Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 31 R 4660/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 600/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Dezember 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die der Klägerin bewilligte Rente wegen Erwerbsminderung mit dem ungeminderten Zugangsfaktor von 1,0 oder mit einem Zugangsfaktor von 0,892 zu berechnen ist.
Die Beklagte gewährte der 1953 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 29. Oktober 2004 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. Januar 2004 bis zum 30. Juni 2006. Laut Anlage 6 des Bescheides wurde der Zugangsfaktor von 1,0 um (36 x 0,003 =) 0,108 auf 0,892 vermindert. Der Rentenberechnung wurden dementsprechend anstelle von 39,8267 persönlichen Entgeltpunkten (Ost) – EP – nur 35,5254 EP zugrund gelegt. Dies hatte eine Absenkung der Rentenhöhe um 10,8 % zur Folge (monatlicher Zahlbetrag ab 01. Januar 2004 748,30 Euro). Zugleich wurde im Versicherungsverlauf eine Zurechnungszeit von insgesamt 117 Monaten vom Eintritt der Erwerbsminderung am 17. Juni 2003 bis zum Tag vor Vollendung des 60. Lebensjahres am 29. März 2013 berücksichtigt. Diese Berechnungselemente lagen auch dem Bescheid vom 23. März 2006 zugrunde, mit dem der Klägerin eine weitere Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. Juli 2006 bis zum Ablauf des Monats Juni 2008 bewilligt wurde.
Mit Schreiben vom 21. August 2006 beantragte die Klägerin die Neuberechnung der Rente ab 01. Januar 2004. Sie begehrte insoweit die Zugrundelegung des ungeminderten Zugangsfaktors 1,0 und berief sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Mai 2006 (B 4 RA 22/05 R = SozR 4-2600 § 77 Nr. 3). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 23. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07. Juni 2007 die begehrte Neuberechnung mit der Begründung ab, die Überprüfung habe ergeben, dass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Rente wegen Erwerbsminderung sei in zutreffender Höhe unter Anwendung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI – mit einem um 10,8 % geminderten Zugangsfaktor berechnet worden. Das Urteil des BSG vom 16. Mai 2006 entspreche nicht der Rechtsauffassung und bisherigen Verwaltungspraxis der Beklagten.
Mit der am 14. Juni 2007 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und geltend gemacht, das BSG habe in dem genannten Urteil eindeutig dargelegt, dass die Verfahrensweise der Rentenversicherungsträger gesetz- und verfassungswidrig sei. Die Beklagte habe auch in ihrem Fall das Urteil umzusetzen, ihre Rente mit dem ungeminderten Zugangsfaktor neu zu berechnen und den Nachzahlungsbetrag nebst Zinsen an sie auszuzahlen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 05. Dezember 2007 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte habe zu Recht die teilweise Rücknahme der Rentenbescheide vom 29. Oktober 2004 und 23. März 2006 abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X – lägen nicht vor, denn bei Erlass dieser Bescheide sei das Recht nicht unrichtig angewandt worden. Der Monatsbetrag der Rente sei jeweils zutreffend nach § 46 SGB VI errechnet worden. Streitig sei zwischen den Beteiligten allein die Minderung des Zugangsfaktors nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI für sämtliche Zeiten vor Vollendung des 63. Lebensjahres der Klägerin. Der Auffassung des Vierten Senats des BSG in dem von der Klägerin zur Begründung ihres Begehrens zitierten Urteil vom 16. Mai 2006, dass eine Kürzung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht zulässig sei, könne nicht gefolgt werden. Die davon abweichende Rechtsauffassung und Praxis der Rentenversicherungsträger finde ihre Stütze im Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI, dem Zusammenhang mit anderen Regelungen dieser Norm und anderer Vorschriften, ihrer Entstehungsgeschichte und der aus den Gesetzesmaterialien hervorgehenden Regelungsabsicht des Gesetzgebers, der eine Anpassung der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten beabsichtigt habe, um Ausweichreaktionen entgegen zu wirken. Die geänderte Fassung des § 77 SGB VI sei auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, was das Sozialgericht dann näher ausgeführt hat.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 04. Februar 2008 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 28. Februar 2008, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung, dass es für den Eingriff der Beklagten in ihre von Art. 14 Grundgesetz geschützten Rentenanwartschaften an einer gesetzlichen Grundlage mangele. Nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 77 SGB VI sei eine Kürzug des Zugangsfaktors um monatlich 0,003 nur bei einem Rentenbezug ab Vollendung des 60. Lebensjahres für längstens 36 Monate bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres zulässig.
Die Klägerin beantragt der Sache nach,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Dezember 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihre Rente wegen Erwerbsminderung unter Änderung der Bescheide vom 29. Oktober 2004 und 23. März 2006 für Bezugszeiten ab 01. Januar 2004 ohne Kürzung um 36 Kalendermonate (10,8 %) neu festzusetzen, die sich daraus ergebende Nachzahlung an sie auszuzahlen und die auszuzahlende Summe nach § 44 SGB I zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegte Rentenakte der Klägerin Bezug genommen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet über die Berufung ohne mündliche Verhandlung, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt.
Die Klägerin kann nicht die teilweise Rücknahme der Bescheide vom 29. Oktober 2004 und 23. März 2006 und eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung beanspruchen. Als Rechtsgrundlage für dieses Klagebegehren kommt nur § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Die Beklagte hat bei Erlass der Bescheide vom 29. Oktober 2004 und 23. März 2006 das Recht richtig angewandt.
Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich gemäß § 63 Abs. 6, § 64 Nr. 1 bis 3 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen EP, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Der Zugangsfaktor ist ein Berechnungselement der persönlichen EP, dessen Höhe in § 77 SGB VI näher geregelt ist. Maßgebend ist im Falle der Klägerin die Fassung der Norm durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827). Danach richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter des Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, ob die vom Versicherten während des Erwerbslebens erzielten EP in vollem Umfang oder nur zu einem Anteil bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist für EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI unter anderem bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Die im März 1953 geborene Klägerin hatte offenkundig bei Beginn der ihr bewilligten Renten wegen Erwerbsminderung das 63. Lebensjahr nicht vollendet.
Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit – wie im Falle der Klägerin – schon vor Vollendung des 60. Lebensjahres, so bestimmt § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dass die Vollendung des 60. Lebensjahres für die "Bestimmung des Zugangsfaktors" maßgebend ist. Diese Regelung beinhaltet entgegen der Auffassung der Klägerin keinen Ausschluss einer Kürzung des Zugangsfaktors für Bezieher von Erwerbsminderungsrenten vor Vollendung des 60. Lebensjahres, sondern begrenzt die Kürzung auf maximal 36 x 0,003 = 0,108. Dafür sprechen Wortlaut und systematische Stellung des § 77 SGB VI, ferner Sinn und Zweck, systematischer Gesamtzusammenhang und Entstehungsgeschichte der Norm, wie das Sozialgericht ausführlich und zutreffend dargelegt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf Bl. 7 bis 12 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Aus diesen Ausführungen des Sozialgerichts ergibt sich auch, weshalb die Klägerin aus dem von ihr herangezogenen Urteil des BSG vom 16. Mai 2006 – B 4 RA 22/05 R – nichts zu ihren Gunsten herleiten kann. Die Instanzgerichte sind diesem Urteil praktisch ausnahmslos nicht gefolgt. Aufgrund der daraufhin wiederum eingelegten Revisionen hat das BSG die Rechtsprechung des – nicht mehr für die gesetzliche Rentenversicherung zuständigen – 4. Senats – inzwischen ausdrücklich aufgegeben (vgl. Urteile des 5. Senats vom 14. August 2008, u. a B 5 R 32/07 R, zitiert nach Juris; der 13. Senat des BSG hatte auf Anfrage mitgeteilt, an der Rechtsprechung des 4. Senats nicht festhalten zu wollen, vgl. Beschluss vom 26. Juni 2008 – B 13 R 9/08 S –). In dem zitierten Urteil vom 14. August 2008 hat das BSG eingehend und in Übereinstimmung mit der einhelligen Literaturmeinung dargelegt, dass und aus welchen Gründen abweichend von der Auffassung des 4. Senats § 77 Abs. 2 SGB VI in der seit dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung eine Minderung des Zugangsfaktors auch bei der Inanspruchnahme von Erwerbsminderungsrenten vor dem 60. Lebensjahr regelt und dies auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
Der erkennende Senat hält die Ausführungen des BSG in der zitierten Entscheidung für überzeugend und schließt sich ihnen an. Ergänzend ist auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 2008 – BvL 3/05 u. a. hinzuweisen (vgl. Pressemitteilung Nr. 102/08 vom 04. Dezember 2008). Zwar betrifft diese Entscheidung zur Zulässigkeit der dauerhaften Kürzung die etwas anders gelagerte Konstellation bei einer vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente, beinhaltet insoweit aber auch Ausführungen zu einer zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung für Rentenanwartschaften im Rahmen des Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die der Klägerin bewilligte Rente wegen Erwerbsminderung mit dem ungeminderten Zugangsfaktor von 1,0 oder mit einem Zugangsfaktor von 0,892 zu berechnen ist.
Die Beklagte gewährte der 1953 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 29. Oktober 2004 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. Januar 2004 bis zum 30. Juni 2006. Laut Anlage 6 des Bescheides wurde der Zugangsfaktor von 1,0 um (36 x 0,003 =) 0,108 auf 0,892 vermindert. Der Rentenberechnung wurden dementsprechend anstelle von 39,8267 persönlichen Entgeltpunkten (Ost) – EP – nur 35,5254 EP zugrund gelegt. Dies hatte eine Absenkung der Rentenhöhe um 10,8 % zur Folge (monatlicher Zahlbetrag ab 01. Januar 2004 748,30 Euro). Zugleich wurde im Versicherungsverlauf eine Zurechnungszeit von insgesamt 117 Monaten vom Eintritt der Erwerbsminderung am 17. Juni 2003 bis zum Tag vor Vollendung des 60. Lebensjahres am 29. März 2013 berücksichtigt. Diese Berechnungselemente lagen auch dem Bescheid vom 23. März 2006 zugrunde, mit dem der Klägerin eine weitere Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. Juli 2006 bis zum Ablauf des Monats Juni 2008 bewilligt wurde.
Mit Schreiben vom 21. August 2006 beantragte die Klägerin die Neuberechnung der Rente ab 01. Januar 2004. Sie begehrte insoweit die Zugrundelegung des ungeminderten Zugangsfaktors 1,0 und berief sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Mai 2006 (B 4 RA 22/05 R = SozR 4-2600 § 77 Nr. 3). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 23. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07. Juni 2007 die begehrte Neuberechnung mit der Begründung ab, die Überprüfung habe ergeben, dass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Rente wegen Erwerbsminderung sei in zutreffender Höhe unter Anwendung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI – mit einem um 10,8 % geminderten Zugangsfaktor berechnet worden. Das Urteil des BSG vom 16. Mai 2006 entspreche nicht der Rechtsauffassung und bisherigen Verwaltungspraxis der Beklagten.
Mit der am 14. Juni 2007 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und geltend gemacht, das BSG habe in dem genannten Urteil eindeutig dargelegt, dass die Verfahrensweise der Rentenversicherungsträger gesetz- und verfassungswidrig sei. Die Beklagte habe auch in ihrem Fall das Urteil umzusetzen, ihre Rente mit dem ungeminderten Zugangsfaktor neu zu berechnen und den Nachzahlungsbetrag nebst Zinsen an sie auszuzahlen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 05. Dezember 2007 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte habe zu Recht die teilweise Rücknahme der Rentenbescheide vom 29. Oktober 2004 und 23. März 2006 abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X – lägen nicht vor, denn bei Erlass dieser Bescheide sei das Recht nicht unrichtig angewandt worden. Der Monatsbetrag der Rente sei jeweils zutreffend nach § 46 SGB VI errechnet worden. Streitig sei zwischen den Beteiligten allein die Minderung des Zugangsfaktors nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI für sämtliche Zeiten vor Vollendung des 63. Lebensjahres der Klägerin. Der Auffassung des Vierten Senats des BSG in dem von der Klägerin zur Begründung ihres Begehrens zitierten Urteil vom 16. Mai 2006, dass eine Kürzung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht zulässig sei, könne nicht gefolgt werden. Die davon abweichende Rechtsauffassung und Praxis der Rentenversicherungsträger finde ihre Stütze im Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI, dem Zusammenhang mit anderen Regelungen dieser Norm und anderer Vorschriften, ihrer Entstehungsgeschichte und der aus den Gesetzesmaterialien hervorgehenden Regelungsabsicht des Gesetzgebers, der eine Anpassung der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten beabsichtigt habe, um Ausweichreaktionen entgegen zu wirken. Die geänderte Fassung des § 77 SGB VI sei auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, was das Sozialgericht dann näher ausgeführt hat.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 04. Februar 2008 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 28. Februar 2008, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung, dass es für den Eingriff der Beklagten in ihre von Art. 14 Grundgesetz geschützten Rentenanwartschaften an einer gesetzlichen Grundlage mangele. Nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 77 SGB VI sei eine Kürzug des Zugangsfaktors um monatlich 0,003 nur bei einem Rentenbezug ab Vollendung des 60. Lebensjahres für längstens 36 Monate bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres zulässig.
Die Klägerin beantragt der Sache nach,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Dezember 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihre Rente wegen Erwerbsminderung unter Änderung der Bescheide vom 29. Oktober 2004 und 23. März 2006 für Bezugszeiten ab 01. Januar 2004 ohne Kürzung um 36 Kalendermonate (10,8 %) neu festzusetzen, die sich daraus ergebende Nachzahlung an sie auszuzahlen und die auszuzahlende Summe nach § 44 SGB I zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegte Rentenakte der Klägerin Bezug genommen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet über die Berufung ohne mündliche Verhandlung, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt.
Die Klägerin kann nicht die teilweise Rücknahme der Bescheide vom 29. Oktober 2004 und 23. März 2006 und eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung beanspruchen. Als Rechtsgrundlage für dieses Klagebegehren kommt nur § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Die Beklagte hat bei Erlass der Bescheide vom 29. Oktober 2004 und 23. März 2006 das Recht richtig angewandt.
Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich gemäß § 63 Abs. 6, § 64 Nr. 1 bis 3 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen EP, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Der Zugangsfaktor ist ein Berechnungselement der persönlichen EP, dessen Höhe in § 77 SGB VI näher geregelt ist. Maßgebend ist im Falle der Klägerin die Fassung der Norm durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827). Danach richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter des Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, ob die vom Versicherten während des Erwerbslebens erzielten EP in vollem Umfang oder nur zu einem Anteil bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist für EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI unter anderem bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Die im März 1953 geborene Klägerin hatte offenkundig bei Beginn der ihr bewilligten Renten wegen Erwerbsminderung das 63. Lebensjahr nicht vollendet.
Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit – wie im Falle der Klägerin – schon vor Vollendung des 60. Lebensjahres, so bestimmt § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dass die Vollendung des 60. Lebensjahres für die "Bestimmung des Zugangsfaktors" maßgebend ist. Diese Regelung beinhaltet entgegen der Auffassung der Klägerin keinen Ausschluss einer Kürzung des Zugangsfaktors für Bezieher von Erwerbsminderungsrenten vor Vollendung des 60. Lebensjahres, sondern begrenzt die Kürzung auf maximal 36 x 0,003 = 0,108. Dafür sprechen Wortlaut und systematische Stellung des § 77 SGB VI, ferner Sinn und Zweck, systematischer Gesamtzusammenhang und Entstehungsgeschichte der Norm, wie das Sozialgericht ausführlich und zutreffend dargelegt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf Bl. 7 bis 12 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Aus diesen Ausführungen des Sozialgerichts ergibt sich auch, weshalb die Klägerin aus dem von ihr herangezogenen Urteil des BSG vom 16. Mai 2006 – B 4 RA 22/05 R – nichts zu ihren Gunsten herleiten kann. Die Instanzgerichte sind diesem Urteil praktisch ausnahmslos nicht gefolgt. Aufgrund der daraufhin wiederum eingelegten Revisionen hat das BSG die Rechtsprechung des – nicht mehr für die gesetzliche Rentenversicherung zuständigen – 4. Senats – inzwischen ausdrücklich aufgegeben (vgl. Urteile des 5. Senats vom 14. August 2008, u. a B 5 R 32/07 R, zitiert nach Juris; der 13. Senat des BSG hatte auf Anfrage mitgeteilt, an der Rechtsprechung des 4. Senats nicht festhalten zu wollen, vgl. Beschluss vom 26. Juni 2008 – B 13 R 9/08 S –). In dem zitierten Urteil vom 14. August 2008 hat das BSG eingehend und in Übereinstimmung mit der einhelligen Literaturmeinung dargelegt, dass und aus welchen Gründen abweichend von der Auffassung des 4. Senats § 77 Abs. 2 SGB VI in der seit dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung eine Minderung des Zugangsfaktors auch bei der Inanspruchnahme von Erwerbsminderungsrenten vor dem 60. Lebensjahr regelt und dies auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
Der erkennende Senat hält die Ausführungen des BSG in der zitierten Entscheidung für überzeugend und schließt sich ihnen an. Ergänzend ist auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 2008 – BvL 3/05 u. a. hinzuweisen (vgl. Pressemitteilung Nr. 102/08 vom 04. Dezember 2008). Zwar betrifft diese Entscheidung zur Zulässigkeit der dauerhaften Kürzung die etwas anders gelagerte Konstellation bei einer vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente, beinhaltet insoweit aber auch Ausführungen zu einer zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung für Rentenanwartschaften im Rahmen des Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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