Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 3a U 75/78
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 360/79
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die mutmaßliche Unterhaltsfähigkeit eines durch Arbeitsunfall verstorbenen Abkömmlings entfällt dann nicht durch mutmaßlich vorrangige Verpflichtungen, wann im Gegensatz zu statistisch belegten Durchschnittsverhalten nachgewiesene Absichtserklärungen des Verstorbenen und seine individuelle Lebensführung übereinstimmend die Wahrscheinlichkeit begründen, daß er nicht geheiratet hätte.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Februar 1979 aufgehoben, der Bescheid der Beklagten vom 28. März 1978 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin vom 1. Januar 1973 ab Elternrente gemäß § 596 der Reichsversicherungsordnung in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Elternrente.
Die im Jahre 1910 geborene Klägerin ist die Mutter des 1938 geborenen und durch einen Arbeitsunfall am 21. Februar 1967 (§ 550 der Reichsversicherungsordnung – RVO –) tödlich verunglückten E. L. (L.). Der Verstorbene war ledig und nicht verlobt.
Mit Schreiben vom 26. Mai 1967 gewährte die Beklagte der Klägerin von Amts wegen Sterbegeld gemäß § 589 Nr. 1 RVO nach einem Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 8.966,– DM. Weitere Entscheidungen traf sie zuerst nicht.
Auf den am 12. April 1977 gestellten Antrag der Klägerin, ihr Elternrente zu gewähren, ermittelte die Beklagte bei der Gemeindeverwaltung D ... Sie erhielt von dort die Auskunft (23. Mai 1977), daß die Klägerin eine Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung in Höhe von 244,70 DM erhalte, während der Sozialhilfegerichtsatz für sie 292,– DM plus 87,60 DM betrage. L.’s Vater sei im Jahre 1961 verstorben. L. habe mit seiner Mutter in häuslicher Gemeinschaft gelebt und ihr monatlich 150,– DM für Verpflegung und Unterkunft sowie 120,– DM als Unterstützung gezahlt. Eine Freundin habe er nicht gehabt. Die Klägerin hatte ihren noch lebenden Sohn W. L. am 27. Februar 1969 ein ererbtes älteres Wohnhaus und einige landwirtschaftliche Grundstücke, deren Gesamtwert im notariellen Übergabevertrag mit 18.000 DM angegeben war, übergeben. W. L. hatte das Haus im Jahre 1973 für 23.000 DM verkauft und daher ein neues Wohnhaus gebaut, in dem er der Klägerin das Einsitzrecht an einer Wohnung von 57 qm mit einem Mietwert von 180,– DM einräumte Auskunft der Gemeindeverwaltung D. vom 7. Juli 1977).
Die Beklagte zog die Sozialhilfeakten des L.-D. über die Klägerin bei, aus denen sich ergab, daß die Klägerin in den Jahren 1967 eine einmalige Beihilfe und 1972, 1973, 1974, 1975 sowie 1976 Hausbrand- und Weihnachtsbeihilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) erhalten hatte. Vom 23. Mai 1977 ab bezog sie laufend Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG in Höhe von 122,60 DM (Sozialamt D. vom 5. September 1977). Sie verzichtete darauf mit Wirkung vom 1. Oktober 1977, weil ihr Sohn W. L. seitdem wieder voll erwerbstätig und ihr gegenüber unterhaltsfähig war.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. März 1978 lehnte es die Beklagte daraufhin ab, der Klägerin Elternrente zu gewähren. Zur Begründung führte sie aus, die Unterhaltsverpflichtung lebender Kinder gegenüber ihren Eltern gehe dem Anspruch auf Elternrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung vor. Abgesehen davon sei der Anspruch auf Leistungen für die Zeit vor dem 1. Januar 1973 verjährt. Danach wäre L. nicht mehr unterhaltspflichtig gewesen, weil er verheiratet und vorrangig seiner eigenen Familie zum Unterhalt verpflichtet gewesen wäre.
Gegen diesen am 23. März 1978 zur Post gegebenen Bescheid hat die Klägerin am 26. April 1978 Klage bei dem Sozialgericht Gießen (SG) erhoben. Mit Urteil vom 6. Februar 1979 hat das SG die Klage abgewiesen, auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 6. März 1979 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. März 1979 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Sie vertritt die Ansicht, die Umstände ihres Einzelfalles seien derart gelagert, daß sie ihrem Anspruch auf Elternrente begründeten. L. habe ihr regelmäßig im Monat 120, DM als Unterstützung bei einem Gesamteinkommen von 600,– DM gezahlt. Das sei mehr als die Hälfte ihres notwendigen Lebensbedarfs gewesen. Sie habe damals nur eine Witwenrente von 106,– DM erhalten. Für seinen eigenen Unterhalt sei L. selbst aufgekommen. Nach dem Tode ihres Ehemannes im Jahre 1961 habe er seinen Arbeitsplatz bei der Molkerei L. bei H. aufgegeben und sei zu ihr, seiner Mutter, gezogen, um sie zu unterstützen. Die Tatsache, daß er mit 28 1/2 Jahren abweichend von dem Durchschnittsverhalten deutscher Männer und insbesondere im Gegensatz zu seinem Bruder weder eigene Damenbekanntschaften gehabt habe noch verlobt oder gar verheiratet gewesen sei, beruhe nicht auf Zufälligkeiten, sondern entspreche dem Charakter, den Einstellungen und den Zukunftsvorhaben des Verstorbenen. Die Lebensgewohnheiten des E. seien nicht auf den Umgang mit dem anderen Geschlecht ausgerichtet gewesen. Mit Mädchen oder Frauen seines Alters sei er nie eng befreundet gewesen, er habe sich nie verlobt und auch kein vergleichbares Verhältnis unterhalten. Im Gegensatz dazu sei sein Bruder W. damals – obwohl er fast sieben Jahre jünger gewesen sei – bereits verlobt gewesen und habe schon mit seiner Verlobten in einem anderen Haus gewohnt. L. habe sowohl seinem Bruder und seiner Mutter als auch der ehemaligen Verlobten seines Bruders wörtlich erklärt, er wolle nicht heiraten. Auch die Zeugin E. B. habe diese Einstellung des L. gegen eine Heirat bekundet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Februar 1979 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. März 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr vom 1. Januar 1973 ab Elternrente in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bestreitet, daß L. die Klägerin bereits wesentlich unterhalten gehabt habe. Seine Zahlungen seien Entgelt für Kost und Logis gewesen. Da die Klägerin eigenen Grundbesitz gehabt habe, sei sie durch den Tod des L. auch nicht in eine wirtschaftlich schlechtere Lage geraten. Außerdem hätte die Klägerin ohne den Arbeitsunfall ab 1. Januar 1973 auch keinen Unterhaltsanspruch gegen L. gehabt. Dieser wäre nämlich nach den allgemeinen statistischen Unterlagen verheiratet gewesen und hätte Kinder gehabt.
In der mündlichen Verhandlung am 12. März 1980 hat der Senat die Klägerin persönlich gehört sowie E. B. und W. L. als Zeugen vernommen; auf den Inhalt der Vernehmungsniederschriften (Bl. 70, 72–73 GA) wird verwiesen.
Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und somit zulässig.
Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Zutreffend hat die Klägerin darauf hingewiesen, daß Rentenstammrechte nicht der Verjährung unterliegen, sondern nur die aus dem Steuerrecht fließenden Auszahlungsansprüche auf einzelne in monatlichen Raten zu zahlende Rentenbeträge (vgl. Bundessozialgericht –BSG–, Urt. v. 2.12.1964, 4 RJ 185/61, in SozR. Nr. 5 zu § 29 Reichsversicherungsordnung – RVO –). Für die streitbefangene Zeit ab 1. Januar 1973 ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig. Der Klägerin steht gemäß § 596 RVO ein Anspruch auf Elternrente von einem Fünftel des JAV zu. Nach dieser Vorschrift haben Verwandte der aufsteigenden Linie, Stief- oder Pflegeeltern einen Rentenanspruch, wenn sie ein durch einen Arbeitsunfall Verstorbener aus seinem Arbeitsverdienst wesentlich unterhalten hat oder ohne den Arbeitsunfall wesentlich unterhalten würde, und zwar solange sie ohne den Arbeitsunfall einen Anspruch auf Unterhalt hätten geltend machen können. Die Anspruchsberechtigung des § 596 RVO hängt somit einerseits von der Unterhaltsbedürftigkeit der Anspruchsberechtigten im Sinne des bürgerlichen Rechts sowie ihrer Dauer und andererseits von der Unterhaltsfähigkeit des tödlich Verletzten und deren Fortbestehen ab (§§ 1601, 1603 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB –). Das zeigt die Abhängigkeit des Rentenanspruchs von einem künftigen mutmaßlichen Geschehensablauf.
Hierzu ist zunächst festzustellen: L. verstarb als lediger Mann mit rund 28 Jahren und 5 Monaten an einem Arbeitsunfall. Er hinterließ die Klägerin, seine verwitwete, alleinstehende Mutter, die im 57. Lebensjahr stand, nicht erwerbstätig war und eine Witwenrente von 104,90 DM (Stichtag: 1. Februar 1965) bezog. L. und sein Bruder W. L. (dieser bis 1965) hatten zum Unterhalt der Klägerin beigetragen, L. mit regelmäßigen Geldleistungen von ungefähr 120,– DM neben den Kosten seines eigenen Unterhalts, die er von seinem Bruttoarbeitseinkommen als Molkereifacharbeiter in Höhe von zuletzt 735,– DM monatlich im Jahresdurchschnitt bestritt. Die Klägerin hatte damals ein älteres Wohngrundstück und 317,93 ar "Ackerland, Grünland und Unland”, auf denen sie bis 1965 mit Hilfe ihrer beiden Söhne E. und W. eine kleine Landwirtschaft ausschließlich für den eigenen Bedarf betrieb. Danach wurde dieser Betrieb wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt. Ihre Grundstücke übergab die Klägerin am 27. Februar 1969 ihrem Sohn W. L. gegen ein lebenslängliches Einsitzrecht. Der Gesamtwert der übertragenen Grundstücke war mit 18.000,– DM im notariellen Übergabevertrag angegeben worden. Für 23.000,– DM verkaufte W. L. 1971 das alte Wohnhaus und baute ein neues in dem er der Klägerin wiederum ein unentgeltliches Einsitzrecht an einer Wohnung mit 57 qm Wohnfläche und einem ortsüblichen Mietwert von monatlich 180,– DM einräumte. Diese Feststellungen beruhen auf den Ermittlungen der Beklagten ausweislich ihrer Verwaltungsakten, der Bescheinigung der Landesversicherungsanstalt Hessen vom 24. Mai 1977 (Bl. 21 GA), dem Übergabevertrag vom 27. Februar 1969 (Bl. 22 GA) sowie den glaubhaften Aussagen des Zeugen W. L. L. hatte bis 1961 in einer Molkerei bei H. gearbeitet. Nach dem Tode seines Vaters waren im selben Jahr zu seiner alleinstehenden Mutter gezogen, um auf diese Weise zu ihrem Unterhalt beizutragen. Er war weder verheiratet noch verlobt. Sein Verhalten war seiner Familie und seinen Bekannten im wesentlichen Umfang seiner Freizeit bekannt. L. interessierte sich nicht für ein engeres Verhältnis mit Mädchen oder Frauen. Er erklärte für seine Verwandten und Bekannten überzeugend, er wolle nicht heiraten. Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Aussagen der Zeugen E. und W. L. sowie den glaubhaften Angaben der Klägerin vor dem Senat. Demgegenüber war der sieben Jahre jüngere Bruder des L. schon zu Lebzeiten mit 21 Jahren verlobt und wohnte mit seiner Verlobten zusammen. Er ist inzwischen geschieden und hat ein Kind. Nunmehr trägt er allein zum Unterhalt der Klägerin bei, die inzwischen eine Witwenrente in Höhe von weniger als 300,– DM im Monat (269,– DM ab 1. Juli 1977 nach dem 20. Rentenanpassungsgesetz) erhält. Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Aussagen des Zeugen W. L. und der Rentenmitteilung der LVA Hessen über die Erhöhung nach dem 20. Rentenanpassungsgesetz.
Daraus und aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens folgt, daß der geltend gemachte Elternrentenanspruch für die nicht von der Einrede der Verjährung betroffene Zeit ab 1. Januar 1973 begründet ist.
L. hat die Klägerin noch zu Lebzeiten wesentlich unterhalten. Voraussetzung dafür ist nicht, daß der Verstorbene mehr als die Hälfte des Unterhalts getragen hat. Entscheidend ist vielmehr, daß gerade die betreffenden Unterhaltsleistungen dem Verwandten eine einigermaßen auskömmliche Lebenshaltung ermöglicht haben und durch ihren Wegfall diese auskömmliche Lebenshaltung gefährdet ist (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, 52. Lieferung 1979, S. 588 i mit weiteren Nachweisen). Mehrere Personen können den Berechtigten gleichzeitig wesentlich unterhalten, so daß es unerheblich ist, ob W. L. die Klägerin neben L. auch wesentlich unterhalten hat (vgl. BSG, Urt. v. 19. Mai 1978, 8 RU 102/77).
Zu Recht vertritt die Klägerin die Ansicht, daß die regelmäßigen Zahlungen von rund 120,– DM monatlich für sie angesichts der geringen Höhe ihrer Witwenrente von 104, DM wesentlich war. Ihr Wegfall war geeignet, die auskömmliche Lebenshaltung der Klägerin zu gefährden, so daß sie auch immer wieder Einzelbeihilfen (Weihnachts- und Hausbrandbeihilfe) nach dem BSHG und im Jahre 1977 sogar zeitweise laufende Beihilfe zum Lebensunterhalt erhielt.
Außerdem läßt sich aufgrund des Verhaltens von L. zu seinen Lebzeiten unter Mitberücksichtigung des vergleichbaren Verhaltens von W. L. nach dem Tode von L. feststellen, daß L. ohne den Arbeitsunfall die Klägerin auch ab 1. Januar 1973 wahrscheinlich unterstützt hätte.
Jedenfalls seit diesem Zeitpunkt ist die Klägerin bedürftig im Sinne von § 1602 Abs. 1 BGB gewesen. Ihr Renteneinkommen hatte noch nicht einmal die Sozialhilferegelsätze erreicht (vgl. Hess. Staatsanzeiger 1972, 949; 1973, 922; 1973, 2320; 1974, 2106; 1975, 2211; 1976, 2135; 1978, 1888; 1979, 2257). Der Senat schließt sich im übrigen der Rechtsprechung des BSG an, nach der eine Unterhaltsberechtigung gemäß § 1602 BGB nicht schon dann entfällt, wenn die den Eltern zur Verfügung stehenden Mittel die Regelsätze des BSHG erreichen oder geringfügig überschreiten (vgl. BSG, Urt. v. 15.5.1974, 8 RU 67/73, in SozR. 2200 § 596 Nr. 1). Dem steht nicht entgegen, daß W. L. als weiterer Sohn der Klägerin noch lebt. Bei eigener Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin entfiele die Unterhaltspflicht des L. nicht schon dadurch, daß auch das andere Kind zum Unterhalt der Klägerin beitragen kann (§§ 1603 Abs. 1, 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB – vgl. BSG, Urt. v. 23.4.1975, 2 RU 43/74 in SozR. 2200 § 596 Nr. 4).
Demgegenüber wäre L. gemäß des §§ 1601, 1603 Abs. 1, 1606 BGB verpflichtet, die Klägerin zu unterhalten.
Hierzu stellt der Senat weiter fest: Es ist nicht wahrscheinlich, daß L. am 1. Januar 1973 bereits verheiratet gewesen wäre und Kinder gehabt hätte, so daß seine Unterhaltsfähigkeit und damit seine Unterhaltspflicht gegenüber der Klägerin entfallen wäre. Das ist auch für die Folgezeit nicht wahrscheinlich. Diese Feststellung beruht im Gegensatz zu statistischen Erwägungen auf den konkreten Umständen des Einzelfalles. Die statistischen Unterlagen ergeben, daß das statistische Heiratsalter von 26 Jahren, das der 6. Senat des BSG in seinen bisherigen Entscheidungen herangezogen hat (SozR. 2200 § 596 Nr. 6), insbesondere in den Fällen, in denen der Verstorbene, wie im vorliegenden Falle, älter ist, nicht aussagekräftig erscheint. Aus den Heiratstafeln für Ledige, Verwitwete und Geschiedene 1960/62 (WiSta. 1965, 709 ff., 714) und den dazu veröffentlichten Tabellen (in WiSta., Statistische Monatszahlen 1965, 730) ist jedoch ersichtlich, daß ein 28-jähriger lediger Mann, wie es L. gewesen ist, mit 88 % Wahrscheinlichkeit noch heiraten wird und daß er, wenn er heiratet, durchschnittlich mit 32,69 Jahren verheiratet ist. Zur Überprüfung ergibt die Heiratstafel lediger Männer 1972/74 (WiSta. 1976, 717 ff.; Tabelle: WiSta., Statistische Monatszahlen 1976, 766), daß, wenn auch mit abnehmender Tendenz, weiterhin eine Wahrscheinlichkeit dafür
besteht, daß diejenigen Männer heiraten, die mit 29 Jahren noch ledig gewesen sind (vgl. BGH, Urt. v. 27.7.1978, 2 RU 129/75, zu dem Fall eines 28-jährigen ledigen Mannes).
Unabhängig von allgemeinen Erfahrungen über typische Geschehensabläufe ist aber in jedem Einzelfall vorrangig zu prüfen, ob konkrete Anhaltspunkte vorliegen, daß L. unter Berücksichtigung seiner mutmaßlichen Familien- und Einkommensverhältnisse nicht mehr in der Lage wäre, ohne seinen eigenen angemessen Lebensunterhalt zu gefährden, die Klägerin aus seinem Arbeitsverdienst wesentlich zu unterhalten (vgl. BSG, Urt. v. 22.10.1975, 8 RU 194/74 in BSGE 40, 268).
Das Gesamtergebnis des Verfahrens und die bereits oben getroffenen Feststellungen enthalten in ausreichendem Maße konkrete Anhaltspunkte, die es wahrscheinlich machen, daß L. im Gegensatz zum statistischen Verhalten lediger 28-jähriger Männer nicht eine eigene Familie gegründet hätte. Nach den getroffenen Feststellungen läßt das mit den abgegebenen Absichtserklärungen übereinstimmende Verhalten des L. im Kreise der Familie der Klägerin, wo es im Gegensatz zu seinem Bruder stand, sowie in der Öffentlichkeit seines Wohnortes keine andere Deutung zu. Da sich sein mutmaßliches Monatsarbeitseinkommen nach der Auskunft seines früheren Arbeitgebers vom 1. Juli 1977 von 860,– DM im Jahre 1967 auf 920,– DM im Jahre 1977 gesteigert hätte, wäre L. auch unterhaltsfähig gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Elternrente.
Die im Jahre 1910 geborene Klägerin ist die Mutter des 1938 geborenen und durch einen Arbeitsunfall am 21. Februar 1967 (§ 550 der Reichsversicherungsordnung – RVO –) tödlich verunglückten E. L. (L.). Der Verstorbene war ledig und nicht verlobt.
Mit Schreiben vom 26. Mai 1967 gewährte die Beklagte der Klägerin von Amts wegen Sterbegeld gemäß § 589 Nr. 1 RVO nach einem Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 8.966,– DM. Weitere Entscheidungen traf sie zuerst nicht.
Auf den am 12. April 1977 gestellten Antrag der Klägerin, ihr Elternrente zu gewähren, ermittelte die Beklagte bei der Gemeindeverwaltung D ... Sie erhielt von dort die Auskunft (23. Mai 1977), daß die Klägerin eine Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung in Höhe von 244,70 DM erhalte, während der Sozialhilfegerichtsatz für sie 292,– DM plus 87,60 DM betrage. L.’s Vater sei im Jahre 1961 verstorben. L. habe mit seiner Mutter in häuslicher Gemeinschaft gelebt und ihr monatlich 150,– DM für Verpflegung und Unterkunft sowie 120,– DM als Unterstützung gezahlt. Eine Freundin habe er nicht gehabt. Die Klägerin hatte ihren noch lebenden Sohn W. L. am 27. Februar 1969 ein ererbtes älteres Wohnhaus und einige landwirtschaftliche Grundstücke, deren Gesamtwert im notariellen Übergabevertrag mit 18.000 DM angegeben war, übergeben. W. L. hatte das Haus im Jahre 1973 für 23.000 DM verkauft und daher ein neues Wohnhaus gebaut, in dem er der Klägerin das Einsitzrecht an einer Wohnung von 57 qm mit einem Mietwert von 180,– DM einräumte Auskunft der Gemeindeverwaltung D. vom 7. Juli 1977).
Die Beklagte zog die Sozialhilfeakten des L.-D. über die Klägerin bei, aus denen sich ergab, daß die Klägerin in den Jahren 1967 eine einmalige Beihilfe und 1972, 1973, 1974, 1975 sowie 1976 Hausbrand- und Weihnachtsbeihilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) erhalten hatte. Vom 23. Mai 1977 ab bezog sie laufend Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG in Höhe von 122,60 DM (Sozialamt D. vom 5. September 1977). Sie verzichtete darauf mit Wirkung vom 1. Oktober 1977, weil ihr Sohn W. L. seitdem wieder voll erwerbstätig und ihr gegenüber unterhaltsfähig war.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. März 1978 lehnte es die Beklagte daraufhin ab, der Klägerin Elternrente zu gewähren. Zur Begründung führte sie aus, die Unterhaltsverpflichtung lebender Kinder gegenüber ihren Eltern gehe dem Anspruch auf Elternrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung vor. Abgesehen davon sei der Anspruch auf Leistungen für die Zeit vor dem 1. Januar 1973 verjährt. Danach wäre L. nicht mehr unterhaltspflichtig gewesen, weil er verheiratet und vorrangig seiner eigenen Familie zum Unterhalt verpflichtet gewesen wäre.
Gegen diesen am 23. März 1978 zur Post gegebenen Bescheid hat die Klägerin am 26. April 1978 Klage bei dem Sozialgericht Gießen (SG) erhoben. Mit Urteil vom 6. Februar 1979 hat das SG die Klage abgewiesen, auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 6. März 1979 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. März 1979 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Sie vertritt die Ansicht, die Umstände ihres Einzelfalles seien derart gelagert, daß sie ihrem Anspruch auf Elternrente begründeten. L. habe ihr regelmäßig im Monat 120, DM als Unterstützung bei einem Gesamteinkommen von 600,– DM gezahlt. Das sei mehr als die Hälfte ihres notwendigen Lebensbedarfs gewesen. Sie habe damals nur eine Witwenrente von 106,– DM erhalten. Für seinen eigenen Unterhalt sei L. selbst aufgekommen. Nach dem Tode ihres Ehemannes im Jahre 1961 habe er seinen Arbeitsplatz bei der Molkerei L. bei H. aufgegeben und sei zu ihr, seiner Mutter, gezogen, um sie zu unterstützen. Die Tatsache, daß er mit 28 1/2 Jahren abweichend von dem Durchschnittsverhalten deutscher Männer und insbesondere im Gegensatz zu seinem Bruder weder eigene Damenbekanntschaften gehabt habe noch verlobt oder gar verheiratet gewesen sei, beruhe nicht auf Zufälligkeiten, sondern entspreche dem Charakter, den Einstellungen und den Zukunftsvorhaben des Verstorbenen. Die Lebensgewohnheiten des E. seien nicht auf den Umgang mit dem anderen Geschlecht ausgerichtet gewesen. Mit Mädchen oder Frauen seines Alters sei er nie eng befreundet gewesen, er habe sich nie verlobt und auch kein vergleichbares Verhältnis unterhalten. Im Gegensatz dazu sei sein Bruder W. damals – obwohl er fast sieben Jahre jünger gewesen sei – bereits verlobt gewesen und habe schon mit seiner Verlobten in einem anderen Haus gewohnt. L. habe sowohl seinem Bruder und seiner Mutter als auch der ehemaligen Verlobten seines Bruders wörtlich erklärt, er wolle nicht heiraten. Auch die Zeugin E. B. habe diese Einstellung des L. gegen eine Heirat bekundet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Februar 1979 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. März 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr vom 1. Januar 1973 ab Elternrente in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bestreitet, daß L. die Klägerin bereits wesentlich unterhalten gehabt habe. Seine Zahlungen seien Entgelt für Kost und Logis gewesen. Da die Klägerin eigenen Grundbesitz gehabt habe, sei sie durch den Tod des L. auch nicht in eine wirtschaftlich schlechtere Lage geraten. Außerdem hätte die Klägerin ohne den Arbeitsunfall ab 1. Januar 1973 auch keinen Unterhaltsanspruch gegen L. gehabt. Dieser wäre nämlich nach den allgemeinen statistischen Unterlagen verheiratet gewesen und hätte Kinder gehabt.
In der mündlichen Verhandlung am 12. März 1980 hat der Senat die Klägerin persönlich gehört sowie E. B. und W. L. als Zeugen vernommen; auf den Inhalt der Vernehmungsniederschriften (Bl. 70, 72–73 GA) wird verwiesen.
Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und somit zulässig.
Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Zutreffend hat die Klägerin darauf hingewiesen, daß Rentenstammrechte nicht der Verjährung unterliegen, sondern nur die aus dem Steuerrecht fließenden Auszahlungsansprüche auf einzelne in monatlichen Raten zu zahlende Rentenbeträge (vgl. Bundessozialgericht –BSG–, Urt. v. 2.12.1964, 4 RJ 185/61, in SozR. Nr. 5 zu § 29 Reichsversicherungsordnung – RVO –). Für die streitbefangene Zeit ab 1. Januar 1973 ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig. Der Klägerin steht gemäß § 596 RVO ein Anspruch auf Elternrente von einem Fünftel des JAV zu. Nach dieser Vorschrift haben Verwandte der aufsteigenden Linie, Stief- oder Pflegeeltern einen Rentenanspruch, wenn sie ein durch einen Arbeitsunfall Verstorbener aus seinem Arbeitsverdienst wesentlich unterhalten hat oder ohne den Arbeitsunfall wesentlich unterhalten würde, und zwar solange sie ohne den Arbeitsunfall einen Anspruch auf Unterhalt hätten geltend machen können. Die Anspruchsberechtigung des § 596 RVO hängt somit einerseits von der Unterhaltsbedürftigkeit der Anspruchsberechtigten im Sinne des bürgerlichen Rechts sowie ihrer Dauer und andererseits von der Unterhaltsfähigkeit des tödlich Verletzten und deren Fortbestehen ab (§§ 1601, 1603 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB –). Das zeigt die Abhängigkeit des Rentenanspruchs von einem künftigen mutmaßlichen Geschehensablauf.
Hierzu ist zunächst festzustellen: L. verstarb als lediger Mann mit rund 28 Jahren und 5 Monaten an einem Arbeitsunfall. Er hinterließ die Klägerin, seine verwitwete, alleinstehende Mutter, die im 57. Lebensjahr stand, nicht erwerbstätig war und eine Witwenrente von 104,90 DM (Stichtag: 1. Februar 1965) bezog. L. und sein Bruder W. L. (dieser bis 1965) hatten zum Unterhalt der Klägerin beigetragen, L. mit regelmäßigen Geldleistungen von ungefähr 120,– DM neben den Kosten seines eigenen Unterhalts, die er von seinem Bruttoarbeitseinkommen als Molkereifacharbeiter in Höhe von zuletzt 735,– DM monatlich im Jahresdurchschnitt bestritt. Die Klägerin hatte damals ein älteres Wohngrundstück und 317,93 ar "Ackerland, Grünland und Unland”, auf denen sie bis 1965 mit Hilfe ihrer beiden Söhne E. und W. eine kleine Landwirtschaft ausschließlich für den eigenen Bedarf betrieb. Danach wurde dieser Betrieb wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt. Ihre Grundstücke übergab die Klägerin am 27. Februar 1969 ihrem Sohn W. L. gegen ein lebenslängliches Einsitzrecht. Der Gesamtwert der übertragenen Grundstücke war mit 18.000,– DM im notariellen Übergabevertrag angegeben worden. Für 23.000,– DM verkaufte W. L. 1971 das alte Wohnhaus und baute ein neues in dem er der Klägerin wiederum ein unentgeltliches Einsitzrecht an einer Wohnung mit 57 qm Wohnfläche und einem ortsüblichen Mietwert von monatlich 180,– DM einräumte. Diese Feststellungen beruhen auf den Ermittlungen der Beklagten ausweislich ihrer Verwaltungsakten, der Bescheinigung der Landesversicherungsanstalt Hessen vom 24. Mai 1977 (Bl. 21 GA), dem Übergabevertrag vom 27. Februar 1969 (Bl. 22 GA) sowie den glaubhaften Aussagen des Zeugen W. L. L. hatte bis 1961 in einer Molkerei bei H. gearbeitet. Nach dem Tode seines Vaters waren im selben Jahr zu seiner alleinstehenden Mutter gezogen, um auf diese Weise zu ihrem Unterhalt beizutragen. Er war weder verheiratet noch verlobt. Sein Verhalten war seiner Familie und seinen Bekannten im wesentlichen Umfang seiner Freizeit bekannt. L. interessierte sich nicht für ein engeres Verhältnis mit Mädchen oder Frauen. Er erklärte für seine Verwandten und Bekannten überzeugend, er wolle nicht heiraten. Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Aussagen der Zeugen E. und W. L. sowie den glaubhaften Angaben der Klägerin vor dem Senat. Demgegenüber war der sieben Jahre jüngere Bruder des L. schon zu Lebzeiten mit 21 Jahren verlobt und wohnte mit seiner Verlobten zusammen. Er ist inzwischen geschieden und hat ein Kind. Nunmehr trägt er allein zum Unterhalt der Klägerin bei, die inzwischen eine Witwenrente in Höhe von weniger als 300,– DM im Monat (269,– DM ab 1. Juli 1977 nach dem 20. Rentenanpassungsgesetz) erhält. Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Aussagen des Zeugen W. L. und der Rentenmitteilung der LVA Hessen über die Erhöhung nach dem 20. Rentenanpassungsgesetz.
Daraus und aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens folgt, daß der geltend gemachte Elternrentenanspruch für die nicht von der Einrede der Verjährung betroffene Zeit ab 1. Januar 1973 begründet ist.
L. hat die Klägerin noch zu Lebzeiten wesentlich unterhalten. Voraussetzung dafür ist nicht, daß der Verstorbene mehr als die Hälfte des Unterhalts getragen hat. Entscheidend ist vielmehr, daß gerade die betreffenden Unterhaltsleistungen dem Verwandten eine einigermaßen auskömmliche Lebenshaltung ermöglicht haben und durch ihren Wegfall diese auskömmliche Lebenshaltung gefährdet ist (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, 52. Lieferung 1979, S. 588 i mit weiteren Nachweisen). Mehrere Personen können den Berechtigten gleichzeitig wesentlich unterhalten, so daß es unerheblich ist, ob W. L. die Klägerin neben L. auch wesentlich unterhalten hat (vgl. BSG, Urt. v. 19. Mai 1978, 8 RU 102/77).
Zu Recht vertritt die Klägerin die Ansicht, daß die regelmäßigen Zahlungen von rund 120,– DM monatlich für sie angesichts der geringen Höhe ihrer Witwenrente von 104, DM wesentlich war. Ihr Wegfall war geeignet, die auskömmliche Lebenshaltung der Klägerin zu gefährden, so daß sie auch immer wieder Einzelbeihilfen (Weihnachts- und Hausbrandbeihilfe) nach dem BSHG und im Jahre 1977 sogar zeitweise laufende Beihilfe zum Lebensunterhalt erhielt.
Außerdem läßt sich aufgrund des Verhaltens von L. zu seinen Lebzeiten unter Mitberücksichtigung des vergleichbaren Verhaltens von W. L. nach dem Tode von L. feststellen, daß L. ohne den Arbeitsunfall die Klägerin auch ab 1. Januar 1973 wahrscheinlich unterstützt hätte.
Jedenfalls seit diesem Zeitpunkt ist die Klägerin bedürftig im Sinne von § 1602 Abs. 1 BGB gewesen. Ihr Renteneinkommen hatte noch nicht einmal die Sozialhilferegelsätze erreicht (vgl. Hess. Staatsanzeiger 1972, 949; 1973, 922; 1973, 2320; 1974, 2106; 1975, 2211; 1976, 2135; 1978, 1888; 1979, 2257). Der Senat schließt sich im übrigen der Rechtsprechung des BSG an, nach der eine Unterhaltsberechtigung gemäß § 1602 BGB nicht schon dann entfällt, wenn die den Eltern zur Verfügung stehenden Mittel die Regelsätze des BSHG erreichen oder geringfügig überschreiten (vgl. BSG, Urt. v. 15.5.1974, 8 RU 67/73, in SozR. 2200 § 596 Nr. 1). Dem steht nicht entgegen, daß W. L. als weiterer Sohn der Klägerin noch lebt. Bei eigener Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin entfiele die Unterhaltspflicht des L. nicht schon dadurch, daß auch das andere Kind zum Unterhalt der Klägerin beitragen kann (§§ 1603 Abs. 1, 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB – vgl. BSG, Urt. v. 23.4.1975, 2 RU 43/74 in SozR. 2200 § 596 Nr. 4).
Demgegenüber wäre L. gemäß des §§ 1601, 1603 Abs. 1, 1606 BGB verpflichtet, die Klägerin zu unterhalten.
Hierzu stellt der Senat weiter fest: Es ist nicht wahrscheinlich, daß L. am 1. Januar 1973 bereits verheiratet gewesen wäre und Kinder gehabt hätte, so daß seine Unterhaltsfähigkeit und damit seine Unterhaltspflicht gegenüber der Klägerin entfallen wäre. Das ist auch für die Folgezeit nicht wahrscheinlich. Diese Feststellung beruht im Gegensatz zu statistischen Erwägungen auf den konkreten Umständen des Einzelfalles. Die statistischen Unterlagen ergeben, daß das statistische Heiratsalter von 26 Jahren, das der 6. Senat des BSG in seinen bisherigen Entscheidungen herangezogen hat (SozR. 2200 § 596 Nr. 6), insbesondere in den Fällen, in denen der Verstorbene, wie im vorliegenden Falle, älter ist, nicht aussagekräftig erscheint. Aus den Heiratstafeln für Ledige, Verwitwete und Geschiedene 1960/62 (WiSta. 1965, 709 ff., 714) und den dazu veröffentlichten Tabellen (in WiSta., Statistische Monatszahlen 1965, 730) ist jedoch ersichtlich, daß ein 28-jähriger lediger Mann, wie es L. gewesen ist, mit 88 % Wahrscheinlichkeit noch heiraten wird und daß er, wenn er heiratet, durchschnittlich mit 32,69 Jahren verheiratet ist. Zur Überprüfung ergibt die Heiratstafel lediger Männer 1972/74 (WiSta. 1976, 717 ff.; Tabelle: WiSta., Statistische Monatszahlen 1976, 766), daß, wenn auch mit abnehmender Tendenz, weiterhin eine Wahrscheinlichkeit dafür
besteht, daß diejenigen Männer heiraten, die mit 29 Jahren noch ledig gewesen sind (vgl. BGH, Urt. v. 27.7.1978, 2 RU 129/75, zu dem Fall eines 28-jährigen ledigen Mannes).
Unabhängig von allgemeinen Erfahrungen über typische Geschehensabläufe ist aber in jedem Einzelfall vorrangig zu prüfen, ob konkrete Anhaltspunkte vorliegen, daß L. unter Berücksichtigung seiner mutmaßlichen Familien- und Einkommensverhältnisse nicht mehr in der Lage wäre, ohne seinen eigenen angemessen Lebensunterhalt zu gefährden, die Klägerin aus seinem Arbeitsverdienst wesentlich zu unterhalten (vgl. BSG, Urt. v. 22.10.1975, 8 RU 194/74 in BSGE 40, 268).
Das Gesamtergebnis des Verfahrens und die bereits oben getroffenen Feststellungen enthalten in ausreichendem Maße konkrete Anhaltspunkte, die es wahrscheinlich machen, daß L. im Gegensatz zum statistischen Verhalten lediger 28-jähriger Männer nicht eine eigene Familie gegründet hätte. Nach den getroffenen Feststellungen läßt das mit den abgegebenen Absichtserklärungen übereinstimmende Verhalten des L. im Kreise der Familie der Klägerin, wo es im Gegensatz zu seinem Bruder stand, sowie in der Öffentlichkeit seines Wohnortes keine andere Deutung zu. Da sich sein mutmaßliches Monatsarbeitseinkommen nach der Auskunft seines früheren Arbeitgebers vom 1. Juli 1977 von 860,– DM im Jahre 1967 auf 920,– DM im Jahre 1977 gesteigert hätte, wäre L. auch unterhaltsfähig gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
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