L 2 U 426/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 316/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 426/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7. November 2007 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 23. Juni 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
12. September 2006 abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung weiterer Folgen des Unfalls vom 7. November 1974 und die Gewährung einer Rente nach einer MdE von 10 v.H. ab 1. Januar 2002 sowie nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. ab 1. Dezember 2005.

Dem 1949 geborenen Kläger fiel am 7. November 1974 eine Eisenstange auf die Wirbelsäule. Die Röntgenaufnahmen vom Unfalltag zeigten eine Einbuchtung der Deckplatte des 3. Lendenwirbelkörpers sowie eine Konturunterbrechung an der vorderen Kante. Im Gutachten vom 21. April 1975 führte der Chirurg Dr. S. aus, durch den Unfall sei es zu einem Stauchungsbruch des dritten Lendenwirbelkörpers unter ganz geringer Höhenminderung gekommen, der knöchern fest verheilt sei. Die MdE schätzte er auf
20 v.H. ein. Im Gutachten vom 10. November 1975 erklärte Dr. S., die endgradige Einschränkung der Seitwärtsneigung und die Beschwerden bedingten ab 1. November 1975 eine MdE um 10 v.H ...

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 12. Dezember 1975 als Folgen des Arbeitsunfalls endgradige Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule sowie glaubhafte Beschwerden nach knöchern fest verheiltem Bruch des 3. Lendenwirbelkörpers an. Die MdE wurde vom 13. Januar 1975 bis 31. Oktober 1975 mit 20 v.H. bewertet.

In den Gutachten vom 19. Juni 1980 und 10. April 1981 schätzte Dr. S. die MdE mit unter 10 v.H. ein. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag des Klägers auf Wiedergewährung der Rente mit Bescheid vom 29. Mai 1981 ab.

Wegen der Folgen eines Unfalls vom 28. April 1979 erhält der Kläger Rente, zuletzt nach einer MdE um 40.H ...

Gegenüber dem Durchgangsarzt Dr. L. machte der Kläger am 18. Mai 1998 zunehmende Kreuzschmerzen geltend. Der Neurologe Dr. D. bestätigte am 22. Oktober 1998 ein lumbales und cervikales Wurzelreizsyndrom.

Der Chirurg Prof. Dr. B. erklärte nach Untersuchung des Klägers am 29. August 2005, die der Klärung von Folgen sowohl des Unfalls vom 28. April 1979 als auch des streitgegenständlichen Unfalls diente, eine Trennung der unfallbedingten und der schicksalhaften Erkrankungen an der Wirbelsäule sei nicht ohne weiteres möglich.

Im Gutachten vom 17. Februar 2006 führte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie
Dr. K. aus, gegenüber dem Befund von Dr. D. ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte. Eine fassbare radikuläre Symptomatik liege nicht vor. Die Sensibilitätstörungen seien nicht eindeutig zuordbar. Auf neurologischem Fachgebiet lägen keine Folgen der LWK-3-Fraktur vor.

Der Chirurg Dr. G. führte im Gutachten vom 8. März 2006 aus, die LWK-3-Fraktur sei stabil verheilt. Auch die anfängliche leichte Skoliose habe sich nicht wesentlich geändert. Auffällig sei die schnelle Zunahme degenerativer Veränderungen, für die aber die 30 Jahre zurückliegende stabile Fraktur nicht ursächlich verantwortlich gemacht werden könne. Der überwiegende Teil der Beschwerden resultiere aus der Degeneration und könne nicht den Unfallfolgen angelastet werden. Die MdE sei mit 10 v.H. einzuschätzen.

Der beratende Arzt der Beklagten, der Chirurg Dr. B., erklärte in der Stellungnahme vom 15. Mai 2006, die unkomplizierte Schädigung im Deckplattenbereich des 3. Lendenwirbelkörpers, die mit keinen weitergehenden begleitenden Verletzungen einhergegangen sei und über Jahrzehnte keine Reaktion verursacht habe, habe keinen Zusammenhang mit der allgemeinen Degenerationsentwicklung der ganzen Wirbelsäule. Die MdE liege deutlich unter 10 v.H ...

Mit Bescheid vom 23. Juni 2006 lehnte die Beklagte eine Neufeststellung der Rente und Übernahme weiterer Heilbehandlungskosten ab. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 2006 zurück.

Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Prof. Dr. R. führte im Gutachten vom 6. Februar 2007 aus, die ausgedehnten Veränderungen der Lendenwirbelsäule stünden nicht in Zusammenhang mit dem Unfall, bestimmten aber ausschließlich oder ganz überwiegend die Beschwerden. Eine unfallbedingte MdE sei nicht mehr feststellbar.

Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Dr. B. erklärte im Gutachten vom 13. Juli 2007, ohne die Formänderung des Lendenwirbelkörpers wären mit Wahrscheinlichkeit die Abnutzungsveränderungen geringer ausgefallen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass unfallfremde Faktoren ebenfalls wesentlich mitgewirkt hätten und alleinige Ursache im Bereich der unteren Lenden- und der unteren Brustwirbelsäule seien, werde die MdE ab Dezember 2005 auf 20 v.H. geschätzt.

Die Beklagte übersandte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Prof. Dr. B. vom 9. August 2007, in der ausgeführt wird, es erscheine unwahrscheinlich, dass die stabil verheilte Fraktur eine ganze Kaskade von Bandscheibenveränderungen und Degenerationen ausgelöst haben solle. Dagegen spreche auch, dass sieben Jahre nach dem Unfall eine Verbiegung der Wirbelsäule nur ganz angedeutet zu sehen gewesen sei. Wäre eine unfallbedingte Instabilität wesentliche Ursache des Verbiegungsprozesses gewesen, so hätte es zu diesem Zeitpunkt schon zu deutlicheren Formveränderungen führen müssen. Dem Krankheitsbild der degenerativen Lumbalskoliose komme der wesentliche Anteil am Gesamtgeschehen zu. Die MdE sei mit unter 10 v.H. einzuschätzen.

Mit Urteil vom 7. November 2007 verurteilte das Sozialgericht Augsburg die Beklagte, beim Kläger eine unfallbedingte Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung der Lendenwirbelsäule als Unfallfolge anzuerkennen und mit einer MdE von 10 v.H. ab 1. Januar 2002 und ab 1. Dezember 2005 nach einer MdE von 20 v.H. zu entschädigen. Das Gericht stützte sich dabei auf die Ausführungen von Dr. B ...

Die Beklagte verwies zur Begründung ihrer Berufung auf die Stellungnahmen von
Dr. B. und Prof. Dr. B. sowie auf das Gutachten von Prof. Dr. R ...

Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr. F. führte im Gutachten nach Aktenlage vom 8. April 2008 aus, der Unfall habe nach verletzungsbedingter Konturunterbrechung der oberen Vorderkante eine diskrete Keilform des 3. Lendenwirbelkörpers, aber keine messbare Achsabweichung verursacht. Die multisegmentale Bandscheibenschädigung der Lendenwirbelsäule sei dagegen schicksalhaft entstanden, nämlich als Folge einer Scheuermanschen Erkrankung. Die MdE liege unter 10 v.H ... Wegen der Unfallfolgen seien Rehabilitationsmaßnahmen nicht erforderlich. In der ergänzenden Stellungnahme vom 30. Juni 2008 bekräftigte Dr. F. auf Anfrage des Senats nochmals, dass die verletzungsbedingte Konturunterbrechung der Vorderkante des
3. Lendenwirbelkörpers weder Funktionseinschränkungen noch subjektive Beschwerden zur Folge habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7. November 2007 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 23. Juni 2006 in Gestalt des Widerspruchbescheides und 12. September 2006 abzuweisen.

Der Kläger stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und sachlich begründet.

Die Entscheidung des Rechtsstreits richtet sich nach den bis 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der geltend gemachte Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch vor dem 1. Januar 1997 zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214 Abs. 3 Siebtes Sozialgesetzbuch - SGB VII - i.V.m. § 580 RVO)

Der Kläger hat unstreitig am 7. November 1974 einen Arbeitsunfall erlitten. Eine MdE um wenigstens 10 v.H., die Voraussetzung für die Gewährung einer Stützrente wäre, liegt ab 2002 nicht mehr vor. Im Vergleich zu den Befunden, die dem Bescheid vom 12. Dezember 1975 zu Grunde gelegen haben, ist in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass dieses Bescheides bestanden haben, keine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 des 10. Sozialgesetzbuchs - SGB X - eingetreten. Insbesondere ist keine Verschlimmerung der Unfallfolgen eingetreten, die zu einer Erhöhung der MdE führen könnte.

Der ärztliche Sachverständige, der Orthopäde Dr. F., hat im Gutachten vom 8. April 2008 zu sowie der ergänzenden Stellungnahme vom 30. Juni 2008 überzeugend erläutert, dass nur eine MdE von unter 10 v.H. gegeben ist. Durch den Unfall ist es zu einer geringgradigen Keilwirbelbildung nach verletzungsbedingter Konturunterbrechung der vorderen Oberkante des 3. Lendenwirbelkörpers gekommen. Wie Dr. F. erklärt, stellt die Bandscheibenerniedrigung zwischen dem 2. und 3. Lendenwirbelkörper dagegen keine Unfallfolge dar. Ursache der Bandscheibenerniedrigung ist vielmehr die Verlagerung des Bandscheibengewebes in die Deckplatte des Wirbelkörpers aufgrund des Schmorl schen Knötchens, einer Folge der im Jugendalter abgelaufenen Scheuermann-Erkrankung.

Durch diese Erkrankung ist es auch zu Keilformbildungen am 1. Lendenwirbelkörper und einer Abflachung der Unterkante des 2. Lendenwirbelkörpers gekommen. Während die Deck- und Grundplatten des 4. und 5. Lendenwirbelkörpers völlig glatt sind und keine wachstumsbedingte Eindellung aufweisen, sind sämtliche anderen Segmente der Lendenwirbelsäule durch Bandscheibeneinengungen gekennzeichnet - Folgen der Scheuermann-Erkrankung mit Schmorl-Knötchen beziehungsweise im letzten Segment mit Gleitwirbelbildung. Dr. F. betont, dass abgesehen von der diskreten Vorderkantenabflachung des 3. Lendenwirbelkörpers, die aber zu keiner messbaren Achsabweichung geführt hat, keinerlei Verletzungsfolgen an der Lendenwirbelsäule festzustellen sind. Dies gilt insbesondere für die seitliche Abweichung, die sich durch die Erniedrigungen an den benachbarten Wirbelkörpern erklärt, also keine Unfallfolge ist.

Mit dieser Beurteilung befindet sich Dr. F. in Übereinstimmung mit Dr. B. und Prof. Dr. B ...

Nicht gefolgt werden kann den Überlegungen von Dr. B ... Auch er bestreitet nicht, dass eine unfallunabhängige Erkrankung der Lendenwirbelsäule besteht. Bezüglich der Verletzungsfolgen räumt er ein, dass die Veränderungen des 3. Lendenwirbelkörpers
12 Jahre nach dem Unfall etwa so dargestellt seien wie 1975. Eine Begründung dafür, dass die Formveränderung des 3. Lendenwirbelkörpers an der Entstehung des danach einsetzenden hochgradigen Abnutzungsschadens der Lendenwirbelsäule einen wesentlichen Anteil hat, bleibt Dr. B. schuldig. Wenn Dr. B. erklärt, die Annahme sei nahe liegend, dass die ehemalige Verletzung an der Entstehung der Abnützungsveränderungen und deren Fortschreiten im Bereich LWK 3 beteiligt sein könnte, so deutet er damit auf eine Möglichkeit des Zusammenhangs, nicht aber auf einen wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang hin. Dies kann umso weniger überzeugen, als auch Dr. B. die Abnützungsveränderungen der unteren Brustwirbelsäule und im Bewegungssegment L5/S 1 als mit Sicherheit unfallunabhängig bezeichnet. Es fehlt eine exakte Analyse der Ursächlichkeit der Verformungen der oberen Lendenwirbelsäule, wie sie Dr. F. vorgenommen hat. Dabei hat Dr. F. darauf hingewiesen, dass im 4. Segment eine intakte Bandscheibe zu sehen ist und die beiden angrenzenden Deck- und Grundplatten des 4. und 5. Lendenwirbelkörpers völlig glatt sind, während sämtliche anderen Segmente der Lendenwirbelsäule Folgen der Scheuermann-Erkrankung beziehungsweise im letzten Segment einen Gleitwirbel aufweisen, Veränderungen, die die seitliche Verbiegung der Wirbelsäule verursacht haben, nämlich aufgrund der Erniedrigungen der Bandscheiben und der Gefügestörungen, die sich aus den Bandscheibenerniedrigungen ergeben haben.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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