L 5 AS 31/08

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 13 AS 25/07
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 AS 31/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für den Beginn des prognostischen Sechsmonatszeitraums iSd § 7 Abs 4 Satz 3 SGB II ist nicht der Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II, sondern der Zeitpunkt des Beginns der Aufnahme im Krankenhaus maßgebend.
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 22.1.2008 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 5.12.2006 bis zum 2.3.2007.

Der 1965 geborene Kläger verbüßte vom 21.1.2002 bis zum 22.11.2006 eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) D. Im Anschluss daran trat er am 22.11.2006 eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in den Kliniken W an. Nach der Aufenthaltsbescheinigung der Kliniken vom 30.11.2006 sollte die Maßnahme bis voraussichtlich 22.5.2007 dauern.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 5.12.2006 auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II durch Bescheid vom 13.12.2006 und Widerspruchsbescheid vom 28.12.2006 ab. Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger habe gemäß § 7 Abs 4 SGB II keinen Leistungsanspruch, weil er länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sei. Hinsichtlich des Sechsmonatszeitraums sei die Zeit des Klinikaufenthalts mit der Haftzeit zusammenzurechnen, auch wenn der Kläger zuletzt in einem Freigängerhaus gewohnt habe.

Am 3.1.2007 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Koblenz erhoben. Er hat ua geltend gemacht, ein Freigängerhaus einer JVA sei keine stationäre Einrichtung iSd § 7 Abs 4 SGB II (Hinweis auf Landessozialgericht LSG Berlin-Brandenburg 2.2.2006 L 14 B 1307/05 AS ER und Bayerisches LSG 29.9.2006 L 7 AS 130/06). Der Kläger wurde am 2.3.2007 aus den Kliniken W entlassen. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 22.1.2008 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe für den streitgegenständlichen Zeitraum gemäß § 7 Abs 4 SGB II keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II. Die Voraussetzungen einer Ausnahme hiervon nach § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 1 SGB II seien nicht erfüllt. Der Sechsmonatszeitraum iS dieser Vorschrift sei nicht unterschritten, weil bei Beginn der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme mit einem sechsmonatigen Aufenthalt zu rechnen gewesen sei.

Gegen dieses ihm am 26.2.2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 3.3.2008 eingelegte Berufung des Klägers, der vorträgt, es könne nicht angehen, dass der Anspruch deshalb ausgeschlossen sei, weil zunächst von einer voraussichtlichen Dauer der Maßnahme von einem halben Jahr ausgegangen worden sei.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Koblenz vom 22.1.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 5.12.2006 bis zum 2.3.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Akte S 13 ER 18/07 AS (SG Koblenz) sowie die Prozessakte des vorliegenden Rechtsstreits verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Dem Kläger stehen für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Leistungen nach dem SGB II zu. Diese Frage beurteilt sich nach § 7 SGB II idF des mit Wirkung vom 1.8.2006 in Kraft getretenen Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706). Leistungen nach dem SGB II erhält nach § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, wozu auch die Kliniken W zählen. Von dem Grundsatz des § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II hat der Gesetzgeber in § 7 Abs 4 Satz 3 SGB II zwar Ausnahmen vorgesehen, deren Tatbestandsmerkmale jedoch nicht erfüllt sind. In Betracht kommt insoweit nur § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 1 SGB II. Danach erhält Leistungen nach dem SGB II, wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch SGB V ) untergebracht ist. Diese Vorschrift kommt dem Kläger auch dann nicht zugute, wenn die Zeit des Aufenthalts in der JVA unberücksichtigt bleibt. Denn zu Beginn der Maßnahme in der Rehabilitationseinrichtung am 22.11.2006 war nicht mit einem Aufenthalt von weniger als sechs Monaten, sondern von mindestens sechs Monaten (zum Fristende vgl § 188 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch BGB ) zu rechnen. Dies ergibt sich aus der Aufenthaltsbescheinigung vom 30.11.2006. Danach war bei Beginn der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme am 22.11.2006 eine Behandlungsdauer bis zum 22.5.2007 geplant. Von dieser Prognose ist auszugehen, auch wenn sich nachträglich herausgestellt hat, dass die Maßnahme in den Kliniken W nur bis zum 2.3.2007 gedauert hat (vgl BSG 6.9.2007 B 14/7b AS 60/06 Rn 12; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 7 Rn 67). Anhaltspunkte dafür, dass vor dem 2.3.2007 das vorzeitige Ende des Aufenthalts in den Kliniken W feststand, hat der Senat nicht.

Maßgebend für den Beginn des prognostischen Sechsmonatszeitraums iSd § 7 Abs 4 Satz 3 SGB II ist nicht der Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II (hier: 5.12.2006), sondern der Zeitpunkt des Beginns der stationären Rehabilitationsmaßnahme (ebenso Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, K § 7 Rn 67; Hackethal in jurisPK SGB II, § 7 Rn 52; offen gelassen von BSG 6.9.2007 aaO Rn 15 für einen Sachverhalt, bei dem das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 noch nicht in Kraft war; abw Spellbrink aaO). Anderenfalls hätte es der Betroffene in der Hand, durch eine Verzögerung der Antragstellung einen Leistungsanspruch nach dem SGB II herbeizuführen. Für diese rechtliche Beurteilung jedenfalls für § 7 Abs 4 SGB II in der ab dem 1.8.2006 geltenden Fassung spricht auch die Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (aaO). In dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (BT Drucksache 16/1410; abgedruckt bei Hauck/Noftz, SGB II, M 050, S 37 zu Nr 7c) heißt es ausdrücklich: "Für diese Gruppe ist eine Prognoseentscheidung zu Beginn des Aufenthaltes im Krankenhaus zu treffen."

Einer Beiladung (§ 75 Abs 2 SGG) des im Hinblick auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB II für den streitigen Zeitraum leistungspflichtigen Sozialhilfeträgers zum vorliegenden Rechtsstreit bedarf es nicht. Der Sozialhilfeträger hat dem Kläger für die Zeit während dessen Aufenthaltes in den Kliniken W bereits Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gewährt (vgl Bl 12, 17 der Akte S 13 ER 18/07 AS).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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