Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 An 959/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine versicherungsfreie oder nicht Versicherungspflichtige Lehrzeit ist nur dann Ausfallzeit im Sinne des. § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG (= § 1259 Abs. 1 S 1 Nr. 4 a RVO), wenn sie ordnungsgemäß erfolgreich abgeschlossen ist. Über den Erfolg der Ausbildung entscheiden in aller Regel die anschließenden Prüfungen.
Der Nachweis einer erfolgreichen Abschlußprüfung als Beendigung der Lehrzeit ist aber dann nicht zu fordern, wenn die Ablegung einer formellen Abschlußprüfung zu dem in Betracht kommenden Zeitraum in der jeweiligen Ausbildungsrichtung nicht vorgesehen war. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Lehrzeit mit der Absolvierung der üblichen Ausbildungsdauer als abgeschlossen zu erachten.
2. Ein in den Jahren 1918/19 in S. in einem landwirtschaftlichen Betrieb als Scholar Beschäftigter wurde als Landwirtschaftslehrling ausgebildet; zu jener Zeit gab es keine verbindlichen Vorschriften für die Lehrlingsausbildung in der Landwirtschaft. Eine solche landwirtschaftliche Lehre war in der Regel nach einer üblichen Ausbildungszeit beendet und damit abgeschlossen.
Der Nachweis einer erfolgreichen Abschlußprüfung als Beendigung der Lehrzeit ist aber dann nicht zu fordern, wenn die Ablegung einer formellen Abschlußprüfung zu dem in Betracht kommenden Zeitraum in der jeweiligen Ausbildungsrichtung nicht vorgesehen war. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Lehrzeit mit der Absolvierung der üblichen Ausbildungsdauer als abgeschlossen zu erachten.
2. Ein in den Jahren 1918/19 in S. in einem landwirtschaftlichen Betrieb als Scholar Beschäftigter wurde als Landwirtschaftslehrling ausgebildet; zu jener Zeit gab es keine verbindlichen Vorschriften für die Lehrlingsausbildung in der Landwirtschaft. Eine solche landwirtschaftliche Lehre war in der Regel nach einer üblichen Ausbildungszeit beendet und damit abgeschlossen.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 29. Mai 1978 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Lehrzeit als Ausfallzeit bei der Gewährung von Altersruhegeld.
Der 1901 in H./S. geborene Kläger hat laut Zeugnis vom 22. Januar 1918 mit dem Ziel, Landwirt zu werden, die Realschulreife erworben. Er war vom 1. April 1918 bis 30. September 1918 auf dem Rittergut S./S. und vom 1. Oktober 1918 bis 1. Oktober 1919 auf dem Mühlengut S. (S.) als Scholar tätig. Anschließend nahm er eine versicherungsfachliche Ausbildung bei der P., F. Versicherungsgesellschaft, F., auf und arbeitete vom 1. Oktober 1920 bis 30. September 1922 als Versicherungsbeamter. Vom 24. November 1922 bis 15. August 1924 war er an der Handels-Hochschule L. immatrikuliert. Nach Ablegung der Reifeprüfung studierte er vom 20. Oktober 1924 bis 7. Juni 1927 an der Universität L. Rechts- und Staatswissenschaften.
Am 29. März 1976 beantragte der Kläger die Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Er begehrte unter anderem, die landwirtschaftliche Lehrzeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 der Rentenberechnung zugrunde zu legen. Nach dem Zeugnis des Rittergutes S. vom 30. September 1918 war der Kläger dort vom 1. April 1918 bis 30. September 1918 als Scholar tätig. Nach einem Zeugnis vom 1. Oktober 1919 des Gutsbesitzers F. S. arbeitete der Kläger dort vom 3. Oktober 1918 bis 1. Oktober 1919 als Scholar; er habe Gelegenheit gehabt, sich in allen landwirtschaftlichen Arbeiten, Geräten und Maschinen praktisch auszubilden; sein Abgang erfolge, um sich in größerer Wirtschaft zu vervollkommnen.
Durch Bescheid vom 24. Juni 1976 gewährt die Beklagte Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. April 1976. In der Anlage zum Rentenbescheid heißt es, daß die landwirtschaftliche Ausbildung vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 als Ausfallzeit nicht angerechnet werden könne, weil sie nicht mindestens 2 Jahre gedauert habe.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, § 36 Abs. 1 Nr. 4 a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) verlange lediglich eine abgeschlossene Lehrzeit; bezüglich ihrer Dauer sage die Vorschrift nichts. Dies sei offenbar darauf zurückzuführen, daß es erst seit etwa 1935 allgemein gültige gesetzliche Regelungen für das deutsche Lehrlingswesen gebe, die auch die Dauer der Lehrzeit mit umfaßten. Die Lehrzeiten in der Landwirtschaft hätten zu der damaligen Zeit zwischen einem und drei Jahren gedauert, je nachdem, welche Zeit im Einzelfall zur Erreichung des Lehrziels erforderlich gewesen sei. Da er bis zum 11. Lebensjahr auf dem Lande gelebt habe, habe für ihn eine 1 1/2 jährige Lehrzeit ausgereicht. Aus dem Zeugnis seines Lehrherrn F. S. vom 1. Oktober 1919 ergebe sich auch, daß er die landwirtschaftliche Lehre erfolgreich abgeschlossen habe. Hätte er seinen Beruf nicht gewechselt, dann hätte er anschließend eine Stelle als Jungverwalter auf einem Rittergut angetreten.
Durch Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1976 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, für die erfolgreiche Ausbildung als Landwirt sei seinerzeit eine mindestens zweijährige Dauer der Ausbildung gefordert worden. Die Ausbildung des Klägers habe jedoch nur 1 1/2 Jahre gedauert und könne deshalb nicht als erfolgreich angesehen werden.
Mit seiner Klage trug der Kläger ergänzend vor, nach seiner Lehrzeit habe er ursprünglich in anderen Betrieben als Jungverwalter weitere Erfahrungen sammeln und sich den nötigen finanziellen Rückhalt für einen vorgesehenen zweijährigen Lehrkurs an der Deutschen Kolonialschule in W. schaffen wollen, da er den Beruf des Koloniallandwirts habe ergreifen wollen. Dies sei jedoch kurz vor Ende seiner Lehrzeit durch die Wegnahme der deutschen Kolonien im Versailler Friedensvertrag vereitelt worden. Außerdem habe ihn seine 1 1/2 jährige Lehrzeit mehr in Anspruch genommen, als dies bei Lehrlingen der Fall gewesen sei, die in den zwanziger Jahren und später eine zweijährige Lehrzeit absolviert hätten. So habe er seine Lehre am 1. April 1918 begonnen, zu einem Zeitpunkt, als der Erste Weltkrieg noch in vollem Gange gewesen sei. Die Landwirtschaft, die damals unter einem drückenden Mangel an Arbeitskräften gelitten habe, habe alles tun müssen, um die Ernährung der deutschen Bevölkerung zu sichern. Dies sei auch noch nach dem Ende des Krieges im November 1918 der Fall gewesen. Praktisch habe er täglich zwischen 12 und 15 Stunden in der Landwirtschaft gearbeitet. Seine Lehrzeit sei nach den mit dem Lehrherrn getroffenen Vereinbarungen tatsächlich am 1. Oktober 1919 beendet worden; anderenfalls wäre er selbstverständlich noch auf dem S.’schen Gut geblieben; keinesfalls habe – wie die Beklagte behauptet – die Absicht bestanden, nur die Ausbildungsstätte zu wechseln.
Die Beklagte trug demgegenüber vor, wenn bei Ausbildungen in der Landwirtschaft für den in § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG geforderten Abschluß regelmäßig eine mindestens zweijährige Dauer gefordert werde, so gehe dies darauf zurück, daß nur solche Zeiten aus ihrer Entwicklung, aus ihren Ausbildungsinhalten und entsprechend ihrem zeitlichen Umfang den Charakter ordentlicher Lehrzeiten hätten. Diesen Charakter trügen sie dagegen nicht, wenn sie schon von ihrem zeitlichen Umfang her den üblichen Erfordernissen einer Lehrzeit nicht entsprächen. Dabei könne es im Grunde dahinstehen, ob hier gewisse Ausbildungsinhalte "lehrlingsähnlich” gewesen seien, da schon der zeitliche Umfang gegen einen erfolgreichen Abschluß spreche. Sinngemäß müsse auch im Falle des Klägers gelten, was sich aus der Prüfungsordnung für Studierende der landwirtschaftlichen Hochschulen und mit landwirtschaftlichen Instituten ausgestatteten Universitäten (Ministerialblatt der preußischen Verwaltung für Landwirtschaft, September 1922, Seite 609 ff.) ergebe, daß grundsätzlich für eine erfolgreiche Ausbildung in der Landwirtschaft eine zweijährige Dauer der Ausbildung notwendig gewesen sei.
Durch Urteil vom 29. Mai 1978 verpflichtete das Sozialgericht Wiesbaden die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheids vom 24. Juni 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 1976 (richtig 7. Dezember 1976), dem Kläger unter Berücksichtigung der Ausfallzeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 ein höheres Altersruhegeld zu gewähren. In seinen Entscheidungsgründen führte es aus, aufgrund des gesamten Vortrags der Beteiligten sei die Kammer überzeugt, daß die vom Kläger in der Zeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 durchlaufene landwirtschaftliche Ausbildung einer abgeschlossenen Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG entspreche. Die Lehrzeit des Klägers in den Jahren 1918/1919 habe in einer Zeit gelegen, in der es noch keine verbindlichen Vorschriften für die Lehrlingsausbildung in der Landwirtschaft gegeben habe. Die von der Beklagten erwähnten Vorschriften über Praktikantenzeiten stammten erst aus den zwanziger Jahren. Für eine abgeschlossene Lehrzeit sprechen auch das Zeugnis des Lehrherrn des Klägers, sowie die Erklärungen des Klägers hierzu. Denn einmal bescheinige der Lehrherr F. S. dem Kläger, daß er in allen landwirtschaftlichen Arbeiten unterrichtet und an allen Geräten und Maschinen praktisch ausgebildet worden sei. Zum anderen habe der Kläger überzeugend dargelegt, daß er Koloniallandwirt habe werden wollen und die Absicht gehabt habe, sich den finanziellen Rückhalt für einen zweijährigen Lehrkurs an der Deutschen Kolonialschule in W. durch Arbeiten in anderen Betrieben zu schaffen. Damit sei widerlegt, daß der Kläger lediglich die Absicht gehabt habe, die Ausbildungsstätte zu wechseln.
Gegen dieses der Beklagten mit Empfangsbekenntnis am 31. Juli 1978 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 24. August 1978 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Die Begründung des sozialgerichtlichen Urteils sei nicht geeignet, die Ansicht, wonach eine praktische Tätigkeit in der Landwirtschaft von 1 1/2 jähriger Dauer eine "abgeschlossene Lehrzeit” im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG sei, wirkungsvoll zu stützen. Zwar habe das Sozialgericht Wiesbaden darauf hingewiesen, daß die von ihr angeführten Ausbildungsvorschriften aus einer im Jahre 1927 herausgegebenen Veröffentlichung zitiert worden seien. Es habe aber übersehen, daß hier nicht nur Einzelregelungen beschrieben seien, die genau ab 1927 Geltung gehabt hätten, und unbeachtet gelassen, daß schon im Jahre 1908 Vorschriften vorhanden gewesen seien, die eine zwei- bzw. dreijährige Ausbildung festgelegt hätten. Diese Regelungen hätten zwar die Voraussetzungen für das Studium der Landwirtschaft betroffen, es müsse aber davon ausgegangen werden, daß entsprechende Regelungen auch für nichtakademische landwirtschaftliche Berufe Geltung gehabt hätten, zumal praktische Tätigkeiten als Voraussetzung einer akademischen Ausbildung von geringerer zeitlicher Dauer zu sein brauchen, als wenn eine Berufsausbildung ohne Studium angestrebt werde. Im übrigen enthalte das Zeugnis vom 1. Oktober 1919 keine Angaben darüber, daß die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, also beendet worden sei. Stattdessen werde klar zum Ausdruck gebracht, daß sich der Versicherte noch in anderen Betrieben habe vervollkommnen wollen. Diese Tatsache spreche mehr für eine Volontärzeit als für eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 29. Mai 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat vom Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, vom Verband Deutscher Akademiker für Ernährung, Landwirtschaft und Landespflege e. V. (VDL) und von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft e. V. (DLG) Auskünfte über eine landwirtschaftliche Lehrzeit in den Jahren 1918 und 1919 eingeholt. Wegen des Inhaltes der Auskünfte und der mit übersandten Unterlagen wird auf die Schreiben vom 2. März 1979 (Bl. 82–85 der Gerichtsakte), vom 5. März 1979 (Bl. 87–88 der Gerichtsakte) und vom 8. Juli 1980 (Bl. 104–131 der Gerichtsakte) verwiesen.
Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (vgl. §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die Berufung ist jedoch sachlich unbegründet. Das angefochtene Urteil ist zu Recht ergangen. Der Kläger hat nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG einen Anspruch auf Anrechnung einer Ausfallzeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919, denn die Beschäftigung als Scholar ist eine nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegende abgeschlossene Lehrzeit.
Eine versicherungsfreie oder nicht Versicherungspflichtige Lehrzeit ist nur dann Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG, wenn sie ordnungsgemäß erfolgreich abgeschlossen worden ist. Die berufliche Ausbildung soll von Erfolg gewesen sein. Über den Erfolg der Ausbildung entscheiden in aller Regel die anschließenden Prüfungen. Der Erfolg einer Lehrzeit wird dementsprechend regelmäßig durch ein Zeugnis über die Lehrabschlußprüfung (Gehilfenbrief, Gesellenbrief) nachgewiesen. Kann ein derzeitiger Nachweis nicht geführt werden, so ist der Erfolg und der ordnungsgemäße Abschluß der Ausbildung im Rückschluß aus der nachfolgenden beruflichen Stellung festzustellen.
Der Nachweis einer erfolgreichen Abschlußprüfung als Beendigung der Lehrzeit ist aber dann nicht zu fordern, wenn die Ablegung einer formellen Abschlußprüfung zu dem in Betracht kommenden Zeitraum in der jeweiligen Ausbildungsrichtung nicht vorgesehen war. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Lehrzeit mit der Absolvierung der üblichen Ausbildungsdauer als abgeschlossen zu erachten. Auch insoweit bietet die nachfolgende berufliche Stellung Anhaltspunkte dafür, ob das Ausbildungsziel erreicht und die Lehrzeit erfolgreich beendet wurde (vgl. KOCH/HARTMANN/von ALTROCK/FÜRST, AVG, § 36 V. 3.5; EICHER/HAASE/RAUSCHENBACH, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 6. Auflage, § 1259 RVO Anm. 10).
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien und der vorliegenden Beweise in Verbindung mit den widerspruchsfreien und glaubhaften Vorbringen des Klägers sowie aufgrund der vom Senat durchgeführten Ermittlungen ist davon auszugehen, daß der Kläger in der Zeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 eine landwirtschaftliche Lehrzeit durchlaufen und erfolgreich abgeschlossen hat.
Während seiner Tätigkeit als Scholar wurde der Kläger als landwirtschaftlicher Lehrling und nicht etwa als Volontär oder Praktikant – eine solche Ausbildungszeit wäre keine Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG – ausgebildet. Das "Landlexikon” Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt 1914, gibt für den Scholar folgende Definition: "Scholar (lat.), im Mittelalter Schüler, Student, überhaupt in der Wissenschaft Beflissener, jetzt in S. und T. Landwirtschaftslehrling”. Hieraus ist zu schließen, daß der Kläger, der in der maßgebenden Zeit nach den Zeugnissen vom 30. September 1918 und vom 1. Oktober 1919 in S. als Scholar tätig war, als Landwirtschaftslehrling ausgebildet wurde. Zum anderen wurde er als Scholar für einen bestimmten Arbeitnehmerberuf, nämlich für den eines Landwirts ausgebildet. Er hatte folglich tatsächlich die Stellung eines Lehrlings inne. Die Zeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 war auch aus diesem Grunde keine Volontär- oder Praktikantenzeit. Diese dienen in der Regel vielmehr dazu, Volontäre bzw. Praktikanten in Betrieben praktische Kenntnisse und Erfahrungen – in Arbeitsgebieten verschiedener Betriebe und Berufe – sammeln zu lassen, die sie für ihren Hauptberuf brauchen (vgl. hierzu BSG Urteil vom 21. Oktober 1971 – 11 RA 59/71).
Auch war für die hier streitige Zeit die Ablegung einer formellen Abschlußprüfung nach Abschluß der praktischen Ausbildung als landwirtschaftlicher Lehrling nicht zwingend vorgesehen. Nach Auskunft des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 2. März 1979 seien etwa bis zum Jahre 1920 von den staatlichen Stellen keine Rechtsvorschriften für die praktische landwirtschaftliche Ausbildung erlassen worden. Nach Auskunft der DLG vom 8. Juli 1980 und nach dem Handbuch des landwirtschaftlichen Bildungswesen, BLV-Verlag München, 1965 (Hudde) gründete die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft zwar 1905 einen "Sonderausschuß für Lehrlingswesen”, der landwirtschaftliche Betriebe als "Lehrbetriebe” anerkennt, 1907 die erste Lehrlingsprüfung abnimmt und 1909 eine Prüfungsordnung erläßt. Diese beginnende Regelung des Lehrlingswesens im landwirtschaftlichen Bereich sei jedoch durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen worden; erst wieder etwa Mitte der zwanziger Jahre könne von einer einheitlichen landwirtschaftlichen Ausbildung gesprochen werden. Danach absolvierte der Kläger seine Lehre zu einer Zeit, in der es keine verbindlichen Vorschriften für die Lehrlingsausbildung in der Landwirtschaft gab. Folglich kann auch nicht der Nachweis einer formellen Abschlußprüfung verlangt werden. Vielmehr war ein geordneter und erfolgreicher Abschluß der landwirtschaftlichen Lehrzeit des Klägers zur damaligen Zeit auch ohne Abschlußprüfung möglich.
Auch hat der Kläger seine landwirtschaftliche Lehre am 1. Oktober 1919 nach einer üblichen Ausbildungsdauer beendet und damit abgeschlossen. Die Lehrzeit betrug in den Jahren 1918 bis 1919 ein bis drei Jahre. Zwar forderte die DLG mindestens 2 Jahre, jedoch war dies keine rechtsverbindliche Forderung. Dem Lehrplan für die praktische Lehrzeit des Landwirts, aufgestellt am 12. Februar 1907, ist zu entnehmen, daß aus bestimmten Gründen nur eine 1 1/2 jährige Lehrzeit in Aussicht genommen werden konnte; es empfehle sich dann "der Beginn der Lehrzeit mit dem 1. April um doch 2 Sommer-Semester dem Lehrlinge zu sichern”. Der Kläger hat aber seine Lehre am 1. April begonnen. Als besonderer Grund für eine nur 1 1/2 jährige Lehrzeit wird "bei reiferen, besonders gut veranlagten Lehrlingen, die auf dem Lande in fester Berührung mit dem Landwirtschafts-Betriebe aufgewachsen sind” angesehen. Der Kläger hatte zu Beginn seiner Tätigkeit als Scholar am 1. April 1918 mit der Realschulreife einen relativ guten Schulabschluß aufzuweisen. Zwar stammt er nicht aus einer landwirtschaftlichen Familie, doch hat er bis zum 11. Lebensjahr auf dem Lande gewohnt. Schließlich spricht auch das Zeugnis des Lehrherrn F. S. und der Vortrag des Klägers hierzu für eine am 1. Oktober 1919 abgeschlossene Lehrzeit. Denn einmal bescheinigt der Lehrherr dem Kläger im Zeugnis vom 1. Oktober 1919, daß er in allen landwirtschaftlichen Arbeiten und an allen Geräten und Maschinen praktisch ausgebildet worden sei. Zum anderen hat der Kläger glaubhaft dargelegt, daß er nach seiner Lehrzeit in anderen Betrieben als Jungverwalter weitere Erfahrungen habe sammeln und sich den finanziellen Rückhalt für einen vorgesehenen zweijährigen Lehrkurs an der Deutschen Kolonialschule in W. habe schaffen wollen, da er die Absicht gehabt habe, Koloniallandwirt zu werden, was schließlich infolge des Ersten Weltkrieges gescheitert sei. Nach alledem muß der Hinweis im Zeugnis vom 1. Oktober 1919 der Abgang des Klägers erfolge, um sich in größerer Wirtschaft zu vervollkommnen, im Sinne der Darlegungen des Klägers gedeutet werden. Außerdem wäre nicht einzusehen, warum der Kläger gerade die letzte in der Regel wesentlichste Ausbildungsphase ausgerechnet in der Zeit der winterlichen Arbeitsruhe bei einem dritten Lehrherrn hätte absolvieren sollen.
Allerdings bietet die nachfolgende berufliche Stellung des Klägers keine Anhaltspunkte dafür, ob das Ausbildungsziel erreicht und die Lehrzeit erfolgreich beendet wurde; denn er begann anschließend eine versicherungsfachliche Ausbildung, die mit seiner vorherigen Ausbildung als Scholar in keiner Beziehung stand. Doch gibt eine diesbezügliche nachträgliche Betrachtungsweise nur ein Indiz dafür ab, ob eine Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG abgeschlossen ist. Kommt es aus erklärlichen Gründen nicht zur Aufnahme des erlernten Berufs, dann muß den sonstigen Umständen entnommen werden, ob eine abgeschlossene Lehrzeit vorliegt oder nicht. Der Kläger, der nach dem Realschulabschluß – Zeugnis vom 22. Januar 1918 den Beruf des Landwirts ergreifen wollte, hat überzeugend dargelegt, warum er sein berufliches Endziel als Koloniallandwirt nicht verwirklichen konnte. Anhaltspunkte dafür, daß er seinen Beruf als Landwirt wegen einer nicht abgeschlossenen landwirtschaftlichen Lehre nicht aufnehmen konnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Aus all diesen Gründen war die Zeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG anzuerkennen.
Bei dieser Sach- und Rechtslage konnte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG fehlt.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Lehrzeit als Ausfallzeit bei der Gewährung von Altersruhegeld.
Der 1901 in H./S. geborene Kläger hat laut Zeugnis vom 22. Januar 1918 mit dem Ziel, Landwirt zu werden, die Realschulreife erworben. Er war vom 1. April 1918 bis 30. September 1918 auf dem Rittergut S./S. und vom 1. Oktober 1918 bis 1. Oktober 1919 auf dem Mühlengut S. (S.) als Scholar tätig. Anschließend nahm er eine versicherungsfachliche Ausbildung bei der P., F. Versicherungsgesellschaft, F., auf und arbeitete vom 1. Oktober 1920 bis 30. September 1922 als Versicherungsbeamter. Vom 24. November 1922 bis 15. August 1924 war er an der Handels-Hochschule L. immatrikuliert. Nach Ablegung der Reifeprüfung studierte er vom 20. Oktober 1924 bis 7. Juni 1927 an der Universität L. Rechts- und Staatswissenschaften.
Am 29. März 1976 beantragte der Kläger die Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Er begehrte unter anderem, die landwirtschaftliche Lehrzeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 der Rentenberechnung zugrunde zu legen. Nach dem Zeugnis des Rittergutes S. vom 30. September 1918 war der Kläger dort vom 1. April 1918 bis 30. September 1918 als Scholar tätig. Nach einem Zeugnis vom 1. Oktober 1919 des Gutsbesitzers F. S. arbeitete der Kläger dort vom 3. Oktober 1918 bis 1. Oktober 1919 als Scholar; er habe Gelegenheit gehabt, sich in allen landwirtschaftlichen Arbeiten, Geräten und Maschinen praktisch auszubilden; sein Abgang erfolge, um sich in größerer Wirtschaft zu vervollkommnen.
Durch Bescheid vom 24. Juni 1976 gewährt die Beklagte Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. April 1976. In der Anlage zum Rentenbescheid heißt es, daß die landwirtschaftliche Ausbildung vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 als Ausfallzeit nicht angerechnet werden könne, weil sie nicht mindestens 2 Jahre gedauert habe.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, § 36 Abs. 1 Nr. 4 a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) verlange lediglich eine abgeschlossene Lehrzeit; bezüglich ihrer Dauer sage die Vorschrift nichts. Dies sei offenbar darauf zurückzuführen, daß es erst seit etwa 1935 allgemein gültige gesetzliche Regelungen für das deutsche Lehrlingswesen gebe, die auch die Dauer der Lehrzeit mit umfaßten. Die Lehrzeiten in der Landwirtschaft hätten zu der damaligen Zeit zwischen einem und drei Jahren gedauert, je nachdem, welche Zeit im Einzelfall zur Erreichung des Lehrziels erforderlich gewesen sei. Da er bis zum 11. Lebensjahr auf dem Lande gelebt habe, habe für ihn eine 1 1/2 jährige Lehrzeit ausgereicht. Aus dem Zeugnis seines Lehrherrn F. S. vom 1. Oktober 1919 ergebe sich auch, daß er die landwirtschaftliche Lehre erfolgreich abgeschlossen habe. Hätte er seinen Beruf nicht gewechselt, dann hätte er anschließend eine Stelle als Jungverwalter auf einem Rittergut angetreten.
Durch Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1976 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, für die erfolgreiche Ausbildung als Landwirt sei seinerzeit eine mindestens zweijährige Dauer der Ausbildung gefordert worden. Die Ausbildung des Klägers habe jedoch nur 1 1/2 Jahre gedauert und könne deshalb nicht als erfolgreich angesehen werden.
Mit seiner Klage trug der Kläger ergänzend vor, nach seiner Lehrzeit habe er ursprünglich in anderen Betrieben als Jungverwalter weitere Erfahrungen sammeln und sich den nötigen finanziellen Rückhalt für einen vorgesehenen zweijährigen Lehrkurs an der Deutschen Kolonialschule in W. schaffen wollen, da er den Beruf des Koloniallandwirts habe ergreifen wollen. Dies sei jedoch kurz vor Ende seiner Lehrzeit durch die Wegnahme der deutschen Kolonien im Versailler Friedensvertrag vereitelt worden. Außerdem habe ihn seine 1 1/2 jährige Lehrzeit mehr in Anspruch genommen, als dies bei Lehrlingen der Fall gewesen sei, die in den zwanziger Jahren und später eine zweijährige Lehrzeit absolviert hätten. So habe er seine Lehre am 1. April 1918 begonnen, zu einem Zeitpunkt, als der Erste Weltkrieg noch in vollem Gange gewesen sei. Die Landwirtschaft, die damals unter einem drückenden Mangel an Arbeitskräften gelitten habe, habe alles tun müssen, um die Ernährung der deutschen Bevölkerung zu sichern. Dies sei auch noch nach dem Ende des Krieges im November 1918 der Fall gewesen. Praktisch habe er täglich zwischen 12 und 15 Stunden in der Landwirtschaft gearbeitet. Seine Lehrzeit sei nach den mit dem Lehrherrn getroffenen Vereinbarungen tatsächlich am 1. Oktober 1919 beendet worden; anderenfalls wäre er selbstverständlich noch auf dem S.’schen Gut geblieben; keinesfalls habe – wie die Beklagte behauptet – die Absicht bestanden, nur die Ausbildungsstätte zu wechseln.
Die Beklagte trug demgegenüber vor, wenn bei Ausbildungen in der Landwirtschaft für den in § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG geforderten Abschluß regelmäßig eine mindestens zweijährige Dauer gefordert werde, so gehe dies darauf zurück, daß nur solche Zeiten aus ihrer Entwicklung, aus ihren Ausbildungsinhalten und entsprechend ihrem zeitlichen Umfang den Charakter ordentlicher Lehrzeiten hätten. Diesen Charakter trügen sie dagegen nicht, wenn sie schon von ihrem zeitlichen Umfang her den üblichen Erfordernissen einer Lehrzeit nicht entsprächen. Dabei könne es im Grunde dahinstehen, ob hier gewisse Ausbildungsinhalte "lehrlingsähnlich” gewesen seien, da schon der zeitliche Umfang gegen einen erfolgreichen Abschluß spreche. Sinngemäß müsse auch im Falle des Klägers gelten, was sich aus der Prüfungsordnung für Studierende der landwirtschaftlichen Hochschulen und mit landwirtschaftlichen Instituten ausgestatteten Universitäten (Ministerialblatt der preußischen Verwaltung für Landwirtschaft, September 1922, Seite 609 ff.) ergebe, daß grundsätzlich für eine erfolgreiche Ausbildung in der Landwirtschaft eine zweijährige Dauer der Ausbildung notwendig gewesen sei.
Durch Urteil vom 29. Mai 1978 verpflichtete das Sozialgericht Wiesbaden die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheids vom 24. Juni 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 1976 (richtig 7. Dezember 1976), dem Kläger unter Berücksichtigung der Ausfallzeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 ein höheres Altersruhegeld zu gewähren. In seinen Entscheidungsgründen führte es aus, aufgrund des gesamten Vortrags der Beteiligten sei die Kammer überzeugt, daß die vom Kläger in der Zeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 durchlaufene landwirtschaftliche Ausbildung einer abgeschlossenen Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG entspreche. Die Lehrzeit des Klägers in den Jahren 1918/1919 habe in einer Zeit gelegen, in der es noch keine verbindlichen Vorschriften für die Lehrlingsausbildung in der Landwirtschaft gegeben habe. Die von der Beklagten erwähnten Vorschriften über Praktikantenzeiten stammten erst aus den zwanziger Jahren. Für eine abgeschlossene Lehrzeit sprechen auch das Zeugnis des Lehrherrn des Klägers, sowie die Erklärungen des Klägers hierzu. Denn einmal bescheinige der Lehrherr F. S. dem Kläger, daß er in allen landwirtschaftlichen Arbeiten unterrichtet und an allen Geräten und Maschinen praktisch ausgebildet worden sei. Zum anderen habe der Kläger überzeugend dargelegt, daß er Koloniallandwirt habe werden wollen und die Absicht gehabt habe, sich den finanziellen Rückhalt für einen zweijährigen Lehrkurs an der Deutschen Kolonialschule in W. durch Arbeiten in anderen Betrieben zu schaffen. Damit sei widerlegt, daß der Kläger lediglich die Absicht gehabt habe, die Ausbildungsstätte zu wechseln.
Gegen dieses der Beklagten mit Empfangsbekenntnis am 31. Juli 1978 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 24. August 1978 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Die Begründung des sozialgerichtlichen Urteils sei nicht geeignet, die Ansicht, wonach eine praktische Tätigkeit in der Landwirtschaft von 1 1/2 jähriger Dauer eine "abgeschlossene Lehrzeit” im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG sei, wirkungsvoll zu stützen. Zwar habe das Sozialgericht Wiesbaden darauf hingewiesen, daß die von ihr angeführten Ausbildungsvorschriften aus einer im Jahre 1927 herausgegebenen Veröffentlichung zitiert worden seien. Es habe aber übersehen, daß hier nicht nur Einzelregelungen beschrieben seien, die genau ab 1927 Geltung gehabt hätten, und unbeachtet gelassen, daß schon im Jahre 1908 Vorschriften vorhanden gewesen seien, die eine zwei- bzw. dreijährige Ausbildung festgelegt hätten. Diese Regelungen hätten zwar die Voraussetzungen für das Studium der Landwirtschaft betroffen, es müsse aber davon ausgegangen werden, daß entsprechende Regelungen auch für nichtakademische landwirtschaftliche Berufe Geltung gehabt hätten, zumal praktische Tätigkeiten als Voraussetzung einer akademischen Ausbildung von geringerer zeitlicher Dauer zu sein brauchen, als wenn eine Berufsausbildung ohne Studium angestrebt werde. Im übrigen enthalte das Zeugnis vom 1. Oktober 1919 keine Angaben darüber, daß die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, also beendet worden sei. Stattdessen werde klar zum Ausdruck gebracht, daß sich der Versicherte noch in anderen Betrieben habe vervollkommnen wollen. Diese Tatsache spreche mehr für eine Volontärzeit als für eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 29. Mai 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat vom Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, vom Verband Deutscher Akademiker für Ernährung, Landwirtschaft und Landespflege e. V. (VDL) und von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft e. V. (DLG) Auskünfte über eine landwirtschaftliche Lehrzeit in den Jahren 1918 und 1919 eingeholt. Wegen des Inhaltes der Auskünfte und der mit übersandten Unterlagen wird auf die Schreiben vom 2. März 1979 (Bl. 82–85 der Gerichtsakte), vom 5. März 1979 (Bl. 87–88 der Gerichtsakte) und vom 8. Juli 1980 (Bl. 104–131 der Gerichtsakte) verwiesen.
Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (vgl. §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die Berufung ist jedoch sachlich unbegründet. Das angefochtene Urteil ist zu Recht ergangen. Der Kläger hat nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG einen Anspruch auf Anrechnung einer Ausfallzeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919, denn die Beschäftigung als Scholar ist eine nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegende abgeschlossene Lehrzeit.
Eine versicherungsfreie oder nicht Versicherungspflichtige Lehrzeit ist nur dann Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG, wenn sie ordnungsgemäß erfolgreich abgeschlossen worden ist. Die berufliche Ausbildung soll von Erfolg gewesen sein. Über den Erfolg der Ausbildung entscheiden in aller Regel die anschließenden Prüfungen. Der Erfolg einer Lehrzeit wird dementsprechend regelmäßig durch ein Zeugnis über die Lehrabschlußprüfung (Gehilfenbrief, Gesellenbrief) nachgewiesen. Kann ein derzeitiger Nachweis nicht geführt werden, so ist der Erfolg und der ordnungsgemäße Abschluß der Ausbildung im Rückschluß aus der nachfolgenden beruflichen Stellung festzustellen.
Der Nachweis einer erfolgreichen Abschlußprüfung als Beendigung der Lehrzeit ist aber dann nicht zu fordern, wenn die Ablegung einer formellen Abschlußprüfung zu dem in Betracht kommenden Zeitraum in der jeweiligen Ausbildungsrichtung nicht vorgesehen war. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Lehrzeit mit der Absolvierung der üblichen Ausbildungsdauer als abgeschlossen zu erachten. Auch insoweit bietet die nachfolgende berufliche Stellung Anhaltspunkte dafür, ob das Ausbildungsziel erreicht und die Lehrzeit erfolgreich beendet wurde (vgl. KOCH/HARTMANN/von ALTROCK/FÜRST, AVG, § 36 V. 3.5; EICHER/HAASE/RAUSCHENBACH, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 6. Auflage, § 1259 RVO Anm. 10).
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien und der vorliegenden Beweise in Verbindung mit den widerspruchsfreien und glaubhaften Vorbringen des Klägers sowie aufgrund der vom Senat durchgeführten Ermittlungen ist davon auszugehen, daß der Kläger in der Zeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 eine landwirtschaftliche Lehrzeit durchlaufen und erfolgreich abgeschlossen hat.
Während seiner Tätigkeit als Scholar wurde der Kläger als landwirtschaftlicher Lehrling und nicht etwa als Volontär oder Praktikant – eine solche Ausbildungszeit wäre keine Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG – ausgebildet. Das "Landlexikon” Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt 1914, gibt für den Scholar folgende Definition: "Scholar (lat.), im Mittelalter Schüler, Student, überhaupt in der Wissenschaft Beflissener, jetzt in S. und T. Landwirtschaftslehrling”. Hieraus ist zu schließen, daß der Kläger, der in der maßgebenden Zeit nach den Zeugnissen vom 30. September 1918 und vom 1. Oktober 1919 in S. als Scholar tätig war, als Landwirtschaftslehrling ausgebildet wurde. Zum anderen wurde er als Scholar für einen bestimmten Arbeitnehmerberuf, nämlich für den eines Landwirts ausgebildet. Er hatte folglich tatsächlich die Stellung eines Lehrlings inne. Die Zeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 war auch aus diesem Grunde keine Volontär- oder Praktikantenzeit. Diese dienen in der Regel vielmehr dazu, Volontäre bzw. Praktikanten in Betrieben praktische Kenntnisse und Erfahrungen – in Arbeitsgebieten verschiedener Betriebe und Berufe – sammeln zu lassen, die sie für ihren Hauptberuf brauchen (vgl. hierzu BSG Urteil vom 21. Oktober 1971 – 11 RA 59/71).
Auch war für die hier streitige Zeit die Ablegung einer formellen Abschlußprüfung nach Abschluß der praktischen Ausbildung als landwirtschaftlicher Lehrling nicht zwingend vorgesehen. Nach Auskunft des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 2. März 1979 seien etwa bis zum Jahre 1920 von den staatlichen Stellen keine Rechtsvorschriften für die praktische landwirtschaftliche Ausbildung erlassen worden. Nach Auskunft der DLG vom 8. Juli 1980 und nach dem Handbuch des landwirtschaftlichen Bildungswesen, BLV-Verlag München, 1965 (Hudde) gründete die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft zwar 1905 einen "Sonderausschuß für Lehrlingswesen”, der landwirtschaftliche Betriebe als "Lehrbetriebe” anerkennt, 1907 die erste Lehrlingsprüfung abnimmt und 1909 eine Prüfungsordnung erläßt. Diese beginnende Regelung des Lehrlingswesens im landwirtschaftlichen Bereich sei jedoch durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen worden; erst wieder etwa Mitte der zwanziger Jahre könne von einer einheitlichen landwirtschaftlichen Ausbildung gesprochen werden. Danach absolvierte der Kläger seine Lehre zu einer Zeit, in der es keine verbindlichen Vorschriften für die Lehrlingsausbildung in der Landwirtschaft gab. Folglich kann auch nicht der Nachweis einer formellen Abschlußprüfung verlangt werden. Vielmehr war ein geordneter und erfolgreicher Abschluß der landwirtschaftlichen Lehrzeit des Klägers zur damaligen Zeit auch ohne Abschlußprüfung möglich.
Auch hat der Kläger seine landwirtschaftliche Lehre am 1. Oktober 1919 nach einer üblichen Ausbildungsdauer beendet und damit abgeschlossen. Die Lehrzeit betrug in den Jahren 1918 bis 1919 ein bis drei Jahre. Zwar forderte die DLG mindestens 2 Jahre, jedoch war dies keine rechtsverbindliche Forderung. Dem Lehrplan für die praktische Lehrzeit des Landwirts, aufgestellt am 12. Februar 1907, ist zu entnehmen, daß aus bestimmten Gründen nur eine 1 1/2 jährige Lehrzeit in Aussicht genommen werden konnte; es empfehle sich dann "der Beginn der Lehrzeit mit dem 1. April um doch 2 Sommer-Semester dem Lehrlinge zu sichern”. Der Kläger hat aber seine Lehre am 1. April begonnen. Als besonderer Grund für eine nur 1 1/2 jährige Lehrzeit wird "bei reiferen, besonders gut veranlagten Lehrlingen, die auf dem Lande in fester Berührung mit dem Landwirtschafts-Betriebe aufgewachsen sind” angesehen. Der Kläger hatte zu Beginn seiner Tätigkeit als Scholar am 1. April 1918 mit der Realschulreife einen relativ guten Schulabschluß aufzuweisen. Zwar stammt er nicht aus einer landwirtschaftlichen Familie, doch hat er bis zum 11. Lebensjahr auf dem Lande gewohnt. Schließlich spricht auch das Zeugnis des Lehrherrn F. S. und der Vortrag des Klägers hierzu für eine am 1. Oktober 1919 abgeschlossene Lehrzeit. Denn einmal bescheinigt der Lehrherr dem Kläger im Zeugnis vom 1. Oktober 1919, daß er in allen landwirtschaftlichen Arbeiten und an allen Geräten und Maschinen praktisch ausgebildet worden sei. Zum anderen hat der Kläger glaubhaft dargelegt, daß er nach seiner Lehrzeit in anderen Betrieben als Jungverwalter weitere Erfahrungen habe sammeln und sich den finanziellen Rückhalt für einen vorgesehenen zweijährigen Lehrkurs an der Deutschen Kolonialschule in W. habe schaffen wollen, da er die Absicht gehabt habe, Koloniallandwirt zu werden, was schließlich infolge des Ersten Weltkrieges gescheitert sei. Nach alledem muß der Hinweis im Zeugnis vom 1. Oktober 1919 der Abgang des Klägers erfolge, um sich in größerer Wirtschaft zu vervollkommnen, im Sinne der Darlegungen des Klägers gedeutet werden. Außerdem wäre nicht einzusehen, warum der Kläger gerade die letzte in der Regel wesentlichste Ausbildungsphase ausgerechnet in der Zeit der winterlichen Arbeitsruhe bei einem dritten Lehrherrn hätte absolvieren sollen.
Allerdings bietet die nachfolgende berufliche Stellung des Klägers keine Anhaltspunkte dafür, ob das Ausbildungsziel erreicht und die Lehrzeit erfolgreich beendet wurde; denn er begann anschließend eine versicherungsfachliche Ausbildung, die mit seiner vorherigen Ausbildung als Scholar in keiner Beziehung stand. Doch gibt eine diesbezügliche nachträgliche Betrachtungsweise nur ein Indiz dafür ab, ob eine Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG abgeschlossen ist. Kommt es aus erklärlichen Gründen nicht zur Aufnahme des erlernten Berufs, dann muß den sonstigen Umständen entnommen werden, ob eine abgeschlossene Lehrzeit vorliegt oder nicht. Der Kläger, der nach dem Realschulabschluß – Zeugnis vom 22. Januar 1918 den Beruf des Landwirts ergreifen wollte, hat überzeugend dargelegt, warum er sein berufliches Endziel als Koloniallandwirt nicht verwirklichen konnte. Anhaltspunkte dafür, daß er seinen Beruf als Landwirt wegen einer nicht abgeschlossenen landwirtschaftlichen Lehre nicht aufnehmen konnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Aus all diesen Gründen war die Zeit vom 1. April 1918 bis 1. Oktober 1919 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG anzuerkennen.
Bei dieser Sach- und Rechtslage konnte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG fehlt.
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