S 5 KR 235/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 235/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klagen werden abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens je 1/3.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte im Rahmen eines Aufsichtsbescheides berechtigt ist, die Klägerin zu 1) zu verpflichten, die Höhe der jährlichen Vergütung der Kläger zu 2) und 3) einschließlich Nebenleistungen zu veröffentlichen.

Die Klägerin zu 1) ist eine bundesweit auftretende Betriebskrankenkasse, bei den Klägern zu 2) und 3) handelt es sich um ihre Vorstände.

Im Mai 2004 forderte die Beklagte als Aufsichtsbehörde die Klägerin zu 1) auf, sich dahingehend zu erklären, dass sie ihrer Pflicht aus § 35 a Abs. 6 Satz 2 4. Buch, Sozialgesetzbuch (SGB IV) nachkommen und die Höhe der Vergütung ihrer Vorstände im Bundesanzeiger und in ihrer Mitgliederzeitschrift veröffentlicht werde. Dies lehnte die Klägerin zu 1) unter Hinweis auf verfassungsrechtliche Bedenken ab, woraufhin die Beklagte am 25.08.2004 einen Verpflichtungsbescheid erließ und die Klägerin zu 1) aufforderte, entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen die Vorstandsgehälter im Bundesanzeiger und in den Mitgliederzeitschriften zu veröffentlichen.

Hiergegen richtet sich die am 24.09.2004 erhobene Klage der Klägerin zu 1).

Die Vorstände hatten gegen den Verpflichtungsbescheid vom 24.08.2004 Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2004 zurückgewiesen wurde. Hierbei vertrat die Beklagte die Auffassung, eine Beeinträchtigung der Rechte des Vorstands durch die gegen die Kassen ergangenen Verpflichtungsbescheide sei nicht gegeben, so dass der von den Vorständen erhobene Widerspruch als unzulässig zurückzuweisen sei. Im Übrigen sei auch in materieller Hinsicht keine Rechtswidrigkeit des Verpflichtungs-bescheides festzustellen. Die Versicherungsträger seien nicht befugt, darüber zu entscheiden, ob eine Bestimmung angewendet wird oder nicht. Insoweit besäßen die Versicherungsträger keine Verwerfungskompetenz, die ihr die Nichtbeachtung eines Gesetzes gestatten würde.

Am 26.11.2004 sind die Kläger zu 2) und 3) der Klage beigetreten.

Gemeinsam mit der Klägerin zu 1) vertreten sie die Auffassung, durch die in § 36 a SGB IV enthaltene Regelung sei das Krankenkassenselbstverwaltungsrecht verletzt. Ferner berühre die Vorschrift in unzulässiger Weise das Recht auf informationelle Selbstbe-stimmung des Vorstandes. Ziel der Gesetzesänderung sei nicht - wie behauptet - die Kostendämpfung gewesen. Vielmehr spreche die Fokussierung auf die Vorstandsbezüge dafür, dass der Gesetzgeber den unrichtigen Eindruck habe erwecken wollen, die Höhe der Vorstandsbezüge sei ein wesentlicher Faktor für die vielfach beklagten hohen Beitragssätze der Krankenkasse. In ihrem Kern sei die Vorschrift daher lediglich darauf gerichtet, Sozialneid zu schüren und von den tatsächlichen Problemen der GKV abzulenken. Dies sei mit der Wertordnung des Grundgesetzes nicht vereinbar und daher verfassungswirdrig.

Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Mitglieder einzelner Kassen die Angemessenheit der Vorstandsbezüge ohnehin nicht überprüfen könnten, da sich dieser Betrag letztlich nur als Produkt eines komplexen Vertragswerkes darstelle. Um dem Gesetzeszweck der Förderung von Transparenz in der gesetzlichen Krankenversicherung Genüge zu tun, reiche es völlig aus, wenn die Höhe des Gesamtverwaltungskosten sowie ihres prozentualen Anteils an den Gesamtausgaben einer Krankenkasse veröffentlicht würden. Auch die gesetzlichen Regelungen zur Besoldung im öffentlichen Dienst könnten nicht als Argument für die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichungspflicht angeführt werden, da dort lediglich das Grundgehalt bezogen auf die jeweilige Besoldungsstufe und das Alter wiedergegeben würde. Auch seien Beamte und Richter nicht gezwungen, ihre Gehälter in regelmäßigen Abständen neu zu verhandeln.

Daneben verweisen die Kläger gleichfalls auf europarechtliche Bedenken im Hinblick auf Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und unter Bezugnahme auf Art. 6 der Datenschutzrichtlinie (RL 95/46/EG vom 24.10.1995).

Die Klägerin zu 1) beantragt,

den Verpflichtungsbescheid der Beklagten vom 24.08.2004 aufzuheben.

Die Kläger zu 2) und 3) beantragen,

den Verpflichtungsbescheid der Beklagten vom 24.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, der angefochtene Verpflichtungsbescheid sei rechtmäßig und verletze nicht die Rechte der Klägerin zu 1), zumal diese ohnehin als Versicherungsträger keine eigene Verwerfungskompetenz habe und an Recht und Gesetz gebunden sei. Die Klage der Vorstände sei unzulässig. Diese sei nicht Adressat des Verpflichtungsbescheides, so dass eine Beeinträchtigung in eigenen Rechten unmittelbar ausscheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Anfechtungsklagen der Vorstände sind unzulässig.

Neben den sonstigen Sachurteilsvoraussetzungen bedarf es für die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage der Klagebefugnis. Diese ist dann gegeben, wenn der Kläger behaupten kann, durch den angefochtenen Bescheid beschwert zu sein (§ 54 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Der von den Vorständen angefochtene Bescheid vom 24.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2004 betrifft allerdings lediglich eine Aufsichtsverfügung, die allein das Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherungsträger und der für diesen zuständigen staatlichen Aufsichtsbehörde betrifft.

Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 14.02.2007 (Az.: B 1 A 3/06 R, www.bundessozialgericht.de) ausgeführt:

"Die hier betroffene Ausübung der Staatsaufsicht erschöpft sich regelmäßig allein in der Wahrung der Gleichgewichtslage zwischen Staat und Selbstverwaltungskörperschaft; dagegen ist das Aufsichtsrecht nicht dazu bestimmt, dem Individualinteresse Einzelner zu dienen ( BSGE 26, 237, 240 = SozR Nr 112 zu § 54 SGG; vgl auch BSGE 86, 126, 130 ff = SozR 3-2500 § 85 Nr 37 ). Ebenso wenig wie ein Dritter daher Ansprüche gegen eine Aufsichtsbehörde auf ein aktives Einschreiten gegen die der Aufsicht unterstellte Krankenkasse daraus ableiten kann, dass über den Inhalt materiell-rechtlicher Normen gestritten wird, die (möglicherweise auch) den Schutz des Dritten zum Gegenstand haben ( BSGE 26, 237, 238 f = SozR aaO ), kann sich der Dritte gegen einen Bescheid der Aufsichtsbehörde wenden, mit dem der Krankenkasse ein bestimmtes Handeln abverlangt wird ( ... ). Diese Sichtweise ist auch deshalb geboten, weil im sozialversicherungs-rechtlichen Aufsichtsverhältnis grundsätzlich ein anderer Maßstab für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer angegriffenen Aufsichtsmaßnahme einschlägig ist, als er für die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungshandeln im Verhältnis Bürger-Staat allgemein gilt."

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an.

Die Aufsichtsklage der Klägerin zu 1) ist zwar gemäß § 54 Abs. 3 SGG zulässig, indes unbegründet.

Zutreffend hat die Beklagte von ihrem Aufsichtsrecht dergestalt Gebrauch gemacht, dass sie auf die sich aus § 35 a Abs. 6 Satz 2 SGB IV ergebende Veröffentlichungsverpflichtung hingewiesen hat und diesbezüglich eine Umsetzung durch Veröffentlichung der Vorstandsgehälter im Bundesanzeiger und in den Mitgliedszeitschriften verlangt hat.

Das der Klägerin zu 1) eingeräumte Selbstverwaltungsrecht gemäß § 4 Abs. 1 SGB V besteht lediglich im Rahmen des Gesetzes und des sonstigen für sie maßgebenden Rechts (vgl. § 29 Abs. 3 SGB IV) und ist daher durch die Veröffentlichungspflicht in § 35 a Abs. 6 Satz 2 SGB IV begrenzt. Diese Regelung und die sie umsetzende Aufsichts-verfügung der Beklagten vom 24.08.2004 sind mit dem höherrangigen Recht des Grundgesetzes und der Europäischen Gemeinschaft vereinbar. Nach den Ausführungen des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 14.02.2007 verstößt die Veröffentlichungspflicht aus § 35 a Abs. 6 Satz 2 SGB IV nicht gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus § 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zwar liegt ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Krankenkassenvorstandsmitgliedern - also den Klägern zu 2) und 3) - vor, dieser ist allerdings gerechtfertigt. Das Bundessozialgericht führt hierzu im Einzelnen aus:

"§ 35a Abs 6 Satz 2 SGB IV ( angefügt durch Art 5 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14.11.2003, BGBl I 2190 ) bestimmt ua, dass die Höhe der jährlichen Vergütungen der einzelnen Vorstandsmitglieder einer BKK (wie der Klägerin zu 1.) einschließlich Nebenleistungen sowie die wesentlichen Versorgungsregelungen in einer Übersicht jährlich zum 1. März, erstmalig zum 1.3.2004 im Bundesanzeiger und gleichzeitig, begrenzt auf die jeweilige Krankenkasse, in der Mitgliederzeitschrift der betreffenden Krankenkasse zu veröffentlichen sind.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht uneingeschränkt und schrankenlos gewährleistet. Vielmehr sind Eingriffe darin im überwiegenden Allgemein-interesse hinzunehmen und gerechtfertigt ( BVerfGE 65, 1, 43 f ); der Einzelne kann keine absolute, uneinschränkbare Herrschaft über ihn betreffende Daten beanspruchen, sondern ist eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Information, auch soweit sie personenbezogen ist, stellt ein Abbild sozialer Realität dar, die nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Die Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bedarf allerdings nach Art 2 Abs 1 GG einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar erkennbar ergeben und die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht. Bei den Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, weil Grundrechte vom Staat jeweils nur insoweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist ( BVerfGE 65, 1, 44 mwN; 84, 239, 280 ). Diesen Anforderungen genügt die gesetzliche Pflicht der Krankenkassen, die ihren Vorstandsmitgliedern gewährte Vergütung zu veröffentlichen.

§ 35a Abs 6 Satz 2 SGB IV ist hinreichend bestimmt. Er erfasst explizit die einzelnen Vorstandsmitglieder der Krankenkasse, einen begrenzten, herausgehobenen und klar abgrenzbaren Personenkreis. Aus § 35a Abs 6 Satz 2 SGB IV ergeben sich auch hinreichend klar die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen. ( ... )

§ 35a Abs 6 Satz 2 SGB IV verfolgt auch einen legitimen Zweck.

Der Gesetzgeber des GMG hat zur Rechtfertigung für die Veröffentlichungspflicht in den Gesetzesmaterialien an mehreren Stellen sein Grundanliegen hervorgehoben, im Gesundheitswesen eine höhere Transparenz über Angebote, Leistungen, Kosten und Qualität zu schaffen und Maßnahmen zu ergreifen, die der Stärkung der Patienten-souveränität dienen ( Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN zum Entwurf des GMG, BTDrucks 15/1525, S 1 unter B.; S 71 unter A. I. 1., S 72 f unter II. und II. 1., S 154 zu Nr 6 (§ 35a Abs 6 SGB IV)). Er versprach sich damit ua, dazu beizutragen, dass auch in Zukunft der gleiche Anspruch aller Versicherten auf notwendige medizinische Versorgung gewährleistet blieb; dazu wollte er im Sinne einer Steigerung der Effizienz durch ein Bündel von Maßnahmen strukturell auf Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung Einfluss nehmen ( vgl Gesetzentwurf, aaO, S 1 ). Übereinstimmend mit dieser groben Ausrichtung heißt es dann in den Gesetzesmaterialien speziell zu § 35a Abs 6 SGB IV: "Mit der Verpflichtung zur Veröffentlichung der Vorstandsvergütungen ... wird die notwendige Transparenz beim Inhalt der Vorstands-verträge geschaffen. Die Transparenz ist erforderlich, da es sich um den Einsatz öffentlicher Mittel handelt, die auf gesetzlicher Grundlage erhoben werden. Auf diese Weise wird dem Informationsbedürfnis der Beitragszahler und der Öffentlichkeit Rechnung getragen und gleichzeitig die Möglichkeit für einen Vergleich geschaffen."

( ... )

Die Veröffentlichungspflicht des § 35a Abs 6 Satz 2 SGB IV knüpft an das mit dem Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992 ( BGBl I 2266 ) mit Wirkung vom 1.1.1996 durch §§ 173 ff SGB V geschaffene umfassende Recht der Versicherten an, die für sie zuständige Krankenkasse zu wählen. Die Veröffentlichungspflicht flankiert dieses Wahlrecht im Interesse der Bestandsversicherten einer Krankenkasse und der an der Versicherung bei dieser Krankenkasse interessierten Personen, indem es ihnen die Grundlagen für ihre Auswahlentscheidung (ua Kosten und Leistungen der einzelnen Krankenkassen) verschafft. Entgegen der Ansicht der klagenden BKK können diese hinter der gesetzlichen Regelung liegenden Vorstellungen nicht als nur "vorgeschoben" und "wirkliche" Gründe verschleiernd angesehen werden. Dagegen spricht schon, dass es in einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland gerade den Regelfall darstellt, dass Bedienstete in öffentlicher Funktion - zB Abgeordnete, Beamte, Angestellte des öffentlichen Dienstes und Richter - die Kontrolle ihrer aus öffentlichen Abgaben finanzierten Gehälter oder Bezüge durch die Öffentlichkeit hinnehmen müssen und deshalb auch deren Publizität zu dulden haben. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung primär andere politische Zwecke verfolgt haben könnte oder dass er - übereinstimmend mit der Einschätzung der klagenden BKK - selbst von einer anderen, unzulässigen Zielrichtung für die ergriffenen Maßnahmen ausging, bestehen nicht.

§ 35a Abs 6 Satz 2 SGB IV ist zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks geeignet.

Für die Frage, ob ein bestimmtes Mittel zur Verfolgung eines gesetzlichen Zwecks geeignet ist, kommt es nicht maßgeblich auf die Einschätzung eines betroffenen Rechtsschutzsuchenden an. Vielmehr genügt es für die Eignung, wenn mit Hilfe des Mittels der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Schon die "Möglichkeit", den gesetzlichen Zweck zu erreichen, genügt ( vgl BVerfGE 63, 88 , 115 = SozR 7610 § 1587b Nr 3 S 7; 103, 293, 307 mwN ). Dem Gesetzgeber kommt in diesem Zusammenhang ein Einschätzungs- und Prognosevorrang zu ( vgl BVerfGE 25, 1 , 17, 19 f; 77, 84, 106 f = SozR 4100 § 12a Nr 1 S 6 mwN ). Es ist vornehmlich seine Sache, unter Beachtung der Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Sachgebiets zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will ( vgl BVerfGE 103, 293 , 307; zum Ganzen zuletzt: BVerfG, Urteil vom 28.3.2006 - 1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276, juris RdNr 112).

In der Sache liegt es auf der Hand, dass § 35a Abs 6 Satz 2 SGB IV geeignet ist, das Informationsbedürfnis der Krankenkassenmitglieder zu befriedigen, Kostentransparenz herbeizuführen und eine versichertensouveräne Krankenkassen-Auswahlentscheidung zu ermöglichen. Dem lässt sich nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass sich das geringe finanzielle Volumen der Vorstandsvergütungen kaum auf den für Versicherte entscheidenden Beitragssatz auswirke; denn die Krankenkassen haben in allen Einzelbereichen ihres Aufgabenfeldes auch unterhalb der Schwelle der Beitragsrelevanz wirtschaftlich und sparsam zu handeln ( vgl BSG, Urteil vom 18.7.2006 - B 1 A 2/05 R - SozR 4-2400 § 80 Nr 1 RdNr 35; BSGE 86, 126, 145 = SozR 3-2500 § 85 Nr 37 S 306 ).

( ... )

Die Veröffentlichungspflicht nach § 35a Abs 6 Satz 2 SGB IV ist für die Verwirklichung der Ziele des Gesetzgebers erforderlich.

Die Annahme des Gesetzgebers, dass gleich wirksame mildere Mittel zur Erreichung der Kostentransparenz und Versichertensouveränität nicht zur Verfügung stehen ( vgl zum Gebot der Erforderlichkeit allgemein zB BVerfGE 53, 135, 145 f; 67, 157, 177; 92, 262, 273 ), ist nicht zu beanstanden. Auch in Bezug auf die Erforderlichkeit einer grundrechts-einschränkenden Maßnahme gilt, dass dem Gesetzgeber bei der Einschätzung der Auswirkungen ein beträchtlicher Spielraum zusteht ( vgl zB BVerfGE 102, 197, 218; 104, 337, 347 f; 105, 17, 34 ).

Es ist ohne Weiteres plausibel, dass das allgemeine Informationsbedürfnis der Krankenkassenmitglieder unter Würdigung des unüberschaubaren Personenkreises nicht schonender als durch die jährliche Publikation erfolgen kann. Nichts anderes gilt für die Ziele der Kostentransparenz und Versichertensouveränität. ( ... )

Zwar wäre mit der alleinigen Offenlegung der Höhe der Vorstandsvergütung nur gegenüber der Aufsichtsbehörde ein geringerer Eingriff verbunden als mit der gesetzlich gebotenen Publikation. Allein ein solches Verfahren wäre allerdings erkennbar nicht in gleicher Weise geeignet, um die vom Gesetzgeber mit den Regelungen des GMG angestrebten Ziele zu erreichen. Er wollte nämlich über die den Aufsichtsbehörden ohnehin obliegende Kontrolle der Wirtschaftlichkeit der Krankenkassen (vgl insoweit § 87 Abs 1 Satz 2 iVm §§ 67 ff, §§ 80 ff SGB IV) gerade hinausgehend an die Befugnisse der einzelnen Versicherten im sogenannten Krankenkassenwettbewerb anknüpfen und insoweit die Stellung und Entscheidungsmöglichkeiten der Versicherten stärken. Mit einer bloßen Betonung oder dem Ausbau ohnehin bestehender aufsichtsbehördlicher Kontrollbefugnisse wäre dieses Ziel nicht zu erreichen gewesen.

( ... )

Zu berücksichtigen ist bei alledem, dass die Veröffentlichung der Vorstandsvergütung selbst als milderes Mittel gegenüber anderen Maßnahmen zur Einflussnahme auf die Höhe der Vergütung angesehen werden muss, die ansonsten mit dem Ziel einer Kostenbegrenzung in Betracht gekommen wären, aber möglicherweise noch intensivere Eingriffe in private Rechte bedeutet hätten. Denn dem Gesetzgeber könnte kaum verwehrt werden, auch in diesem Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung - ähnlich wie bei Beamten und vergleichbaren Funktionsträgern in ähnlicher Position, selbst soweit sie eine herausgehobene dienstliche Stellung innehaben - eine betragsmäßige Begrenzung der Vorstandsvergütungen (etwa in Anlehnung an die Vergütungsgruppen des Besoldungs-rechts für Bundesbeamte) vorzusehen. Wenn der Gesetzgeber demgegenüber mit dem GMG weiterhin das grundsätzlich "freie" Aushandeln der Vergütung zwischen Vorstand und Krankenkasse ermöglichte, andererseits aber kompensierend eine Veröffentlichungs-pflicht hinsichtlich der Vergütungshöhe vorsah, liegt schon darin in erster Linie eine Begünstigung, die wiederum in zulässiger Weise gesetzlich modifiziert werden darf.

Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Krankenkassen-vorstände steht schließlich auch in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Zweck und ist verhältnismäßig im engeren Sinne, selbst wenn man annehmen wollte, dass bei der Einschränkung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung strengere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit zu stellen sind, als sie im Bereich des Art 2 Abs 1 GG allgemein gelten ( so zB Jarass in: Jarass/Pieroth, aaO, Art 2 RdNr 60 mwN ). Der Revision kann nicht darin gefolgt werden, dass das öffentliche Interesse an der Veröffentlichung der Vorstandsbezüge nachrangig gegenüber dem Eingriff in das persönliche Ansehen und die Privatsphäre der Vorstände sei.

Zwar betrifft die Höhe der Gegenleistung einer Person für ihre Dienste als Krankenkassen-vorstand auch deren persönliche Verhältnisse und ist daher schutzwürdig. § 35a Abs 6 Satz 2 SGB IV verlangt aber schon nicht die Preisgabe des Namens des jeweiligen Vorstandsmitgliedes. Hierauf lässt sich lediglich häufig mit Hilfe anderer öffentlich zugänglicher Daten (zB Broschüren, Internetauftritt der Krankenkasse) schließen, selbst wenn der Vorstand aus mehr als einer Person besteht (§ 35a Abs 4 SGB IV).

Bei der Veröffentlichung von Vorstandsgehältern geht es nicht um hochsensible Daten wie etwa - bisweilen zum Zwecke der Auflagen- oder Quotensteigerung in bestimmten Medien gezielt preisgegebene - Angaben aus der Intimsphäre, sondern um berufsbezogene Daten, die von vornherein einen Drittbezug und einen Bezug zur Öffentlichkeit aufweisen. Das wird schon daran deutlich, dass die Höhe der Bezüge nicht etwas über die Vorstände besagt, sondern vor allem über die Krankenkassen. Diese sind nicht nur Dienstgeber, sondern verwenden öffentliche Gelder und üben mittelbare Staatsverwaltung ( vgl BSGE 90, 231, 265 = SozR 4-2500 § 266 Nr 1 ) aus. Wer aber mit fremdem Geld wirtschaftet, hat darüber Rechenschaft abzulegen: der Staat gegenüber den Steuerzahlern - die Krankenkassen gegenüber aktuellen und potenziellen Beitragszahlern. Krankenkassen-vorstände haben zudem eine herausgehobene Funktion in der öffentlichen Verwaltung inne, die auch der Beobachtung und der Kontrolle durch die Öffentlichkeit unterliegt: Sie verwalten, vertreten und repräsentieren ihre Krankenkasse und üben ihre Tätigkeit freiwillig aus. Auch wenn Krankenkassenvorstände in der Regel nicht in gleicher Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit stehen wie andere Personengruppen ("Prominente"), müssen auch derartige Repräsentanten einer öffentlichen Einrichtung unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle regelmäßig ein legitimes Interesse der Öffentlichkeit an Berichterstattung hinnehmen, unabhängig von der Frage, wie weit dieses in die Privatsphäre hineinreichen darf ( vgl dazu zB BVerfG NJW 2006, 2835; EGMR NJW 2004, 2647; BVerfGE 101, 361, 391 ). Entsprechend sind auch in anderen Gesetzen Informationen über Amtsträger nicht vom Zugang durch die Öffentlichkeit ausgeschlossen ( vgl zB § 5 Abs 4 Informationsfreiheitsgesetz vom 5.9.2005 (BGBl I 2722) ). Tritt eine Person sogar durch eine herausragende berufliche Stellung in die Öffentlichkeit, darf ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung in diesem Bereich eingeschränkt werden und kann sogar eine Namensnennung rechtfertigen ( vgl BGH, Urteil vom 21.11.2006 - VI ZR 259/05, zitiert nach BeckRS 2007, 01684 (für den Geschäftsführer eines Klinikums) ).

Auch Krankenkassenvorstände müssen es vor diesem Hintergrund hinnehmen, dass bei Vorliegen der bereits oben bejahten legitimen Interessen eine Veröffentlichung von persönlichen Daten in allgemein zugänglichen Quellen erfolgt. Für den Krankenkassen-bereich gilt dabei, dass ein besonderes Interesse der Beitragszahler an der wirtschaftlichen Verwendung ihrer Beiträge besteht. Diese Beiträge werden für die große Mehrzahl der Versicherten aufgrund einer Zwangsversicherung erhoben, die ihnen dadurch für eine anderweitige Absicherung von Risiken für ihre (grundrechtlich geschützte) Gesundheit entzogen werden ( vgl BVerfGE 115, 25, 42 ff = juris RdNr 50 ff = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 18 ff ). Da den Versicherten erhebliche finanzielle Aufwendungen für ihre soziale Sicherung gegen das Risiko der Krankheit und zur Herstellung und Aufrechterhaltung der finanziellen Stabilität der GKV abverlangt werden, ist auch ihr Interesse daran schutzwürdig, dass mit den Beiträgen in angemessener Weise umgegangen wird; dazu gehört es, dass den Vorständen (nur) eine ihren Aufgaben und ihrer Stellung gemäße Vergütung gezahlt wird und dass die Höhe dieser Vergütung - ggf mit Hilfe der Berichterstattung in den Medien - ähnlich wie bei anderen öffentlich Bediensteten auch einer individuellen oder öffentlichen Kontrolle unterliegt."

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer gleichfalls an.

Darüber hinaus können auch die von der Klägerin zu 1) vorgetragenen europarechtlichen Bedenken nicht überzeugen.

Ein Verstoß gegen die Datenschutzrichtlinie ist mit der Vorschrift nicht verbunden. Nach Art. 13 der Datenschutzrichtlinie haben die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie abzuweichen und bei Vorliegen eines wichtigen wirtschaftlichen oder finanziellen Interesses die Veröffentlichung personenbezogener Daten vornehmen (BSG, aaO).

Ebenso wenig ist ein Verstoß gegen die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ersichtlich.

Zwar unterfällt die Veröffentlichung grundsätzlich dem Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK, da personenbezogene Daten über das Einkommen eines Einzelnen an Dritte weitergegeben werden. Allerdings ist nach der Rechtsprechung des EuGH ein Eingriff dann gerechtfertigt, wenn er gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Das Bundessozialgericht hat in der oben angeführten Entscheidung zu diesem Punkt ausgeführt:

"Der Eingriff muss - ähnlich wie im nationalen deutschen Recht - den Anforderungen an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Derartiges hat der EuGH ( aaO, I-5045 RdNr 81 ) für den Fall bejaht, dass es darum geht, auf einen Rechtsträger Druck auszuüben, um dessen Bezüge in angemessenen Grenzen zu halten; in einer demokratischen Gesellschaft haben danach die Steuer- bzw Beitragszahler und ganz allgemein die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf, über die Verwendung der öffentlichen Gelder gerade im Bereich der Personalkosten informiert zu werden; die Verbreitung solcher Information kann zur öffentlichen Diskussion über Fragen von allgemeinem Interesse beitragen und dient damit dem öffentlichen Interesse ( vgl EuGH, aaO, I-5046 RdNr 85 ). Gleiches muss für § 35a Abs 6 Satz 2 SGB IV gelten, weil der darauf beruhende Eingriff - wie dargestellt - verhältnismäßig ist. Es werden dort zudem nur die Vergütungen der Krankenkassenvorstände, dh nur derjenigen Personen veröffentlicht, die in herausgehobener Position tätig sind und sich insoweit in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit bewegen. Insofern unterscheidet sich die Sachlage auch maßgeblich von der Konstellation, über die der österreichische Verfassungsgerichtshof in einer Erkenntnis vom 28.11.2003 - KR 1/00 ( EuGRZ 2004, 499 ) entschieden hat. Dort war die Veröffentlichung der Einkünfte (über einem bestimmten Grenzbetrag) mehrerer namentlich bezeichneter Personen im Streit, welche sie von einer aus öffentlichen Abgaben finanzierten Rundfunkanstalt bezogen. Im vorliegenden Fall sind die betroffenen Krankenkassenvorstände demgegenüber auch im Bereich des Gesundheitsschutzes tätig, der in Art 8 Abs 2 EMRK ausdrücklich als Rechtfertigungsgrund genannt wird."

Auch insoweit schließt sich die Kammer den Ausführungen des BSG an.

Die Klagen waren daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 154 Abs. 1 und 2, § 159 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Rechtskraft
Aus
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