Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 3b U 104/76
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 84/79
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 19. Oktober 1978 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Pflege gemäß § 558 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Der im Jahre 1926 geborene Kläger erlitt am 24. September 1951 einen landwirtschaftlichen Arbeitsunfall, bei dem es neben einer Blasen- und Harnröhrenverletzung auch zu Frakturen des Sitz und Schambeines beiderseits sowie zu einer Harnphysadventur kam. Wegen "erhöhter Schwierigkeiten beim Wasserlassen, Verschlechterung der Hüftgelenksfunktion rechts, dadurch Verschlechterung des Gang-, Sitz- und Stehvermögens,” gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 5. September 1975 ab 1. Januar 1975 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 95 v.H., und mit Bescheid von 15. Januar 1976 für die Zeit ab 1. Juli 1977 nach einen MdE um 100 v.H.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. November 1976 hatte die Beklagte es abgelehnt, dem Kläger Pflege gemäß § 558 RVO zu gewähren, weil keine Pflegebedürftigkeit vorliege.
Gegen diesen, am 25. November 1976 zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger am 1. Dezember 1976 Klage bei dem Sozialgericht Fulda (SG) erhoben.
Der Facharzt für Chirurgie Dr. U. F., hat unter dem 7. März 1977 dem SG mitgeteilt, der Kläger sei wegen der sicherschaften Versteifung der rechter Hüfte im täglichen Leben stark behindert und auf die Mithilfe anderer angewiesen. Insbesondere könne er seine Schuhe und Strümpfe nicht alleine anziehen. Das SG hat dazu von den Dres. K. und M., Chefarzt und Assistenzarzt der Orthopädischen Klinik K., ein fachorthopädisches Gutachten vom 30. Mai 1978 eingeholt. Darin haben die Gerichtssachverständigen folgende Gesundheitsstörungen des Klägers festgestellt:
1) Knöchern fest verheilte Fraktur des rechten und linken Scham- und Sitzbeines mit Beckendeformierung. Deutliche Coxarthrose der rechten Hüfte. Beginnende Coxarthrose der linken Hüfte.
2) Spondylose im Bereich der Lendenwirbelsäule und Brustwirbelsäule bei Osteochondrose L 5/S 1. Keine wesentlichen statischen Funktionsstörungen der Wirbelsäule.
3) Bedingt durch die Schonung der rechten unteren Extremität deutliche Muskelverschmächtigung des rechten Oberschenkels.
4) Beginnende degenerative Veränderungen im Bereich der rechten Schulter mit ungedeuteter Bewegungseinschränkung.
Sie vertreten die Ansicht, die Befunde und an der rechten Hüfte seien als erheblich zu bewerten. Die Leidenssituation werde jedoch durch die psychische Einstellung des Patienten erheblich aggraviert. Sie empfehlen eine endoprothetische Versorgung des rechten Hüftgelenkes. Eine Pflegebedürftigkeit hielten sie nicht für gegeben. Nach der endoprothetischen Versorgung sei eine solche gänzlich auszuschließen. Wann man den Beschwerdeangaben des Patienten eine gewisse Glaubwürdigkeit zugestehe, so sei er bis zur endoprothetischen Versorgung auf den Gebrauch von zwei Unterarmgehstützen angewiesen.
Mit Urteil vom 19. Oktober 1978 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25. November 1976 verurteilt, dem Kläger vom 1. August 1975 an Pflegegeld zu zahlen; auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 21. Dezember 1978 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Januar 1979 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Im Berufungsverfahren ist von Dr. med. E., Oberarzt der Inneren Abteilung der Städtischen Kliniken F., ein fachinternistischer Befundbericht vom 12. April 1979 eingeholt worden, in dem die Frage verneint wird, ob der Kläger aus Krankheitsgründen so hilflos sei, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichen Umfang fremder Hilfe dauernd bedürfe. Sodann ist auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Leitenden Oberarzt der Orthopädischen Universitätsklinik T. Privatdozent Dr. med. G. ein fachorthopädisches Gutachten vom 21. September 1979 eingeholt worden. Darin vertritt dieser Gerichtssachverständige die Auffassung, die Teilversteifung des rechten Hüftgelenkes in einer funktionell ungünstigen Stellung sei neben einer leichten Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule und des linken Hüftgelenkes geeignet, zu einer gewissen Hilflosigkeit beizutragen. Die Erkrankungen auf urologischen und fachinternistischem Gebiet seien zur Zeit soweit kompensiert, daß daraus keine Hilflosigkeit abzuleiten sei. Im einzelnen sei der Kläger beim An- und Auskleiden insoweit erheblich behindert, daß er glaubhaft zum Strümpfeanziehen und auch beim Hosenanziehen Hilfe benötige. Es sei allerdings bekannt, daß Patienten mit einer versteiften Hüfte in der Regel auch allein zurecht kämen und ihre genannten Kleidungsstücke über das gebeugte Kniegelenk von hinten überstreiften, eventuell unter Zuhilfenahme eines geeigneten Gerätes zur Verlängerung des Armes. Ein solches Gerät benutze der Kläger offenbar auch gelegentlich. Zum Essen und Trinken, Waschen und Verrichten der Notdurft sei der Kläger fähig. Bei der Fußpflege bedürfe er einer gewissen Hilfe. Es sei wahrscheinlich, daß er beim Aussteigen aus einer Badewanne fremder Hilfe bedürfe. Das Autofahren sei ihm nach seinen eigenen Angaben möglich. Aus ärztlicher Sicht sei er auch in der Lage, sich trotz seiner Behinderung die nötige geistige Erholung zu verschaffen. Die schmerzhafte Steh- und Gehbehinderung erlaube ihm allerdings keine ausreichende körperliche Bewegung. In dem angegebenen Umfange bedürfe der Kläger gelegentlich fremder Hilfe. Eine Hilfskraft müsse allerdings nicht ständig in Bereitschaft sein. Diese beschriebene Hilfsbedürftigkeit sei durch die anerkannten Unfallfolgen wesentlich mitbedingt.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, auch das Gutachten dem Priv. Doz. Dr. G. beweise, daß Pflegebedürftigkeit im Sinne vom § 358 RVO nicht vorliege. Selbst wenn der Kläger eine gewisse Hilfe beim An- und Auskleiden und beim Verlassen der Badewanne benötige, so begründe dies nicht Hilflosigkeit im Sinne des § 558 RVO. Die erforderlichen Hilfeleistungen fremder Personen seien so geringfügig, daß sie durch die Rentenzahlung abgegolten seien (BSG, Urteil vom 30. Oktober 1963 – 2 RU 135/62 – in FG 1964, 355). Von Bedeutung sei darüber hinaus, daß der Kläger nicht ständig auf heute Hilfe angewiesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 19. Februar 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, Dr. H. sei insoweit zuzustimmen, daß er angesichts der Folgen des erlittenen Herzinfarktes nicht dauernd pflegebedürftig sei. Dagegen sei er in Anbetracht der Folgen seines Arbeitsunfalls nach wie vor in erheblichem Umfang auf fremde Hilfe angewiesen. Das habe Dr. G. in seinen fachorthopädischen Gutachten vom 21. September 1975 bestätigt. Dieses Gutachten stimme im wesentlichen mit dem angefochtenen Urteil überein.
Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Unfallakten, insbesondere auf den Inhalt des Befundberichts von Dr. vom 12. April 1979 (Bl. 139 der Gerichtsakten – GA –) und das fachorthopädischen Gutachtens durch Dr. G. vom 21. September 1979 (Bl. 175–184 GA) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die standhafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und somit zulässig.
Sie ist auch begründet: Zu Unrecht hatte das SG der zulässigen Klage stattgegeben. Der angefochtene Bescheid ist insoweit rechtlich nicht zu beanstanden, als es die Beklagte damit aussteigt hat, dem Kläger Pflege gemäß § 558 RVO zu gewähren, liege als Rechtsanspruch ausgestattete Leistung (vgl. Breckmann, Handbuch der Sozialversicherung, II. Band. Stand: August 1978. S. 560 u mit weiteren Nachweisen) steht dem Kläger nicht zu, weil er infolge des Arbeitsunfalls nicht so hilflos ist, daß er nicht ohne Wartung und Pflege sein kann (§ 558 Abs. 1 RVO).
Hierzu ist zunächst festzustellen: Nach dem von der Beklagten eingehalten fachurologischen Zusatzgutachten vom 8. April 1975 durch Prof. Dr. P. und Dr. H. Chefarzt und Assistenzarzt der Urologischen Abteilung des Akademischen Krankenhauses F., leidet der Kläger an folgenden pathologischen urologischen Befunden: Zustand nach Harnröhrenverletzung im Rahmen einer Backentrümmerfraktur mit nachfolgender Ausbildung einer massiven Striktur der hinteren Harnröhre; chronische Prostatitis als Folge der Harnröhrenstriktur; chronisch rezidivierender Harnwegsinfekt als Folge der Harnröhrenstriktur; Hodensthrophie rechts; völlige Impotenz; beginnende Schrumpfblase; sehr kleines Urethreldivertikel. Außerdem leidet der Kläger nach dem Befundbericht des Dr. H. von 12. April 1979 an einem Zustand nach Myocardinfarkt im Posterolateralbereich der Vorderwand, an einem Diabetes mellitus, einem intermittierenden Harnwegsinfekt und einem Zahninfekt. Auf orthopädischem Fachgebiet steht nach dem Gutachten des Dr. G. die in Fehlstellung weitgehend eingesteifte rechte Hüfte im Vordergrund. Daneben ist eine mäßiggradige Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule wie auch des linken Hüftgelenkes bei beginnenden degenerativen Veränderungen festzustellen. Die Erkrankungen auf urologischen und fachinternistischen Gebiet sind so weit kompensiert, daß sie nicht zu einer Hilflosigkeit beitragen. Diese Feststellungen beruhen auf den Befundbericht des Dr. H. und den fachorthopädischen Gutachten des Dr. F ... Demgegenüber beeinträchtigen die Teilversteifung des rechten Hüftgelenkes in einer funktionell ungünstigen Stellung neben einer leichter Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule und den linken Hüftgelenkes den Kläger bei der Ausführung der gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrender Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens. Er ist deshalb nicht in der Lage, sich seine Hose und seine Strümpfe anzuziehen, solange er nicht ein geeignetes Gerät zur Verlängerung des Armes zur Hilfe nimmt und sich darin tüchtig übt. Auch bei der Fußpflege bedarf er einen gewiesen Hilfe. Beim Aussteigen aus einer Badewanne ist er auf fremde Unterstützung angewiesen. Die schmerzhafte Steh- und Gehbehinderung erlaubt ihm auch keine ausreichende körperliche Bewegung. Demgegenüber kann der Kläger die restlichen Verrichtungen beim An- und Auskleiden, die Handreichungen beim Essen und Trinken, beim Waschen und bei der Verrichtung der Notdurft ohne fremde Hilfe durchführen. Er kann auch kurze Strecken laufen, Treppensteigen und Autofahren. Diese Feststellungen beruhen auf dem überzeugenden fachorthopädischen Gutachten des Dr. G.
Daraus und aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens folgt, daß der Kläger infolge des Arbeitsunfalls nicht hilflos im Sinne vom § 355 Abs. 1 RVO ist. Diese durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz neugefaßte Vorschrift entspricht nach ihren Zweck und weitgehend auch nach ihren Wortlaut der Regelung des Versorgungsrechts in § 35 Abs. 1 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG); danach ist hilflos, wer für die gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf der täglichen Lebens in erheblichen Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf. Die Rechtsprechung hat deshalb dem Begriff der Hilflosigkeit des Unfallrechts im gleichen Sinne im Versorgungsrecht ausgelegt, insbesondere auch hier nicht gefordert, daß die Hilfe tatsächlich fortführend geleistet wird; es genügt, daß die Hilfskraft ständig in Bereitschaft sein muß (BSGE 20, 66, 67 – BG 1964, 335). Bereits zu der zuvor gültig gewesenen Vorschrift des § 558 c BSG a.F. hatte das Reichsversicherungsamt (RVA) in seiner grundsätzlichen Entscheidung Nr. 3301 (Amtliche Nachrichten 1328, 222) einen Verletzten als hilflos bezeichnet, sofern er in regelmäßiger Wiederkehr – wenn auch nicht notwendigerweise an jedem Tage – für zahlreiche Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfe anderer bedarf. Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind hier im Gegensatz zu der Ansicht des SG nicht erfüllt. Der Senat ist mit dem Gerichtssachverständigen Dr. G. der Ansicht, daß der Kläger nur in gewissem Umfang für einzelne wenige Verrichtungen und gelegentlich fremder Hilfe bedarf. Der Umfang der von dem Kläger benötigten notwendigen Hilfe bei den gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens ist nicht erheblich. Nach den überzeugenden Ausführungen der Dr. G. ist der Kläger durchaus noch in der Lage, die überwiegende Zahl solcher Verrichtungen beim An- und Auskleiden, Essen, Trinken, Waschen und Verrichten der Notdurft, Kurzstrechen-Gehen und Treppensteigen sowie beim Autofahren ohne fremde Hilfe auszuführen. Eine Hilfsbedürftigkeit für einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebenslauf wiederholt vorgenommen werden, genügt nicht, um den Anspruch auf Pflege gemäß § 558 zu begründen (vgl. die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Ausgabe 1973, S. 32). Diese im Versorgungsrecht geläufigen rechtlichen Gesichtspunkts hat das SG übersehen, als es der Hilfsbedürftigkeit des Klägers bei einzelnen Verrichtungen des An- und Ausbleibens und der Körperpflege in einer Badewanne einen erheblichen Umfang beimaß. Eine derartige Bedeutung rechtfertigt sich auch nicht dadurch, daß zusätzlich Krankheitszustände des Klägers auf internistischem und fachurologischem Gebiet mit einbezogen werden. Wie Dr. H. und Dr. G. überzeugend dargelegt haben, hat es sich bisher dabei nur um vorübergehende Zustände gehandelt. Die Gesundheitsstörungen auf diesem ärztlichen Fachgebieten sind zur Zeit kompensiert und tragen nicht zu einem Zustand der Hilflosigkeit bei. Nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung kann bei der Beurteilung der gegenwärtigen Ansprüche des Klägers nicht berücksichtigt werden, daß sich seine Erkrankungen auf internistischem und urologischem Fachgebiet möglicherweise in der Zukunft verschlechtern. Es ist insofern zu verweisen, dann rechtzeitig einen Neufeststellungsantrag zu stellen. Schließlich trägt auch die schmerzhafte Behinderung des Klägers beim Gehen nicht zusätzlich zu einer Hilflosigkeit in erheblichem Umfange bei. Die Schmerzen, die der Kläger dabei erleidet, lassen sich nicht durch fremde Hilfe, sondern nur durch ein entsprechendes Ausruhen lindern. Dies ist bei der Bemessung der MdE in vollem Umfange zu berücksichtigen, nicht aber bei der Begründung des Zustandes einer Hilflosigkeit im Sinne von § 558 RVO.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Pflege gemäß § 558 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Der im Jahre 1926 geborene Kläger erlitt am 24. September 1951 einen landwirtschaftlichen Arbeitsunfall, bei dem es neben einer Blasen- und Harnröhrenverletzung auch zu Frakturen des Sitz und Schambeines beiderseits sowie zu einer Harnphysadventur kam. Wegen "erhöhter Schwierigkeiten beim Wasserlassen, Verschlechterung der Hüftgelenksfunktion rechts, dadurch Verschlechterung des Gang-, Sitz- und Stehvermögens,” gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 5. September 1975 ab 1. Januar 1975 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 95 v.H., und mit Bescheid von 15. Januar 1976 für die Zeit ab 1. Juli 1977 nach einen MdE um 100 v.H.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. November 1976 hatte die Beklagte es abgelehnt, dem Kläger Pflege gemäß § 558 RVO zu gewähren, weil keine Pflegebedürftigkeit vorliege.
Gegen diesen, am 25. November 1976 zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger am 1. Dezember 1976 Klage bei dem Sozialgericht Fulda (SG) erhoben.
Der Facharzt für Chirurgie Dr. U. F., hat unter dem 7. März 1977 dem SG mitgeteilt, der Kläger sei wegen der sicherschaften Versteifung der rechter Hüfte im täglichen Leben stark behindert und auf die Mithilfe anderer angewiesen. Insbesondere könne er seine Schuhe und Strümpfe nicht alleine anziehen. Das SG hat dazu von den Dres. K. und M., Chefarzt und Assistenzarzt der Orthopädischen Klinik K., ein fachorthopädisches Gutachten vom 30. Mai 1978 eingeholt. Darin haben die Gerichtssachverständigen folgende Gesundheitsstörungen des Klägers festgestellt:
1) Knöchern fest verheilte Fraktur des rechten und linken Scham- und Sitzbeines mit Beckendeformierung. Deutliche Coxarthrose der rechten Hüfte. Beginnende Coxarthrose der linken Hüfte.
2) Spondylose im Bereich der Lendenwirbelsäule und Brustwirbelsäule bei Osteochondrose L 5/S 1. Keine wesentlichen statischen Funktionsstörungen der Wirbelsäule.
3) Bedingt durch die Schonung der rechten unteren Extremität deutliche Muskelverschmächtigung des rechten Oberschenkels.
4) Beginnende degenerative Veränderungen im Bereich der rechten Schulter mit ungedeuteter Bewegungseinschränkung.
Sie vertreten die Ansicht, die Befunde und an der rechten Hüfte seien als erheblich zu bewerten. Die Leidenssituation werde jedoch durch die psychische Einstellung des Patienten erheblich aggraviert. Sie empfehlen eine endoprothetische Versorgung des rechten Hüftgelenkes. Eine Pflegebedürftigkeit hielten sie nicht für gegeben. Nach der endoprothetischen Versorgung sei eine solche gänzlich auszuschließen. Wann man den Beschwerdeangaben des Patienten eine gewisse Glaubwürdigkeit zugestehe, so sei er bis zur endoprothetischen Versorgung auf den Gebrauch von zwei Unterarmgehstützen angewiesen.
Mit Urteil vom 19. Oktober 1978 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25. November 1976 verurteilt, dem Kläger vom 1. August 1975 an Pflegegeld zu zahlen; auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 21. Dezember 1978 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Januar 1979 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Im Berufungsverfahren ist von Dr. med. E., Oberarzt der Inneren Abteilung der Städtischen Kliniken F., ein fachinternistischer Befundbericht vom 12. April 1979 eingeholt worden, in dem die Frage verneint wird, ob der Kläger aus Krankheitsgründen so hilflos sei, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichen Umfang fremder Hilfe dauernd bedürfe. Sodann ist auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Leitenden Oberarzt der Orthopädischen Universitätsklinik T. Privatdozent Dr. med. G. ein fachorthopädisches Gutachten vom 21. September 1979 eingeholt worden. Darin vertritt dieser Gerichtssachverständige die Auffassung, die Teilversteifung des rechten Hüftgelenkes in einer funktionell ungünstigen Stellung sei neben einer leichten Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule und des linken Hüftgelenkes geeignet, zu einer gewissen Hilflosigkeit beizutragen. Die Erkrankungen auf urologischen und fachinternistischem Gebiet seien zur Zeit soweit kompensiert, daß daraus keine Hilflosigkeit abzuleiten sei. Im einzelnen sei der Kläger beim An- und Auskleiden insoweit erheblich behindert, daß er glaubhaft zum Strümpfeanziehen und auch beim Hosenanziehen Hilfe benötige. Es sei allerdings bekannt, daß Patienten mit einer versteiften Hüfte in der Regel auch allein zurecht kämen und ihre genannten Kleidungsstücke über das gebeugte Kniegelenk von hinten überstreiften, eventuell unter Zuhilfenahme eines geeigneten Gerätes zur Verlängerung des Armes. Ein solches Gerät benutze der Kläger offenbar auch gelegentlich. Zum Essen und Trinken, Waschen und Verrichten der Notdurft sei der Kläger fähig. Bei der Fußpflege bedürfe er einer gewissen Hilfe. Es sei wahrscheinlich, daß er beim Aussteigen aus einer Badewanne fremder Hilfe bedürfe. Das Autofahren sei ihm nach seinen eigenen Angaben möglich. Aus ärztlicher Sicht sei er auch in der Lage, sich trotz seiner Behinderung die nötige geistige Erholung zu verschaffen. Die schmerzhafte Steh- und Gehbehinderung erlaube ihm allerdings keine ausreichende körperliche Bewegung. In dem angegebenen Umfange bedürfe der Kläger gelegentlich fremder Hilfe. Eine Hilfskraft müsse allerdings nicht ständig in Bereitschaft sein. Diese beschriebene Hilfsbedürftigkeit sei durch die anerkannten Unfallfolgen wesentlich mitbedingt.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, auch das Gutachten dem Priv. Doz. Dr. G. beweise, daß Pflegebedürftigkeit im Sinne vom § 358 RVO nicht vorliege. Selbst wenn der Kläger eine gewisse Hilfe beim An- und Auskleiden und beim Verlassen der Badewanne benötige, so begründe dies nicht Hilflosigkeit im Sinne des § 558 RVO. Die erforderlichen Hilfeleistungen fremder Personen seien so geringfügig, daß sie durch die Rentenzahlung abgegolten seien (BSG, Urteil vom 30. Oktober 1963 – 2 RU 135/62 – in FG 1964, 355). Von Bedeutung sei darüber hinaus, daß der Kläger nicht ständig auf heute Hilfe angewiesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 19. Februar 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, Dr. H. sei insoweit zuzustimmen, daß er angesichts der Folgen des erlittenen Herzinfarktes nicht dauernd pflegebedürftig sei. Dagegen sei er in Anbetracht der Folgen seines Arbeitsunfalls nach wie vor in erheblichem Umfang auf fremde Hilfe angewiesen. Das habe Dr. G. in seinen fachorthopädischen Gutachten vom 21. September 1975 bestätigt. Dieses Gutachten stimme im wesentlichen mit dem angefochtenen Urteil überein.
Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Unfallakten, insbesondere auf den Inhalt des Befundberichts von Dr. vom 12. April 1979 (Bl. 139 der Gerichtsakten – GA –) und das fachorthopädischen Gutachtens durch Dr. G. vom 21. September 1979 (Bl. 175–184 GA) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die standhafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und somit zulässig.
Sie ist auch begründet: Zu Unrecht hatte das SG der zulässigen Klage stattgegeben. Der angefochtene Bescheid ist insoweit rechtlich nicht zu beanstanden, als es die Beklagte damit aussteigt hat, dem Kläger Pflege gemäß § 558 RVO zu gewähren, liege als Rechtsanspruch ausgestattete Leistung (vgl. Breckmann, Handbuch der Sozialversicherung, II. Band. Stand: August 1978. S. 560 u mit weiteren Nachweisen) steht dem Kläger nicht zu, weil er infolge des Arbeitsunfalls nicht so hilflos ist, daß er nicht ohne Wartung und Pflege sein kann (§ 558 Abs. 1 RVO).
Hierzu ist zunächst festzustellen: Nach dem von der Beklagten eingehalten fachurologischen Zusatzgutachten vom 8. April 1975 durch Prof. Dr. P. und Dr. H. Chefarzt und Assistenzarzt der Urologischen Abteilung des Akademischen Krankenhauses F., leidet der Kläger an folgenden pathologischen urologischen Befunden: Zustand nach Harnröhrenverletzung im Rahmen einer Backentrümmerfraktur mit nachfolgender Ausbildung einer massiven Striktur der hinteren Harnröhre; chronische Prostatitis als Folge der Harnröhrenstriktur; chronisch rezidivierender Harnwegsinfekt als Folge der Harnröhrenstriktur; Hodensthrophie rechts; völlige Impotenz; beginnende Schrumpfblase; sehr kleines Urethreldivertikel. Außerdem leidet der Kläger nach dem Befundbericht des Dr. H. von 12. April 1979 an einem Zustand nach Myocardinfarkt im Posterolateralbereich der Vorderwand, an einem Diabetes mellitus, einem intermittierenden Harnwegsinfekt und einem Zahninfekt. Auf orthopädischem Fachgebiet steht nach dem Gutachten des Dr. G. die in Fehlstellung weitgehend eingesteifte rechte Hüfte im Vordergrund. Daneben ist eine mäßiggradige Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule wie auch des linken Hüftgelenkes bei beginnenden degenerativen Veränderungen festzustellen. Die Erkrankungen auf urologischen und fachinternistischen Gebiet sind so weit kompensiert, daß sie nicht zu einer Hilflosigkeit beitragen. Diese Feststellungen beruhen auf den Befundbericht des Dr. H. und den fachorthopädischen Gutachten des Dr. F ... Demgegenüber beeinträchtigen die Teilversteifung des rechten Hüftgelenkes in einer funktionell ungünstigen Stellung neben einer leichter Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule und den linken Hüftgelenkes den Kläger bei der Ausführung der gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrender Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens. Er ist deshalb nicht in der Lage, sich seine Hose und seine Strümpfe anzuziehen, solange er nicht ein geeignetes Gerät zur Verlängerung des Armes zur Hilfe nimmt und sich darin tüchtig übt. Auch bei der Fußpflege bedarf er einen gewiesen Hilfe. Beim Aussteigen aus einer Badewanne ist er auf fremde Unterstützung angewiesen. Die schmerzhafte Steh- und Gehbehinderung erlaubt ihm auch keine ausreichende körperliche Bewegung. Demgegenüber kann der Kläger die restlichen Verrichtungen beim An- und Auskleiden, die Handreichungen beim Essen und Trinken, beim Waschen und bei der Verrichtung der Notdurft ohne fremde Hilfe durchführen. Er kann auch kurze Strecken laufen, Treppensteigen und Autofahren. Diese Feststellungen beruhen auf dem überzeugenden fachorthopädischen Gutachten des Dr. G.
Daraus und aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens folgt, daß der Kläger infolge des Arbeitsunfalls nicht hilflos im Sinne vom § 355 Abs. 1 RVO ist. Diese durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz neugefaßte Vorschrift entspricht nach ihren Zweck und weitgehend auch nach ihren Wortlaut der Regelung des Versorgungsrechts in § 35 Abs. 1 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG); danach ist hilflos, wer für die gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf der täglichen Lebens in erheblichen Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf. Die Rechtsprechung hat deshalb dem Begriff der Hilflosigkeit des Unfallrechts im gleichen Sinne im Versorgungsrecht ausgelegt, insbesondere auch hier nicht gefordert, daß die Hilfe tatsächlich fortführend geleistet wird; es genügt, daß die Hilfskraft ständig in Bereitschaft sein muß (BSGE 20, 66, 67 – BG 1964, 335). Bereits zu der zuvor gültig gewesenen Vorschrift des § 558 c BSG a.F. hatte das Reichsversicherungsamt (RVA) in seiner grundsätzlichen Entscheidung Nr. 3301 (Amtliche Nachrichten 1328, 222) einen Verletzten als hilflos bezeichnet, sofern er in regelmäßiger Wiederkehr – wenn auch nicht notwendigerweise an jedem Tage – für zahlreiche Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfe anderer bedarf. Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind hier im Gegensatz zu der Ansicht des SG nicht erfüllt. Der Senat ist mit dem Gerichtssachverständigen Dr. G. der Ansicht, daß der Kläger nur in gewissem Umfang für einzelne wenige Verrichtungen und gelegentlich fremder Hilfe bedarf. Der Umfang der von dem Kläger benötigten notwendigen Hilfe bei den gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens ist nicht erheblich. Nach den überzeugenden Ausführungen der Dr. G. ist der Kläger durchaus noch in der Lage, die überwiegende Zahl solcher Verrichtungen beim An- und Auskleiden, Essen, Trinken, Waschen und Verrichten der Notdurft, Kurzstrechen-Gehen und Treppensteigen sowie beim Autofahren ohne fremde Hilfe auszuführen. Eine Hilfsbedürftigkeit für einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebenslauf wiederholt vorgenommen werden, genügt nicht, um den Anspruch auf Pflege gemäß § 558 zu begründen (vgl. die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Ausgabe 1973, S. 32). Diese im Versorgungsrecht geläufigen rechtlichen Gesichtspunkts hat das SG übersehen, als es der Hilfsbedürftigkeit des Klägers bei einzelnen Verrichtungen des An- und Ausbleibens und der Körperpflege in einer Badewanne einen erheblichen Umfang beimaß. Eine derartige Bedeutung rechtfertigt sich auch nicht dadurch, daß zusätzlich Krankheitszustände des Klägers auf internistischem und fachurologischem Gebiet mit einbezogen werden. Wie Dr. H. und Dr. G. überzeugend dargelegt haben, hat es sich bisher dabei nur um vorübergehende Zustände gehandelt. Die Gesundheitsstörungen auf diesem ärztlichen Fachgebieten sind zur Zeit kompensiert und tragen nicht zu einem Zustand der Hilflosigkeit bei. Nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung kann bei der Beurteilung der gegenwärtigen Ansprüche des Klägers nicht berücksichtigt werden, daß sich seine Erkrankungen auf internistischem und urologischem Fachgebiet möglicherweise in der Zukunft verschlechtern. Es ist insofern zu verweisen, dann rechtzeitig einen Neufeststellungsantrag zu stellen. Schließlich trägt auch die schmerzhafte Behinderung des Klägers beim Gehen nicht zusätzlich zu einer Hilflosigkeit in erheblichem Umfange bei. Die Schmerzen, die der Kläger dabei erleidet, lassen sich nicht durch fremde Hilfe, sondern nur durch ein entsprechendes Ausruhen lindern. Dies ist bei der Bemessung der MdE in vollem Umfange zu berücksichtigen, nicht aber bei der Begründung des Zustandes einer Hilflosigkeit im Sinne von § 558 RVO.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
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