L 1 SF 220/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 SF 220/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Allein auf die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens kann ein Befangenheitsantrag nicht erfolgreich gestützt werden unabhängig von der Ursache der zeitlichen Verzögerung. Unbeantwortete Sachstandsanfrage bzw. die Nichtweiterleitung von Schriftsätzen müssen unverzüglich gerügt werden andernfalls geht das Ablehnungsrecht verloren
Das Gesuch der Antragstellerin den Richter am Sozialgericht wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen wird zurückgewiesen.

Gründe:

Gemäß § 60 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Die nur subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, ist dagegen nicht Maßstab der Prüfung. Dies zugrunde gelegt hat die Antragstellerin hier keinen Grund glaubhaft gemacht, der Anlass bieten könnte, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln.

Die Antragstellerin bemängelt hier in erster Linie die lange Dauer des Verfahrens. Sie hat am 11. Oktober 2005 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist. Beide Anträge mit Begründung wurden von dem abgelehnten Richter zeitnah der Antragsgegnerin und Beklagten in diesem Klageverfahren zur Stellungnahme übersandt. Auf deren Stellungnahme hin beantragten die Bevollmächtigten der Antragstellerin Akteneinsicht zur weiteren Klagebegründung. Die Akteneinsicht wurde ebenfalls zeitnah gewährt und erfolgte im Januar 2006. Eine weitergehende Begründung der Klage und des Antrags auf Wiedereinsetzung erfolgte dann im April 2006. Diese Begründung wurde wiederum zeitnah der Beklagten zur Stellungnahme übersandt, welche im Mai 2006 erfolgte. Diese Stellungnahme, in der die Beklagte auf widersprüchliche Angaben der Antragstellerin im jetzigen Verfahren und im Entschädigungsverfahren hinwies, wurde den Bevollmächtigten der Antragstellerin unverzüglich zur Stellungnahme übermittelt verbunden mit der Nachricht an die Antragstellerin, es werde " demnächst über den Wiedereinsetzungsantrag" entschieden. Deren Stellungnahme vom Juni 2006 wurde ebenfalls mit dem Vermerk, es werde demnächst über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden zeitnah an die Beklagte zur freigestellten Stellungnahme übersandt. Auf den zuletzt genannten Vermerk des Richters abstellende Anfragen der Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 21. September 2006 und 23. November 2006 wurden durch den Richter nicht beantwortet. Eine erneute Anfrage der Bevollmächtigten der Antragstellerin erfolgte dann erst wieder im Juli 2008. Hierauf antwortete der Richter wieder zeitnah Anfang August und teilte mit, es werde nunmehr über die Wiedereinsetzung "kurzfristig" entschieden. In gleicher Weise wurde eine Sachstandsanfrage der Beklagten beantwortet. Mit Beschluss vom 17. Oktober 2008 wurde sodann der Antrag auf Wiedereinsetzung abgelehnt, nachdem der Richter zuvor noch bei der Beklagten angefragt hatte, ob diese bereit sei, die Klageschrift als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten. Dieser Anregung kam die Beklagte nach (Schriftsatz vom 28. 10. 2008). Diesen Sachverhalt zugrunde gelegt besteht auch aus Sicht der Antragstellerin bei objektiver und vernünftiger Betrachtung nicht zuletzt auch im Hinblick auf die in der Öffentlichkeit bekannte Überlastung gerade des Sozialgerichts Berlin noch kein Grund zur Annahme, der Richter werde sein Amt nicht unparteilich ausüben. Die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens belastet alle Prozessbeteiligten gleichermaßen und begründet für sich genommen keinen Anhaltspunkt für die Annahme, der Richter stehe dem einen oder anderen Beteiligten nicht mit der gebotenen Neutralität und Unbefangenheit gegenüber. Dies gilt auch dann, wenn der antragstellende Beteiligte ein besonderes Interesse an einer beschleunigten Sachentscheidung hat und ihm der seit Verfahrensbeginn verstrichene Zeitraum unerklärlich lang erscheint (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1998, 1052). Es ist vielmehr Sache des Gerichts, nach seinem Ermessen darüber zu befinden, in welcher Weise das Verfahren in dem Zeitraum von der Klageerhebung bis zur Entscheidung zu fördern ist (vgl. OVG Münster, NJW 1993, 2259). Dementsprechend hat der Gesetzgeber einen Ablehnungsgrund der Verfahrensverzögerung nicht in die Befangenheitsvorschriften aufgenommen und inzwischen selbst für das schiedsgerichtliche Verfahren den Ablehnungsgrund der ungebührlichen Verzögerung im Gegensatz zu der früheren Regelung des § 1032 Abs.2 ZPO in der ab 01.01.1998 geltenden Fassung durch Art.1 Nr.6 des Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22.12.1997 (BGBl.1997 I S.3224) nicht mehr normiert. Auch in dem von den Bevollmächtigten der Antragstellerin zitierten Fall des LSG Niedersachsen- Bremen (NZS 1994-nicht 1964-S. 575 ff.) stand nicht die reine zeitliche Verzögerung im Vordergrund sondern die darüber hinausgehende Untätigkeit des Gerichts, die sich in der Nichtbeantwortung von Sachstandsanfragen und Nichtweiterleitung von Schriftsätzen äußerte. So liegt der Fall hier jedoch nicht. Die allenfalls vergleichbare Nichtbeantwortung der Anfragen vom 21. September und 23. November 2006 haben die Bevollmächtigten hingenommen und sich durch die erneute Anfrage erst im Juli 2008 ihres Rügerechts begeben. Das Ablehnungsgesuch muss nämlich alsbald nach Kenntnis des Ablehnungsgrundes bei dem Prozessgericht gestellt werden; das Recht, den Richter abzulehnen, geht verloren, wenn die Befangenheit nicht rechtzeitig geltend gemacht wird (§ 60 SGG i. V. m. §§ 42, 43 ZPO, vgl. BSG vom 16. 10. 2003 Az.: B 3 P 16/03 B zit. nach Juris). Die darauf folgende erneute Verzögerung stellt sich als nicht so ungewöhnlich dar, dass daraus die Besorgnis der Befangenheit hergeleitet werden könnte. Zumal der Richter hier zeitnah geantwortet und Abhilfe versprochen hat. Die Bevollmächtigten der Antragstellerin haben diese weitere Verzögerung auch nicht gesondert gerügt, sondern erst nachdem ihnen die für sie negative Entscheidung des Gerichts bekannt geworden war. Es liegt nahe anzunehmen, dass der Inhalt der Entscheidung und nicht die weitere Verzögerung durch das Gericht, Anlass für das Befangenheitsgesuch war. Soweit die Bevollmächtigten der Antragstellerin insoweit rügen, dass der abgelehnte Richter seinen Beschluss "grob unzureichend" begründet habe, kann dem nicht gefolgt werden. Ein Richter kann grundsätzlich nicht mit der Begründung, eine verfahrens- und/oder materiell-rechtlich falsche Entscheidung getroffen zu haben, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Fehlerhafte Entscheidungen sind vielmehr ausschließlich mit den gegebenen Rechtsbehelfen anzugreifen, wie das hier mit der Beschwerde, über die der 6. Senat entscheiden wird, erfolgt ist.

Anders verhielte es sich allerdings, wenn sich der abgelehnte Richter dem begründeten Verdacht ausgesetzt hätte, eine Willkürentscheidung getroffen zu haben, wovon die Bevollmächtigten der Antragstellerin hier wohl ausgehen. Dem vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Selbst eine möglicherweise grob fehlerhafte Entscheidung begründet noch nicht den Anschein der Willkür. Dass es dem abgelehnten Richter nicht alleine darum ging, die Sache "vom Tisch haben zu wollen", wie die Bevollmächtigten der Antragstellerin meinen, wird alleine schon daraus deutlich, dass der Richter mit der Anregung an die Beklagte die Klageschrift als Überprüfungsantrag aufzufassen, einen Weg gewiesen hat, der zur inhaltlichen Überprüfung des Begehrens der Antragstellerin führen kann, selbst wenn sich der Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet herausstellen sollte. Schließlich widerspricht diesem Gedanken der Bevollmächtigten der Antragsteller auch, dass der Richter mit seiner Entscheidung gerade eine Verfahrensweise gewählt hat, die es nicht ausschließt, dass er die Sache noch einmal auf "den Tisch" bekommt. Hätte er dagegen, was aus seiner Sicht ohne weiteres möglich gewesen wäre, über den Klageanspruch nach § 105 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden, wäre seine weitere Befassung, abgesehen vom Fall einer Zurückverweisung durch das LSG, ausgeschlossen und auch dem Befangenheitsgesuch der Boden entzogen gewesen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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