L 8 U 4463/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 3159/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 4463/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 29. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Schwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der 1949 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er war von April 1965 bis Mai 1973 bei verschiedenen Arbeitgebern als Maurer bzw. Maschinenarbeiter tätig. Ab 01.07.1973 arbeitete der Kläger als Dachdecker, seit 01.06.1983 im Flachdachbereich bei der Firma F. (F), I ...

Am 22.08.2005 machte der HNO-Arzt Dr. N. bei der Beklagten eine Unfallmeldung hinsichtlich des Klägers wegen Lärmschwerhörigkeit. Die Beklagte holte eine schriftliche Auskunft der F vom 10.09.2005 ein und ließ durch ihre technische Abteilung Feststellungen zur durchschnittlichen Lärmbelastung am Arbeitsplatz des Klägers treffen. In der Stellungnahme des technischen Dienstes vom 02.02.2006 wurde hierzu ausgeführt, dass sich beim Kläger für die Zeit vom April 1965 bis zum Beginn seiner Tätigkeit bei der F ein Beurteilungspegel von 89,0 dB(A) (mit Ausnahme der Zeit vom 01.01.1966 bis 20.01.1966 von 83,0 dB(A)) und für die Zeit ab Beginn der Tätigkeit bei F von unter 85,0 dB(A)(84,0 bzw. 83,0 dB(A)) ergebe. Das Risikomaß nach "von Lüpke" betrage 2,6. Der technische Dienst der Beklagten hielt in Anlehnung an die VDI-Richtlinie 2058 eine entschädigungspflichtige Lärmschwerhörigkeit für nicht völlig ausgeschlossen, da das Risikomaß den Wert 2,4 überschreite. Weiter zog die Beklagte einen vollständigen Auszug aus der Mitglieder- und Leistungskartei des Klägers der AOK L.-B. vom 14.02.2006 sowie Untersuchungsberichte vom 26.02.1992, 30.04.1998 und 31.07.2001 bei und holte den Krankheitsbericht des Dr. N.l vom 13.02.2006 ein.

Auf Empfehlung ihres arbeitsmedizinischen Dienstes holte die Beklagte bei dem vom Kläger ausgewählten HNO-Arzt Dr. J., L., das Gutachten vom 27.03.2006 ein. Der Sachverständige gelangte in seinem Gutachten nach einer ambulanten Untersuchung des Klägers zu der Bewertung, der Innenohrkurvenverlauf sei zwar lärmtypisch. Es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die dokumentierten Hörverluste in der vorliegenden Form lärm-/berufsbedingt seien. Überschwellige Testmethoden ließen in der Gesamtheit keinerlei Hinweise auf eine Haarzellschädigung erkennen, wie sie bei einer Lärmschwerhörigkeit gefordert werde. Anamnestisch habe sich die Innenohrschwerhörigkeit erst nach dem Ausscheiden aus dem Lärmbereich entwickelt, was bei einer Lärmschwerhörigkeit nicht denkbar sei. Auch bestehe keine Adäquanz zwischen den dokumentierten Hörverlusten und der als gering einzuschätzenden beruflichen Lärmbelastung bis 1973. Die Annahme einer konstitutionellen Innenohrschwerhörigkeit vom retrokochleären Typ sei gerechtfertigt. Die als leichtgradig zu bezeichnende innenohrbedingte Hochtonschwerhörigkeit sei nicht als Lärmschwerhörigkeit einzuschätzen. Der prozentuale Hörverlust jeden Ohres betrage 20%. Die nicht berufsbedingte MdE sei mit 10% zu bewerten.

Mit Bescheid vom 20.04.2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit ab, da die Voraussetzungen einer durch die versicherte Tätigkeit des Klägers hervorgerufenen Lärmschwerhörigkeit nach Nr. 2301 BKV nicht vorlägen. Hiergegen legte der Kläger am 28.04.2006 Widerspruch ein. Er machte unter Vorlage eines Attestes des Dr. N. vom 04.05.2006 geltend, er sei schwerhörig. Die Form des Tonaudiogramms spreche eindeutig für eine jahrelange Lärmschädigung. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2006 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, nach den Ausführungen des Dr. J. müsse eine konstitutionelle Innenohrschwerhörigkeit vom retrokochleären Typ angenommen werden. Bei dieser Schwerhörigkeit habe die berufliche Lärmeinwirkung keine Rolle gespielt. Der vorgelegte Arztbrief vom 04.05.2006 könne zu keiner anderen Beurteilung führen.

Am 25.08.2006 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG). Er führte zur Begründung aus, eine beruflich verursachte Lärmschwerhörigkeit liege vor. Er habe bei seiner Arbeit keinen ausreichenden Gehörschutz getragen. Geräusche bei Flachdächern entstünden durch einen Brenner, der bei der Versiegelung von Bahnen eingeschaltet ständig direkt neben dem Arbeiter in Betrieb sei. Dr. N. habe bei ihm eine berufliche Erkrankung festgestellt. Es seien vorab die Zeiten von 1966 bis 1973 zu berücksichtigen. Entgegen der Feststellung des Dr. J. habe er auch später in Lärmbereichen gearbeitet. Das Gutachten sei hinsichtlich der angenommenen Lärmexposition von lediglich 7 Jahren unrichtig. Tatsächlich habe er länger als 40 Jahre als Dachdecker gearbeitet. Ob der Beurteilungspegel im Flachdachbau richtig ermittelt worden sei, könne nicht beurteilt werden. Bei der Begutachtung müsse die tatsächliche Lärmbeeinträchtigung einbezogen worden. Die Beeinträchtigung seiner Hörfähigkeit sei berufsbedingt. Der Kläger legte ein weiteres Attestes des Dr. N. vom 26.01.2007 vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie führte unter Vorlage einer Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 23.03.2007 aus, der Kläger sei nur zwischen April 1965 und Juni 1973 zeitweilig gehörschädigendem Lärmeinfluss ausgesetzt gewesen. Diese kurze Lärmexposition könne nicht zu der beim Kläger vorliegenden Schwerhörigkeit führen. Gegen eine berufliche Verursachung spreche auch, dass sich bereits im Tonaudiogramm von 1992 Hörverluste im tiefen Frequenzbereich gezeigt hätten. Ebenso seien keine Hinweise auf eine Haarzellschädigung zu erkennen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass beim Kläger die Lärmbeeinträchtigung abweichend von den im BIA-Report 1/90 dokumentierten Lärmbelastungsmessungen bewertet werden müssten.

Das SG holte von Amts wegen das Gutachten des HNO Arztes R., L., vom 11.05.2007 ein. Der Sachverständige gelangte in seinem Gutachten nach einer ambulanten Untersuchung des Klägers zu der Bewertung, beim Kläger sei das Risikomaß nach von Lübke, eine entschädigungspflichtige Lärmschwerhörigkeit zu entwickeln, als "unwahrscheinlich" an der Grenze zu "nicht völlig auszuschließen" einzustufen. Es handele sich um eine mittelgradige progrediente Innenohrschwerhörigkeit beiderseits. Schädigender Lärm als Auslöser sei auszuschließen. Die wichtigsten Kriterien für das Vorliegen einer Schwerhörigkeit seien nicht erfüllt, nämlich die zeitliche Kongruenz zwischen der Ausbildung/Entwicklung der nachgewiesenen Innenohrschwerhörigkeit und dem Zeitraum der in Frage stehenden Lärmexposition sowie das Nichtvorhandensein eines Recruitments als typischer Ausdruck eines Haarzellschadens.

Der Kläger wandte gegen das Gutachten des Dr. R. ein, der Ausgangspunkt des Sachverständigen zur gehörschädigenden Exposition für den Zeitraum von 1965 bis 1973 sei nicht richtig. Er habe ständig in lärmexponierter Weise mit einem Schalldruckpegel weit über 85 dB gearbeitet. In Bezug auf seine konkrete Tätigkeit seien Lärmmessungen vorzunehmen.

Mit Urteil vom 29.07.2008 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Anerkennung seiner Schwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 BKV. Über die reine Lärmbelastung hinaus müsse der Zusammenhang zwischen der konkret vorliegenden Gehörschädigung und der chronischen Lärmeinwirkung hinreichend wahrscheinlich sein. Eine Lärmschwerhörigkeit setzte den Nachweis eines Haarzellschadens voraus. Eine Haarzellschädigung habe sich jedoch beim Kläger nicht erweisen lassen, wie die Gutachter Dr. J. und Dr. R. übereinstimmend festgestellt hätten. Sie schlössen überzeugend sowie in Einklang mit der Gutachtensliteratur das Vorliegen eines typischerweise lärmbedingten Gehörschadens aufgrund des fehlenden Recruitments aus. Die Lärmschwerhörigkeit sei durch ein positives Recruitment gekennzeichnet, das in aller Regel bei Lärmschwerhörigkeit nachweisbar sein müsse. Weiter stelle Dr. R. überzeugend fest, dass es nach jahrzehntelanger Arbeit im gleichen Bereich kein weiteres messbares Fortschreiten der Erkrankung mehr geben dürfe. Im Vergleich zu der Untersuchung bei Dr. J. liege aber eine nochmalige Verschlechterung vor. Nach Auswertung und Würdigung der Argumente spreche wesentlich mehr gegen als für eine berufliche Verursachung der Hörschädigung des Klägers.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18.08.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.09.2008 Berufung eingelegt, die er - trotz Erinnerung - bis heute nicht begründet hat.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juli 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juli 2006 aufzuheben und seine Schwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV festzustellen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schreiben vom 04.12.2008 sind die Beteiligten daraufhingewiesen worden, dass die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückgewiesen werden kann, wenn der Senat sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, dass diese Verfahrensweise auf Grund des derzeitigen Sach- und Streitstandes beabsichtigt sei und ihnen Gelegenheit gegeben worden, zur Sache und zum beabsichtigten Verfahren binnen vier Wochen Stellung zu nehmen.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten der Beklagte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann über die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Der Senat hat die Anträge der Beteiligten nach ihrem erkennbaren Begehren sachdienlich gefasst.

Die Berufung ist nicht begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagte auf Anerkennung seiner Gehörschädigung als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV nicht zu. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.

Das SG hat in dem angefochtenen Urteil die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze vollständig und zutreffend dargestellt. Es hat weiter eingehend und zutreffend begründet, weshalb beim Kläger nach den von Dr. J. und Dr. R. übereinstimmend erhobenen medizinischen Befunde und deren Bewertungen, die sie in ihren Gutachten nachvollziehbar und plausibel dargelegt haben, nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Gehörschädigung des Klägers durch Lärmeinwirkung im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hervorgerufen wurde. Der Senat gelangt nach eigener Prüfung zur selben Überzeugung. Er verweist zur Begründung seiner eigenen Entscheidung vollumfänglich auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil des SG, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend bleibt auszuführen:

Nachdem bereits die beim Kläger vorliegenden medizinischen Befunde gegen eine berufsbedingt erworbene Gehörschädigung sprechen, besteht kein Anlass zu weiteren Ermittlungen der Lärmexposition, der der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit seit 1965 ausgesetzt war.

Neue Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen, hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht dargetan. Solche sind auch dem Senat sonst nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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