L 12 J 958/86

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 3b J 33/85
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 12 J 958/86
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Einfache Verputzarbeiten, die als Teilgebiet „Verputz” zum Maurer-, Stukkateur-, Maler- und Lackiererhandwerk gehören, sind keine Facharbeitertätigkeiten. Eine abgeschlossene Berufsausbildung ist nicht erforderlich, da sich auch Berufsfremde die nötigen Kenntnisse aneignen können.
2. Versicherte mit Gesellenprüfung sind auf ungelernte Tätigkeiten verweisbar, wenn sie im praktischen Berufsleben nur mit bestimmten, spezialisierten und daher eingeschränkten Aufgabenbereichen ihres Berufsfeldes – hier: einfache Verputzarbeiten – befaßt gewesen sind.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 3. Juni 1986 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit.

Der 1936 geborene Kläger hat von 1953 bis 1955 den Beruf des Maurers erlernt und die Gesellenprüfung mit Erfolg abgelegt. Vom 13. April 1959 bis 24. September 1976 war er als Verputzer bei einer Baudekorationsfirma beschäftigt. Aufgrund Alkoholkonsums kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis. Nach einer Heilbehandlung vom 1. Dezember 1977 bis 30. Mai 1978 in dem Kurheim S. (Entlassungsbericht vom 30. Mai 1978), und einer anschließenden Arbeitslosigkeit war der Kläger vom 5. September 1978 bis 15. Dezember 1978 als Hilfsarbeiter und nach einer erneuten Arbeitslosigkeit vom 1. Dezember 1979 bis 11. März 1980 als Zuschneidearbeiter, bis 30. Juni 1980 als Lager- und bis 18. September 1980 wieder als Zuschneidearbeiter tätig. Ab 18. September 1980 war er erneut arbeitslos. Er übt nunmehr eine Teilzeitbeschäftigung als Pförtner in einer Kurklinik aus.

Am 1. April 1981 hatte er einen Antrag auf Gewährung der Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit gestellt. Die Beklagte holte daraufhin mehrere medizinische Gutachten ein und ließ den Kläger zuletzt durch den Urologen Dr. Z. feld, untersuchen, der in seinem Gutachten vom 15. Februar 1982 zu dem Ergebnis kam, der Kläger könne keinerlei Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr verrichten, da er an einer ausgeprägten Harnröhrenstenose leide, die operativ behandelt werden müsse. Danach sei eine erneute Untersuchung zur Prüfung der Erwerbsfähigkeit erforderlich.

Mit Bescheid vom 17. Mai 1982 bewilligte die Beklagte daraufhin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. April 1981.

1984 veranlaßte sie eine Nachuntersuchung durch Dr. Z. der in seinem Gutachten vom 18. Juni 1984 zu dem Ergebnis kam, die Harnröhrenstenose sei mit Erfolg beseitigt. Der Kläger könne wieder alle Tätigkeiten ausüben, müsse sich aber vor massiver Nässe und Unterkühlung schützen. Im übrigen stellte die Beklagte den Kläger der Vertrauensärztin K. Sozialärztliche Dienststelle vor, die in ihrem Gutachten vom 23. November 1984 ausführte, der Kläger könne leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Gefährdung durch Kälte und Nässe, ohne schweres Heben und Tragen, ständiges Bücken, ohne einseitige Körperhaltung und ohne besondere Anforderungen an das Sehvermögen ausüben.

Daraufhin leitete die Beklagte am 3. Januar 1985 das Anhörungsverfahren ein und kündigte an, der Rentenbescheid vom 17. Mai 1982 solle aufgehoben werden, da eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes eingetreten sei. Die krankhaften Befunde an den Harnorganen und die Beweglichkeit der Wirbelsäule hätten sich gebessert. Der Kläger sei wieder in der Lage, leichte, zeitweise mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen vollschichtig zu verrichten, z.B. als Magazinverwalter oder Kontrolleur.

Mit Bescheid vom 4. Februar 1985 hob die Beklagte den Bescheid vom 17. Mai 1982 mit Wirkung zum Ablauf des Monats März 1985 auf.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger vor dem Sozialgericht Fulda (SG) am 11. Februar 1985 Klage erhoben.

Das SG hat Befundberichte bei Dr. Z. vom 31. Mai 1985 nebst einem Arztbrief vom 26. Juli 1985 und dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Z. vom 19. August 1985 eingeholt sowie einen Arztbrief des Dr. G. Krankenhaus des V. Leitender Arzt der gefäßchirurgischen und proktologischen Abteilung, vom 4. Juli 1985 und Arbeitgeberauskünfte des Sanatoriums L. vom 1. Oktober 1985 und der Firma Baudekoration W. vom 5. Mai 1986 beigezogen.

Mit Urteil vom 3. Juni 1986 hat das SG den Bescheid vom 4. Februar 1985 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. April 1985 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Kläger habe zwar keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mehr, da sich der Gesundheitszustand wesentlich gebessert habe. Er könne nun wieder leichte Arbeiten vollschichtig verrichten. Er habe aber ab 1. April 1985 Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, denn als bisheriger Beruf sei die Tätigkeit des Verputzers anzunehmen, die er nur wegen der Alkoholkrankheit habe aufgeben müssen. Es handele sich hierbei um eine Facharbeitertätigkeit, denn der Kläger habe den Maurerberuf erlernt, sei in die höchstmögliche Tarifgruppe eingestuft gewesen (Berufsgruppe I des maßgeblichen Tarifvertrages) und dürfe daher nicht schlechter bewertet werden, als es seiner damaligen tariflichen Eingruppierung und Entlohnung entspreche. Er dürfe nur auf andere Facharbeitertätigkeiten, angelernte Tätigkeiten oder auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden, die durch ihren Aufgaben- und Verantwortungsbereich aus dem Kreise der ungelernten Arbeiten herausragten. Die von der Beklagten genannten Tätigkeiten und diejenige des Nachtportiers erfüllten diese Voraussetzungen nicht. Die Kammer könne im übrigen auch keine geeigneten anderen Verweisungstätigkeiten erkennen.

Gegen dieses durch Empfangsbekenntnis am 27. Juni 1986 ihr zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16. Juli 1986 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.

Der Senat hat bei dem Urologen Dr. S. Befundberichte vom 21. November 1986 und 26. Mai 1987 mit Arztbriefen des Leitenden Arztes der urologischen Abteilung des Krankenhauses E. Dr. Ch. vom 27. März 1987 sowie einen Befundbericht des Dr. Ch. vom 4. Juni 1987 und eine Arbeitgeberauskunft der Firma W. vom 25. Oktober 1987 eingeholt. Schließlich hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines berufskundlichen Gutachtens des vereidigten Sachverständigen für das Stukkateurhandwerk S. vom 21. Juni 1988 und eines schriftlichen orthopädischen Sachverständigengutachtens des Dr. A. vom 21. September 1988. Im übrigen ist eine Auskunft des Landesarbeitsamtes Hessen vom 7. Dezember 1987, die in einem anderen Rechtsstreit eingeholt worden ist, zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht worden. Wegen des Inhalts der Auskünfte und der Sachverständigengutachten wird auf diese Unterlagen Bezug genommen.

Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte vor, der bisherige Beruf des Klägers als Verputzer stelle keine Facharbeitertätigkeit dar, sondern gehöre zum Bereich der angelernten Arbeiten. Die Beklagte sieht sich durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt und verweist auf zwei berufskundliche Sachverständigengutachten, die in anderen Verfahren eingeholt worden sind und die sie ergänzend vorgelegt hat. Aus diesen Gründen könne der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 3. Juni 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, er sei als Facharbeiter einzustufen, weshalb das sozialgerichtliche Urteil zutreffe.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und des weiteren Akteninhalts wird auf die Streitakten und die Rentenakte der Beklagten, alle auszugsweise Gegenstand der mündlichen Verhandlung, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) und statthaft (§ 143 SGG).

Die Berufung ist begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufrechterhalten werden, denn der Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 1985 hat dem Kläger zu Recht die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit wie auch die Rente wegen Berufsunfähigkeit entzogen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, 10. Buch, SGB 10). Hinsichtlich der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ist dies unter den Beteiligten nicht streitig. Der Kläger hat deshalb auch nicht die vollständige Aufhebung des Bescheides beantragt.

Zu seinen Gunsten sind jedoch auch die Voraussetzungen einer Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfüllt. Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs. 2 RVO nur der Versicherte, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Im Vergleich zu der Sach- und Rechtslage bei Erteilung des Bescheides vom 17. Mai 1982 ist eine wesentliche Änderung (Besserung) des Gesundheitszustandes eingetreten. Der Kläger ist wieder in der Lage, vollschichtig leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, ohne besondere Anforderungen an das Sehvermögen, nicht in Kälte oder Nässe, wechselnder Körperhaltung und ohne die Notwendigkeit, schwere Gegenstände zu heben und oder zu tragen, sowie sich ständig bücken zu müssen. Zur damaligen Zeit (1982) litt der Kläger an einer Harnröhrenstenose mit schweren Miktionsstörungen. Er mußte ungefähr alle 15 bis 20 Minuten die Toilette aufsuchen. Deshalb war er nicht in der Lage, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Diese Feststellungen beruhen auf dem urologischen Gutachten des Dr. Z. das dieser am 15. Februar 1982 für die Beklagte erstellt hatte. Bereits in diesem Gutachten sah der Urologe jedoch gute Chancen für eine erfolgreiche operative Behandlung. Nachdem diese durchgeführt wurde, bestätigte sich, daß die Stenose beseitigt werden konnte. In seinem zweiten Rentengutachten vom 18. Juni 1984 kommt Dr. Z. folgerichtig zu dem Ergebnis, der Kläger könne nunmehr aus urologischer Sicht alle Tätigkeiten verrichten, müsse sich aber vor Nässe und Unterkühlung schützen. Aus dem sozialärztlichen Gutachten der Vertrauensärztin K. vom 23. November 1984 folgt, daß die Alkoholentwöhnungsbehandlung erfolgreich war und klinisch und laborchemisch keine krankhaften Leberveränderungen vorliegen. Eine Herzrhythmusstörung führt nicht zu einem Pulsdefizit oder zu hämodynamischen Auswirkungen, die Herzleistung ist nicht beeinträchtigt. Es handelt sich um eine leichte Myocardschädigung infolge früheren Alkoholmißbrauchs. Eine geringe Varicosis ist ohne Einfluß auf das körperliche Leistungsvermögen. Auf orthopädischem Gebiet bestehen nach dem Sachverständigengutachten des Dr. A. das der Senat eingeholt hat, eine geringe linkskonvexe Drehskoliose der Brustwirbelsäule, eine verstärkte Kyphose im oberen Drittel und eine Streckstellung der beiden unteren Drittel, ein Zustand nach knöchern festverheilter Fraktur des 3. und 4. Brustwirbelkörpers, eine hochgradige Osteochondrose D 3/4/5, eine diffuse Osteoporose und generalisierte Spondylosis deformans. Ferner kommen ein Lumbalsyndrom bei hochgradiger Osteochondrose L 5/S 1, einer geringen diffusen Osteoporose und einer mäßigen generalisierten Spondylosis deformans der Lendenwirbelsäule, eine beginnende Dupuytren'sche Kontraktur beiderseits, eine Schwellneigung des linken Unterschenkels und Hohlknickfüße hinzu.

Nur den Unfallfolgen im Bereich der Brustwirbelsäule und den degenerativen Lendenwirbelsäulenveränderungen kommt ein gewisser erwerbsmindernder Dauereinfluß zu. Diesen Gesundheitsstörungen trägt der Sachverständige bei der Bewertung des verbliebenen Leistungsvermögens Rechnung, indem er eine wechselnde Körperhaltung, Arbeiten in geschlossenen, warmen Räumen, ohne schweres Heben und Tragen und nicht auf Leitern und Gerüsten fordert. Weitere Einschränkungen, insbesondere hinsichtlich der Dauer der möglichen Arbeitszeit, ergeben sich aus diesen Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet nicht. Die Leiden sind im übrigen einer Behandlung zugänglich, durch die das Leistungsvermögen erhalten werden kann.

Der Senat folgt nach eigener Überprüfung und Meinungsbildung dem Sachverständigengutachten des Dr. A. und den in der Rentenakte vorliegenden erwähnten Gutachten. Diese sind nachvollziehbar und schlüssig. Die Ärzte haben den Kläger eingehend untersucht, alle Befunde festgehalten und sozialmedizinisch gewürdigt. Die Gutachten kommen zu übereinstimmenden Ergebnissen. Danach ist nur die Harnröhrenstenose für das vorübergehend aufgehobene Leistungsvermögen ursächlich gewesen. Insoweit erläutert das zweite urologische Gutachten plausibel, daß von dieser Erkrankung kein dauerhafter erwerbsmindernder Einfluß mehr ausgeht. Zwar trat 1986 eine erneute Stenose auf, die aber nach dem Bericht des Urologen Dr. S. vom 22. November 1986 nicht einmal eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit bedingte. Am 14. März 1986 führte Dr. Sassinek zunächst eine Spaltung der Harnröhre durch. Am 23. März 1987 fand eine interne Urethrotomie statt. Der Kläger befand sich deshalb vom 20. März 1987 bis 28. März 1987 in stationärer Behandlung bei Dr. Ch. im Krankenhaus E. Arbeitsunfähigkeit bestand bis 7. April 1986. Zu dieser Zeit ergaben sich nach dem Befundbericht des Dr. S. vom 26. Mai 1987 keine krankhaften Befunde mehr. Die Stenose war beseitigt. Im Gesundheitszustand sind keine negativen Veränderungen eingetreten.

Die Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren kann der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten (§§ 415 ff. Zivilprozeßordnung, ZPO, 118 SGG), denn der Entscheidungsfindung ist das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zulegen (§ 128 Abs. 1 SGG). Aufgrund der urologischen Befundberichte und der Tatsache, daß eine Verschlimmerung auch vom Kläger nicht vorgetragen worden ist, besteht kein Anhaltspunkt dafür, von Amts wegen ein urologisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Mit diesem Leistungsvermögen ist der Kläger nicht berufsunfähig. Auszugehen ist bei der Beurteilung dieser Frage von dem bisherigen Beruf, also grundsätzlich der zuletzt versicherungspflichtig nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübten Tätigkeit (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 29. November 1979 – 4 RJ 111/78 in SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 53), es sei denn ein zuvor verrichteter qualitativ höherwertigerer Beruf mußte aus krankheitsbedingten Gründen aufgegeben werden. So lag der Fall hier. Als bisheriger Beruf ist die Tätigkeit des Verputzers anzusehen. Der Kläger war zwar zuletzt als Lager- und Zuschneidearbeiter tätig, Beschäftigungen, die nach dem Mehr-Stufen-Schema des BSG (Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion oder besonders qualifizierter Facharbeiter, Facharbeiter, angelernter Arbeiter, ungelernter Arbeiter) den ungelernten Arbeiten zuzurechnen sind, da diese nach den eigenen Angaben des Klägers nach kurzer Einarbeitung verrichtet werden können (zu dem Mehr-Stufen-Schema vgl. BSG, Urteil vom 7. August 1986 – 4 a RJ 73/84 in SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 138).

Seine zuvor ausgeübte Tätigkeit als Verputzer verlor der Kläger aber 1976 aufgrund seiner Alkoholkrankheit. Diese Beschäftigung hätte er ansonsten aller Voraussicht nach bis zu dem Eintritt des Versicherungsfalles vom 10. März 1981 weiter ausgeübt. Diese Arbeit hat der Kläger über viele Jahre hinweg verrichtet. Sie hat seinem Berufsleben das Gepräge gegeben.

Seinen bisherigen Beruf kann er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, da er nur noch fähig ist, leichte Arbeiten zu verrichten. Verputzer müssen jedoch schwere körperliche Arbeiten leisten und sind hierbei auch der Witterung ausgesetzt, wie der Sachverständige Schäfer in einem berufskundlichen Gutachten darlegt.

Der Kläger muß aber einen gewissen beruflichen Abstieg in Kauf nehmen und ist auf eine Tätigkeit als Pförtner oder als Mitarbeiter in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde zu verweisen, Tätigkeiten, wie sie in der zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Auskunft des Landesarbeitsamtes Hessen beschrieben werden. Entsprechende Tätigkeiten stehen in nennenswertem Umfange auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung. Sie können innerhalb einer Einweisungszeit von maximal drei Monaten von jedem durchschnittlichen Versicherten vollwertig ausgeübt werden. Der Senat stützt sich insoweit auf die Auskunft des Landesarbeitsamtes, der zuständigen Fachbehörde, die einen Überblick über den gesamten Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin hat. Der Senat hat keine Bedenken, dieser Auskunft zu folgen. Bei der Pförtnertätigkeit, die der Kläger auch bereits stundenweise ausübt, handelt es sich nicht um einen sogenannten Schonarbeitsplatz (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 9. September 1986 – 5 b RJ 50/84 in SozR 2200 Nr. 139 zu § 1246 RVO). Ein offener Arbeitsmarkt ist lediglich dann in Frage zu stellen, wenn auf die Tätigkeit eines sogenannten "gehobenen Pförtners” verwiesen werden soll. Solche Tätigkeiten sind grundsätzlich leistungseingeschränkten Mitarbeitern des eigenen Betriebes oder der eigenen Behörde vorbehalten und stehen als Eingangsstelle für Bewerber nicht zur Verfügung. Für einfache Pförtner gilt dies nicht (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 12. Dezember 1979 – 1 RJ 132/78 in SozR 2200 Nr. 55 zu § 1246 RVO).

Eine Verweisung auf diese ungelernten Tätigkeiten ist hier zulässig, denn der bisherige Beruf des Klägers ist nicht den Facharbeitertätigkeiten, sondern dem Bereich der angelernten Arbeiten zuzurechnen. Eine Verweisung auf die nächstniedrigere Stufe innerhalb des Stufenschemas ist statthaft (vgl. auch hierzu Urteil des BSG vom 7. August 1986 a.a.O.). Nach dem berufskundlichen Sachverständigengutachten gibt es kein eigenes Berufsbild der Tätigkeit des Verputzers. Das Teilgebiet "Verputz” findet sich in den Berufsbildern des Maurer-, Stukkateur- und des Maler- und Lackiererhandwerks. Der Verputzer führt Außenputz, Innenputz und Gipskartonarbeiten durch, wird aber schon als solcher eingeordnet, wenn er nur auf einem dieser Gebiete tätig ist. Nach dem Ergebnis des berufskundlichen Gutachtens sind Stuckarbeiten (Facharbeitertätigkeit) von Verputzertätigkeiten deutlich zu unterscheiden. Der Kläger räumte selbst ein, daß er Stuckarbeiten nicht ausgeübt hat und hierzu deshalb auch nicht fähig ist. Sein Wissen und Können entspricht den Anforderungen (einfache Verputzarbeiten), die von einem Maurer auf einem Teilgebiet dieses Berufes verlangt werden. Für die Tätigkeit des Verputzers ist keine abgeschlossene Berufsausbildung erforderlich. Es finden sich hier auch Arbeitnehmer, die eine Ausbildung in einem der zuvor genannten Handwerke abgebrochen haben oder auch Berufsfremde, die sich die erforderlichen Fertigkeiten auf andere Weise angeeignet haben. Aus der Tatsache, daß der Kläger die Gesellenprüfung als Maurer abgelegt hat und auf einem Teilgebiet auch dieses Handwerks tätig war, läßt sich nicht der Schluß ziehen, er habe bis zuletzt den Maurerberuf verrichtet. Dies will auch der Sachverständige Schäfer mit seinem Gutachten nicht zum Ausdruck bringen. Zwar legt er dar, es gebe kein eigenes Berufsbild des Verputzers, führt aber gleichfalls aus, daß der Kläger nicht als Maurer angesehen werden kann. Diese Aussage trifft zu. Der Berufsschutz als Facharbeiter mag, ohne daß diese Frage hier zu entscheiden ist, nicht verloren gehen, wenn der Versicherte nach der Gesellenprüfung im praktischen Berufsleben nur mit bestimmten, spezialisierten Aufgabenbereichen seines Berufsfeldes befaßt ist. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Die Putzarbeiten gehören zwar auch zu dem Berufsbild des Maurerhandwerks, prägen dieses Berufsbild aber nicht, denn dieser Tätigkeitsbereich ist mehreren Facharbeiterberufen des Bauhandwerks und des Maler- und Lackiererhandwerks eigen. Dies spiegelt sich in den Tarifverträgen des Maurerhandwerks deutlich wieder (vgl. Bundes-Rahmentarifvertrag für das Baugewerbe mit Anhang Berufsgruppen für die Berufe des Baugewerbes). In dem für 1976 gültigen Tarifvertrag werden die Putzer zwar unter der Rubrik "Maurerarbeiten” aufgeführt, aber von den Maurern gleichwohl unterschieden. In dem ab 1. April 1987 geltenden Tarifvertrag wird der Unterschied deutlicher. Hier werden Maurer und Putzer als gehobene Facharbeiter bezeichnet, die letzteren erhalten aber eine eigene Vergütungsgruppe, da die Tätigkeit als angelernte Spezialtätigkeit und sogar als eigener Beruf angesehen wird (vgl. insoweit bereits Bundes-Rahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 3. Februar 1981 mit Anhang Berufsgruppen für die Berufe des Baugewerbes vom 5. Juni 1978). In den Tarifverträgen werden die Auffassungen der beteiligten Tarifvertragsparteien, die besondere Fachkenntnisse auf dem betreffenden Berufsfeld haben, niedergelegt. Eine Änderung der Verkehrsanschauung ist im Vergleich zu der Zeit, als der Kläger seinen bisherigen Beruf aufgab, nicht eingetreten, wie der Sachverständige ausdrücklich feststellt. Obwohl somit viele Argumente auch für ein eigenes Berufsbild des Putzers sprechen (vgl. auch die von der Beklagten aus anderen Rechtsstreiten vorgelegten berufskundlichen Gutachten), ändert dies an der Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes nichts. Der Sachverständige Sch. will nämlich mit seiner Auffassung ersichtlich nicht zum Ausdruck bringen, der Kläger sei nach der maßgeblichen Verkehrsauffassung und dem Tarifvertrag als Maurer e

inzustufen. Vielmehr führt er aus, ein Maurer sei nicht als Facharbeiter anzusehen, wenn er sich im Laufe der Zeit durch die Verputztätigkeit der Weiterentwicklung im Ausgangshandwerk nicht angepaßt habe, was auf den Kläger zutreffe.

Nichts anderes gilt unter Berücksichtigung der Tarifverträge für das Maler- und Lackiererhandwerk sowie die in Malerarbeiten beschäftigten Verputzer (abgeschlossen zwischen dem Landesinnungsverband des Maler- und Lackierhandwerks und der IG Bau, Steine, Erden, Landesverband Hessen). Nach den jeweils gültigen Lohntabellen wird der Lohn nach der Qualifikation (Facharbeiter, Hilfsarbeiter, Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Ausbildungszeit) gezahlt. Facharbeiter mit artverwandter Lehre (z.B. Maurer, Maler, Weißbinder und Hilfsarbeiter bei Putzern) erhalten im ersten Jahr 95 % des Ecklohnes.

Daraus ist nicht zu entnehmen, daß jeder fachfremde Facharbeiter mit artverwandter Lehre nach dem ersten Jahr einem Stukkateur mit entsprechender Facharbeiterqualifikation gleichgestellt wird, selbst wenn er inzwischen keine gleichen Fertigkeiten und Kenntnisse erworben hat. Aber selbst wenn die tariflichen Regelungen so gemeint wären, wäre dies für die Beurteilung unter rentenversicherungsrechtlichen Kriterien nach den im folgenden dargelegten Grundsätzen ohne Bedeutung.

Unter Berücksichtigung aller dieser Gesichtspunkte steht fest, daß sich der Kläger von dem erlernten Beruf des Maurers freiwillig gelöst hat und an dessen Berufsschutz nicht teilhaben kann. Baufacharbeiter ist nur derjenige Versicherte, der die vorgesehene Vollausbildung von 33 Monaten absolviert hat oder der ohne eine entsprechende Ausbildung die gleiche qualifizierte Tätigkeit vollwertig ausgeführt hat (vgl. Urteil des BSG vom 7. August 1986 a.a.O.). Unerheblich ist, daß in den maßgeblichen Tarifverträgen als Facharbeiter in der Bauwirtschaft auch derjenige bezeichnet wird, der eine Regelausbildung von nicht mehr als zwei Jahren auf zuweisen hat oder entsprechend qualifiziert ist. Nach dem zugrundezulegenden Mehr-Stufen-Schema ist ein solcher Versicherter nur dem oberen Bereich der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten zuzurechnen (BSG a.a.O.). Nicht entscheidend ist schließlich, daß der Kläger wie ein Facharbeiter tariflich eingestuft war und nach der höchsten Tarifgruppe I entlohnt wurde. Die tarifliche Einstufung ist zwar für die Prüfung des bisherigen Berufs und der Verweisbarkeit wichtig, aber insgesamt nur ein Indiz bei der vorzunehmenden Bestimmung. Letztlich entscheidend ist, welche Tätigkeiten der Versicherte tatsächlich verrichtet hat und wie diese nach ihrer qualitativen Wertigkeit zu beurteilen sind. Die tarifliche Einstufung alleine begründet den Berufsschutz als Facharbeiter nicht, wenn sie nicht objektiv die Qualität der Arbeiten wiederspiegelt (vgl. Urteil des BSG vom 15. März 1978 – 1/5 RJ 128/76 in SozR 2200 Nr. 29 zu § 1246 RVO). So liegt der Fall hier, was nach den neueren tariflichen Regelungen für das Baugewerbe, wie dargelegt, deutlicher wird. Der Verputzer übt hiernach eine angelernte Spezialarbeit aus, ist aber kein Maurer, der sich auf bestimmte Maurerarbeiten spezialisiert hat (z.B. Ziegel- und Formsteinmauern, Fassaden-Verblendmauern, Glassteinmauern, Natursteinmauern, Feuerungs- und Schornsteinmauern, Kanal-, Silmauern und Verfugen und hierzu die Berufsinformationskarten, herausgegeben von der Bundesanstalt für Arbeit, 1986, BO 441).

Da der Kläger nach dem Ergebnis des berufskundlichen Sachverständigengutachtens die Verputzerarbeiten qualifiziert und vollwertig ausgeübt hat, diese Arbeiten wiederum nach der tarifvertraglichen Regelung Arbeiten gleichgestellt werden, für die eine Berufsausbildung in Form der Stufenausbildung mit der ersten Stufe erforderlich ist (nach Ende des zweiten Ausbildungsjahres, vgl. BO 441 a.a.O.), kann der Kläger der Gruppe der Versicherten mit dem Leitberuf des Angelernten im oberen Bereich (vgl. BSG, Urteil vom 7. August 1986 a.a.O. und vom 30. September 1987 – 5 b RJ 72/86) zugerechnet werden und ist nicht auf alle Tätigkeiten auch der einfachsten Art zu verweisen (vgl. hierzu auch Eicher, Die Verweisbarkeit von Rentenantragstellern auf andere Tätigkeiten im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung – eine Zusammenfassung der BSG-Rechtsprechung in SGb 88, 357 m.w.N.). Der Senat hat zwei zumutbare Verweisungstätigkeiten benannt, die nicht zu denen einfachster Art gehören (insbesondere Reinigungsarbeiten, siehe auch hierzu Eicher a.a.O.).

Das Risiko, daß der Kläger keine seinem Leistungsvermögen entsprechende vollschichtige Verweisungstätigkeit erhält, ist nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern von der Bundesanstalt für Arbeit zu tragen. Die Rechtsprechung des BSG zur Erwerbsunfähigkeit bei nicht mehr vollschichtig einsatzfähigen Versicherten gilt nur für diesen Personenkreis. Etwas anderes gilt nur dann, wenn besonders gravierende Leistungseinschränkungen bestehen, die z.B. dazu führen, daß der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, zu betriebsüblichen Bedingungen zu arbeiten oder einen Arbeitsplatz von seiner Wohnung aus zu erreichen. Hierfür bestehen nach den zuvor dargelegten Feststellungen des Senats keinerlei Anhaltspunkte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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