stützungsplan (Nr. 2.2.8) und falle mit dem Erreichen des 60. Lebensjahres weg, ohne Rücksicht darauf, ob er dann schon einen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung habe oder nicht. Die Schichtdienstpension richte sich nach § 25 des Pensionsstatuts und werde lebenslang gewährt. Unter Vorruhestandsgeld im Sinne des § 118 b AFG seien Leistungen nach dem VRG zu verstehen. Leistungen nach dem VRG würden aufgrund von Tarifverträgen oder Vereinbarungen mit dem Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 VRG erbracht. Im vorliegenden Fall würden die Leistungen aufgrund von Gesamtbetriebsvereinbarungen erbracht, die ausdrücklich nicht in § 2 Abs. 1 VRG aufgenommen worden seien. Die Leistungen der Arbeitgeberin seien nicht wie Vorruhestandsgeldzeitlich begrenzt, sondern würden ihm lebenslang, wenn auch gekürzt, sobald eine Rente gewährt werde, oder bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ohne Rücksicht auf eine mögliche Rentengewährung, gewährt. Im Gegensatz zum Vorruhestandsgeld könne er unbegrenzt hinzuverdienen. Ein Verbot von Erwerbstätigkeit gebe es nicht. Der Rechtsgrund für § 118 b AFG liege darin, daß das Vorruhestandsgeld von der Beklagten mitfinanziert werde und entsprechende Versicherte ohne diese Regelung praktisch zwei Leistungen von der Beklagten erhielten. Seine frühere Arbeitgeberin erhalte von der Beklagten keinen Zuschuß zu den an ihn gezahlten Leistungen. Im übrigen würde das Vorruhestandsgeld in zahlreichen Vorschriften einem beitragspflichtigen Entgelt gleichgestellt, für die Leistung, die er von seiner früheren Arbeitgeberin erhalte, gelte dies aber nicht.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. Juni 1987 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. April 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 1985 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und meint, die Verdienstbeschränkung des § 6 Abs. 1 VRG wirke sich nicht auf das Vorruhestandsgeld, sondern auf den Anspruch auf Zuschüssen zu den Vorruhestandsleistungen aus. Im übrigen trage der § 118 b AFG dem Grundgedanken des § 118 AFG Rechnung, wonach der Arbeitslose nicht gleichzeitig zwei Lohnersatzleistungen erhalten solle.

Während des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten folgenden Teilvergleich geschlossen:

1) Die Beklagte verpflichtet sich, über den Anspruch des Klägers auf Anschlußarbeitslosenhilfe nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens über den Anspruch auf Arbeitslosengeld den Kläger erneut zu bescheiden.

2) Der Kläger nimmt insoweit die Klage zurück.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist auch begründet. Der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld ruht nicht gemäß § 118 b AFG.

Anspruch auf Arbeitslosengeld hat nach § 101 Abs. 1 AFG, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt hat. Diese Voraussetzungen sind bei dem Kläger erfüllt, wie sich aus dem Antrag in der Verwaltungsakte ergibt und zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist.

Dieser Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld ruht nicht gemäß § 118 b AFG. Nach § 118 b AFG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während der Zeit, für die der Arbeitslose Vorruhestandsgeld mindestens in Höhe von 65 v.H. des Bruttoarbeitsentgelts im Sinne des § 3 Abs. 2 des VRG bezieht. Im Gesetz selbst ist der Begriff "Vorruhestandsgeld” nicht näher definiert. In den Gesetzesmaterialien zu dieser durch das Gesetz zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand vom 13. April 1984 (BGBl. I, S. 601), durch das das VRG geschaffen wurde, eingeführten Regelung ist hierzu ausgeführt: "Die Vorschrift bestimmt, daß Bezieher von Vorruhestandsgeld im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des VRG kein Arbeitslosengeld erhalten. Diese Personen gehören nicht zum Kreis der durch die Arbeitslosenversicherung geschützten Arbeitnehmer, weil Vorruhestandsgeld nur erhält, wer aus dem Arbeitsleben ausscheidet. Die Vorschrift gilt für die Arbeitslosenhilfe entsprechend (§ 134 Abs. 4 Satz 1 AFG).” (Bundestagsdrucksache 10/880, S. 19).

Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil der Kläger kein Vorruhestandsgeld im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a VRG bezieht. Denn Vorruhestandsgeld nach dieser Vorschrift setzt eine Zahlung des Arbeitgebers an den ausgeschiedenen Arbeitnehmer aufgrund eines Tarifvertrages, einer Regelung der Kirchen und der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft oder einer Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer voraus. Die Zahlung aufgrund einer Betriebsvereinbarung ist nicht aufgeführt und dies ist nach den Gesetzesmaterialien auch bewußt so geschehen, weil solche als Grundlage zur Schaffung von Vorruhestandsregelungen ausgeschlossen sind (Bundestagsdrucksache a.a.O., S. 15). Bei der direkten Regelung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer muß es sich um einen Einzelvertrag handeln (Bundestagsdrucksache a.a.O.). Im vorliegenden Fall werden die Leistungen nicht aufgrund eines Tarifvertrages oder eines Einzelvertrages zwischen dem Kläger und seiner früheren Arbeitgeberin erbracht, sondern aufgrund von zwei Betriebsvereinbarungen.

An diesem klaren Ergebnis aufgrund der eindeutigen Aussage des Gesetzestextes und der Gesetzesbegründung ändert sich auch nichts durch § 77 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz, nach dem Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten. Denn eine Betriebsvereinbarung wird dadurch nicht zu einer einzelvertraglichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wie sie das VRG voraussetzt. Gleiches gilt für die allgemeinen Überlegungen der Beklagten zu u.a. dem Grundgedanken des § 118 AFG und dem Bezug von zwei Lohnersatzleistungen, zumal ihnen ebenso grundlegende Überlegungen hinsichtlich dem Eigentumsschutz des Arbeitslosengeldes aus Art. 14 Grundgesetz, der lebenslangen Zahlung eines großen Teils der Leistungen der früheren Arbeitgeberin an den Kläger, das Alter des Stützungsplanes und des Pensionsstatuts usw. entgegenstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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