L 4 KR 5258/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 3591/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 5258/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Oktober 2008 abgeändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in vollem Umfang abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die am 1934 geborene Antragstellerin bezieht, ohne Mitglied der Krankenversicherung der Rentner zu sein, eine Altersrente von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (monatlicher Rentenzahlbetrag ab 1. Juli 2008 EUR 223,91) sowie (seit 1. März 1990) von der Schweizerischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (AHV/IV) eine ordentliche einfache Altersrente (monatlicher Rentenzahlbetrag seit 1. Januar 2007 SFR 190,00). Ihren Angaben zufolge leidet sie an Diabetes mellitus, dauerndem Bluthochdruck, Depressionen sowie an beginnender Demenz, weshalb ständige ärztliche Behandlungen erforderlich seien und sie dringend auf entsprechende Medikamente angewiesen sei. Auch starke Ohrenschmerzen bedürften akut ärztlicher Behandlung.

Mit Bescheid vom 6. November 2006 bewilligte das Landratsamt L. der Antragstellerin vom 1. Oktober 2006 bis zunächst 31. Dezember 2007 Leistungen der Grundsicherung auf der Grundlage des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XII), und zwar einschließlich Krankenhilfe bei der Antragsgegnerin. Nachdem das Landratsamt L. vom Bezug der Schweizer Rente erfahren hatte, teilte es der Antragstellerin mit Schreiben vom 10. März 2008 mit, dass sie aufgrund des Bezugs dieser Schweizer Rente keinen Anspruch mehr auf Krankenhilfe bei der Antragsgegnerin habe; sie sei verpflichtet, sich über die Schweizer Rente versichern zu lassen; sie solle sich wegen der Versicherung an die V. S. ÖKK in B. wenden. Zum 31. März 2008 werde sie bei der Antragsgegnerin als betreutes Mitglied abgemeldet, weswegen die Antragsstellerin unverzüglich die Versicherungskarte zurückgeben solle. Die V. S. ÖKK lehnte das Aufnahmegesuch der Antragstellerin in die Schweizerische Krankenversicherung mit Schreiben vom 8. April 2008 ab. Die Antragstellerin erhob hiergegen Einsprache, woraufhin die V. S. ÖKK sie aufforderte, weitere Angaben zum Bezug von Leistungen der Sozialhilfe und zu Versicherungsmöglichkeiten in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung zu machen (Schreiben vom 8. Mai 2008). Das Landratsamt L. bewilligte der Antragstellerin dann mit Bescheid vom 17. April 2008 weiterhin entsprechende Leistungen der Grundsicherung vom 01. Januar 2008 bis zunächst zum 30. Juni 2009. Ferner teilte das Landratsamt L. der Antragstellerin mit, nach bundesdeutscher Rechtsauffassung unterliege sie der Schweizer Versicherungspflicht nach dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung der Schweiz (KVG), wobei die Schweizer Stellen und auch die von ihr gewählte Krankenkasse nicht gewillt seien, dieser Versicherungspflicht nachzukommen. In Anbetracht der nicht einfachen Rechtslage erhalte sie zunächst einen Krankenschein, um ihre medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten. Die Schweiz berufe sich darauf, dass nach Art. 114 der EG-Verordnung (EGVO) 574/72 im Falle von Streitigkeiten oder unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Träger des Wohnorts, mithin die vom Betroffenen frei gewählte Krankenkasse, vorläufige Leistungen zu gewähren habe. Es sei nicht möglich, weitere Krankenscheine auszustellen. Eine direkte Hilfe zur Gesundheit sei rechtlich ausgeschlossen. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, sich an eine Krankenkasse ihrer Wahl zu wenden (Schreiben vom 3. Juni 2008).

Bei der Antragsgegnerin reichte die Antragstellerin eine "Anzeige zur Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V und § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB XI" mit einem Einkommensfragebogen ein. Mit Bescheid vom 7. Juli 2008 stellte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin fest, dass sie nach derzeitigem Stand nicht Mitglied bei ihr werden könne. Da die Antragstellerin Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erhalte, sei die Versicherungspflicht nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) ausgeschlossen. Im Rahmen des Rechts der Europäischen Union (EU) bzw. des Abkommensrechts bestehe für Personen, die eine ausländische Rente bezögen und nicht in Deutschland krankenversichert seien, dem Grunde nach aufgrund des Bezugs der ausländischen Rente ein Anspruch auf Krankenversicherungsschutz in dem Staat, aus dem die Rente bezogen werde. Sie erhalte eine Rente aus der Schweiz. Da die Antragstellerin in Deutschland über keinen Krankenversicherungsschutz verfüge, unterliege sie dem in der Schweiz geltenden Krankenversicherungsrecht. Sie solle sich an eine Schweizer Krankenkasse wenden, um ihren Krankenversicherungsschutz sicherzustellen. Von der Schweizerischen Krankenversicherung werde gegebenenfalls ein Vordruck E 121 ausgestellt. Insoweit handele es sich um einen Betreuungsauftrag für eine deutsche Krankenkasse. Ferner wurde ihr empfohlen, sich wegen des weiteren Krankenversicherungsschutzes an das Landratsamt L. zu wenden. Die Antragstellerin machte gegenüber der Antragsgegnerin danach geltend (Schreiben vom 10. und 11. Juli 2008), im Hinblick auf das Schreiben des Landratsamts L. vom 3. Juni 2008 ergebe sich, dass die Antragsgegnerin verpflichtet sei, sie vorläufig so zu führen, als ob sie Mitglied wäre, was beantragt werde. Diese Rechtsfolge ergebe sich aus Art. 114 EGVO 574/72. Eine Entscheidung solle bis 14. Juli 2008 getroffen werden, da andernfalls einstweiliger Rechtsschutz beantragt werde. Die Antragsgegnerin forderte die Antragstellerin mit Schreiben vom 14. Juli 2008 auf, noch verschiedene Unterlagen einzureichen. Vermutlich bestehe ein Anspruch auf Krankenhilfe nach § 264 Abs. 2 SGB V, über den entschieden werde, sobald die erforderlichen Unterlagen eingereicht würden. Die geforderten Unterlagen reichte die Antragstellerin mit Schreiben vom 15. Juli 2008 bei der Antragsgegnerin ein.

Die Antragstellerin beantragte am 21. Juli 2008 beim Sozialgericht Freiburg (SG), die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie "ab sofort so zu führen, als ob sie Mitglied wäre". Wegen des Bezugs der Schweizer Rente bestehe Versicherungspflicht nach dem KVG. Sie könne sich auf diese Versicherungspflicht aufgrund von Regelungen der EU (EGVO 1408/71) berufen, da die Schweiz sich diesen Regeln angeschlossen habe. Die Antragsgegnerin habe nach Art. 28 EGVO 1408/71 Leistungen zu gewähren und der Schweizer Krankenkasse in Rechnung zu stellen. Im Streitfall, dass die verpflichtete Krankenkasse (hier die Schweizer Krankenkasse) ihre Einstandspflicht verweigere und den Betroffenen zu Unrecht auf Krankenversicherungsschutz seines Wohnlandes verweise, bestimme Art. 114 EGVO 574/72, dass der Träger des Wohnorts Leistungen zu erbringen habe, was gemäß Anhang 3 der EGVO 574/72 die vom Betroffenen gewählte Krankenkasse, hier die Antragsgegnerin, sei. Auf Sozialhilfe brauche sie sich nicht verweisen zu lassen. Über die Betreuung nach § 264 Abs. 2 SGB V würde sie faktisch auf das Niveau der Sozialhilfe herabgesetzt und müsste hinnehmen, dass beim Ende der Leistungen der Grundsicherung ein Verscherungsschutz unmittelbar wieder gefährdet wäre. Auch schon bei nur vorübergehender fehlender Sozialhilfebedürftigkeit wäre der Krankenversicherungsausweis einzuziehen und ihre ärztliche Versorgung ungewiss. Insoweit verweise sie auch auf den vorgelegten Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. Januar 2008 (L 1 B 336/07 KR ER), das entschieden habe, dass § 264 Abs. 2 SGB V keinen gleichwertigen Leistungsanspruch darstelle wie derjenige als Mitglied bei einer Krankenkasse. Wegen der bei ihr bestehenden Erkrankungen müsse sie ständig ärztlich behandelt werden und sei auf Medikamente angewiesen. Sie mache insoweit Vorleistungen des übergeordneten europäischen Gemeinschaftsrechts geltend. Die Antragstellerin reichte auch eine eidesstattliche Versicherung ein.

Die Antragsgegnerin trat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegen. Sie verwies darauf, dass der Antragstellerin kein Zugang zu der deutschen Krankenversicherung möglich sei. Insoweit sei der Zugang zur Krankenversicherung der Rentner wegen fehlender Vorversicherungszeiten nicht realisierbar. Eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 i.V.m. § 5 Abs. 8a SGB V scheide wegen Leistungsbezugs nach diversen Kapiteln des SGB XII aus, wobei sie mit dem Bescheid vom 07. Juli 2008 die entsprechende Feststellung der Versicherungspflicht auch bindend abgelehnt habe. Sowohl das Landratsamt L. als auch die Antragstellerin hätten nach Inkrafttreten des bilateralen Vertrags zum 1. Juni 2002 auf eine Pflichtversicherung nach dem KVG in der Schweiz hinwirken können. Die durch das Landratsamt L. zum 31. März 2008 erfolgte Abmeldung der Betreuung nach § 264 SGB V sei willkürlich und rechtswidrig; sie führe für die Antragstellerin erst zu der jetzt vorliegenden Härtesituation. Die Versorgung der Antragstellerin sei wegen ihrer bestehenden Ansprüche im Rahmen des § 264 SGB V sichergestellt. Sie (die Antragsgegnerin) werde bei einem Antrag auf Krankenbehandlung den Leistungsträger nach dem SGB XII auffordern, seinen Verpflichtungen nach § 264 Abs. 5 und 7 SGB V nachzukommen. Die Ansprüche der Antragstellerin im Rahmen des § 264 Abs. 2 SGB V habe sie zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt. Mithin sei das von der Antragstellerin eingeleitete Verfahren wegen einstweiligem Rechtsschutz "absolut nicht erforderlich".

Mit Beschluss vom 9. Oktober 2008 verpflichtete das SG die Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig, der Antragstellerin bis auf Weiteres vorläufige Leistungen der Krankenversicherung (Drittes Kapitel des SGB V) zu gewähren. Im Übrigen wies es den Antrag ab. Die Antragstellerin habe Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung in Deutschland. Bei den ihr nach deutschem Recht zustehenden Ansprüchen nach § 264 Abs. 2 SGB V handle es sich nicht um einen "Anspruch auf Leistungen bei Krankheit" im Sinne von Art. 28 EGVO 1408/71, weil sie keine Leistungen der Krankenversicherung seien, sondern solche der Sozialhilfe; § 264 Abs. 1 SGB V sei lediglich eine Vorschrift über die (rein tatsächliche) Durchführung der Krankenbehandlung zu Lasten des Sozialhilfe- bzw. Grundsicherungsträgers. Die Voraussetzungen des Art. 114 EGVO 574/72 seien erfüllt, weil der Streit der Versicherungsträger sich auf die Bestimmung der anwendbaren nationalen Rechtsordnung richte und der Anspruch gegen den Schweizer Sozialleistungsträger als solcher bestehe. Demgemäß habe die Antragsgegnerin nach Anhang 3 der EGVO 574/72 als Träger des Wohnorts vorläufige Leistungen der Krankenversicherung zu erbringen. Die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) ergebe sich aus der glaubhaft gemachten Zuckerkrankheit der Antragstellerin, die ständiger ärztlicher Behandlung bedürfe. Der Anordnungsgrund entfalle nicht mit dem Angebot der Antragsgegnerin, die Krankenbehandlung zu Lasten des Grundsicherungsträgers gemäß § 264 SGB V durchzuführen, denn die Annahme dieses Angebots sei der Antragstellerin im Vergleich zu den ihr zustehenden vorläufigen Leistungen der Krankenversicherung nicht zumutbar. Die Durchführung der Krankenbehandlung gemäß § 264 SGB V sei an das durchgehende Bestehen von Hilfebedürftigkeit im Sinne der grundsicherungsrechtlichen Vorschriften gebunden (vgl. § 264 Abs. 5 SGB V) und könne daher jederzeit entfallen. Wesentlich sei insoweit, dass die grundsicherungsrechtliche Hilfebedürftigkeit bereits beim Zufluss jedes Einkommens, das den Bedarf, wenn auch nur ganz geringfügig, übersteige, entfalle. Der Wegfall der Hilfebedürftigkeit sei damit nicht notwendigerweise mit dem Erwerb finanzieller Mittel verbunden, die den Betreffenden zur Tragung von Krankenbehandlungskosten oder zum Abschluss einer Krankenversicherung befähigen würden. Die Inanspruchnahme von Leistungen gemäß § 264 SGB V berge daher die ständige Gefahr des ersatzlosen Wegfalls der Leistungsvoraussetzungen. Dieser Status sei der Antragstellerin in Anbetracht ihrer Dauererkrankung und im Vergleich zum Umfang der ihr zustehenden vorläufigen Leistungen der Krankenversicherung nicht zumutbar. Soweit die Antragstellerin die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehre, diese so zu führen, als ob sie Mitglied wäre, sei das abzulehnen. Denn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes könne nur eine vorläufige Verpflichtung, aber keine endgültige "Verurteilung" ausgesprochen werden und die Antragstellerin sei auch nicht wie ein Mitglied zu führen, sondern habe (ohne sonstige Mitgliedschaftsrechte) lediglich Anspruch auf vorläufige Leistungen im Wege der Leistungsaushilfe.

Gegen den ihr am 13. Oktober 2008 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 7. November 2008 beim SG Beschwerde eingelegt. Zwar könne sie den Ausführungen des SG, dass es sich bei den der Antragstellerin nach § 264 SGB V zustehenden Ansprüchen nicht um einen "Anspruch auf Leistungen bei Krankheit" im Sinne von Art. 28 EGVO 1408/71 handle, folgen. Der Leistungsrahmen bzw. die Art und der Umfang der Leistungen der deutschen Krankenversicherung bei Betreuung nach § 264 SGB V und bei der Beauftragung durch den Schweizer Krankenversicherer mit dem Formular E 121 unterscheide sich allerdings in keiner Weise. Die Leistungen seien inhaltlich identisch und würden jeweils als Sachleistungen aufgrund der Vorlage einer entsprechenden Versicherungskarte erbracht. Die Krankenbehandlung sei sichergestellt und es bedürfe grundsätzlich nicht der einstweiligen Anordnung. Ein Anwendungsfall des Art. 114 EGVO 572/72 sei nicht gegeben. Es bestehe kein Zuständigkeitsstreit zwischen den in Art. 114 EGVO 574/72 genannten Trägern, sondern zwischen dem SGB XII-Leistungsträger und der Schweizer Krankenkasse. Zwischen dem deutschen und dem Schweizer Träger der Krankenversicherung sei unstreitig, dass ein Zugang zu einer eigenständigen Versicherung auf deutscher Seite nicht möglich sei. Der SGB XII-Leistungsträger gehöre nicht zu den Trägern im Sinne der EGVO 1408/71 und 574/72. Die Regelung des Art. 114 EGVO 574/72 greife erst dann, wenn die Leistungen des SGB XII-Leistungsträgers entfielen und damit der Anspruch nach § 264 Abs. 2 SGB V nicht mehr gegeben wäre. Sie sei bereit, die Antragstellerin mit einer Versichertenkarte auf der Basis des § 264 Abs. 2 SGB V zu versorgen. Es bedürfe lediglich eines entsprechenden Antrags zur Erbringung der Leistung nach § 264 Abs. 2 SGB V; dann könnten auch von ihr die weiteren Schritte gegenüber dem SGB XII-Leistungsträger in Angriff genommen werden. Die Antragstellerin habe eine Krankenversichertenkarte mit dem Gültigkeitsdatum bis zum 31. Dezember 2008 gehabt und sei am 5. Februar 2009 mit einer vorläufigen Versichertenkarte versorgt worden.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Oktober 2008 abzuändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in vollem Umfang abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin gehe zutreffend davon aus, dass sie in der Schweiz (einem anderen vergleichbaren Mitgliedsstaat der EU) gesetzlich krankenversichert sei. Deshalb könne sie keine Leistungen nach § 264 SGB V mehr anbieten, weil für eine Regelung nach dieser Vorschrift nur Raum sei, wenn keine gesetzliche Krankenversicherung bestehe. Das Angebot, ihr zunächst nur vorläufige Leistungen der Sozialhilfe zu gewähren, hieße, sich ihrer auf der Grundlage des europäischen Gemeinschaftsrechts erworbenen Ansprüche zu verschließen. Auch bliebe sie Risiken ausgesetzt (z.B. Erstattung von Aufwendungen, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt zu Vermögen gelangen sollte), die normale Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu befürchten hätten. Die Schweizer Krankenkasse und die dortigen Behörden hätten sie ausdrücklich auf die Anwendung des Art. 114 EGVO 574/72 verwiesen und angedeutet, dass die eingetretene subsidiäre Schweizer Verpflichtung aus Art. 28 EGVO 1408/71 nicht greifen könne, weil sie für ihre ärztliche Versorgung in ihrem Wohnland Deutschland Krankenhilfe von einem Sozialhilfeträger beanspruchen könne. Deshalb sei ihr nicht anzuraten, ihre Ansprüche in der Schweiz, die sie durchsetzen wolle, geltend zu machen, wenn sie Leistungen nach § 264 SGB V erhalte. Die Antragsgegnerin habe keinerlei Vor- oder Nachteile, wenn sie ihre vorläufigen Leistungen gemäß dem angefochtenen Beschluss des SG zunächst nach den Grundsätzen des Europarechts anbieten würde. Als in der Schweiz versicherter Unionsbürgerin müssten für sie zunächst die bestehenden und höherwertigen vorrangigen Ansprüche in der Schweiz vorgestreckt werden, bevor sie vorschnell in die Sozialhilfe zurückverwiesen werden könne. Die Antragsgegnerin müsse den Koordinierungsauftrag als Träger des Wohnorts annehmen und für sie vorläufig tätig werden. Andernfalls hätte sie trotz ihrer auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts erworbenen und bestehenden Ansprüche keinerlei subjektive Rechte aus den EWGVen. Die Antragsgegnerin habe ihr auch noch keine Versichertenkarte ausgestellt. Zur Übersendung dieser Versichertenkarte ins Pflegeheim habe sie die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 26. Januar 2009 aufgefordert.

II.

1. Die gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in der seit 1. April 2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 29 Buchst. b) des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 - SGGArbGÄndG - (BGBl. I, S. 444) ausgeschlossen. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 SGG ist auf Grund des derzeitigen Sach- und Streitstands nicht erkennbar. Denn es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin die Leistungen für den Antragstellerin nur für die einen Zeitraum von weniger als einem Jahr zu erbringen hätte.

2. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist in vollem Umfang zurückzuweisen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragstellerin zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, sodass der Antragstellerin schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein. Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Auch wenn man aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstands davon ausgeht, dass ein Anordnungsanspruch zu bejahen wäre (2.1.), fehlt es jedenfalls an dem Anordnungsgrund (2.2), weil der Antragstellerin zumutbar auf die Übernahme der Krankenbehandlung durch die Antragsgegnerin nach § 264 Abs. 2 SGB V, die die Antragsgegnerin auch angeboten hat, verwiesen werden kann.

2.1. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung von Leistungen der Krankenbehandlung durch die Antragsgegnerin kann sich nicht aus einer Mitgliedschaft der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin ergeben. Denn die Antragstellerin ist nicht Mitglied der Antragsgegnerin, weil sie weder versicherungspflichtig nach § 5 SGB V noch versicherungsberechtigt nach § 9 SGB V ist.

2.1.1. Die Antragstellerin erfüllt keine der in § 5 Abs. 1 SGB V genannten Voraussetzungen für eine Pflichtmitgliedschaft in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Insbesondere erfüllt die Antragstellerin nicht die Voraussetzungen für den Zugang in die KVdR nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V, weil die erforderliche Vorversicherungszeit nicht vorliegt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Des Weiteren erfüllt die Antragstellerin auch nicht die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, was die Antragsgegnerin mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 07. Juli 2008 festgestellt hat

2.1.2. Leistungen der Krankenbehandlung kann die Antragstellerin von der Antragsgegnerin auf Grund der Übernahme der Krankenbehandlung für nicht Versicherungspflichtige nach § 264 Abs. 2 SGB V erhalten. Nach § 264 Abs. 2 SGB V wird die Krankenbehandlung u.a. von Empfängern von Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des SGB XII, die nicht versichert sind, von der Krankenkasse übernommen (Satz 1). Satz 1 gilt nicht für Empfänger, die voraussichtlich nicht mindestens einen Monat ununterbrochen Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen, für Personen, die ausschließlich Leistungen nach § 11 Abs. 5 Satz 3 und § 33 SGB XII beziehen sowie für die in § 24 SGB XII genannten Personen (Satz 2).

Die Voraussetzungen des Satzes 1 sind gegeben. Die Antragstellerin erhält, wie der Bescheid des Landratsamts L. vom 17. April 2008 ergibt, Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, die sie voraussichtlich auch ununterbrochen beziehen wird, unabhängig von der im Bescheid vom 17. April 2008 ausgesprochenen Befristung bis zunächst 30. Juni 2009. Weder aus den vorliegenden Akten noch aus dem Vortrag der Beteiligten ergibt sich, dass die Antragstellerin, die jetzt in einem Pflegeheim untergebracht ist, insbesondere über den 30. Juni 2009 hinaus nicht mehr bedürftig im Sinne des SGB XII sein wird. Die Antragstellerin ist auch nicht versicherungspflichtig nach dem SGB V, weil sie keine der in § 5 Abs. 1 SGB V genannten Voraussetzungen für eine Pflichtmitgliedschaft in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt (s. oben 2.1.1.) Die Ausschlussgründe für die Übernahme der Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 2 Satz 2 SGB V liegen nicht vor, weil die Antragstellerin nicht zu den in Satz 2 genannten Personen gehört und nicht ausschließlich die dort genannten Leistungen bezieht.

2.1.3. Ob die Antragstellerin auch vorläufige Leistungen nach Art. 114 EGVO 574/72 - unterstellt, diese Vorschrift findet im Verhältnis zur Schweiz auf Grund des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen) Anwendung - hat, ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu klären. Nach dieser Vorschrift bezieht im Fall von Streitigkeiten zwischen den Trägern oder den zuständigen Behörden von zwei oder mehr Mitgliedstaaten über die nach Titel II der Verordnung anzuwendenden Rechtsvorschriften oder über die Bestimmung des Trägers, der Leistungen zu gewähren hat, eine Person, die, wenn solche Streitigkeiten nicht bestünden, Leistungen beanspruchen könnte, vorläufige Leistungen nach den vom Träger des Wohnorts anzuwendenden Rechtsvorschriften oder, wenn die betreffende Person nicht im Gebiet eines der beteiligten Mitgliedstaaten wohnt, nach den Rechtsvorschriften des Trägers, bei dem der Antrag zuerst gestellt wurde. Es bestehen Streitigkeiten zwischen Leistungsträgern, wer die Krankenversicherung durchzuführen hat, entweder die Schweizer Krankenversicherung wegen einer Versicherungspflicht nach dem KVG aufgrund des Bezugs der Schweizer Altersrente oder die deutsche Krankenversicherung. Auch wenn die Antragstellerin nicht Mitglied einer deutschen gesetzlichen Krankenkasse werden, sondern allenfalls die Übernahme der Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 2 SGB V durch eine deutsche gesetzlichen Krankenkasse erfolgen kann, könnte die Antragsgegnerin als der Leistungsträger des Wohnorts im Sinne des Art. 114 EGVO 574/72 anzusehen sein, der die vorläufigen Leistungen zu erbringen hat. Hierfür könnte sprechen, dass die Antragsgegnerin die Übernahme der Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 2 SGB V im Auftrag des Sozialhilfeträgers durchführen muss. Mit der Regelung in § 264 Abs. 2 SGB V wollte der Gesetzgeber die betroffenen Hilfeempfänger nicht mitgliedschaftsrechtlich, wohl aber leistungsrechtlich und verfahrensmäßig den Mitgliedern in der gesetzlichen Krankenversicherung gleichstellen, weshalb sie auch eine Krankenversichertenkarte erhalten (Bundestags-Drucksache 15/1525, S. 141). Absatz 2 enthält insofern eine zwingende Leistungsverpflichtung der Krankenkassen (Wille in jurisPK-SGB V, § 264 SGB V Rdnr. 24), die Krankenbehandlung im Auftrag des Sozialhilfeträgers (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 1 KR 30/07 R -) zu übernehmen. Die leistungsrechtliche Gleichstellung bedeutet, dass die Sozialhilfeempfänger ihre Ansprüche auf Hilfe bei Krankheit gegenüber der von ihnen gewählten Krankenkasse unmittelbar geltend machen können, nicht aber gegenüber dem Sozialhilfeträger (vgl. BSG, a.a.O.). Die sozialhilferechtliche Krankheitshilfe nach § 48 Satz 1 SGB XII ist gegenüber den Regelungen zur Krankenbehandlung nach § 264 SGB V nachrangig; dies ist in § 48 Satz 2 SGB XII klargestellt.

Soweit sich die Antragstellerin auf das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger nach Art. 18 EG Vertrag berufen sollte, wäre allerdings zu berücksichtigen, dass Anhang I Art. 24 Freizügigkeitsabkommens über die Rechtsstellung der Nichterwerbstätigen kein Gleichbehandlungsgebot enthält.

2.2. Aufgrund der leistungs- und verfahrensrechtlichen Gleichstellung ist es jedenfalls bis zur rechtskräftigen Entscheidung in einer - allerdings derzeit noch nicht anhängigen - Hauptsache der Antragstellerin zumutbar, sie auf die - von der Antragsgegnerin angebotene - Übernahme der Krankenbehandlung durch die Antragsgegnerin nach § 264 Abs. 2 SGB V zu verweisen. Zweck der begehrten Regelungsanordnung kann allein sein, dass der Antragstellerin vorläufig Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung stehen, bis ihre Versicherungspflicht in der Schweiz geklärt ist. Dies erfolgt jedenfalls leistungs- und verfahrensrechtlich durch die Übernahme der Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 2 SGB V.

Zwar ist der Einwand der Antragstellerin zutreffend, dass die Übernahme der Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 2 SGB V mit dem Wegfall der Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des SGB XII entfällt. Dass dies in absehbarer Zeit der Fall sein wird, ist allerdings nicht ersichtlich und wird auch von der Antragstellerin selbst nicht behauptet. Im Übrigen führte der (mehr als einmonatige) Wegfall der Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des SGB XII dazu, dass eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nicht mehr bestünde sowie die Voraussetzungen des § 5 Abs. 8a Satz 2 SGB V entfielen, sodass nunmehr die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V vorlägen.

Es sind auf Grund des derzeitigen Sach- und Streitstands keine Nachteile erkennbar, die der Antragstellerin durch die Übernahme der Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 2 SGB V bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren entstehen könnten. Es ließe sich nicht feststellen, dass auf die Antragstellerin nach rechtskräftiger Entscheidung in einer - derzeit beim SG noch nicht anhängigen - Hauptsache Erstattungsforderungen wegen der vorläufig erbrachten Leistungen zukommen könnten. Letztlich geht auch der Anspruch auf Leistungen der Antragsgegnerin aufgrund der Übernahme der Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 2 SGB V nicht weiter als der Anspruch auf vorläufige Leistungen zur Krankenbehandlung nach Art. 114 EGVO 574/72. Auch nach der Auffassung der Antragstellerin ist die Antragsgegnerin nicht der Leistungsträger, der die entstehenden Aufwendungen für Leistungen der Krankenbehandlung endgültig zu tragen hat. Dies ist ihrer Auffassung nach der Schweizer Krankenversicherungsträger, der der Antragsgegnerin die Aufwendungen für die vorläufigen Leistungen, die die Antragsgegnerin der Antragstellerin gewährt, erstatten muss. Bei der Durchführung der Krankenversicherung durch die Antragsgegnerin auf Kosten des Sozialhilfeträgers ergibt sich letztendlich nichts anderes, nur dass die Antragsgegnerin ihre Aufwendungen gegenüber dem Sozialhilfeträger geltend machen muss.

Die Antragstellerin hat schließlich auch nicht behauptet, dass ihr in der Vergangenheit Leistungen der Krankenbehandlung, unabhängig davon, dass sie zuletzt mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 26. Januar 2009 (auch vom 9. Februar 2009) hat vortragen lassen, dass sie von der Antragsgegnerin noch keine Krankenversichertenkarte erhalten habe und die Antragsgegnerin aufgefordert worden sei, diese ihr unverzüglich ins Pflegeheim zu übersenden, nicht zur Verfügung gestanden haben oder sie für Leistungen der Krankenbehandlung Zahlungen - abgesehen von gesetzlich vorgesehenen Zuzahlungen - hätten leisten müssen. Der Senat geht deshalb davon aus, dass angesichts der Unklarheiten des rechtlich zuständigen Leistungsträgers die notwendige Krankenbehandlung kostenfrei erfolgt ist. Aus dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 10. Februar 2009 ergibt sich auch, dass die Antragstellerin ohnehin zunächst eine Krankenversichertenkarte mit einem Gültigkeitsdatum bis zum 31. Dezember 2008 hatte und die Antragsgegnerin der Antragstellerin weiter mit Schreiben vom 10. Februar 2009 (nachdem die Übersendung am 5. Februar 2009 noch an die alte Anschrift erfolgt war) an die neue Anschrift im Pflegeheim eine (vorläufige) Krankenversichertenkarte mit dem Status "5.4", d. h. auf der Basis des § 264 SGB V, gültig bis Juni 2009 (vorläufiges Ende des Leistungszeitraums der bewilligten Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII), übermittelt hat (vgl. auch Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 11. Februar 2009).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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