L 6 U 160/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 2323/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 160/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05.12.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob bei der Klägerin "Mobbing am Arbeitsplatz" zum Eintritt des Versicherungsfalls eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit (BK) bzw. einer Wie-BK geführt hat und ob ihr deshalb Rente zusteht.

Mit Schreiben vom 25.10.2005 teilte die am 1951 geborene Klägerin der Beklagten über ihren damaligen Bevollmächtigten mit, sie sei in Folge von Auseinandersetzungen mit ihrer Arbeitgeberin, der S. AG, und nachfolgendem arbeitsgerichtlichem Verfahren traumatisiert und seither wegen schwerer psychischer Erkrankung nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit auf Dauer nachzugehen. Da die Gesundheitsstörungen ausschließlich auf Streitigkeiten mit der Arbeitgeberin zurückzuführen seien, beantrage sie, die psychischen Gesundheitsstörungen als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihr Rente zu gewähren. Auf Rückfrage der Beklagten legte ihr Bevollmächtigter mit Schreiben vom 12.04.2006 unter anderem folgende Unterlagen vor: - Schreiben der Klägerin vom 08.11.2004, in dem sechzehn Ursachen aufgeführt werden, die zu ihrer Erkrankung geführt hätten - Schreiben der Klägerin vom 25.06.2003 ("Erläuterung der Umstände") über die Entwicklung im Betrieb vom Februar 2000 bis 27.09.2000 - FAX-Schreiben der Klägerin vom 26.06.2003 mit Nachtrag vom 27.06.2003 - Protokoll der Mitarbeiterinformationsveranstaltung vom 22.09.2000 - Sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der K. (MDK) Baden- Württemberg vom 01.09.2004 (Arbeitsunfähigkeit seit 24.06.2003 wegen rezidivierender depressiver Episode, gegenwärtig schwer ohne psychotische Symptome) - Bescheinigung der S.- Betriebskrankenkasse (SBK) vom 23.09.2004 (u.a. arbeitsunfähig vom 06. bis 10.04.1999 wegen psychischer Dekompensation, vom 30.05. bis 12.06.2000 wegen depressiver Störung und vom 27.08. bis 22.09. sowie 28.11. bis 20.12.2002 wegen Reaktion auf schwere Belastung, Depression). Der Bevollmächtigte trug hierzu vor, die Auseinandersetzung sei am 26.09.2000 eskaliert, als alle Mitarbeiter die Unterschrift zur Auflösung des Arbeitsvertrages verweigert hätten.

Mit Bescheid vom 18.07.2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls sowie der psychischen Erkrankung als BK oder wie eine BK mit der Begründung ab, bei den Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber und dem nachfolgenden arbeitsgerichtlichen Verfahren habe es sich nicht um ein zeitlich begrenztes Ereignis innerhalb einer Arbeitsschicht gehandelt. Die bei der Klägerin bestehende Erkrankung gehöre ferner nicht zu den in der BKen-Liste genannten Erkrankungen. Den hiergegen erhobenen, von der Klägerin nicht begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 19.04.2007 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 09.05.2007 Klage bei dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) mit dem Ziel, ihre psychische Erkrankung als bzw. wie eine BK anzuerkennen und ihr Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (v.H) zu gewähren, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Anerkennung ihrer psychischen Erkrankung als Arbeitsunfall Rente zu gewähren. Sie trug vor, ihre Erkrankung sei wie eine BK anzuerkennen, weil die Personengruppe der Arbeitnehmer im unteren Angestelltenbereich erfahrungsgemäß größerer Willkür gegenüber ihren direkten Vorgesetzten und den darüber stehenden Vorgesetzten ausgesetzt sei als beispielsweise Schichtführer, Abteilungsleiter, etc. Außerdem könne man davon ausgehen, dass die Einwirkungen durch den Arbeitgeber mit ständigen Drohungen des Verlustes des Arbeitsplatzes und Ähnlichem zu den bei ihr aufgetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hätten. Hilfsweise sei sie der Auffassung, dass zumindest das einmalige Ereignis ihrer fristlosen Kündigung als Arbeitsunfall anzuerkennen sei und ihr deshalb Rentenleistungen zu gewähren seien. Insbesondere die langjährige gute Zusammenarbeit und Prämienzahlungen auf Grund guter Leistungen hätten bei ihr durch die Aushändigung der fristlosen Kündigung einen derartigen Schock entstehen lassen, dass eine schwere narzisstische Kränkung und Enttäuschung aufgetreten sei, die zu einer schweren depressiven Episode geführt habe. Die Abnahme der Schlüssel vor der versammelten Belegschaft und der Verweis vom Betriebsgelände hätten das Schockereignis manifestiert.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Mit dem Gerichtsbescheid vom 05.12.2007 - den Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 10.12.2007 - wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen legte es dar, die Klägerin habe in ihrem Schreiben vom 08.11.2004 selbst eine Vielzahl von Gründen und Vorgängen benannt, welche die Ursachen ihrer Erkrankung sein sollten. Beispielhaft erwähnte es die von der Klägerin benannten Repressalien in Form von Androhungen der Arbeitsplatzverlagerung, der Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit, der Androhung, dass Überstunden nicht bezahlt würden, Erpressung zur Unterschrift am 26.09.2000, fehlende Unterstützung des Betriebsrates vor Ort sowie Abnahme der Betriebsschlüssel am 23.12.2002. Auf Grund der zahlreichen von der Klägerin aufgelisteten Vorgänge lasse sich nicht die zweifelsfreie Schlussfolgerung treffen, dass eine einzelne Einwirkung sich aus der Gesamtheit der angeschuldigten Vorgänge entscheidend hervorhebe. Auch die Anerkennung einer BK gem. § 9 Abs. 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) scheide aus. Neue Erkenntnisse zur Bedeutung des Mobbing am Arbeitsplatz für bestimmte Berufsgruppen, insbesondere wie vorgetragen für die Berufsgruppe im unteren Angestelltenbereich, seinen weder von der Klägerin benannt, noch sonst ersichtlich. Hierbei stützte sich das SG auf das Urteil des LSG Berlin vom 15.07.2003 - L 2 U 145/01 - und die wiedergegebene Auskunft des Ministeriums für Arbeit- und Sozialordnung vom 12.08.2002.

Am 10.01.2008 hat die Klägerin hiergegen Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und trägt weiter vor, das Ereignis vom 26.09.2000, als sie auf dem Betriebsgelände zur Unterschrift genötigt worden sei, überstrahle alle sonstigen Geschehnisse im Betrieb und sei die wesentliche Ursache für ihre anhaltende schwere psychische Erkrankung. Es sei innerhalb einer Arbeitsschicht aufgetreten und deshalb als Arbeitsunfall anzuerkennen. Im Übrigen sei ihre psychische Erkrankung jedenfalls wie eine BK anzuerkennen und zu entschädigen. Vom Mobbing am Arbeitsplatz seien nämlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im unteren Anstellungsbereich besonders betroffen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, welche dem mittleren oder oberen Anstellungsbereich zuzuordnen seien, seien besser in der Lage, sich gegen Willkür am Arbeitsplatz oder Drucksituationen im Betrieb zur Wehr zu setzen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05.12.2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2007 zu verurteilen, ihre psychische Erkrankung als Folge des Arbeitsunfalls vom 26.09.2000, hilfsweise als Folge einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGB VII anzuerkennen und ihr Rente in Höhe von mindestens 20 v. H. der Vollrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für richtig. Dass die der Klägerin am 26.09.2000 abgenötigte Unterschrift zur Auflösung des Arbeitsvertrages alle sonstigen Geschehnisse im Betrieb "überstrahlt" habe und die wesentliche Ursache für ihre Erkrankung gewesen sei, sei durch nichts belegt. Im Gegenteil widersprächen die früheren Schilderungen der Klägerin dieser Sichtweise.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung ihrer psychischen Erkrankung als Folge eines Arbeitsunfalls oder als Folge einer BK bzw. wie einer BK sowie auf Gewährung von Rente hat.

Das SG hat im angefochtenen Urteil die Rechtsvorschriften und Grundsätze für die Feststellung von gesundheitlichen Störungen als Folge eines Arbeitsunfalls bzw. als Folge einer BK zutreffend dargelegt und sie richtig angewandt. Der Senat nimmt daher nach eigener Überprüfung insoweit auf die Darlegungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren gibt dem Senat keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Insbesondere konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, das Geschehen vom 26.09.2000 hebe sich aus der Gesamtheit einzelner sonstiger belastender Geschehnisse dergestalt hervor, dass es nicht nur als die letzte von mehreren für den Erfolg gleichwertiger Ursachen anzusehen sei, vielmehr im Sinne der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung maßgeblichen Kausalitätslehre die wesentliche Bedingung darstelle.

Zwar hat die Klägerin das Geschehen vom 26.09.2000 in ihren Schreiben vom 25., 26. und 27.06.2003 weit ausführlicher als sonstige belastende Ereignisse in anderen schriftlichen Äußerungen beschrieben und ausgeführt, sie habe einen leichten Nervenzusammenbruch bekommen und nur unter diesem psychischen Druck den Vertrag unterschrieben, wonach ihr Arbeitsverhältnis künftig bei einem anderen Arbeitgeber mit verschlechterten Bedingungen fortgesetzt werden sollte. In seinem Schreiben vom 25.10.2005 hat der damalige Bevollmächtigte der Klägerin jedoch nicht auf ein einmaliges Ereignis abgehoben, sondern ausgeführt, die Klägerin sei "infolge Auseinandersetzungen mit ihrem Arbeitgeber - der FA S. AG - und nachfolgendem arbeitsgerichtlichen Verfahren traumatisiert und seither wegen schwerer psychischer Erkrankung nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit auf Dauer nachzugehen". Die Gesundheitsstörungen seien ausschließlich auf die Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber zurückzuführen. Diese Darstellung hebt den dynamischen Charakter einer lange andauernden Auseinandersetzung hervor und lässt sich nicht mit der Annahme vereinbaren, die Klägerin habe durch ein zeitlich auf eine Arbeitsschicht begrenztes, besonders herausragendes Ereignis ein psychisches Trauma erlitten. Dagegen spricht ferner das Schreiben der Klägerin vom 08.11.2004, in welchem sie eine Vielzahl belastender Vorgänge geschildert und abschließend ausgeführt hat: "Alle diese Punkte haben zu meiner schweren psychischen Erkrankung geführt". Gegen die jetzt behauptete Einzigartigkeit der abgenötigten Unterschrift vom 26.09.2000 spricht ferner die Darstellung der Klägerin im Schriftsatz vom 04.10.2007, insbesondere die langjährige gute Zusammenarbeit und Prämienzahlungen auf Grund guter Leistungen hätten durch die Aushändigung der fristlosen Kündigung bei ihr einen derartigen Schock entstehen lassen, dass eine schwere narzisstische Kränkung und Enttäuschung aufgetreten sei. Diese habe zu einer schweren depressiven Episode geführt. Die Abnahme der Schlüssel vor der versammelten Belegschaft und der Verweis vom Betriebsgelände hätten das Schockereignis manifestiert. Die Klägerin hat nämlich nach dem 26.09.2000 jedenfalls noch bis zum 30.06.2002 bei der S. AG weitergearbeitet. Erst am 23.12.2002 wurden ihr nach ihrer Darstellung vom 08.11.2004 die Betriebschlüssel abgenommen und sie wurde vom Hof geschickt. Damit stimmen ihre anamnestischen Angaben im sozialmedizinischen Gutachten von Dr. H.-B. vom 01.09.2004 im Wesentlichen überein, wonach die Klägerin nach dem 26.09.2000 noch zwei Jahre bei der S. AG in B. weiter gearbeitet habe, allerdings ständig "unter Terror". Zuletzt sei sie dann rausgeschmissen worden, weil sie weitere Vereinbarungen nicht habe unterschreiben wollen. Ihr sei dann fristlos gekündigt worden. Ihre dagegen gerichtete Klage habe das Arbeitsgericht K. zunächst abgewiesen, in der Berufungsverhandlung in M. habe sie jedoch am 28.05.2004 Recht bekommen. Schließlich spricht entscheidend gegen die Bedeutung der Ereignisse vom 26.09.2000 als herausragendes Ereignis die Bescheinigung der SBK vom 23.09.2004 über die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin. Danach war diese nämlich schon vom 06. bis 10.04.1999 und relativ kurz vor dem im Berufungsverfahren angeschuldigten Ereignis vom 26.09.2000 in der Zeit vom 30.05. bis 12.06.2000 wegen psychischer Dekompensation bzw. einer depressiven Störung krankgeschrieben. Im Anschluss an den 26.09.2000 erfolgte jedoch keine Krankschreibung trotz des von der Klägerin behaupteten "leichten Nervenzusammenbruchs". Danach erfolgte erst in der Zeit vom 09.07. bis 03.09.2001 eine Krankschreibung, die nur neben internistischen Erkrankungen einer Diagnose aus dem psychiatrischen Fachgebiet zugeordnet werden kann ("somatoforme autonome Funktionsstörung"). Es folgten Krankschreibungen vom 27.08. bis 22.09 sowie 28.11. bis 20.12.2002 (Reaktion auf schwere Belastung) und vom 24.06.2003 bis 30.09.2004 (depressive Störung, schwere Episode, Belastungsreaktion).

Soweit die Klägerin jetzt mit ihrem Hilfsantrag die Feststellung einer psychischen Erkrankung als Folge einer BK oder wie eine BK begehrt, konnte sie auch damit nicht durchdringen. Der Senat hat die in dem Rechtsstreit L 7 U 2563/00 eingeholte Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit- und Sozialordnung (BMA) vom 27.11.2000 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Danach können die Voraussetzungen einer erhöhten Gefährdung bestimmter Personengruppen gegenüber der übrigen Bevölkerung, durch ihre Arbeit wegen Mobbings zu erkranken, vom Verordnungsgeber nicht bejaht werden. Beim Mobbing handelt es sich um ein kaum eingrenzbares Krankheitsbild als mögliche Folge von fast beliebig ausweitbaren und vorstellbaren Mobbing-Aktionen von Kollegen oder Vorgesetzten, das wegen der besonderen Bedingungen des BKen-Rechts nicht als BK anerkannt werden kann. Diesen Standpunkt hat das Ministerium in seiner vom LSG Berlin in seinem Beschluss vom 15.07.2003 - L 2 U 145/01 (zitiert nach Juris) wiedergegebenen Auskunft vom 12.08.2002 nochmals bekräftigt. Das LSG Berlin hat aaO ferner aus der Kurzfassung eines Mobbingreports der Sozialforschungsstelle D. zitiert, wonach es keine "mobbingfreie" Zone gibt, sondern sich das Phänomen quer durch alle Berufsgruppen, Branchen und Betriebsgrößen sowie Hierarchiestufen und Tätigkeitsniveaus zieht. Danach liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass vom Mobbing am Arbeitsplatz Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im unteren Anstellungsbereich besonders betroffen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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