L 1 SF 3/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 SF 3/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Entscheidung über die Art und Weise der Prozeßförderung un das bei Ermittlungen einzuhaltende Verfahren hat der Richter in eigener Verantwortung zu treffen. Das Ablehungsrecht gibt den Beteiligten keine Handhabe ihre abweichenden Vorstellungen durchzusetzen.
Das Gesuch des Antragstellers, die Richterin am Sozialgericht wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

Gemäß § 60 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Die nur subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, ist dagegen nicht Maßstab der Prüfung. Dies zugrunde gelegt hat die Antragstellerin hier keinen Grund glaubhaft gemacht, der Anlass bieten könnte, an der Unparteilichkeit der Richterin zu zweifeln.

Die Antragstellerin macht hier geltend, die Richterin behindere sie in der Ausübung ihrer Parteirechte und führe das Verfahren unsachgemäß. Es seien seit Erhebung der Klage im August 2007 keine Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt worden und es sei wiederholt auf die Stellung von Anträgen gedrungen worden, zuletzt unter Hinweis auf die Vorschrift des § 102 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Mit diesem Vortrag kann das Gesuch der Antragstellerin im Ergebnis keinen Erfolg haben. Sofern die Antragstellerin mit ihrem Hinweis auf die bereits im August 2007 eingegangene Klage die Dauer des Verfahrens rügen wollte, ist auszuführen, dass die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens alle Prozessbeteiligten gleichermaßen belastet und für sich genommen keinen Anhaltspunkt für die Annahme begründet, der Richter stehe der einen oder anderen Partei nicht mit der gebotenen Neutralität und Unbefangenheit gegenüber. Dies gilt auch dann, wenn die antragstellende Partei ein besonderes Interesse an einer beschleunigten Sachentscheidung hat und ihr der seit Verfahrensbeginn verstrichene Zeitraum unerklärlich lang erscheint (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1998, 1052). Es ist vielmehr Sache des Gerichts, nach seinem Ermessen darüber zu befinden, in welcher Weise das Verfahren in dem Zeitraum von der Klageerhebung bis zur Entscheidung zu fördern ist (vgl. OVG Münster, NJW 1993, 2259). Dementsprechend hat der Gesetzgeber den Ablehnungsgrund der Verfahrensverzögerung nicht in die Befangenheitsvorschriften aufgenommen. Aus §§ 42 und 1036 Abs. 2 ZPO ergibt sich, dass er das Problem einer überlangen Verfahrensdauer gesehen, aber inzwischen selbst für das schiedsgerichtliche Verfahren den Ablehnungsgrund der ungebührlichen Verzögerung im Gegensatz zu der bisherigen Regelung des § 1032 Abs.2 ZPO in der ab 01.01. 1998 geltenden Fassung durch Art.1 Nr.6 des Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22.12.1997 (BGBl. 1997 I S.3224) nicht mehr normiert hat.

Es kommt daher grundsätzlich auch nicht darauf an, ob die bisherige Dauer des Verfahrens auf vom Ablehnenden für überflüssig gehaltenen Maßnahmen des Richters oder auf schlichter Untätigkeit beruht. Die Entscheidung über Art und Weise der Prozessförderung und insbesondere über die für die Sachentscheidung erforderlichen tatsächlichen Grundlagen und das bei ihrer Ermittlung einzuhaltende Verfahren hat der Richter in eigener Verantwortung zu treffen; das Ablehnungsrecht gibt den Parteien keine Handhabe, ihre abweichenden Vorstellungen durchzusetzen. Dies gilt selbst dann, wenn das zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufene Gericht die rechtlichen oder tatsächlichen Wertungen des abgelehnten Richters nicht teilt; zu einer Korrektur ist allein das in der Hauptsache zuständige Rechtsmittelgericht berufen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.). Unabhängig davon sieht sich der Senat gehalten im Hinblick darauf, dass die Stellung eines Ablehnungsantrags durch Rechtsanwälte noch nicht die Regel ist, auf folgendes hinzuweisen: Die Prozessführung durch die abgelehnte Richterin stellt sich nicht als ungewöhnlich oder unsachgemäß dar, wie der Bevollmächtigte der Antragstellerin, dem nach eigenem Bekunden die Arbeitsüberlastung des Sozialgerichts bekannt ist, nahe legen möchte. Im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin aus einer Rehabilitationsmaßnahme als arbeitsunfähig entlassen worden war, hat die Richterin zunächst aufwendig (nur) berufskundlich ermittelt, wohl im Hinblick darauf, dass ihr die Unfähigkeit der Antragstellerin ihre bisherige Tätigkeit weiter auszuüben, zweifelsfrei war. Sie hat eine Auskunft der Schule, bei der die Antragstellerin beschäftigt war, eingeholt, und zweimal eine Stellungnahme des berufskundlichen Dienstes der Beklagten angefordert. In diesem Zusammenhang hat die Richterin erstmals nach der ersten umfangreichen Stellungnahme des berufskundlichen Dienstes der Beklagten um "Überprüfung der Klage und gegebenenfalls Stellung von Anträgen" gebeten. Nach Stellungnahme des Bevollmächtigten der Antragstellerin zu den berufskundlichen Ausführungen der Beklagten hat sie ihre Bitte um die Stellung von Anträgen wiederholt. Nach dem Inhalt dieser Verfügung (Zitat: 3. 6 Wochen (BU? EU?) ging es ihr dabei erkennbar darum, ob evtl. das Klagebegehren auf eine Rente nach § 240 SGB VI beschränkt werde. Nach Eingang der weiteren Stellungnahme des berufskundlichen Dienstes der Beklagten vom 15.07.08 hat die Richterin an die Stellung von Anträgen erinnert. Nicht erkennbar ist, ob diese Stellungnahme an den Bevollmächtigten weiter geleitet wurde, oder ob dies (versehentlich) unterblieben ist, was nahe liegt, weil der Bevollmächtigte der Antragstellerin sich hierzu nicht geäußert hat. In der Folge ist dann am 22. September 2008 von dem Vertreter der Richterin das Schreiben an den Bevollmächtigten mit dem Hinweis auf § 102 Abs. 2 SGG veranlasst worden. Ob dies in diesem Zusammenhang angemessen war, kann dahin stehen, denn es ist in jedem Fall nicht der abgelehnten Richterin zuzuordnen. Mit ihrem weiteren Schreiben vom 19.12.08 ist die Richterin auf § 102 Abs. 2 SGG nicht mehr eingegangen sondern lediglich auf § 92 Abs. 1 S. 2 SGG und hat wiederum deutlich gemacht, dass die Zielrichtung der Klage (d. h. teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit oder teilweise bzw. volle Erwerbsminderung) für die weiteren medizinischen Ermittlungen von Bedeutung sei. Nach Klarstellung durch den Bevollmächtigten der Antragstellerin, dass alle Erwerbsminderungstatbestände geltend gemacht werden, sind dann Befundberichte der behandelnden Ärzte angefordert worden. Die Verfahrensweise der Richterin ist nach alledem in keiner Weise zu beanstanden. Dies hätte auch dem Bevollmächtigten der Antragstellerin einleuchten müssen, wenn er vor der Stellung des Befangenheitsantrags, was angezeigt gewesen wäre, Akteneinsicht genommen hätte.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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