L 9 U 815/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 6107/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 815/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Januar 2005 insoweit aufgehoben, als das Sozialgericht beim Kläger als Unfallfolgen eine HWS-Distorsion III. Grades und eine mittelgradige depressive Erkrankung festgestellt und dem Kläger über den 30. Juni 2003 hinaus Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH zugesprochen hat. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob beim Kläger als Folgen des Arbeitsunfalls vom 26. Oktober 2000 eine HWS-Distorsion III. Grades und eine mittelgradige depressive Erkrankung festzustellen sind und ihm Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vH zu gewähren ist.

Der 1957 geborene Kläger war als Schreiner versicherungspflichtig beschäftigt. Auf dem Weg zur Arbeit am Morgen des 26. Oktober 2000 fuhr der Kläger mit seinem Fahrzeug, einem Mercedes der C-Klasse, in Richtung Bondorf, als ihm um 6.56 Uhr in einem Kreuzungsbereich ein Kleintransporter der Marke IVECO-turbodaily von rechts rechtwinklig gegen die Beifahrerseite prallte. Nach dem Polizeibericht schleuderte das Fahrzeug des Klägers aufgrund der Aufprallgeschwindigkeit in ein rechts angrenzendes Gartengrundstück und kam dort rückwärts zum Stehen, während der Kleintransporter, vom Wagen des Klägers abgewiesen, zunächst gegen einen Laternenmast und eine Werbetafel schleuderte und dann quer zum Fahrbahnverlauf zum Stehen kam. Nach dem Protokoll des Notarztes, der um 7.08 Uhr an der Unfallstelle eintraf, befand sich der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Trage auf dem Weg in den Rettungswagen. Er war orientiert und konversationsfähig und gab an sich an den Unfallhergang erinnern zu können. Im Kreiskrankenhaus (KKH) Herrenberg wurde um 7.52 Uhr folgender Befund erhoben: Zeitlich, örtlich und zur Person orientierter Verletzter, keine Amnesie vor Unfallereignis, keine Übelkeit, keine Commotiosymptomatik, Kreislauf stabil, Groborientierung keine neurologischen Ausfälle, Bewegung der Arme und Beine spontan, Weichteildruckschmerz HWS Dornfortsätze, multiple Rissplatzwunden rechte Stirnseite und übers ganze Gesicht verteilt. Die Röntgenaufnahmen des Schädels ergaben keinen Anhalt für eine frische knöcherne Verletzung. Es wurden eine Schädelprellung mit multiplen Rissplatzwunden Stirn rechts und gesamtes Gesicht, eine HWS-Distorsion und Glassplitterverletzungen im Gesicht diagnostiziert und neben einer chirurgischen Wundversorgung eine Schanz`sche Krawatte angelegt (D-Arzt-Bericht von Dr. R. vom 26. Oktober 2000).

Vom 26. Oktober bis 2. November 2000 wurde der Kläger stationär behandelt. Gegenüber der Neurologin Dr. R. klagte der Kläger am 27. Oktober 2000 über starke Kopfschmerzen, Schmerzen an der linken Nasenseite und im Nacken und leichte Übelkeit. Der neurologische Befund und das am 6. November 2000 abgeleitete EEG waren regelrecht, der psychische Befund am 27. Oktober 2000 unauffällig (Neurologischer Befundbericht von Dr. R. vom 8. November 2000). Die anschließende ambulante Heilbehandlung wurde von Dr. R. am 24. November 2000 für beendet erklärt. Bei der klinischen Untersuchung habe sich eine weiche Halsmuskulatur gezeigt. Die Beugung und Streckung der HWS sei frei gewesen, die Bewegung bei der Linksdrehung sei jedoch noch endgradig schmerzhaft. Die Wunden seien verheilt. Der Kläger sei ab 27. November 2000 wieder arbeitsfähig. Eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß werde nicht verbleiben (Bericht von Dr. R. vom 24. November 2000).

Vom 4. bis 18. Dezember 2000 war der Kläger wieder arbeitsunfähig. Er klagte über einschießende Beschwerden von der HWS ausgehend in den Hinterkopf. Klinisch zeigte sich eine völlig weiche Schultergürtel- und Halsmuskulatur. Die Bewegung des Kopfes war durch Schonhaltung eingeschränkt. Durch Schonung (Schanz`sche Krawatte) und antiphlogistische Maßnahmen besserte sich das Beschwerdebild. Eine erneute neurologische Untersuchung durch Dr. R. am 5. Dezember ergab keine Auffälligkeiten (Neurologischer Befundbericht vom 27. Dezember 2000 und Berichte von Dr. R. vom 4. Dezember und 18. Dezember 2000).

Am 18. Januar 2001 stellte sich der Kläger erneut im KKH vor und klagte über Beschwerden im Bereich der HWS mit starker Ausstrahlung in den Hinterkopf. Der Kläger wurde zur Abklärung stationär am Freitag, dem 19. Januar 2001 aufgenommen. Am 19. Januar 2001 durchgeführte CT`s der HWS und des Schädels ergaben keine auffälligen Befunde (Befundbericht von Dr. Sch. vom 23. Januar 2001). Vor Einleitung einer weiteren antiphlogistischen Behandlung verließ der Kläger gegen ärztlichen Rat am Sonntag, dem 21. Januar 2001 das KKH. Nachdem sich der Kläger am Montag, dem 22. Januar 2001 wieder vorgestellt hatte, schloss Dr. R. die ambulante Heilbehandlung am 22. Januar 2001 ab und empfahl dem Kläger, sich bei erneuten Beschwerden in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Tübingen (BG-Klinik) vorzustellen (Bericht vom 22. Januar 2001).

In der Folge wandte sich der Kläger an Dr. iur. B. G., Institut für Medizinschaden-Begutachtung. Dieser führte sodann mit der Beklagten einen Schriftwechsel (Schreiben vom 10. März, 24. April und 12. Juni 2001), in welchem er geltend machte, die Unfallfolgen seien seitens des KKH unterschätzt worden.

Am 2. April 2001 stellte sich der Kläger in der BG-Klinik vor. Im Bericht vom 5. April 2001 führte Prof. Dr. K. aus, es fänden sich eine Verspannung der Nackenmuskulatur mit ausgeprägten Myogelosen und eine schmerzhafte Einschränkung der HWS-Beweglichkeit. Bei chronischen Beschwerden nach HWS-Distorsion werde eine Serie Physiotherapie rezeptiert. Der Kläger sei weiterhin arbeitsfähig. Bei einer weiteren Vorstellung am 30. April 2001 zeigte sich keine Befundänderung. Es wurde eine Kernspintomographie des cervikalen Spinalkanals veranlasst. Dr. K. fand eine normale Konfiguration und Weite des cervikalen Spinalkanals und in den unteren und mittleren Segmenten eine deutliche Höhenminderung und Signalverlust (Dehydratation) der Bandscheiben (Befundbericht vom 16. Mai 2001). Es wurde Voltaren rezeptiert und der Kläger weiterhin als arbeitsfähig angesehen (Bericht von Prof. Dr. K. vom 16. Mai 2001).

Die Beklagte zog ein Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Böblingen-Leonberg vom 26. April 2001 bei, welches u.a. eine Arbeitsunfähigkeit (AU) vom 28. Februar bis 11. März 2000 wegen einer depressiven Episode und im Zusammenhang mit dem Unfall vom 26. Oktober 2000 AU-Zeiten vom 26. Oktober bis 26. November, 4. bis 18. Dezember 2000 und vom 19. bis 26. Januar 2001 ausweist. Laut einer Mitteilung der IKK vom 7. Mai 2001 war der Kläger ab 23. April 2001 nach Auffassung des behandelnden Arztes H. wieder unfallbedingt arbeitsunfähig erkrankt.

Die Beklage ließ Prof. Dr. K. (unter Mitarbeit von Oberarzt Dr. B.) das unfallchirurgische Gutachten vom 11. Juli 2001 und Prof. Dr. M. (unter Mitarbeit von PD Dr. S.) das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 19. Juli 2001 erstatten.

Prof. Dr. K. führte aus, es sei bei dem Unfall zu einer hochenergetischen Beschleunigungsverletzung der HWS gekommen. Das Fahrzeug des Klägers sei durch den Aufprall erheblich versetzt worden, sodass ein kombinierter Bewegungsimpuls aus Seitneigung nach rechts und Inkliniation bei forcierter Bremsung anzunehmen sei. Die Schnittverletzungen am Kopf belegten auch einen Kopfanprall. In der Folgezeit habe sich beim Kläger ein chronisches HWS-Syndrom entwickelt. Mittels bildgebender Verfahren hätten aber keine strukturellen Verletzungen der HWS objektiviert werden können. Weder das CT vom Januar noch die Kernspinuntersuchung im Mai zeigten Anhaltpunkte für eine knöcherne oder ligamentäre Verletzung. Aufgrund des Unfallmechanismus sei jedoch von einer mindestens zweitgradigen HWS-Distorsion auszugehen. Diese habe zu einer vorübergehenden Verschlimmerung des degenerativen Vorschadens geführt. Eine Richtunggebung könne aber aufgrund der fehlenden strukturellen Verletzungen nicht objektiviert werden. Substrat der vorübergehenden Verschlimmerung bleibe somit eine vorzeitige Akzentuierung des degenerativen Krankheitsbildes. Eine Beschleunigung der degenerativen Veränderungen durch den Unfall könne nicht festgestellt werden. Es verbleibe somit als Unfallfolge eine vorübergehende Verschlimmerung der degenerativen Erkrankung. Nach Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit sei ab 23. Januar 2001 bis 23. Juli 2001 eine MdE von 20 vH und vom 24. Juli bis 24. November 2001 eine MdE von 10 vH anzunehmen. Ab dem 25. November 2001 bestehe keine unfallbedingte MdE mehr.

Prof. Dr. M. führte aus, der körperliche Befund habe einen etwas verwahrlosten Probanden mit eingeschränkter Beweglichkeit der HWS und erhöhtem Blutdruck gezeigt. Auf neurologischem Gebiet sei kein krankhafter Befund zu erheben gewesen. Auf psychiatrischem Fachgebiet sei die Diagnose einer mittelgradig ausgeprägten depressiven Episode mit Beginn vermutlich im Dezember 2000 zu stellen, welche unfallfremd sei, aber die Wiederaufnahme der Arbeitsfähigkeit und die Bewältigung des Unfallereignisses erschwere. Der Kläger sei auf die Therapiebedürftigkeit der depressiven Störung hingewiesen worden. Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestünden nicht.

Mit Bescheid vom 10. August 2001 und Widerspruchsbescheid vom 19. November 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der nun noch bestehenden Beschwerden an der HWS ab. Ein Anspruch auf Verletztenrente bestehe nicht.

Hiergegen erhob der Kläger am 3. Dezember 2001 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Zur Begründung verwies er zunächst auf den Strafbefehl vom 15. März 2001, durch welchen gegen den Fahrer des Kleintransporters wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung eine Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen verhängt worden war und auf das Gutachten des Dr. B. für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 12. März 2002, wonach die seit 11. Januar 2002 bestehende Arbeitsunfähigkeit auf fortbestehenden erheblichen Beschwerden von Seiten der HWS mit Bewegungseinschränkung in allen Richtungen und erheblichen Schmerzen beruhe. Zusätzlich sei es jetzt auch zu psychosomatischen Problemen und Angstsymptomen gekommen, weswegen seit kurzem eine psychiatrische Mitbehandlung eingeleitet worden sei.

Auf Veranlassung des Hausarztes des Klägers H. (Gutachten zum Antrag auf medizinische Rehabilitation vom 15. April 2002) führte die Landesversicherungsanstalt Württemberg (jetzt Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg -DRV-) für den Kläger ein stationäres Heilverfahren in der Rheintalklinik Bad Krozingen vom 25. Juli bis 22. August 2002 durch. Die dortigen Ärzte diagnostizierten im Entlassungsbericht vom 29. August 2002 ein cervicocephales Syndrom, Zustand nach Verkehrsunfall mit HWS-Distorsion 10/00, radiologische Verknöcherung des vorderen Längsbandes C 5/6, depressive Störung mit Hypersomnie, Konzentrationsstörung und rascher Ermüdbarkeit, Adipositas und führten aus, bei der klinischen Untersuchung habe bis auf eine Fehlstatik mit Hohlrundrücken und mäßiger BWS-Skoliose keine diagnoseweisende Symptomatik erhoben werden können. In wiederholten Einzelgesprächen habe sich eine erhebliche psychische Belastungsreaktion mit eindeutig depressiver Symptomatik, verbunden mit Angst vor wiederkehrenden Schmerzen, Hypersomnie sowie Schwindelsymptomatik und Konzentrationsstörungen offenbart.

Der Kläger legte sodann die vom Landgericht Stuttgart (LG) in dem gegen den Unfallverursacher und seine Haftpflichtversicherung angestrengten Verfahren 27 O 281/02 eingeholten Gutachten des Unfallchirurgen PD Dr. H. vom 27. Mai 2003 ( Unfallfolgen seien eine diskoligamentäre Instabilität HWK 5/6 nach Seitkollision mit adäquater Krafteinleitung, ein schwerstes lokales HWS-Syndrom mit diskoligamentärer Hypermobilität, Bewegungseinschränkung, zeitweise auftretenden radikulären Problemen sowie einer psychischen Alteration), des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Dr. W. vom 12. Mai 2003 (die mittelgradige depressive Episode habe sich im Anschluss an den Wegeunfall vom 26. Oktober 2000 manifestiert. Der Kläger sei zuvor nie in ambulanter oder stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen. Eine familiäre Belastung bestehe nicht. Es sei daher festzuhalten, dass es beim Kläger unfallbedingt zu einer mittelschweren Depression gekommen sei) und des Rechtsmediziners Prof. Dr. M. vom 28. Juli 2003 (für die Kausalität zwischen dem Unfall vom 26. Oktober 2000 und den zum Teil bis heute andauernden Beschwerden sprächen die erhebliche Kollisionsschwere, die weit oberhalb der sogenannten biomechanischen Grenzwerte liege, ab der man die Entstehung solcher Beschwerden für möglich halte, das nicht unerhebliche Kopfkontakttrauma mit anzunehmendem Abknickmechanismus der HWS als massiv risikoerhöhendem Faktor, die für ein sogenanntes HWS-Schleudertrauma typische HWS-Symptomatik, die depressive Entwicklung als ein typisches Symptom eines sogenannten HWS-Schleudertraumas sowie das Fehlen gleichartiger Beschwerden in der Vorgeschichte und der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Unfall und den nachher aufgetretenen Beschwerden) vor.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete Prof. Dr. P. unter Mitarbeit der Oberärzte Dres. F. und Ilchmann das fachorthopädische Gutachten vom 28. August 2003. Er diagnostizierte eine HWS-Distorsion Grad III mit leichter discoligamentärer Instabilität des HWK 5/6 bei erhaltener schmerzhafter Bewegungseinschränkung. Er führte aus, der Kläger habe angegeben, nicht angeschnallt gewesen zu sein und das gegnerische Fahrzeug nicht gesehen zu haben. Es habe sich bei dem Unfall um einen kombinierten Bewegungsimpuls aus Seitneigung nach rechts sowie Abknicken der HWS durch Kopfanprall mit gleichzeitigem Nachschieben des Oberkörpers gehandelt. Wegen des seitlichen Auffahrunfalls sei es zu keinem Schutz der HWS durch eine regelrecht sitzende Kopfstütze gekommen. Die HWS des Klägers zeige keine wesentlichen, dem Alter vorauseilenden degenerativen Veränderungen. Die Verkalkungen im Bereich der Deckplatte des HWK 6 seien für einen degenerativen Osteophyten eher ungewöhnlich. Es handele sich möglicherweise eher um eine Verkalkung einer Einblutung des vorderen Längsbandes. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit werde auf 20 vH eingeschätzt.

Nachdem die Beklagte unter Vorlage der Stellungnahmen des beratenden Chirurgen Dr. B. vom 10. Dezember 2003 vorgetragen hatte, eine HWS-Distorsion des Schweregrades III nach Erdmann bzw. gemäß Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage S. 554 ff. habe mangels entsprechender zeitnaher Befunde nicht vorgelegen, vertrat Prof. Dr. P. in der ergänzenden Stellungnahme vom 12. Juli 2004 die Auffassung, die Einteilung der Verletzung der HWS in Schweregrade von Erdmann betreffe nur "non-contact"-Verletzungen und keine Kopfanpralltraumen wie im Falle des Klägers. Zwar bestehe kein hundertprozentiger Beweis einer knöchernen oder ligamentären Verletzung, die Veränderungen an der Deckplatte HWK 6 und die von Vorgutachtern beschriebene pathologische Beweglichkeit im Bereich HWK 5/6 wiesen aber auf eine stattgehabte Verletzung in diesem Bewegungssegment hin.

Der Kläger legte die für das LG erstatteten Gutachten des Dipl.-Ing W. über die Insassenbelastung vom 5. April und 5. Juli 2003, die Niederschrift der öffentlichen Sitzung des LG vom 3. November 2003 mit der Vernehmung der Sachverständigen Prof. Dr. M., PD Dr. H. und Dr. Dr. W., das Urteil des LG vom 3. November 2003 und den Bescheid der DRV Baden-Württemberg vom 4. Juli 2003 über die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. August 2002 bis zum 30. Juni 2005 vor und trug vor, unter Berücksichtigung der psychischen Unfallfolgen betrage die MdE 50 vH.

Mit Urteil vom 19. Januar 2005 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 10. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2001 auf und verurteilte die Beklagte, als Folgen des Wegeunfalls vom 26. Oktober 2000 eine Distorsion der HWS III. Grades mit einer leichten discoligamentären Instabilität mit Bewegungseinschränkungen der HWS sowie eine mittelgradige depressive Erkrankung anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 vH ab 22. Januar 2001 zu gewähren. Die Einschätzung des Schweregrads der HWS-Distorsion durch Prof. Dr. P. und PD Dr. H. sei im Hinblick auf die vorliegende Unfalldokumentation, die Kollisionsgeschwindigkeit und die Unterschiedlichkeit der am Unfall beteiligten Fahrzeugen schlüssig und überzeugend. Hinsichtlich des Bestehens einer mittelgradigen depressiven Erkrankung, beginnend kurz nach dem Unfall im Dezember 2000, bestehe ärztlicherseits Einigkeit. Der nicht weiter begründeten Auffassung von Prof. Dr. M., es handele sich um eine unfallfremde Erkrankung, werde angesichts des leeren Vorerkrankungsverzeichnisses und des auffallenden zeitlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Manifestation der fortbestehenden depressiven Erkrankung nicht gefolgt. Eine MdE um 20 vH auf Dauer sei unter Berücksichtigung der Unfallfolgen angemessen.

Gegen das den Beteiligten am 15. Februar 2005 zugestellte Urteil richten sich die Berufung des Klägers vom 25. Februar 2005 und die Berufung der Beklagten vom 9. März 2005. Während der Kläger die Auffassung vertritt, dass die unfallbedingte Depression eine MdE um 40 vH begründe und daher eine Gesamt-MdE um 50 vH bestehe, verneint die Beklagte das Vorliegen der vom SG festgestellten Unfallfolgen und einen Anspruch auf Verletztenrente. Eine HWS-Läsion III. Grades sei nicht nachweisbar. Hinsichtlich der depressiven Erkrankung werde nicht berücksichtigt, dass der Kläger schon vor dem Unfall wegen einer depressiven Episode arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und dass der seit dem Unfall verstrichene Zeitraum von mehr als vier Jahren gegen einen Kausalzusammenhang mit dem Arbeitsunfall spreche.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Januar 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der vom Sozialgericht festgestellten Folgen des Arbeitsunfalls vom 26. Oktober 2000 Verletztenrente nach einer MdE um 50 vH ab 22. Januar 2001 zu gewähren und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Januar 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Senat hat die Rehabilitations- und Rentenakten des Klägers bei der DRV beigezogen, die behandelnden Ärzte des Klägers, den Allgemeinarzt H. und den Neurologen und Psychiater Dr. St. als sachverständige Zeugen befragt, von Amts wegen die Gutachten des Orthopäden Dr. H. vom 1. Juni 2006 mit ergänzender Stellungnahme vom 28. Juli 2007 und des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. Dr. W. vom 16. August 2006 mit ergänzender Stellungnahme vom 12. Juli 2007 sowie auf Antrag des Kläger gemäß § 109 SGG das Gutachten von PD Dr. R. vom 24. Juli 2008 eingeholt.

Den Akten der DRV ist zu entnehmen, dass dem Kläger auf Grund eines am 11. Januar 2002 eingetretenen Leistungsfalls wiederholt befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. August 2002 bewilligt wurde, derzeit bis zum 30. Juni 2009. Der Erstbewilligung lagen die von der DRV beigezogenen Gutachten von PD Dr. H. vom 27. Mai 2003 und von Dr. Dr. W. vom 12. Mai 2003, ein Befundbericht von Dr. St. vom 24. Juni 2004, ein chirurgisches Gutachten von Dr. N. vom 16. Juni 2003, ein internistisches Gutachten von Dr. G. vom 11. Juni 2003 und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. Sch. vom 2. Juli 2003 zugrunde. Der Weiterbewilligung ging eine medizinische Rehabilitationsmaßname in der Schloßbergklinik Bad Buchau vom 18. November bis 16. Dezember 2004 voraus, aus der der Kläger mit den Diagnosen akzentuierte Persönlichkeit mit paranoiden Zügen, Somatisierungsstörung, cervicocephales Syndrom (Zustand nach Verkehrsunfall mit HWS-Distorsion 10/2000) mit Spondylarthrose der HWS, Spondylose und Spondylchondrose der BWS und Adipositas mit einem Leistungsvermögen von weniger als 6 Stunden täglich entlassen wurde. Auf den Weitergewährungsantrag vom 1. März 2007 holte die DRV einen Befundbericht des Hausarztes H. vom 21. März 2007 (seit ca. 1 ½ Jahren äußere der Kläger deutlich psychotische Bewusstseinsinhalte) und das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. vom 8. Mai 2007 ein. Dieser diagnostizierte eine Persönlichkeitsvariante mit paranoiden und schizoiden Zügen und eine anamnestisch zeitweise deutlicher ausgeprägte depressive Verstimmung und führte aus, die mäßigen Auffälligkeiten hätten sich schon 2004 in Bad Buchau gezeigt. Der Kläger sei weiterhin in seiner Belastbarkeit beeinträchtigt und nur unter 6 Stunden einsetzbar.

Der Hausarzt H. hat als sachverständiger Zeuge unter dem 26. Juli 2005 ausgeführt, die im Vorerkrankungsverzeichnis aufgeführte Arbeitsunfähigkeit vom 28. Februar bis 11. März 2000 habe auf einer reaktiven Depression beruht, also auf einer Erkrankung, die sich aus der augenblicklichen Lebenssituation des Klägers entwickelt habe und nicht aus einer grundsätzlichen psychischen Konstitution. Der Kläger hat hierzu erklärt, ein Schlaganfall seiner Mutter, die deshalb vom 27. Februar bis 7. März 2000 stationär habe behandelt werden müssen, und eine gleichzeitige schwere Erkrankung seines Schäferhundes, welcher später habe eingeschläfert werden müssen, hätten bei ihm eine seelische Ausnahmesituation hervorgerufen.

Dr. St. hat am 23. Januar 2006 mitgeteilt, der Kläger befinde sich seit dem 27. Februar 2002 in seiner regelmäßigen Behandlung. Als Diagnosen habe er eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD10:F45.4) sowie eine mittelgradige depressive Episode (ICD10 F32.1) gestellt. Später hätten sich auch eine allgemeine Müdigkeit mit Erschöpfungsgefühlen und Schlafstörungen eingestellt. In Würdigung der gesamten Krankheitsgeschichte nehme er aber inzwischen eine anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach Verkehrsunfall (ICD32.0) an.

Dr. H. hat die Röntgenaufnahmen und insbesondere die Computertomographie der HWS vom 19. Januar 2001 und die Kernspintomographie der HWS vom 16. Mai 2001 nachbefundet und ist zu dem Ergebnis gelangt, bei einem Unfallgeschehen, das biomechanisch prinzipiell geeignet gewesen sei, auch eine gesunde HWS zu schädigen, ergäben sich nach der vorliegenden Bildgebung klare Hinweise auf eine unfallbedingte Schädigung des 6. Halswirbels. Es finde sich auf der Höhe des 6. HW-Körpers eine Unregelmäßigkeit der oberen Knochenrinde auf Höhe der Deckplatte. Der Befund sei vereinbar mit einem Bruch eines etwa 0,5x0,2 cm-Fragments von der Deckplatte im vorderen Bereich. Dieser Unfallschaden sei aber nicht geeignet, eine letztlich diffuse chronische Beschwerdesymptomatik auszulösen. Hingegen könne er die in den seitlichen Funktionsaufnahmen vom 2. April 2001 beschriebene "minimale" Rückverschiebung der Wirbelkörper in den Segmenten C 4/ C5 und C5/C6 nicht als eine unfallbedingte segmentale Instabilität im Sinne einer Bandruptur interpretieren. Beim Kläger bestünden chronische Nackenschmerzen bei in etwa altersüblichen degenerativen Veränderungen in der unteren HWS nach HWS-Distorsion im Rahmen des Verkehrsunfalls vom 26. Oktober 2000 mit primär stabiler knöcherner Verletzung des 6. Halswirbels ohne neurologische Ausfallerscheinungen. Mit Wahrscheinlichkeit könne eine zeitlich befristete Schmerzsymptomatik für 6 bis maximal 12 Monate nach HWS-Distorsion mit knöcherner Verletzung auf den Unfall zurückgeführt werden. Er schätze die unfallbedingte MdE für die ersten 6 Monate nach dem Unfall auf 20 vH und danach für die Dauer von weiteren 6 Monaten auf 10 vH. Eine darüber hinausgehende MdE halte er in Anbetracht einer nicht gravierenden strukturellen Verletzung der HWS nicht für nachvollziehbar. An dieser Beurteilung hat Dr. H. trotz der Einwendungen des Klägers und der Beklagten in der ergänzenden Stellungnahme vom 28. Juli 2007 festgehalten.

Prof. Dr. Dr. W. hat ausgeführt, die neurologische Untersuchung habe keinen belangvollen Befund ergeben. In psychopathologischer Hinsicht hätten sich wesentliche Auffälligkeiten in Form von paranoiden und Beeinflussungsideen ergeben, die nach den vorliegenden Unterlagen und den eigenen Angaben des Klägers erstmals im Frühjahr 2001 aufgetreten seien. Der Kläger habe bei dem Unfall zweifelsfrei eine komplexe Zerrung der HWS und der umgebenden Strukturen erlitten. Es könne dahingestellt bleiben, ob hieraus eine discoligamentäre Instabilität der HWS resultiert habe, jedenfalls habe das cervicale Kernspintomogramm rund ein halbes Jahr nach dem Unfallereignis keine wesentlichen Auffälligkeiten mehr gezeigt und es hätten zu diesem Zeitpunkt keine belangvollen neurologischen Ausfälle mehr vorgelegen. Es sei auch festzuhalten, dass die Versorgung des Klägers in den ersten Monaten nach dem Unfall nicht glücklich verlaufen und eine angemessene Therapie mit physiotherapeutischen und deeskalierenden Maßnahmen unterblieben sei. Nachdem zudem mehrere Arbeitsversuche gescheitert seien, habe hieraus nachvollziehbar eine gewisse Chronifizierung der Schmerzsymptomatik resultiert. In Bezug auf die psychoreaktiven Unfallfolgen ergäben sich Hinweise auf eine depressive Verarbeitung nicht des Unfalls selbst, sondern des Verlaufs danach. Komplizierend komme aber hinzu, dass sich nicht "lediglich" das Bild einer depressiven Anpassungsstörung gezeigt habe, sondern darüber hinaus schwerwiegende psychische Beeinträchtigungen erkennbar geworden seien, die zwar in gewissem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis beobachtet worden seien, im Verlauf jedoch eine erhebliche Exazerbation gezeigt hätten. Während in den beiden Vorgutachten von Prof. Dr. M. und Dr. Dr. W. "lediglich" von einer depressiven Störung berichtet werde, würden ab 2004 in erheblichem Umfang Symptome und Wahnideen genannt, welche zu einem Zeitpunkt aufgetreten seien (Frühjahr 2001), als bezüglich der somatischen Situation bereits eine Deeskalation zu erkennen gewesen sei. Auch unter Berücksichtigung der wie auch immer gearteten depressiven Symptomatik im Frühjahr 2000 könne er sich nicht mit der geforderten überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass die jetzt bestehende paranoid-wahnhafte Symptomatik durch das Unfallereignis hervorgerufen und unterhalten werde. Er gehe vorübergehend von einer mittelbar durch die wenig glücklich verlaufene Erstversorgung nach dem Unfall aufgetretenen depressiven Anpassungsstörung aus, welche die aktuell im Vordergrund stehende Symptomatik ausgelöst, jedoch nicht wesentlich verursacht habe. Soweit retrospektiv beurteilbar habe diese von April 2001 bis Sommer 2003 eine MdE von 20 vH bedingt, danach liege keine unfallbedingte, das neurologisch-psychiatrische Fachgebiet betreffende MdE mehr vor.

An dieser Beurteilung hat Prof. Dr. Dr. W. auch trotz der Einwendungen des Klägers und der Beklagten (beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. S. vom 23. März 2007) in der ergänzenden Stellungnahme vom 12. Juli 2007 festgehalten.

PD Dr. R. hat in dem auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG erstatteten Gutachten vom 24. Juni 2008 ausgeführt, beim Kläger habe bereits vor dem Unfall am 26. Oktober 2000 eine psychiatrische Erkrankung bestanden, die der Allgemeinmediziner H. als reaktive Depression diagnostiziert habe. Als Auslöser seien damals ein Schlaganfall der Mutter und die schwere Erkrankung des Schäferhunds genannt worden. Unmittelbar im Anschluss an den Unfall, d.h. vermutlich ab Dezember 2000 sei eine mittelgradig ausgeprägte depressive Episode durch Prof. Dr. M. und PD Dr. S. festgestellt worden. Durch Dr. Dr. W. und ihn sei im Rahmen der fachpsychiatrischen Begutachtung vom 12. Mai 2003 eine mittelgradige depressive Episode gefunden worden. Bei der neuropsychologisch-psychiatrischen Begutachtung durch Prof. Dr. Dr. W. sei eine anhaltende wahnhafte Störung diagnostiziert worden. Zusammenfassend sei davon auszugehen, dass beim Kläger eine schizoaffektive Störung (ICD-10 F25) vorliege, die bisher zu mindestens drei Episoden geführt habe und derzeit unter Medikation weitgehend remittiert sei. In Abweichung von der Vorbegutachtung vom 12. Mai 2003 gehe er davon aus, dass die schizoaffektive Störung beim Kläger bereits vor dem Unfall vorgelegen habe und damals vom Hausarzt als reaktive Depression diagnostiziert worden sei. Durch den Unfall sei es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer erneuten Exazerbation des vorbestehenden Leidens gekommen. Die sich an den Unfall anschließende Erkrankungsphase ab Dezember 2000 sei daher mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 26. Oktober 2000 zurückzuführen. Soweit retrospektiv beurteilbar gehe er von einer MdE von 30 vH ab Dezember 2000 bis Sommer 2003 aus. Danach liege keine unfallbedingte MdE mehr vor.

Dieser Beurteilung ist die Beklagte unter Vorlage einer weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme von Prof. Dr. S. entgegengetreten. Die Diagnose einer schizoaffektiven Störung werde in dem Gutachten nicht begründet. Es werde auch nicht mitgeteilt, aufgrund welcher empirischen Befunde PD Dr. R. zu der Einschätzung gelangt sei, dass durch das Unfallereignis eine Verschlimmerung der vorbestehenden psychischen Erkrankung eingetreten sei. Über eine Verschlimmerung schizoaffektiver Störungen durch Unfallereignisse, wie es der Kläger erlebt habe, werde im Schrifttum nicht berichtet. Von den Erstbehandlern seien auch weder neurologische noch psychische Auffälligkeiten attestiert worden. Es sei auch nicht nachzuvollziehen, dass hierdurch Funktions- und Teilhabestörungen aufgetreten seien, die von Dezember 2000 bis Sommer 2003 eine MdE von 30 vH begründet hätten. Es werde nicht begründet und bleibe unklar, worin diese unfallbedingten Beeinträchtigungen bestanden haben sollten. Weder die im Gutachten vom 12. Mai 2003 angegebenen Beschwerden noch die erhobenen Befunde seien für eine schizoaffektive Psychose typisch.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die beigezogenen Akten der DRV, die SG-Akten und die Senatsakte.

Entscheidungsgründe:

Die form und fristgerecht eingelegten Berufungen des Klägers und der Beklagten sind zulässig. Berufungsausschließungsgründe i.S.d. § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist teilweise sachlich begründet, während die des Klägers unbegründet ist. Nach dem Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme im Berufungsverfahren liegen beim Kläger im Zeitpunkt der Entscheidung durch das SG und durch den Senat keine Unfallfolgen in Form einer HWS-Distorsion III. Grades und keine mittelgradige depressive Erkrankung mehr vor. Auch hat der Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 26. Oktober 2000 einen lediglich zeitlich begrenzten Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH. Auf die Berufung der Beklagten wurde das Urteil des SG insoweit aufgehoben, als das SG beim Kläger als Unfallfolgen eine HWS-Distorsion III. Grades und eine mittelgradige depressive Erkrankung festgestellt und dem Kläger über den 30. Juni 2003 hinaus Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH zugesprochen hat.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles - hier eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 8 SGB VII - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.

Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist u.a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. dem dadurch eingetretenen Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Gesundheitserstschaden und den fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich- philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. die zusammenfassende Darstellung der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung im Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 17 = BSGE 96, 196-209 und JURIS).

Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nach dem Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 (aaO. Rdnr. 15) nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn.

Im Urteil vom 09. Mai 2006 (aaO. Rdnr. 21) hat das BSG keinen Zweifel daran gelassen, dass die Theorie der wesentlichen Bedingung auch uneingeschränkt auf die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Arbeitsunfällen und psychischen Störungen anzuwenden ist, die nach Arbeitsunfällen in vielfältiger Weise auftreten können. Die Feststellung der psychischen Störung sollte angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglichen Schulenstreiten aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen. Denn je genauer und klarer die beim Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, desto einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten (BSG aaO Rdnr. 22). Das BSG hat im weiteren darauf hingewiesen, dass es wegen der Komplexität von psychischen Gesundheitsstörungen im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel des Inhalts gebe, dass bei fehlender Alternativursache (etwa wenn eine Vorerkrankung oder Schadensanlage nicht nachweisbar sind) die versicherte naturwissenschaftliche Ursache (also die Einwirkung durch den Arbeitsunfall, festgestellt auf der ersten Stufe der Ursächlichkeitsprüfung) damit auch automatisch zu einer wesentlichen Ursache (im Sinne der Ursächlichkeitsprüfung auf der zweiten Stufe) wird. Dies würde angesichts der Komplexität psychischer Vorgänge und des Zusammenwirkens gegebenenfalls lange Zeit zurückliegender Faktoren zu einer Umkehr der Beweislast führen, für die keine rechtliche Grundlage erkennbar sei (BSG aaO Rdnr. 39). Andererseits schließt aber eine "abnorme seelische Bereitschaft" die Annahme der psychischen Reaktion als Unfallfolge nicht aus. Wunschbedingte Vorstellungen sind aber als konkurrierende Ursachen zu würdigen und können der Bejahung eines wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und der psychischen Reaktion entgegenstehen (BSG aaO Rdnrn 37, 38).

Von diesen Grundsätzen ausgehend stellt der Senat anhand des Polizeiberichts zunächst fest, dass der Kläger am frühen Morgen des 26. Oktober 2000 beim Zurücklegen des mit seiner versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges nach dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) einen Unfall erlitten hat, als in einem Kreuzungsbereich ein Kleintransporter rechtwinklig von rechts gegen die Beifahrerseite des Fahrzeugs des Klägers prallte und das Fahrzeug des Klägers durch die Aufprallgeschwindigkeit in ein angrenzendes Gartengrundstück schleuderte. Das Fahrzeug des Klägers wurde großflächig beschädigt ab der Hinterkante des vorderen rechten Radhauses bis zur Vorderkante des hinteren rechten Radhauses mit der tiefsten Eindrückung (Eindringtiefe ca. 40 bis 50 cm) im Bereich der B-Säule. Dies entnimmt der Senat den vom Kläger vorgelegten, im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Gutachten des Dipl.-Ing. W. vom 5. April und 5. Juli 2003, in welchen dieser auch ausführt, dass die deutlichen Geschwindigkeitsänderungen (16,5 km/h in Längsrichtung und 31,22 km/h in Querrichtung) beim Kläger als "stossfernem Insassen" des Fahrzeugs eine Beschleunigung des Klägers in Richtung der B-Säule und damit eine Beschleunigung der HWS ausgelöst hätten. In Übereinstimmung mit der unfallversicherungsrechtlichen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 554 ) weist Dipl.-Ing W. darauf hin, dass es bei "stossfernen Insassen" später zu einem Kontakt mit umgebenden Fahrzeugstrukturen kommt, deren Oberkörper und Kopf also zunächst frei in den Fahrzeuginnenraum ausschwingt.

Des weiteren stellt der Senat fest, dass es im Falle des Klägers über die Beschleunigung des Oberkörpers und der HWS hinaus zu einem Anprall der Kopfes an der Stirn rechts gekommen ist, denn im D-Arzt-Bericht werden als Gesundheitserstschaden neben der Beschleunigungsverletzung der HWS in Form einer HWS-Distorsion mit Weichteildruckschmerz an den HWS-Dornfortsätzen eine Kopfprellung mit multiplen Rissplatzwunden an der Stirn rechts und im gesamten Gesicht und Glassplitterverletzungen im Gesicht beschrieben. Zwar hat Dr. H. unter Hinweis auf den Unfallmechanismus - seitliche Kollision mit stoßabgewandter Sitzposition - Zweifel daran geäußert, dass es zu einer Anstoßverletzung des Kopfes kam, und erklärt die Kopf- und Gesichtsverletzungen des Klägers durch die Glasscheiben, die nach der Kollision durch das Fahrzeug flogen. Dies kann aber letztlich dahinstehen, da der Anstoß mit dem Kopf jedenfalls nicht zu einer Gehirnerschütterung geführt hat. Diese konnte angesichts fehlender Symptomatik ausgeschlossen werden. Der Notarzt beschreibt den Kläger unmittelbar nach dem Unfall als orientiert, konversationsfähig und ohne Bewusstseinsverlust in Bezug auf das Unfallereignis. Auch im KKH wurden ein stabiler Kreislauf, keine Übelkeit, keine neurologischen Ausfälle und eine volle Orientierung zu Zeit, Ort und Person erhoben.

Hinsichtlich des Ausmaßes der Beschleunigungsverletzung der HWS im Sinne eines Gesundheitserstschadens stellt der Senat fest, dass es neben der Distorsion zu einer knöchernen Schädigung des 6. HWK im Bereich der vorderen oberen Kante gekommen ist, die sich sowohl im CT vom 19. Januar 2001 als auch auf den seitliche Funktionsaufnahmen vom 2. April 2001 in Form einer Unregelmäßigkeit der oberen Knochenrinde auf Höhe der Deckplatte bzw. als Konturunregelmäßigkeit im Bereich der vorderen oberen Kante des 6. HWK darstellt. Insoweit folgt der Senat der Befundung dieser Aufnahmen durch den Sachverständigen Dr. H., zumal auch im Befundbericht der BG-Klinik vom 5. April 2001 die Möglichkeit gesehen wurde, dass es sich bei dem reiskorngroßen Kalkschatten an der Vorderkante oben im Bereich des 6. HWK um eine unfallbedingte Veränderung handeln könnte und auch Dr. H. in dem urkundenbeweislich verwerteten Gutachten vom 27. Mai 2003 bei der Auswertung der Röntgenaufnahmen vom 24.November 2000, des CTs der HWS vom 19. Januar 2001 und des MRTs der HWS vom 16. Mai 2001 eine stattgehabte Verletzung des HWK 6 nicht ausschließen konnte und aufgrund der Röntgenaufnahmen, die er im Mai 2003 fertigen ließ, eine partielle Konsolidierung des ventralen Kantenfragments im Bereich HWK 6 beschrieb. Demgegenüber wird in keiner der Befundungen dieser bildgebenden Dokumente eine Verletzung von Bändern oder sonstigen Strukturen oder eine Einblutung im Bereich der HWS gesehen.

Schließlich ist noch festzuhalten, dass die zeitnah zum Unfall durchgeführten Untersuchungen durch die Neurologin und Psychiaterin Dr. R. am 27. Oktober und 5. Dezember 2000 beim Kläger einen unauffälligen psychischen Befund ergaben.

Hinsichtlich der fortdauernden Gesundheitsstörungen stellt der Senat auf chirurgisch-orthopädischem Gebiet fest, dass beim Kläger im Unfallzeitpunkt im Bereich der HWS im wesentlichen altersentsprechende degenerative Veränderungen vorlagen, die sich in der Kernspintomographie vom 16. Mai 2001 in einer deutlichen Höhenminderung und Signalverlust (Dehydratation) der Bandscheiben im mittleren und unteren Segment der HWS manifestierten. Bereits die Röntgenaufnahmen vom Unfalltag zeigten leichte degenerative Veränderungen in den Segmenten C 3/4, C4/5 und C 5/6 in Form von Uncarthrosen und einer leichten Spondylarthrose. Eine Befundänderung konnten weder Prof. Dr. K. anlässlich der Begutachtung am 6. Juli 2001 noch Prof. Dr. P. anlässlich der Begutachtung am 23. Juli 2003 feststellen. Auch letzterer beschrieb keine dem Alter vorauseilenden degenerativen Veränderungen der HWS. Daher kann mit Dr. H. festgestellt werden, dass die aufeinanderfolgenden Röntgen-, CT- und MRT- Aufnahmen (zuletzt Kernspintomografie der HWS vom 11. Juli 2005) eine Dynamik der Verschleißerscheinungen zeigt, die dem natürlichen Verlauf altersbedingter degenerativer Veränderungen entsprechen.

Demgegenüber ist eine funktionell bedeutsame Instabilität der HWS im Bereich der HWK 5/6 nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Der Senat entnimmt der Befundung der Funktionsaufnahme vom 2. April 2001 durch Prof. Dr. K., dass sich bei der Inklination, dem Vorwärtsneigen, der HWS keine segmentalen Instabilitäten zeigten, während bei der Reklination (dem Rückwärtsbiegen) eine minimale Rückverschiebung im Bereich der degenerativ veränderten Bandscheiben C 4/5 und C 5/6 auftrat. Bei der erneuten Funktionsaufnahme am 6. Juli 2001 zeigte sich bei der Reklination lediglich noch eine diskrete Rückverschiebung des HWK 5 über 6, während weitere Instabilitätszeichen (bei C 4/5) nicht reproduziert werden konnten. Bei den von Prof. Dr. P. am 23. Juli 2003 durchgeführten Röntgenaufnahmen der HWS in 2 Ebenen mit Inklinations- und Reklinationsaufnahmen kam es zu keinem Anzeichen für Instabilität im Bereich HWK 5/6. Lediglich die zeitlich davor am 12. Mai 2003 von Dr. H. durchgeführte Bildwandleruntersuchung der HWS in Inklination und Reklination wurde von diesem dahingehend befundet, dass eine Hypermobilität des Segments HWK 5/6 vorliege, ohne dass dies aber im Einzelnen belegt wurde. Dr. H. weist darauf hin, dass in Fachkreisen keine Einigkeit darüber besteht, wann eine Instabilität der HWS anzunehmen ist, zumal eine gewisse Beweglichkeit einzelner HWK gegeneinander relativ häufig auch bei symptomfreien Probanden auftritt. Er verneint das Vorliegen einer funktionell bedeutsamen Instabilität im Segment C5/6 mit dem überzeugenden Argument, dass anderenfalls die Verschleißerscheinungen der Bandscheibe C 5/6 auffällig hätten zunehmen müssen, was beim Kläger nicht der Fall ist. Dem folgt der Senat. Die Feststellung von Prof. Dr. P. im Gutachten vom 28. August 2003, beim Kläger bestehe eine leichte discoligamentäre Instabilität des HWK 5/6, wird durch das oben dargelegte Ergebnis seiner Untersuchungen nicht gedeckt.

Hinsichtlich der durch den Gesundheitserstschaden (Beschleunigungsverletzung) an der HWS hervorgerufenen Beschwerden stellt der Senat fest, dass diese zunächst unter der Behandlung während der bis zum 24. November 2000 dauernden Arbeitsunfähigkeit geringer wurden und am 24. November nur noch die Bewegung der HWS bei Linksdrehung endgradig schmerzhaft war (Bericht Dr. R. vom 24. November 2000). Nach Wiederaufnahme der Arbeit am 27. November 2000 kam es jedoch zu einschießenden Beschwerden von der HWS ausgehend in den Hinterkopf (Bericht Dr. R. vom 4. Dezember 2000). Unter antiphlogistischen Maßnahmen und Schonung besserte sich der Beschwerdekomplex bis zum 18. Dezember 2000 deutlich (Bericht Dr. R. vom 18. Dezember 2000). Nach ca. 4-wöchigem Urlaub klagte der Kläger bei Dr. R. am 18. Januar 2001 über fortbestehende Beschwerden im Bereich der HWS mit starker Ausstrahlung in den Hinterkopf (Bericht Dr. R. vom 22. Januar 2001). Bei den Vorstellungen in BG-Klinik am 2. April und 30. April 2001 wurden schließlich chronische Beschwerden nach HWS-Distorsion diagnostiziert.

Auf psychiatrischem Fachgebiet ist festzustellen, dass nach den von Dr. R. erhobenen unauffälligen psychischen Befunden vom 27. Oktober und 5. Dezember 2000 erstmals anlässlich der Untersuchung durch Prof. Dr. M. /PD Dr. S. am 11. Juli 2001 eine gedrückte Stimmungslage, ein geminderter Antrieb und eine Einschränkung der affektiven Modulationsfähigkeit festgestellt und eine depressive Störung im Sinne einer mittelgradig ausgeprägten depressiven Episode diagnostiziert wurde, wobei vermutet wurde, dass diese im Dezember 2000 begonnen habe. Eine dem Kläger empfohlene Behandlung der depressiven Störung fand zunächst nicht statt. Ausweislich der MDK-Gutachtens von Dr. B. vom 12. März 2002 kam es wegen fortbestehender erheblicher Beschwerden von Seiten der HWS zu psychosomatischen Problemen und Angstsymptomen, weswegen seit kurzem eine psychiatrische Mitbehandlung eingeleitet worden war. Damit übereinstimmend bekundete der den Kläger behandelnde Psychiater Dr. St. als sachverständiger Zeuge, dass sich der Kläger seit dem 27. Februar 2002 wegen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD10 F45.4) und - insoweit mit Prof. Dr. M. übereinstimmend - wegen einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD10 F32.1) in seiner Behandlung befindet. Während der stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Rheintalklinik Bad Krozingen vom 25. Juli 2002 bis zum 22. August 2002 fand sich beim Kläger eine depressive Störung mit Hypersomnie, Konzentrationsstörung und rascher Ermüdbarkeit. In diesem Zusammenhang offenbarte der Kläger in Einzelgesprächen, dass er sich von den begutachtenden Ärzten nicht ausreichend ernst genommen fühlte. Auch Dr. Dr. W. diagnostizierte beim Kläger am 12. Mai 2003 eine mittelgradige depressive Episode (ICD-10 F 32.0). Demgegenüber fand Dr. Sch. in dem für die DRV am 2. Juli 2003 erstatteten Gutachten, dass die depressive Symptomatik jetzt weniger ausgeprägt sei als in früheren Beschreibungen, es würden jetzt Rückzugstendenzen mit teilweise neurotischer Tönung deutlich und ein ebenfalls neurotisch getöntes erhöhtes Schlafbedürfnis. In dem ebenfalls für die DRV erstellten ärztlichen Befundbericht vom 24. Juni 2004 teilte Dr. St. mit, es bestehe jetzt eine instabil-leichtgradige depressiv-ängstliche Stimmungslage und eine deutlich herabgesetzte psychosomatische Belastbarkeit. Die Ärzte der Schlossklinik Bad Buchau diagnostizierten im Entlassungsbericht nach dem Heilverfahren vom 18. November bis zum 16. Dezember 2004 eine Somatisierungsstörung auf der Basis einer akzentuierten Persönlichkeit mit paranoiden Zügen. Prof. Dr. Dr. W. führte aufgrund der Untersuchung vom 8. August 2006 aus, die dort dargebotene Symptomatik sei zu gravierend, um lediglich eine exazerbierte paranoide Persönlichkeitsstörung anzunehmen, vielmehr liege auf psychiatrischem Fachgebiet inzwischen eine anhaltende wahnhafte Störung (ICD 10 F22.0) vor, welche von einer vorübergehenden depressiven Anpassungsstörung ausgelöst worden sei.

Abweichend davon und in Abweichung zur Vorbegutachtung vom 12. Mai 2003 bezeichnete PD Dr. R. die psychiatrische Erkrankung des Klägers im Gutachten vom 24. Juni 2008 nunmehr als eine schizoaffektive Störung (ICD10-F 25), die schon vor dem Unfall vorgelegen habe und in ihrer ersten Episode vom behandelnden Allgemeinarzt H. (Arbeitsunfähigkeitszeit vom 28. Februar bis 11. März 2000) als reaktive Depression diagnostiziert worden sei. Dem vermag sich der Senat angesichts der oben dargestellten Entwicklung der psychiatrischen Erkrankung des Klägers nicht anzuschließen. Der behandelnde Hausarzt H. hat als sachverständiger Zeuge nachvollziehbar dargelegt, dass sich die der Arbeitsunfähigkeit vom 28. Februar bis 11. März 2000 zugrunde liegende reaktive Depression aus der augenblicklichen Lebenssituation des Klägers (schwere Erkrankung der Mutter, mit der der Kläger in einer Lebensgemeinschaft lebte und gleichzeitige schwere Erkrankung seines Schäferhunds) entwickelt hat. Prof. Dr. Dr. W. hat sich aufgrund einer einmaligen Exploration nicht in der Lage gesehen, trotz der berichteten akustischen Halluzinationen und der Beeinflussungsideen die Diagnose einer Störung aus dem schizophrenen Formenkreis zu stellen, zumal in den vorliegenden Unterlagen erst ab 2004 in erheblichen Umfang paranoide Symptome und Wahnideen genannt werden, die nach den Angaben des Klägers gegenüber den Ärzten in Bad Buchau in Form von Ängsten ein halbes bis ein dreiviertel Jahr nach dem Unfall aufgetreten seien. In den vorliegenden ärztlichen Unterlagen werden psychosomatische Probleme und Angstsymptome erstmals im MDK-Gutachten von Dr. B. vom 12. März 2002 erwähnt. Schließlich weist Prof. Dr. S. in der beratungsärztlichen Stellungnahme zutreffend darauf hin, dass die Diagnose durch aktuelle Befunde nicht belegt wurde und sich lediglich auf die von Kläger geklagten schizophrenen und affektiven Symptome stützt. Nachdem der Senat sich schon nicht davon überzeugen kann, dass beim Kläger schon vor dem Unfall eine schizoaffektive Störung (ICD10-F 25) vorlag, kann dahingestellt bleiben, ob die von PD Dr. R. angenommene zweite Episode dieser von ihm angenommenen Grunderkrankung nach dem Unfall ursächlich auf diesen zurückgeführt werden könnte.

Die seit Sommer 2004 dokumentierte wahnhafte Entwicklung ist nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Unfall vom 26. Oktober 2000 zurückzuführen. Der Senat folgt der Beurteilung von Prof. Dr. Dr. W., dass vor allem der relativ späte Beginn der wahnhaften Symptomatik und die Verschlimmerung der Erscheinungen auch nach dem Heilverfahren in Bad Buchau dagegen sprechen, dass die beim Kläger bestehende paranoid-wahnhafte Entwicklung durch das Unfallereignis hervorgerufen oder unterhalten wird.

Der Senat folgt Prof. Dr. Dr. W. auch in seiner Beurteilung, dass die beschriebene depressive Entwicklung zwar nicht durch das Unfallereignis selbst, aber durch den weiteren Verlauf der unfallbedingten Heilbehandlung mit Wahrscheinlichkeit hervorgerufen und über die Dauer von mehr als zwei Jahren unterhalten wurde. Hierbei ist zunächst die vulnerable Persönlichkeit des Klägers zu berücksichtigen, die sich bereits in der reaktiven Depression auf belastende Ereignisse vor dem Unfall im Februar/März 2000 manifestiert hat. Zur Recht weist Prof. Dr. Dr. W. darauf hin, dass der Kläger in seinem aktuellen körperlich-seelischen Zustand geschützt ist, in den eingebunden sind alle im Unfallzeitpunkt bestehenden Krankheiten, Anlagen, konstitutionell oder degenerativ bedingten Schwächen und Krankheitsdispositionen (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO S. 79 mwN).

Des weiteren trifft es zu, dass in dem unmittelbar an den Unfall anschließenden Zeitraum keine angemessene bzw. nachhaltige Therapie der somatischen Beschwerden im Bereich der HWS mit medikamentösen, physiotherapeutischen und anderen deeskalierenden Maßnahmen durchgeführt wurde. Wie bereits dargelegt wurde, trat nach Beendigung der ersten Zeit der Arbeitsunfähigkeit zum 27. November 2000 bereits am 4. Dezember 2000 wegen fortbestehender Beschwerden wieder Arbeitsunfähigkeit ein. Nach Beendigung dieser Arbeitsunfähigkeit am 18. Dezember 2000 nahm der Kläger nach seinen Angaben einen rund vierwöchigem Urlaub, in dem keine Behandlungsmaßnahmen stattfanden. Im unmittelbaren Anschluss daran wurde er am 18. Januar 2001 im KKH wegen Beschwerden im Bereich der HWS mit starker Ausstrahlung in den Hinterkopf vorstellig. Es erfolgte zur weiteren Abklärung und vorgesehener antiphlogistischer Behandlung am Freitag, dem 19. Januar 2001 eine stationäre Aufnahme im KKH, welches der Kläger am Sonntag, dem 21. Januar 2001, eigenmächtig verließ. Bei seiner Wiedervorstellung am Montag, dem 22. Januar 2001, bei der er ausweislich des Berichts von Dr. R. über die gleichen Beschwerden wie am 18. Januar 2001 klagte, kam es zu einer Auseinandersetzung mit Dr. R., der keine Behandlung mehr durchführte, sondern die Heilbehandlung als abgeschlossen betrachtete. Im weiteren Verlauf suchte der Kläger, dem die Beklagte mitgeteilt hatte, die weiteren Beschwerden seien nach den zutreffenden Ausführungen von Dr. R. nicht auf das Unfallereignis vom 26. Oktober 2000 zurückzuführen, weshalb auch eine Begutachtung nicht für erforderlich gehalten werde (Schreiben vom 19. März 2001), Hilfe beim Institut für Medizinschadenbegutachtung Dr. G., welcher der Beklagten auch mitteilte, aus der Sicht des Klägers seien die Unfallfolgen seitens des KKH unterschätzt worden. Aus den Berichten der BG-Klinik vom 5. April und vom 16. Mai 2001 ergibt sich ebenfalls, dass eine ausreichende Behandlung der fortbestehenden Beschwerden im HWS-Bereich mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung nicht durchgeführt wurde. Die bisher erfolgten Massagen wurde vom Kläger nicht vertragen und Medikamente gegen die Schmerzen und die Muskelverspannungen waren bisher nicht eingenommen worden und wurden dem Kläger erst am 30. April 2001 rezeptiert.

Aus den anamnestischen - teilweise weinend vorgebrachten - Angaben des Klägers gegenüber Prof. Dr. M./PD Dr. S. am 11. Juli 2001 lässt sich erkennen, dass sich der Kläger weder im KKH noch in der BG-Klinik mit seinen fortdauernden Beschwerden ernst genommen fühlte und sehr darunter litt. Niemand habe ihm geglaubt und er sei für einen Simulanten gehalten worden. Dass aus diesem Ablauf sich nicht nur das in der BG-Klinik bereits am 2. bzw. 30. April 2001 diagnostizierte chronische HWS-Schmerzsyndrom entwickelte, wie es sodann auch im Gutachten von Prof. Dr. K. vom 11. Juli 2001 festgestellt wurde, sondern darüber hinaus auch eine depressive Anpassungsstörung, die im Juli 2001 das Ausmaß einer mittelgradigen depressiven Episode erreicht hatte und nach den Feststellungen von Dr. St. und Dr. Dr. W. in diesem Umfang bis mindestens Mai 2003 fortbestand, wobei der Kläger im Rahmen des Heilverfahrens in Bad Krozingen in psychotherapeutischen Einzelgesprächen erneut offenbarte, dass er sich von den begutachtenden Ärzten nicht ausreichend ernst genommen fühle, ist für den Senat durch Prof. Dr. Dr. W. nachvollziehbar dargelegt worden. Erst Dr. Sch. fand am 2. Juli 2003 die depressive Symptomatik nicht mehr so ausgeprägt und auch Dr. St. beschrieb am 24. Juni 2004 nur noch eine leichtgradige depressive Stimmungslage. Der beratungsärztliche Einwand von Prof. Dr. S., der Unfall als solcher sei nach Ablauf und Folgen nicht geeignet gewesen, eine vorbestehende Gesundheitsstörung zu verschlechtern oder selbst eine depressive Störung hervorzurufen, überzeugt angesichts der von Prof. Dr. Dr. W. dargelegten Gesamtkonstellation, dass nach einem nicht unerheblichen Unfall, bei dem es auch nach den Feststellungen von Prof. Dr. K. zu einer hochenergetischen Beschleunigungsverletzung der HWS gekommen ist, eine unzureichend behandelte Schmerzsymptomatik bei dem leicht verunsicherbaren Kläger zu einer vorübergehenden depressiven Symptomatik führte, nicht.

Unter Einbeziehung des somatischen Schadens an der HWS, der als solcher nach den überzeugenden Darlegungen von Dr. H. eine zeitliche befristete Schmerzsymptomatik für die Dauer vom maximal 12 Monaten nach dem Unfall hervorrief, welche aber mangels zureichender Behandlung sich über einen längeren Zeitraum als beeinträchtigend ausgewirkt hat und durch psychische Faktoren unterhalten wurde, ist die MdE nach Beendigung der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit zum 22. Januar 2001 bis Mitte 2003 (30. Juni 2003) mit 20 vH einzuschätzen. Der Senat folgt auch hier der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W., der im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Lebensführung und der Lebensfreude und die Minderung der Belastbarkeit und des Leistungsvermögens durch diese seelische Störung unter Hinweis auf den Beurteilungsrahmen in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 246 eine stärker behindernde Störung angenommen hat , welche je nach Ausprägung MdE-Grade von 20-40 vH. umfassen kann und hier für den genannten Zeitraum auf den unteren Wert festgesetzt wurde.

Einen darüber hinausgehenden Rentenanspruch hat der Kläger nicht. Nachdem die ab 2003 zunehmend in den Vordergrund getretenen wahnhaften Züge der psychischen Erkrankung des Klägers nicht mehr mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Arbeitsunfall bzw. die anschließenden unzureichende Behandlung der somatischen Unfallfolgen zurückgeführt werden können, kann hieraus auch keine unfallversicherungsrechtlich relevante MdE mehr abgeleitet werden. Die Berufung der Beklagten ist daher teilweise begründet und die des Klägers ist nicht begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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