L 5 KR 327/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 KR 459/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 327/06
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 15.09.2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird auf 1.802,61 Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand:


Der Kläger, ein bayerischer Landkreis, wendet sich dagegen, dass die Beklagte auf Grund einer Betriebsprüfung Gesamtsozialversicherungsbeiträge für Kreisbrandmeister und Kreisbrandinspektoren nachfordert.

Mit Bescheid vom 04.12.2000/Widerspruchsbescheid vom 14.05.2001 forderte die Beklagte vom Kläger aufgrund Betriebsprüfung vom 22.05.2000 bis 25.05.2000 für den Prüfzeitraum 01.01.1996 bis 30.04.2000 Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach. Neben anderen, hier nicht näher zu erläuternden Nachforderungen, machte die Beklagte geltend, die im Gebiet des Klägers tätigen Kreisbrandmeister und Kreisbrandinspektoren - die Beigeladenen zu 1) bis 12), im Folgenden: beigeladene Kreisbrandmeister und -inspektoren - seien versicherungspflichtig beschäftigt. Die im Prüfzeitraum gezahlten Aufwandsentschädigungen seien nach Abzug von Freibeträgen beitragspflichtig, so dass sich eine Nachforderung i.H.v. Euro 1.802,61 ergebe. Der Argumentation des Klägers, die beigeladenen Kreisbrandmeistern und -inspektoren stünden als ehrenamtlich für den Freistaat Bayern im Rahmen landesrechtlicher Sondernormen Tätige nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zu ihm, folgte die Beklagte nicht.

Gegen die Nachforderung hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg erhoben, wo ein der Großteil der anderweitig begründeten Nachforderung mit Vergleich vom 21.11.2003 (S 10 KR 139/02) erledigt wurde. Der Kläger hat gegen die danach noch strittige Beitragsforderung im Wesentlichen vorgebracht, ausgehend von der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts bestehe zwischen ihm und den beigeladenen Kreisbrandmeister und -inspektoren kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Die Beklagte hat hingegen die Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts als nicht gefestigt angesehen und darauf hingewiesen, dass die Feuerwehrführungskräfte mit allgemeinen Verwaltungsaufgaben betraut und bei deren Wahrnehmung weisungsgebunden tätig seien.

Mit Gerichtsbescheid vom 15.09.2006 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Kreisbrandinspektoren und Kreisbrandmeister seien nicht beim Kläger beschäftigt, weil sie als ehrenamtlich Tätige aufgrund der Sonderregelungen im Bayerischen Feuerwehrgesetz ein Amtsverhältnis besonderer Art bekleideten. Zudem erhielten sie kein Entgelt, sondern nur eine Entschädigung, so dass ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis nicht bestehe.

Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und sich zur Begründung auf die Rechtsprechung des BSG im Beschluss vom 04.04.2006 - B 12 KR 76/05 B - bezogen. Kommunale Ehrenbeamte seien einem Beschäftigungsverhältnis zuzuordnen, wenn sie Verwaltungstätigkeiten ausübten. Dies sei bei den beigeladenen Kreisbrandmeistern und -inspektoren der Fall. Die Feuerwehrführungskräfte seien im Rahmen der gesetzlich zugewiesenen Aufgaben weisungsgebunden und in die Strukturen des Feuerwehrwesens eingebunden tätig, so dass eine abhängige Beschäftigung vorliege. Eine quantitative oder qualitative Abwägung, ob gleichzeitig Repräsentationsaufgaben wahrgenommen würden, sei nicht vorzunehmen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten die Höhe der Nachforderung übereinstimmend unstreitig gestellt. Der Kläger hat eine Aufstellung der von den beigeladenen Kreisbrandmeistern und -inspektoren tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben übergeben.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 15.09.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 23) und 24) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die übrigen Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogenen Betriebsprüfungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 141, 153 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Streitwertgrenzen des § 144 Abs 1 S 2 SGG hindern die Berufung nicht, weil die strittige Entscheidung der Beklagten eine Beitragspflichtentscheidung enthält und zudem kein Erstattungsstreit zwischen Sozialleistungsträgern besteht (vgl. BSG Urteil vom 24.05.2006 - B 3 KR 15/05 R).

Die Berufung ist auch begründet, zu Recht hat die Beklagte die beigeladenen Kreisbrandmeister und -inspektoren als Beschäftigte des Klägers angesehen und in der Folge die entsprechenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge dem Grunde und der Höhe nach zutreffend geltend gemacht.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 04.12.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2002 nur noch insoweit, als dort Gesamtsozialversicherungsbeiträge i.H.v. Euro 1.802,61 für die beigeladenen Kreisbrandmeister und
-inspektoren nachgefordert wurden, die im Prüfzeitraum 01.01.1996 bis 30.04.2000 im Gebiet des Klägers tätig waren. Nicht mehr Streitgegenstand sind weitere in der Ausgangsentscheidung enthaltene Beitragsnachforderungen; über diese ist nach Erledigung im Widerspruchsbescheid sowie im gerichtlichen Vergleich vom 21.11.2003 nicht mehr zu befinden.

1.

Die auf § 28p Abs.1 Satz 5 SGB IV gestützte Entscheidung der Beklagten, vom Kläger Beiträge wegen einer Beschäftigung der beigeladenen Kreisbrandmeister und
-inspektoren nachzufordern, weil diese versicherungs- und beitragspflichtig beschäftigt worden seien, beruht auf dem Beschäftigungsbegriff des Sozialgesetzbuches. Versicherungs- und beitragspflichtig ist in der Sozialversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V,
§ 20 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sowie gemäß § 168 Abs. 1
Satz 1 AFG/§ 25 Abs. 1 SGB III, wer in einem Beschäftigungsverhältnis nach § 7 Abs. 1 SGB IV (in der hier z.T. noch anzuwendenden bis zum 31.12.1999 geltenden Fassung vor der Änderung durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999 - BGBl. I 2000, S.2 sowie in der durch dieses Gesetz geänderten Fassung) steht. Nach dieser Legaldefinition ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung nach den tatsächlichen Verhältnissen (vgl. z.B. BSG Urteil vom 24.01.2007 - B 12 KR 31/06 R).

2.

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Bayerische Landessozialgericht bisher die Tätigkeit von Kreisbrandmeistern und -inspektoren nicht dem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zugeordnet, sondern ein besonderes Amtsverhältnis zum Freistaat Bayern angenommen (Urteile vom 14.02.2006 - L 5 KR 132/04 und vom 25.08.2005
- L 4 KR 41/02). Demgegenüber hat das BSG im Beschluss vom 04.04.2006 - B 12 KR 76/05 B zur Versicherungs- und Beitragspflicht von bayerischen Kreisbrandräten ausgeführt, dass diese in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, wenn sie allgemeine Verwaltungsaufgaben wahrnehmen und hierfür eine den tatsächlichen Aufwand übersteigende pauschale Aufwandsentschädigung erhalten. Im Hinblick auf diese Entscheidung des BSG sieht sich der Senat nicht mehr in der Lage, die bisherige Rechtsprechung aufrecht zu erhalten.

a)
Weder das Bestehen eines Ehrenamtes noch eine kommunale oder landesrechtliche Organstellung hindern die Annahme einer abhängigen Beschäftigung. Vielmehr ist nach der Konzeption des SGB zur Versicherungspflicht zu unterscheiden zwischen den beiden Kategorien abhängige Leistung von Diensten und selbständige Tätigkeit. Eine Unterscheidung nach einer Beschäftigung in öffentlichen oder privaten Diensten findet nicht statt; vielmehr spricht die ausdrückliche Befreiung von der Versicherungspflicht für Beamte in den einzelnen Versicherungszweigen (insbesondere gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB V sowie § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI) dafür, dass öffentlich Bedienstete bzw. mit einem Amt ausgestattete Personen grundsätzlich dem Beschäftigungsverhältnis zuzuordnen sind.

b)
Die Aufgaben der beigeladenen Kreisbrandmeister und -inspektoren sind in Art. 19 Bayerisches Feuerwehrgesetz (BayFwG) normiert; sie unterstützen den Kreisbrandrat, der auf sie einen Teil seiner ebenfalls in Art. 19 BayFwG zugewiesenen Aufgaben delegiert. In Konkretisierung hierzu bestimmen die Erste Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Feuerwehrgesetzes (1. AVBayFwG - BayRS 215-3-1-1-I) vor allem in § 12 Abs. 2 und 3 sowie die Bekanntmachung zum Vollzug des Bayerischen Feuerwehrgesetzes (VollzBekBayFWG - i.d.F. der Bekanntmachung vom 28.08.1998, AllMbl 19/1998 S. 728) in Ziff. 19 deren nähere Aufgaben. Dazu zählen vor allem die Inspektion und Überwachung von Feuerwehr-Fahrzeugen und -Geräten, von Atem- und Strahlenschutzausrüstungen sowie die jeweilige Ausbildung und Schulung der Feuerwehrkräfte. Dieser öffentlich-rechtlich verbindlichen Aufgabenzuweisung entspricht auch die Zusammenstellung der Aufgaben, die der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung übergeben hat und die als Tätigkeitsbereiche in erster Linie Überwachung und Einteilung der Unterstellten, Unterstützung und Ausbildung von Feuerwehrkräften, Inspektorentätigkeiten, Teilnahme an Dienstbesprechungen sowie im Brandfall die Übernahme von Leitungstätigkeiten benennt.

Diese Tätigkeiten entsprechen nicht dem Typus der selbständigen unternehmerischen Tätigkeit, die durch ein eigenständiges Auftreten am Markt, eigenverantwortliche Bestimmung der Tätigkeit, den Einsatz eigener Betriebsmittel sowie durch ein Unternehmerrisiko, welches gleichzeitig eine Unternehmenschance eröffnet, gekennzeichnet ist.

Vielmehr sind Überwachungs- und Inspektionsaufgaben in der den beigeladenen Kreisbrandmeistern und -inspektoren zugewiesenen und von ihnen tatsächlich ausgeübten Art typische Tätigkeiten im Rahmen einer vorgegebenen Verwaltungsstruktur. Kreisbrandmeister und -inspektoren kümmern sich in einem zugewiesenen Teilbereich darum, dass die mit öffentlichen Mitteln eingerichteten Feuerwehren vor Ort ihre Aufgaben wahrnehmen können. Dazu unterstützen sie den Kreisbrandrat in nachgeordneter Stellung, indem sie fremde Gerätschaften auf Funktionsfähigkeit überprüfen, funktionsfähig erhalten, auf den aktuellen Stand bringen lassen und den Ausbildungsstand der Feuerwehrkräfte auf dem Laufenden halten. Es handelt sich somit unabhängig von einer weitgehend freien Zeiteinteilung um typische allgemeine Arbeiten einer Verwaltung, die zudem örtlich auf das Gebiet des Klägers begrenzt sind.

Hierbei versteht der Senat die Formulierung des BSG "dem allgemeinen Erwerbsleben zugängliche Verwaltungsaufgaben" dahingehend, dass nicht der Zugang zu diesen Aufgaben maßgeblich ist. Denn die Aufgabenzuweisung von Kreisbrandmeistern und -inspektoren wäre nicht der Allgemeinheit zugänglich, sondern beruht auf einem in
Art. 19 ff BayFwG in Verbindung mit den dazu erlassenen Normen geregelten Sonderverfahren, in das nur ein geschlossener Personenkreis einbezogen wird. Vielmehr dient die Bezeichnung des BSG dazu, allgemeine Aufgaben einer Verwaltung von den besonderen Repräsentationsaufgaben öffentlicher Würdenträger abzugrenzen. Hierzu zählt die strittige Tätigkeit jedenfalls nicht. Auf die Frage, ob die Aufgaben der beigeladenen Kreisbrandmeister und -inspektoren dem eigenen oder dem übertragenen Wirkungskreis eines bayerischen Landkreises zuzuordnen ist, kommt es insoweit nicht an.

Darüber hinaus sind die beigeladenen Kreisbrandmeister und -inspektoren zur höchstpersönlichen Arbeitsleistung verpflichtet, was sie endgültig der typischen Stellung eines Beschäftigten zuordnet.

c)
Die beigeladenen Kreisbrandmeister und -inspektoren erhalten zwar kein arbeitnehmertypisches Entgelt nach geleisteten Arbeitsstunden, sondern eine pauschalierte Aufwandsentschädigung. Mit dieser wird jedoch wenigstens zum Teil der Ausfall von entgangenem Entgelt ausgeglichen. Dies ergibt sich u.a. auch daraus, dass beruflich Selbständige für Feuerwehrtätigkeiten Verdienstausfall nur auf Antrag und mit konkretem Nachweis enthalten (Ziff. 9.2 VollzBekBayFWG). Es ist deshalb gerechtfertigt, die gezahlte Entschädigung der Beitragspflicht zu unterwerfen und damit gleichzeitig Minderanwartschaften auszugleichen, die aus ausgefallenen Entgelten oder Entgeltanteilen resultieren.

Zudem wird durch die Beitragspflicht ein vom Gesetzgeber gewollter weitgehender Gleichklang von Steuer- und Sozialrecht (vgl § 17 Abs 1 S 2 SGB IV) erreicht. Denn
Ziff 20 VollzBekBayFWG sieht nur einen Drittelteil der Entschädigungsleistung sowie in Ausbildungsfällen den Übungsleiterfreibetrag als steuerfrei an, während der übrige Teil zu versteuern ist.

d)
Der Kläger ist als Landkreis auch der Aufwandsträger der streitigen Entschädigungen
(Art. 20 Abs. 1 S. 2 BayFwG). Er setzt die Entschädigung fest und zahlt sie monatlich im Voraus (Art. 20 Abs. 3 BayFwG). Er nimmt beitragsrechtlich die in §§ 28a SGB IV normierten Arbeitgeberfunktionen wahr, so dass die Beklagte ihm gegenüber berechtigt war, die streitgegenständlichen Nachforderungen durch Bescheid festzusetzen.

Diese Beiträge sind von der Beklagten zutreffend auch der Höhe nach festgesetzt worden, insbesondere unter Berücksichtigung der gemäß Ziff. 20 VollzBekBayFWG steuer- und damit beitragsfreien Anteile; hierüber besteht zudem zwischen den Beteiligten kein Streit.

Die Beitragsnachforderung der Beklagten ist somit zu Recht ergangen. Auf die Berufung der Beklagten wird deshalb die entgegenstehende Entscheidung des Sozialgerichts aufgehoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung umfasst den in der Berufung noch streitigen Anteil der Beitragsnachforderungen, §§ 1 Nr. 4, 52 Abs. 1 GKG.

Die Revision wird zugelassen, § 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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