L 5 V 934/91

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 11/30/12 V 3797/89
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 934/91
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 RV 5/96
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 1991 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der im Jahre 1933 geborene Kläger besitzt die jugoslawische Staatsangehörigkeit; er lebt in Bosnien-Herzegowina.

Nach eigenem Vortrag wurde er am 25. Dezember 1945 bei der Explosion einer Handgranate schwer verletzt. Der Kläger hatte diese Handgranate gefunden und mit ihr herumgespielt. Da während des Zweiten Weltkrieges deutsche Militäreinheiten in der Nähe des Fundortes stationiert gewesen waren, vermutet der Kläger, daß es sich bei dem Explosionskörper um Kriegsmaterial handelte, das von den Deutschen zurückgelassen worden war. Bei der Explosion verlor der Kläger das linke Auge; ferner wurde er von Splittern am ganzen Körper verletzt, vor allem an den Beinen.

Im Juni 1989 wandte sich der Kläger an den Beklagten und beantragte Versorgung nach dem BVG. Zur Begründung seines Begehrens legte er unter anderem Fotografien vor, die das Ausmaß der heute vorliegenden Gesundheitsstörungen dokumentieren. Der Beklagte lehnte jedoch mit Bescheid vom 25. Juli 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1989 eine Versorgung nach dem BVG ab, weil die Explosion zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, als deutsche Militäreinheiten jugoslawisches Gebiet nicht mehr besetzt hielten.

Gegen den ablehnenden Bescheid hat der Kläger beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens hat er verschiedene medizinische Unterlagen vorgelegt und das schädigende Ereignis nochmals ausführlich beschrieben. Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 7. Februar 1991 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das Gericht vor allem darauf abgestellt, daß ein schädigendes Ereignis nicht nachgewiesen sei; der Kläger habe an der Aufklärung des Sachverhaltes auch nicht in der gebotenen Weise mitgewirkt. Außerdem sei der Kläger aufgrund der vorliegenden Schädigungsfolgen jedenfalls nicht als Schwerbeschädigter (Minderung der Erwerbsfähigkeit 50 v.H.) anzusehen. Unter Berücksichtigung der Richtlinien des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung für die Versorgung von Kriegsopfern in Ost- und Südosteuropa (Stand 1988) lägen die Voraussetzungen für eine Teilversorgung nicht vor.

Mit der – fristgerecht eingelegten – Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Im Berufungsverfahren hat er einen Befundbericht des Dr. S. D. vom Regionalen Medizinischen Zentrum "Dr. S. M.”, M., vom 27. August 1991 sowie eine Zeugenerklärung vorgelegt. – Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung, daß ihm Versorgung nach dem BVG zustehe.

Er beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 1991 und den Bescheid des Beklagten vom 25. Juli 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1989 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Anerkennung der Schädigungsfolgen Beschädigtenrente im gesetzlichen Umfang zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält den angefochtenen Bescheid nach wie vor für rechtmäßig. Durch das erstinstanzliche Urteil sieht er sich in seiner Auffassung bestätigt.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Ergänzend wird auf den wesentlichen Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen, der zum Gegenstand der geheimen Beratung gemacht worden ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den vorliegenden Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten haben sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung liegen unbedenklich vor.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Deshalb hat das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Kläger begehrt Versorgung nach dem BVG. Er gehört jedoch nicht zu den Personen, denen ein Anspruch nach dem BVG zusteht.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung von Schädigungsfolgen ist § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz – BVG): Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach dieser Vorschrift wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.

Aus den §§ 7, 8, 64 Abs. 1 und 64 e BVG in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Auslandsversorgung nach § 64 e BVG (Auslandsversorgungsverordnung) ergibt sich, daß Deutsche und deutsche Volkszugehörige mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Albanien, Bulgarien, Jugoslawien, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei, Ungarn und der Sowjetunion zu dem berechtigten Personenkreis gehören, aber nach den sonstigen gesetzlichen Bestimmungen nur eine sogenannte Teilversorgung erhalten. Andere Kriegsopfer, die in den genannten Gebieten wohnen oder sich dort aufhalten und deren Schädigung mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht oder militärähnlichem Dienst für eine deutsche Organisation in ursächlichem Zusammenhang steht oder in Deutschland oder in einem zur Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist, erhalten aufgrund einer generell erteilten Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) in gleichem Umfang Teilversorgung (§ 7 Abs. 1 Nr. 3, §§ 8, 64 Abs. 2 Satz 2 BVG in Verbindung mit Nr. 3 Buchstabe b, 5 der Regelungen für die Versorgung von Kriegsopfern in Ost- und Südosteuropa des BMA vom 7. Dezember 1990 – Richtlinien Ost 1990). Diese eingeschränkte Versorgung setzt voraus, daß Schädigungsfolgen im Sinne des BVG vorliegen und diese – gegebenenfalls unter Einbeziehung eines besonderen beruflichen Betroffenseins – die Erwerbsfähigkeit wenigstens um 25 v.H. mindern (§§ 30, 31 BVG). Insoweit gelten die allgemeinen Vorschriften.

Trotz der vom Kläger zwischenzeitlich vorgelegten Zeugenerklärung hat der erkennende Senat wie das erstinstanzliche Gericht Zweifel daran, ob sich das schädigende Ereignis überhaupt so zugetragen hat, wie es der Kläger schildert. Der Senat brauchte jedoch den Sachverhalt nicht weiter aufzuklären. Selbst wenn man davon ausgeht, daß der Kläger am 25. Dezember 1945 beim Schafehüten eine Handgranate fand, die dann beim Herumspielen explodierte, stünde ihm kein Anspruch auf Versorgung nach dem BVG zu. Er gehört nämlich nicht zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis.

Nach § 7 Abs. 1 BVG wird das Gesetz angewendet auf Deutsche und deutsche Volkszugehörige mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes, ferner auf Deutsche und deutsche Volkszugehörige mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland und schließlich auf Ausländer, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes (also in der Bundesrepublik Deutschland) haben und weitere, im Gesetz näher geregelte Voraussetzungen erfüllen. – Zu diesem Personenkreis nach § 7 BVG gehört der Kläger jedenfalls nicht.

Die Ausnahmeregelung des § 8 BVG sieht vor, daß in anderen als den in § 7 bezeichneten, besonders begründeten Fällen mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Versorgung gewährt werden kann, außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes jedoch nach Maßgabe der §§ 64 bis 64 f BVG. Die allgemeine Einbeziehung einer Kriegsopfergruppe in den Anwendungsbereich des Gesetzes bedarf auch der Zustimmung des Bundesministers für Finanzen (§ 8 Satz 2 BVG). Nach Nr. 3 b der oben zitierten "Richtlinien Ost 1990” liegt die Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung für eine Teilversorgung für "andere Kriegsopfer” vor, die die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG mit Ausnahme des Wohnsitzes erfüllen. § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG setzt – neben dem hier nicht mehr beachtlichen Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland – voraus, daß die geltend gemachte Schädigung mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht oder militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation in ursächlichem Zusammenhang steht oder in Deutschland oder in einem zur Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist. Die vom Kläger behauptete Schädigung steht nicht mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht in ursächlichem Zusammenhang; sie hängt auch nicht mit einem militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation zusammen und sie ist auch nicht in Deutschland eingetreten. Da der Kläger vorträgt, er habe sich erst im Dezember 1945 verletzt, steht schließlich auch fest, daß die Schädigung nicht in einem zum Zeitpunkt der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist. Im Dezember 1945 – nach Kriegsende – war Jugoslawien nämlich nicht mehr von der deutschen Wehrmacht besetzt.

Nach alledem gehört der Kläger weder zu dem nach § 7 BVG berechtigten Personenkreis noch gehört er zu den Personen, für die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung eine allgemeine Zustimmung im Sinne des § 8 BVG getroffen hat.

Ein Anspruch des Klägers könnte sich daher nur noch dann ergeben, wenn der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in seinem konkreten Fall eine Einzelzustimmung zur Versorgung nach dem BVG erteilen könnte. Voraussetzung wäre, daß ein "anderer, besonders begründeter Fall” im Sinne des § 8 BVG vorliegt. Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor. Eine Zustimmung nach §§ 8, 64 Abs. 2 Satz 2 BVG kommt nämlich nur in Betracht, wenn für den streitigen Tatbestand die Bundesrepublik Deutschland in vergleichbarer Weise verantwortlich ist wie für diejenigen Tatbestände, für die die Gewährung einer Versorgung ausdrücklich im BVG geregelt ist. Das BVG sieht im Regelfall keine Ansprüche für Ausländer im Ausland vor. Ausnahmsweise kann ihnen Versorgung gewährt werden, wenn die Schädigungstatbestände des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG vorliegen. Darüber hinaus mag es eine begrenzte Anzahl weiterer, besonders begründeter Fälle geben, in denen eine Versorgung über § 8 BVG in Betracht zu ziehen ist. Es würde aber juristischer Methodik widersprechen, wenn die Ausnahmeregelungen des BVG so extensiv ausgelegt würden, daß danach grundsätzlich jeder Versorgung beanspruchen könnte, der im Zusammenhang mit deutschen militärischen Maßnahmen verletzt wird, einerlei zu welchem Zeitpunkt diese geschieht. Es stünde überdies mit Sinn und Zweck des BVG nicht in Einklang, wenn über den Weg der Ausnahmeregelungen auch alle diejenigen entschädigt würden, die infolge der Kampftätigkeit der ehemaligen deutschen Wehrmacht oder durch liegengebliebene deutsche Munition eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben. Allgemeine oder individuelle Reparationsforderungen lassen sich aus dem BVG nicht herleiten. Der erkennende Senat lehnt damit – im Anschluß an seine Urteile vom 16. Januar 1992 (L-5/V-552/91) und vom 20. Februar 1992 (L-5/V-323/91) – die Auffassung des Sozialgerichts Frankfurt am Main ab, wonach § 8 BVG auch für alle Schädigungsfälle von Ausländern im Ausland anzuwenden ist, die nach Kriegsende in nicht mehr von der deutschen Wehrmacht besetztem Gebiet eingetreten sind und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. verursacht haben (vgl. Urteil des SG Frankfurt am Main vom 5. Oktober 1990 – S-30/V-3424/89).

Der Senat verkennt nicht, daß der Kläger ein schweres Schicksal erlitten hat und daß dafür möglicherweise liegengebliebene Munition der deutschen Wehrmacht mitursächlich war. Aus dem BVG lassen sich daraus jedoch keine Ansprüche herleiten.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Versorgung von Ausländern, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch liegengebliebene Munition verletzt worden sind, noch nicht höchstrichterlich geklärt ist.
Rechtskraft
Aus
Saved