S 7 (44) AS 195/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 7 (44) AS 195/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 29.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2006 verurteilt, den Klägern ab dem 01.01.2006 Leistungen nach dem SGB II nach Maßgabe den gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II (Zweites Buch Sozialgesetzbuch) ab dem 01.09.2006.

Die Kläger sind verheiratet und leben zusammen in einer Eigentumswohnung. Der Kläger ist am 00.00.1946, die Klägerin am 00.00.1949 geboren.

Der Kläger hatte am 04.09.1970 eine Kapitallebensversicherung bei der J Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft abgeschlossen. Als Versicherungssumme wurden 10.000 DM vereinbart. Die Versicherung begann am 01.09.1970 und sollte nach 36 Versicherungsjahren enden. Der Versicherungsvertrag wurde später von der B Lebensversicherung AG übernommen. Zum 01.09.2003 wurde zwischen der B Lebensversicherung AG und dem Kläger vereinbart, dass das einmalige Garantiekapital im Erlebensfall zum 01.09.2006 10.228,00 Euro beträgt. Die Gesamtleistung der Versicherung sollte aus einer Garantieleistung und einer zusätzlichen Leistung aus der Überschussbeteiligung, die von der Versicherung jährlich für das Folgejahr festzulegen war, bestehen. Hinsichtlich der Einzelheiten des Vertrags und der Vertragsänderung wird auf die Seiten 51-53 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Zum 01.09.2006 wurde die Kapitallebensversicherung der B Lebensversicherung AG fällig. Der Auszahlungsbetrag von 19.720,10 Euro setzte sich aus 10.228,00 Euro Garantiekapital und 9.492,10 Euro Überschussbeteiligung zusammen.

Die Kläger stehen seit dem 01.01.2005 im Leistungsbezug der Beklagten. In ihrem Erstantrag vom 20.08.2004 hatten die Kläger die Kapitallebensversicherung angegeben. Die Beklagte hatte den Klägern zuletzt mit Bescheid vom 22.2.2006 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 01.09.2006 Leistungen nach dem SGB II vom 01.03. bis 31.08.2006 bewilligt.

Am 16.08.2006 beantragten die Kläger die Fortzahlung von Leistungen ab dem 01.09.2006.

Der Kläger gab an, er habe mit der B-Lebensversicherung AG hinsichtlich seiner am 1.9.2006 fälligen Kapitallebensversicherung vereinbart, dass der Gesamtauszahlungsbetrag von 19.720,10 Euro von der Versicherung direkt auf sein Festgeldkonto bei der W überwiesen werde. Dort habe er das Geld bis zum 28.07.2007 festgelegt. Er fügte eine entsprechende Bestätigung der W vom 01.09.2006 bei.

Mit Bescheid vom 29.08.2006 lehnte die Beklagte den Antrag der Kläger ab. Bei der Überschussbeteiligung handele es sich um Einkommen nach § 11 Absatz 1 SGB II, welches als einmalige Einnahme auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen sei. Dementsprechend ergebe sich bei einem Einkommen von 9.482,10 Euro für einen Zeitraum von 866 Tagen kein Anspruch.

Dem widersprach der Kläger. Bei der Überschussbeteiligung handele es sich nicht um Einkommen, sondern um schutzwürdiges Vermögen. Die Lebensversicherung diene der Alterssicherung. Damit solle einerseits die Eigentumswohnung gesichert werden. Er habe die ausgezahlte Kapitallebensversicherung vollständig bei der W zur Ablösung der Eigentumswohnung angelegt. Zum anderen sei seine Ehefrau lange selbständig tätig gewesen und bedürfe daher einer Alterssicherung.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2006 als unbegründet zurückgewiesen. Bei der Auszahlung einer Lebensversicherung werde grundsätzlich kein Einkommen erzielt, sondern bereits bei Beginn des Leistungsbezuges bestehendes Vermögen (angespart durch Versicherungsbeiträge) umgewandelt. Dies gelte jedoch nicht für die Überschussbeteiligung. Hier handele es sich um Einkommen, dass der Betroffene erst in der Bedarfszeit von anderer Seite wertmäßig dazu erhalte. Auch in Anlehnung an das Einkommensteuergesetz seien Erträge aus Lebensversicherungen sowie Gewinnanteile und Zinsen aus Kapitalforderungen jeder Art dem Einkommen und nicht dem Vermögen zuzurechnen. Damit entfalle auch eine Berücksichtigung von eventuellen Freibeträgen wegen Altersvorsorge.

Dagegen haben die Kläger am 23.11.2006 Klage erhoben. Die Überschussbeteiligung gehöre als Altersvorsorge auch zum schutzwürdigen Vermögen.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29.08.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2006 zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab dem 01.09.2006 nach Maßgabe der Gesetze zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auch einmalige Einnahmen seien Einkommen. Bei der Auszahlung einer Lebensversicherung werde bereits bei Beginn des Leistungsbezuges bestehendes Vermögen umgewandelt. Dies gelte jedoch nicht für die Überschussbeteiligung. Hier handele es sich um Einkommen, welches man von anderer Seite wertmäßig dazu erhalte. Auch in Anlehnung an das Einkommensteuergesetz seien Erträge aus Lebensversicherungen nicht dem Vermögen zuzurechnen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte und die Gerichtsakte sowie die Gerichtsakten S 37 AS 7/05, S 44 (35, 29) AS 34/05 und S 44 AS 212/06 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 29.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2006 verletzt die Kläger in ihren Rechten gemäß § 54 Absatz 2 SGG (Sozialgerichtsgesetz).

Die Beklagte hat die Bewilligung von Arbeitslosengeld II zu Unrecht abgelehnt.

Die von der B Lebensversicherung AG ausgezahlte Überschussbeteiligung ist nicht als Einkommen auf den Anspruch der Kläger anzurechnen.

Nach § 9 Absatz 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit beziehungsweise aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Gemäß § 11 Absatz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen die Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.

Nach § 12 Absatz 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Vom Vermögen ist nach § 12 Absatz 2 Nr. 1 SGB II a.F. ein Grundfreibetrag in Höhe von 200 Euro je vollendetem Lebensjahr des volljährigen Hilfebedürftigen und seines Partners, mindestens aber jeweils 4.100,00 Euro, abzusetzen; der Grundfreibetrag darf für den volljährigen Hilfebedürftigen und seinen Partner jeweils 13.000,00 Euro nicht übersteigen. Des Weiteren ist nach § 12 Absatz 2 Nr. 4 SGB II ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750,00 Euro für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen in Abzug zu bringen.

Die Kläger haben in ihrem Antrag vom 16.08.2006 Leistungen zum 01.09.2006 beantragt. Grundsätzlich ist bei der Prüfung der Bedürftigkeit der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich (BSG, Urteil vom 30.07.2008, B 14/7b AS 12/07 R). Da dieser jedoch während eines laufenden Bewilligungsabschnittes gestellt wurde, ist die Bedürftigkeitsprüfung zum 01.09.2006 vorzunehmen.

Unstreitig wurde dem Kläger am 01.09.2006 seine Lebensversicherung von der B Lebensversicherung AG in Höhe von insgesamt 19.720,10 Euro ausgezahlt.

Unstreitig ist ebenfalls, dass das Garantiekapital von 10.228,00 Euro als Vermögen anzusehen ist. Dies gilt entgegen der Auffassung der Beklagten auch für die Überschussbeteiligung in Höhe von 9.492,10 Euro.

Bei der Abgrenzung von Einkommen und Vermögen ist Einkommen nach der modifizierten Zusflusstheorie alles das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was jemand in der Bedarfszeit bereits hat ( BSG, Urteil vom 30.7.2008, B 14/7b AS 12/07 R).

Nach diesem Maßstab ist die am 01.09.2006 ausgezahlte Überschussbeteiligung in Höhe von 9.492,10 Euro als Vermögen anzusehen. Denn der Kläger hatte bereits vor Beginn des Bedarfzeitraums zum 01.09.2006 einen Anspruch auf die Überschussbeteiligung erworben.

Die klassische Form der kapitalbildenden Versicherung ist die gemischte Lebensversicherung, eine Lebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall. Die Leistung wird entweder bei Tod oder bei Erleben des sog. Ablaufzeitpunkts fällig. Da in jedem der beiden Fälle das vereinbarte Garantiekapital von dem Versicherer erbracht werden muss, muss er diese Summe jederzeit zahlen können. Stirbt der Versicherte sehr früh, kommt es zu einer wesentlich höheren Leistungspflicht des Versicherers, da der Versicherte die Garantiesumme noch nicht vollständig ansparen konnte. Der Differenzbetrag muss dann nach dem Versicherungsprinzip von der Versicherung finanziert werden.

Kapitalbildende Lebensversicherungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie neben einer sehr unsicheren Leistung eine fast sichere Leistung vorsehen. Die sichere Leistung (Garantiekapital) muss für jeden einzelnen Vertrag vom Versicherten angespart und vom Versicherer bis zur Fälligkeit angelegt werden. Die unsichere Leistung (Überschussbeteiligung) hängt davon ab, wie viele vorzeitigen Leistungsfälle nach dem Versichertenprinzip ausgezahlt werden mussten. Je weniger Leistungsfälle eingetreten sind, desto höher ist die Überschussbeteiligung.

Da die Kapitallebensversicherung traditionell als langfristige und sicherheitsorientierte Geldanlage, insbesondere für die Altersvorsorge, gedacht ist, hat der Gesetzgeber die Lebensversicherer zum Schutz der Anleger verpflichtet, die eingezahlten Beträge sicherheitsorientiert anzulegen und die Risiken (sich realisierende Versicherungsfälle) vorsichtig zu kalkulieren. Dadurch soll sichergestellt werden, dass auch bei vielen gleichzeitig eintretenden Versicherungsfällen genügend Kapital zur Verfügung steht. Dadurch erwirtschaften die Lebensversicherer über die Jahre hohe Überschüsse. Sie sind durch die gesetzliche Forderung der vorsichtigen Kalkulation begründet. Da diese gesetzliche "Schutzmaßnahme" einen Eingriff in die Privatautonomie darstellt, müssen die Versicherer zum Ausgleich einen angemessenen Teil der Überschüsse an die Versicherungsnehmer zurückgeben. Dies ist die sog. "Überschussbeteiligung" (unsichere Leistung).

Dabei handelt es sich vor allem um die Zinsüberschüsse des Versicherers, die dieser nicht zur Deckungsrückstellung (für eventuelle Risiken) verwenden muss. Die Ermittlung der Überschussbeteiligung erfolgt jährlich beim Jahresabschluss anhand des handelsrechtlich erfassten Überschusses und der Bewertungsreserven. Nach jedem Jahresabschluss während der Laufzeit des Versicherungsvertrags wird diesem eine entsprechende Überschussbeteiligung "zugeschlagen".

Dies ist im Übrigen der Grund dafür, warum der Rückkaufswert einer Versicherung (vor Beendigung des Versicherungsvertrags) mit Ausnahme der ersten Jahre (wegen der Verrechnung von Gebühren) Jahr für Jahr ansteigt.

Der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Beteiligung an den Überschüssen ergibt sich aus seinem Vertrag.

Im Vertrag des Klägers war neben dem Garantiekapital von 10.228,00 Euro eine Leistung aus Überschussbeteiligung vereinbart. Die Höhe der Überschussbeteiligung wird im Fall des Klägers jedes Jahr für das Folgejahr festgelegt.

Vor diesem Hintergrund kann man nicht -wie die Beklagte- davon ausgehen, dass der Kläger die Überschussbeteiligung bei Fälligkeit der Versicherung am 01.09.2006 "auf einmal" von dritter Seite wertmäßig dazuerhält. Sein Anspruch auf Überschussbeteiligung ist über die Jahre entstanden. Während der Vertragslaufzeit von 36 Jahren ist nach jedem Jahresabschluss des Versicherers für das Folgejahr festgelegt worden, mit welcher Summe der Kläger an den Überschüssen der Versicherung beteiligt wird. Jahr für Jahr hat sich der Anspruch des Klägers auf Auszahlung der Überschussbeteiligung erhöht. Auch mit dem Jahresabschluss der Versicherung 2005 wurde für das Folgejahr 2006 festgelegt, mit welchem Betrag der Kläger an den Überschüssen der Versicherung beteiligt wird.

Der von der Beklagten vorgenommene Vergleich mit Zinseinnahmen hinkt, da die Erwirtschaftung von Zinseinnahmen und die von einer Überschussbeteiligung auf völlig anderen Zusammenhängen beruht. Mit einer Spareinlage ist eine Kapitallebensversicherung allenfalls insofern vergleichbar, als dass nach jedem Jahr der Laufzeit die Überschussbeteiligung ("Zinsgutschrift") dem Garantiekapital ("Sparkapital") gutgeschrieben wird. Auch in einem solchen Fall wären die dem Kapital jährlich gutgeschriebenen Zinsen allerdings als Vermögen anzusehen.

Der Verweis auf das Steuerrecht verfängt ebenfalls nicht. Das SGB II verweist in §§ 11 und 12 nicht auf das Steuerrecht. Zudem sind Erträge aus vor dem 01.01.2005 abgeschlossenen Kapitallebensversicherungen steuerfrei.

Schließlich muss sich die Beklagte bei ihrem Vortrag fragen lassen, weshalb sie in der Praxis bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit von Antragstellern Kapitallebensversicherungen nicht ausschließlich mit dem Garantiekapital in Ansatz bringt. Es ist gerichtsbekannt, dass sie dabei immer den Rückkaufswert (das heißt Garantiekapital zzgl. Überschussbeteiligung) zu Grunde legt. Würde sie ihre Auffassung konsequent vertreten, dürfte hier zu Gunsten der Antragsteller nur das Garantiekapital als Vermögen berücksichtigt werden.

Darüber hinaus ist die Berücksichtigung der Überschussbeteiligung als Einkommen dem Gericht aus der Rechtsprechung nicht bekannt. Das Bundessozialgericht wertet Garantiekapital und Überschussbeteiligung einheitlich als Vermögen (BSG vom 15.04.2008, B 14/7b AS 52/06 R).

Das Vermögen von 19.720,10 Euro liegt unterhalb des Freibetrags von (60 mal 200 Euro + 56 mal 200 Euro + 2 mal 750 Euro) 24.700 Euro.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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