L 8 B 698/08 AL ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AL 158/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 B 698/08 AL ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 8. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens ist die Frage, ob die Antragsgegnerin (Ag) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, der Antragstellerin (Ast) vorläufig Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Ast war vom 01.01.2003 bis zum 31.08.2005 bei der F. Versicherungs AG (F) beschäftigt. Zum 01.09.2005 nahm sie eine selbständige Tätigkeit als Vermittlerin von Versicherungs- und Bausparverträgen sowie von Finanzdienstleistungen auf. Dazu hatte sie laut aktenkundigem Beratungsvermerk der Ag vom 23.08.2005 erklärt, ab 01.09.2005 die Selbständigkeit zu planen. Ferner hatte sie einen Antrag auf Überbrückungsgeld gestellt. Am 01.09.2005 übernahm die Ast eine Vertretung einer Versicherungs AG in B-Stadt.
Einen am 22.08.2005 mit Wirkung zum 01.09.2005 gestellten Antrag auf Arbeitslosengeld hatte die Ag nicht verbeschieden. Aktenkundig ist lediglich ein entsprechender Entwurf eines Bescheides vom 11.11.2005.
Am 29.04.2008 beantragte die Ast erneut Arbeitslosengeld und gab an, weiterhin eine Tätigkeit als Selbständige in einem Umfang von zehn Stunden in der Woche in einer OHG auszuüben, deren Gesellschafter ihr Ehegatte und sie seien.
Mit Bescheid vom 29.04.2008 lehnte die Ag den Antrag ab, da die Anwartschaftszeit nicht erfüllt und die Ast innerhalb der Rahmenfrist von zwei Jahren vor dem 23.04.2008 nicht mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden sei.
Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete die Ast im Wesentlichen damit, dass ihr nicht erklärt worden sei, dass sie durch die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld komplett verwirke. Die Ag hätte darauf hinweisen müssen, dass sie sich erst zum 02.09.2005 selbständig machen solle, um den Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht zu verlieren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.06.2008 wies die Beklagte den Rechtsbehelf zurück. Der Antrag auf Arbeitslosengeld hätte, auch wenn er nicht fiktiv gestellt wäre, abgelehnt

werden müssen, da wegen Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zum 01.09.2005 Arbeitslosigkeit nicht eingetreten wäre.
Dagegen erhob die Ast Klage zum Sozialgericht Landshut - SG -.
Ferner hat die Ast die vorläufige Zuerkennung von Arbeitslosengeld im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Sie sei pflichtwidrig beraten worden. Auf die Übergangsfrist und die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung sei nicht hingewiesen worden.
Mit Beschluss vom 08.07.2008 hat das SG den Antrag abgewiesen und ausgeführt, weder Anordnungsanspruch noch Anordnungsgrund lägen vor. Die Ag könne nicht zu einer Gesetz und Recht widersprechenden Handlung verpflichtet werden. Durch die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zum 01.09.2005, die durch die eigenen Erklärungen der Ast und die vorgelegte Gewerbeanmeldung dokumentiert sei, sei nämlich die Arbeitslosigkeit entfallen, so dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht bestehe. Im Übrigen wäre eine freiwillige Versicherung nur möglich gewesen, wenn die Ast innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtige, den Antrag gestellt hätte. Da die Möglichkeit aber erst ab 01.02.2006 rechtlich bestanden habe und die selbständige Tätigkeit am 01.09.2005 aufgenommen worden sei, sei auch im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine nachträgliche Weiterversicherung nicht mehr möglich, da die selbständige Tätigkeit tatsächlich am 01.09.2005 aufgenommen worden sei. Selbst bei einer möglichen Pflichtverletzung bei der Beratung durch die Ag könne das Gericht die Ast nicht zu einer rechtswidrigen Handlung verpflichten. Auch die Übergangsvorschrift ermögliche zum jetzigen Zeitpunkt keine Antragstellung mehr. Im Übrigen seien für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes keine besonderen Gründe glaubhaft gemacht.
Dagegen hat die Ast Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht - LSG - eingelegt und ausgeführt, ihr stehe ein Anspruch auf Arbeitslosengeld im Rahmen des sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruchs zu, obwohl vorliegend tatsächlich die nach § 123 SGB III erforderliche Anwartschaftszeit innerhalb der Rahmenfrist nicht erfüllt sei. Hintergrund sei dabei, dass die Ast im Jahr 2005 im Rahmen der Existenzgründung durch die Ag in mehrfacher Hinsicht falsch beraten worden sei. Sie verfüge zusammen mit ihrem Ehemann nicht über ein Einkommen, welches die Bestreitung des Lebensunterhalts ermögliche. Im Haushalt der Eheleute befinde sich ein minderjähriges Kind. Sie sei dringend auf die Ar

beitslosengeldzahlung angewiesen. Dem Beschwerdeschriftsatz war eine Einnahme-/Überschussrechnung beigefügt.
Die Ast beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 08.07.2008 aufzuheben und die
Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr ab dem 23.03.2008
vorläufig Arbeitslosengeld in der gesetzlichen Höhe bis 22.04.2009, längstens jedoch
bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens in der Hauptsache zu bezahlen.
Die Ag beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Zu Recht hat das SG den Eilantrag des Ast auf Erlass der hier statthaften Regelungsanordnung abgelehnt. Denn die Voraussetzungen des § 86b Abs.2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) für den Erlass der beantragten Eilentscheidung liegen nicht vor.

Da der Ast ohne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes keine schwere Verletzung in ihren Rechten im Sinne der zur Existenzsicherung entwickelten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts droht (vgl. dazu Beschluss des BVerfG vom 12.05.2005
1 BvR 569/05 Juris Rn. 25), sind der Eilentscheidung vorliegend die einfach-gesetz-
lichen Maßgaben des § 86b Abs.2 Satz 2 SGG im Sinne eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes zugrunde zu legen, die in Fällen wie dem vorliegenden keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen (vgl. dazu BVerfG, vom 29.07.2003, 2 BvR 311/3 juris Rn. 13, BVerfG NJW 1989, 827).

Nach dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Im Hinblick auf den zu fordernden Überzeugungsgrad bzw. auf den Beweismaßstab verweist § 86b Abs. 2

Satz 4 SGG unter anderem auf § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -, wonach Anspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen sind. Aus den genannten Vorschriften ist der Überzeugungsgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit abzuleiten, wobei auch im Eilverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG gilt (vgl. Burkholz, Der Untersuchungsgrundsatz im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren, S. 67 ff.). Aus den genannten Regelungen ergibt sich mithin, dass ein Anordnungsanspruch gegeben ist, wenn der zu sichernde Hauptsacheanspruch dem Ast mit durch Glaubhaftmachung oder Amts-
ermittlung herbeigeführter überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht, wenn also eine Vorausbeurteilung der Hauptsacheklage nach summarischer Prüfung ergibt, dass das Obsiegen des Ast in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn im Interimszeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein wesentlicher Nachteil im Sinne einer über Randbereiche hinausgehenden Rechtsverletzung droht (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage 2008, Rn. 293, 300, jeweils m.w.N.).

Für die gestellten Anträge fehlt es schon an einem Anordnungsanspruch. Es besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Ast der geltend gemachte Ansprüche zusteht.
Für den in den §§ 117 ff. SGB III geregelten Anspruch auf Arbeitslosengeld fehlt es an der erforderlichen Anwartschaftszeit, §§ 118 Abs. 1 Nr. 3, 123 S. 1 SGB III. Die hierfür gesetzlich geforderten Voraussetzungen liegen - was insbesondere ausweislich der Ausführungen der Ast im Beschwerdeschriftsatz zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nicht vor. Die Anwartschaftszeit erfüllt nach dieser Vorschrift, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tage vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, § 124 Abs. 1 SGB III. Die Rahmenfrist umfasst vorliegend also die Zeit vom 23.04.2006 bis 22.04.2008. Innerhalb dieser Zeit stand die Ast nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis im Sinne des § 24 SGB III; sie war auch nicht versicherungspflichtig im Sinne des § 26 SGB III. Entsprechendes wird auch von der Ast nicht behauptet.
Auch nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs steht der Ast ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht zu. Denn die Zuerkennung eines solchen Anspruchs würde gegen § 123 f. SGB III verstoßen.
Die Verletzung von Nebenpflichten, die einem Sozialleistungsträger gegenüber dem Versicherten aus dem Sozialrechtsverhältnis obliegen, kann für diesen einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen. Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Anspruch hat auf der Tatbestandsseite zur Voraussetzung, dass eine Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers vorliegt, dem Betroffenen ein sozialrechtlicher Nachteil entstanden ist und eine Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Nachteil besteht. Auf der Rechtsfolgenseite ist der Anspruch auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung
eines Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllte hätte. Der Betroffene ist also so zu stellen, als stehe ihm das infolge der Pflichtverletzung beeinträchtigte Recht (noch) in vollem Umfang zu. Der Herstellungsanspruch kann den Leistungsträger aber nicht zu einer Gesetz und Recht widersprechenden Handlung verpflichten (vgl. z.B. BSG SozR 3-4100 § 125 Nr. 1 S. 10 m.w.N.; Niesel, SGB III; 4. Aufl. 2007, Anhang zu
§ 323 Rn. 28 f.). Jedenfalls daran scheitert die Zuerkennung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs der Ast. Denn die Zuerkennung von Arbeitslosengeld wurde gegen die §§ 123 Satz 1, 118 Abs. 1 Nr. 3 SGB III verstoßen. Im Übrigen fehlt es für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auch an der zu fordernden Kausalität. Denn der Antrag auf Arbeitslosengeld vom 22.08.2005 hätte auch deshalb abgelehnt werden müssen, weil bei der Ast Arbeitslosigkeit nicht eingetreten ist. Das Arbeitsverhältnis bei F. wurde am 31.08.2005 beendet, im unmittelbaren Anschluss daran wurde die selbständige Tätigkeit zum 01.09.2005 aufgenommen.
Im Übrigen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Beschlusses des SG Bezug, § 142 Abs. 2 S. 2 SGG.
Die Beschwerde war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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